Bezirksverwaltungsgericht für den amerikanischen Sektor von Berlin
Urteil vom 1.4.1949
- 1 B 24.49
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 (weitere Fundstellen: DVBl. 1950, 245 f.)

 

Leitsätze:

1.

Die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Verfügung beurteilt sich nach dem Zeitpunkt ihres Erlasses. Der Verwaltungsrechtsstreit erledigt sich durch Zurücknahme der Verfügung nur dann, wenn die Verfügung bis zum Zeitpunkt ihrer Zurücknahme noch keine tatsächlichen Wirkungen ausgeübt hat oder wenn die Zurücknahme mit dem ausdrücklichen Anerkenntnis der Unrechtmäßigkeit der Verfügung erfolgt.

2.

Das Hausrecht des Leiters einer öffentlichen Behörde ist insoweit beschränkt, als es der öffentliche Zweck des von ihm verwalteten Dienstgebäudes erfordert.

3.

Ein auf das Hausrecht des Behördenleiters gestütztes Verbot des Betretens des Dienstgebäudes ist ein im Verwaltungsstreitverfahren anfechtbarer Verwaltungsakt, wenn der Betroffene durch das Verbot an dem statthaften persönlichen Verkehr mit öffentlichen Dienststellen gehindert wird.

 

Aus den Gründen:

1.

Der Bezirksbürgermeister von St. hat im Interesse einer ordnungsmäßigen Abwicklung der Dienstgeschäfte der Kl., weil sie durch ungebührliches Betragen den Dienstbetrieb wiederholt erheblich gestört hat, den Zutritt zu sämtlichen Diensträumen des Bezirksamts in St. auf die Dauer von sechs Monaten untersagt. Im Laufe des Verfahrens ist das Verbot gelockert und der Kl. gestattet worden, ihre Lebensmittelkarten und ihre Sozialunterstützung persönlich in Empfang zu nehmen.

2.

Durch Urteil des Stadtverwaltungsgesichts St. ist der Rechtsstreit zum Teil für erledigt erklärt, im übrigen die Klage abgewiesen worden, weil in der angefochtenen Verfügung kein — anfechtbarer — Verwaltungsakt zu erblicken, sondern diese lediglich als ein Ausfluß des Hausrechts des Bürgermeisters zu erachten sei.

3.

Die Berufung hatte keinen Erfolg.

4.

Der Vorderrichter hat den Verwaltungsrechtsstreit zu einem Teil für erledigt erklärt. Es kann fraglich sein, ob die angefochtene Verfügung einer Teilung überhaupt zugänglich ist. Außerdem beurteilt sich die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Verfügung nach dem Zeitpunkt ihres Erlasses, und der Verwaltungsrechtsstreit erledigt sich durch Zurücknahme der Verfügung nur dann, wenn die Verfügung bis zum Zeitpunkt ihrer Zurücknahme noch keine tatsächlichen Wirkungen ausgeübt hat oder wenn die Zurücknahme mit dem ausdrücklichen Anerkenntnis der Unrechtmäßigkeit der Verfügung erfolgt (vgl. OVG. Bd. 90 S. 267. 269). Doch ist das nicht von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung.

5.

