Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil vom 30.1.1996
- 2 U 119/95
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 (weitere Fundstellen: NJW-RR 1996, 924 f.)

 

 

Zum Sachverhalt:

1.

Das LG hat die bekl. Bundesrepublik zum Schadensersatz verurteilt, weil der an der deutsch-polnischen Grenze eingesetzte Zollbeamte Z bei einer nächtlichen Kontrolle von der Schußwaffe Gebrauch gemacht und den Pkw des Kl. beschädigt hatte. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.

 

Aus den Gründen:

2.

Dem Kl. steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in voller Höhe zu (§ 839 I BGB i.V. mit Art. 34 GG). Der Zollbeamte Z hat den Pkw des Kl. durch Schüsse amtspflichtswidrig beschädigt. Z handelte bei Abgabe der Schüsse als Vollzugsbeamter des Bundes gem. § 6 Nr. 2 Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG). Ihm oblag dabei die Amtspflicht, weder Personen noch Sachen zu schädigen. Diese Amtspflicht bestand auch gegenüber dem Kl. Da der Beamte Z unstreitig die Schüsse auf den Pkw des Kl. abgegeben und diesen damit im behaupteten Umfang geschädigt hat, streiten die Parteien allein über die Frage, ob diese Beschädigungen gerechtfertigt gewesen sind. Das ist nicht der Fall.

3.

Grundsätzlich war der Beamte Z zum Gebrauch von Schußwaffen berechtigt (§ 9 Nr. 2 UZwG). Es kann nach der vor dem Senatdurchgeführten Beweisaufnahme auch nicht festgestellt werden, daß es dem in der Nacht vom 1.9.1994 Dienst tuenden Beamten aufgrund einer innerdienstlichen Anordnung untersagt gewesen ist, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen (§ 7 UZwG). Im konkreten Fall durfte er jedoch keine Schüsse gezielt auf das Fahrzeug, in dem sich zwei Personen befanden, abgeben. Die Zulässigkeit des Schußwaffengebrauchs im Einzelfall richtet sich nach §§ 10 ff. UZwG.

4.

Aus der Zeugenaussage des Beamten Z sowie seinen Angaben im Ermittlungsverfahren ergibt sich, daß er auf den rechten hinteren Reifen des klägerischen Fahrzeuges gezielt hatte, wenn er diesen auch nicht direkt getroffen haben mag. Die Lage der Einschußstellen im Fahrzeug spricht nicht entscheidend gegen die Bekundungen des Zeugen. Zwei Einschüsse befinden sich im Bereich der rechten Heckseite, während sich ein weiterer Einschuß direkt in der Mitte der Oberkante des Kofferraumdeckels befindet. Die beiden Einschüsse an der rechten Seite lassen sich unschwer mit einem Zielen auf den rechten Hinterreifen in Übereinstimmung bringen, wenn sie auch deutlich höher liegen. Aber auch der dritte Einschuß vermag nicht zu belegen, daß der Zeuge Z etwa auf die Fahrzeuginsassen gezielt haben könnte. Insbesondere mangels einer Untersuchung der Schußkanäle kann die genaue Zielrichtung nicht festgestellt werden. Aus der Position der Einschüsse kann deshalb auch nicht auf ein gezieltes Beschießen der Fahrzeuginsassen geschlossen werden. Der Beamte hat somit die Schußwaffe nicht gegenüber Personen, sondern gegenüber einer Sache eingesetzt. Gleichwohl waren die Voraussetzungen des § 11 I UZwG zu beachten, die für den Schußwaffengebrauch gegenüber Personen gelten. Dies ergibt sich aus dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der gerade bei Anwendung unmittelbaren Zwanges von besonderer Bedeutung ist (vgl. § 4 II UZwG; BGH, NJW 1989, 1811 (1813)). Die Schußwaffe darf im konkreten Einzelfall nur als "ultima ratio" eingesetzt werden, wenn andere Maßnahmen erkennbar erfolglos sind. Bei Schüssen auf ein fahrendes Fahrzeug sind die möglichen Auswirkungen zu beachten. Es liegt nahe, daß ein Fahrer die Kontrolle über sein Auto verliert, so daß dies zu schwerwiegenden Folgen für ihn und die weiteren Insassen führen kann. Da infolge des Schußwaffengebrauches gegen ein Fahrzeug damit auch Gefahren für Leib und Leben von Personen erwachsen können, müssen die besonderen Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Schußwaffengebrauch gegen Personen zulässig ist (Lisken/Denninger, Hdb. des PolizeiR, F Rdnr. 528).

5.

Hier lagen die Voraussetzungen des § 11 UZwG für den Schußwaffengebrauch gegenüber Personen vor, da sich zumindest aus der Sicht der Beamten der Kl. mit seinem Fahrzeug nach anfänglichem Anhalten der Kontrolle durch Flucht zu entziehen versuchte. Allerdings lag die weitere Voraussetzung für jeden Schußwaffengebrauch - ob gegenüber Personen oder Sachen -, nämlich die Androhung gem. § 13 I UZwG, nicht vor. Die Androhung von Schußwaffengebrauch kann durch Abgabe eines Warnschusses erfolgen. Voraussetzung ist jedoch, daß die konkrete Situation bei der Abgabe eines Warnschusses sich für den Betroffenen so darstellt, daß er die Androhung als solche erkennen und auf sich selbst beziehen kann. Anderenfalls kann die Androhung ihre Funktion nicht erfüllen, den Betroffenen noch einmal auf die möglichen Folgen seines Handelns aufmerksam zu machen und ihn zur Umkehr zu bewegen (Lisken/Denninger, Rdnr. 526; vgl. zur Notwendigkeit der Androhung auch BGH, NJW 1989, 1811 (1812)).

6.

Warnschüsse oder sonstige Warnungen sind hier nicht abgegeben worden. Dies steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest. Der Beamte Z hat nach seinen eigenen Bekundungen ohne vorherige Androhung, insbesondere ohne Abgabe eines Warnschusses, direkt auf den Reifen des klägerischen Fahrzeuges geschossen. Auch sein Kollege, der Zeuge G, hat keine Warnschüsse abgegeben. Zwar hat dieser ebenfalls dreimal, und zwar in die Luft, geschossen. Diese Schüsse fielen jedoch gleichzeitig mit denjenigen des Zeugen Z. Schon bei seiner polizeilichen Vernehmung hat der Zeuge G angegeben, er habe drei Warnschüsse in die Luft abgegeben. "In dieser Situation" habe er in Richtung des Fahrzeuges "drei aufblitzende gelbe Stellen auf dem Straßenbelag" wahrgenommen. Dies hat er bei seiner Vernehmung durch den Senat bestätigt und bekundet, in demselben Moment, indem er drei Warnschüsse nach oben in die Luft abgegeben habe, habe er vor sich "drei gelbe Blitze" registriert. Der Beamte Z hat bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung angegeben, er habe unmittelbar im Anschluß an das Beiseiteschleudern des Kollegen G seine Maschinenpistole entsichert und drei gezielte Schüsse auf den rechten hinteren Reifen abgegeben. Er habe auch die drei blitzschnellen Anhalteschüsse des Kollegen gehört. Dies sei aber so schnell gegangen, daß er sagen müsse, die Schüsse seien in etwa gleichzeitig gefallen. Bei seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Senat hat Z bekundet, er habe das Mündungsfeuer der Schüsse des Kollegen G zeitgleich gesehen und die Schüsse gleichzeitig gehört. Damit konnten die Schüsse des Zeugen Gkeine Warnfunktion erfüllen. Sie waren nicht geeignet, den Kl. zum Anhalten zu bewegen und ihn auf die drohende Gefahr des Schußwaffeneinsatzes gegen sein Fahrzeug dringlich aufmerksam zu machen. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn dem Kl. zumindest eine kurze Reaktionszeit auf die Warnschüsse verblieben wäre.

7.

Die Beschädigung des klägerischen Fahrzeuges war auch nicht durch § 127 StPO gerechtfertigt. Es mag dahinstehen, ob der Beamte Z aufgrund der äußeren Umstände den dringenden Tatverdacht eines versuchten Tötungsdelikts gewinnen durfte, weil der Kl. auf den Zeugen G zugefahren war. Denn das Festnahmerecht des § 127 StPO erlaubt zwar grundsätzlich auch den Einsatz eines gewissen Zwanges, dies jedoch ebenfalls unter der Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit der angewandten Zwangsmittel (Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 127 Rdnrn. 28, 29; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 127 Rdnrn. 13ff.; BGH, NJW 1981, 745 (746)). Dieser Grundsatz wird im Rahmen seines Anwendungsbereiches durch das UZwG konkretisiert. Der Einsatz von Schußwaffen durch Beamte richtet sich in seiner Zulässigkeit deshalb allein nach den Sonderregelungen des UZwG (Löwe/Rosenberg, § 127 Rdnr. 31). Die allgemeinere Vorschrift des § 127 StPO gestattet keine weitergehenden Eingriffe in Rechte Dritter als die speziell für die Anwendung des Schußwaffengebrauchs unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geschaffenen Regelungen des UZwG.