Der Vorderrichter vertritt die Auffassung, daß der Bürgermeister das Hausverbot lediglich in Ausübung seines aus Privatrechtsnormen sich ergebenden Hausrechts erlassen habe. Dabei ist übersehen, daß der Bürgermeister der Kl. den Zutritt zu den Diensträumen untersagt hat in seiner Eigenschaft als Bürgermeister, also als Leiter einer öffentlichen Verwaltungsbehörde, daß das Verbot ergangen ist, um die ordnungsmäßige Abwicklung der öffentlichen Dienstgeschäfte zu gewährleisten, und daß durch das Verbot die Kl. an der Wahrnehmung des jedermann zustehenden Rechts auf persönlichen Verkehr mit den für ihn zuständigen Ortsbehörden der Verwaltung zur Erledigung seiner Angelegenheiten gehindert wird. An den öffentlichen Dienstgebäuden besteht zwar kein Gemeingebrauch, wie die Kl. annimmt; wohl aber ist das Recht des Hauseigentümers einschließlich des Hausrechts durch den öffentlichen Zweck des Dienstgebäudes insoweit unterbunden und öffentlich-rechtlich beschränkt, als es diese Zweckbestimmung erfordert. Das Hausrecht findet eine Schranke in der öffentlichen Zweckbestimmung der Diensträume und umgekehrt die Öffentlichkeit in dem Bestehen des Hausrechts. Aus alledem ist ersichtlich, daß die angefochtene Verfügung nicht allein als ein Ausfluß des Hausrechts betrachtet werden kann, sondern in unmittelbarem Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Verhältnissen steht und, soweit sich diese auf die Kl. beziehen, in sie eingreift. Die der Obhut des Bürgermeisters anvertrauten Amtsgebäude sind Räume, die für den auf Vorschriften des öffentlichen Rechts beruhenden dienstlichen Verkehr mit dem Publikum bestimmt sind (vgl. Ebermayer-Lobe-Rosenberg, Kommentar zum Reichs-Strafgesetzbuch, 3. Aufl. Anm. 2 d zu § 123). Die Verfügung ist nicht lediglich Ausübung eines Privatrechts, sondern sie trägt auch öffentlich-rechtlichen Charakter und bedeutet nach Ansicht der Kl. eine Überschreitung der Befugnisse des Bürgermeisters, die auf Grund des Dekrets über die Wiedererrichtung der Verwaltungsgerichte im Amerikanischen Sektor von Berlin vom 19. 11. 1945 durch Anrufung der Verwaltungsgerichte gerügt werden kann. Deswegen konnte die Verfügung der Anfechtung im Verwaltungsstreitverfahren nicht entzogen werden.

6.

Wie schon erwähnt, hat jedermann das Recht, die für ihn zuständigen örtlichen Verwaltungsbehörden zur Erledigung seiner Angelegenheiten, die der behördlichen Mitwirkung bedürfen, und zur Einholung hierzu benötigter Auskünfte persönlich aufzusuchen. Um deswillen ist ihm der Zutritt und das Verweilen in den zum öffentlichen Dienst bestimmten Räumen während der Dienststunden gestattet und zu gestatten. Dieses Recht darf aber nicht dazu mißbraucht werden, den ordnungsmäßigen Ablauf des Dienstbetriebes zu stören und eine gedeihliche Abwicklung der Dienstgeschäfte zu gefährden. In der mißbräuchlichen Ausnutzung des Rechts auf freien Zutritt zu den Diensträumen findet dieses Recht seine Begrenzung. In solchen Fällen ist der Behördenleiter sehr wohl befugt, von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen und den Zutritt zu untersagen. Diese Untersagung kann bei wiederholtem störenden Auftreten eines einzelnen auch für längere Zeit erfolgen. Dafür, daß diese tatsächlichen Voraussetzungen zum Erlaß des angefochtenen Verbots in dem Verhalten der Kl. gegeben waren, bedarf es keines Beweises. Die außerordentlich exzentrische Wesensart der Kl. ist gerichtsbekannt.

7.

Trotz des Verbots ist die Kl. entgegen ihrer Behauptung nicht vom Verkehr mit den Dienststellen des Bezirksamts abgeschnitten. Sie ist durch das Verbot, wie in dem Schreiben des Bürgermeisters in Wahrung der berechtigten Interessen der Kl. ausdrücklich festgestellt ist, nicht gehindert, sich mit schriftlichen Eingaben an das Bezirksamt zu wenden (vgl. Artikel 17 des Bonner Grundgesetzes) oder, wenn es ihr beliebt, ihre Anliegen durch einen Bevollmächtigten vorbringen zu lassen. Auch ist die Verfügung des Bürgermeisters, wie aus den von ihm selbst bewilligten Ausnahmen deutlich ersichtlich ist, nicht dahin zu verstehen, daß der Kl. der Zutritt zu den Dienstgebäuden auch dann verwehrt ist, wenn nach der Art einer die Kl. betreffenden Angelegenheit diese allgemein nur unter persönlicher Beteiligung des Betroffenen erledigt wird.

8.

Nach alledem erwies sich die angefochtene Verfügung als rechtmäßig, so daß die Klage unbegründet war und die Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil zugewiesen werden mußte.