8.

Das Handeln des Beamten Z war nicht aus dem Gesichtspunkt der Nothilfe (§ 227 BGB) gerechtfertigt. Notwehr und Nothilfe setzen das Andauern einer gegenwärtigen Gefahr voraus. Das war hier nicht der Fall. Es kann offenbleiben, ob der Kl. mit seinem Fahrzeug direkt auf den Zeugen G zugefahren ist und dessen Leib und Leben gefährdete. Denn im Zeitpunkt der Abgabe der Schüsse durch den Beamten Z war der Zeuge G jedenfalls unverletzt und der Kl. entfernte sich bereits.

9.

Der Zeuge Z war auch nicht durch sog. "Putativ-Nothilfe" entschuldigt. Dieser Entschuldigungsgrund hätte vorgelegen, wenn sich der Beamte Z im Zeitpunkt der gezielten Schüsse auf das Fahrzeug ohne Fahrlässigkeit in einem Irrtum über das Bestehen einer Notwehrlage befunden und mit dem Willen zur Abwehr einer angenommenen Gefahr gehandelt hätte. Die Voraussetzungen dieses Entschuldigungsgrundes hat die Bekl., welche die Beweislast trifft (BGH, NJW 1981, 745; v. Feldmann, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 227 Rdnr. 12), nicht nachzuweisen vermocht.

10.

Nach der Vernehmung des Zeugen Z ist schon unklar geblieben, ob er bei Abgabe der Schüsse davon ausging, es bestehe noch immer eine Gefahr für seinen Kollegen. So hat der Zeuge bekundet, die Situation habe sich für ihn so dargestellt, daß G von dem klägerischen Fahrzeug überfahren bzw. angefahren worden sein mußte. Er habe dann auf den rechten hinteren Reifen gezielt, als das Fahrzeug schon fast schräg neben ihm weggefahren sei. Andererseits hat er auf Fragen angegeben, es sei für ihn nicht ersichtlich gewesen, wo sich bei Abgabe seiner Schüsse G befunden habe und ob er etwa von dem Fahrzeug mitgeschleift wurde. Jedenfalls fehlte es dem Zeugen Zaber an dem Willen, zur Verteidigung des G zu handeln. Es ging ihm vielmehr ausschließlich darum, daß Fahrzeug anzuhalten, um die Insassen festnehmen zu können. Schon bei seiner polizeilichen Vernehmung hat der Beamte Z angegeben, er habe das Fahrzeug unbedingt zum Anhalten zwingen wollen, nachdem G aus seiner Sicht angefahren worden sei. So hat der Zeuge seine Absicht auch bei der Vernehmung vor dem Senat geschildert. Zusätzlich hat er ausgeführt, ein Anhalten durch ihn und seinen Kollegen sei notwendig gewesen, weil zur fraglichen Zeit der an sich in einiger Entfernung bestehende Posten, der dazu bestimmt war, durchgebrochene Fahrzeuge anzuhalten, nicht besetzt gewesen sei.

11.

Das Verhalten des Beamten Z mag angesichts der für ihn unklaren Situation - er wußte nicht genau, was mit seinem Kollegen geschehen war und ob es sich bei dem Kl. und dessen Beifahrerin um gefährliche Personen handelte - verständlich sein, es ist jedoch weder gerechtfertigt noch entschuldigt. Nach alledem steht fest, daß der in der Höhe unstreitige Schaden an dem klägerischen Fahrzeug durch ein schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten eines Beamten herbeigeführt worden ist. Dafür hat die Bekl. einzustehen.

12.

Die Schadensersatzpflicht der Bekl. ist auch nicht wegen eines Mitverschuldens des Kl. gemindert (§ 254 I BGB). Nach dieser Vorschrift hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie dessen Umfang insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden von den Beteiligten verursacht worden ist. Ein Mitverschulden des Geschädigten liegt vor, wenn er zumindest fahrlässig die ihm in eigenen Angelegenheiten obliegende Sorgfalt verletzt. Die Schädigung muß für den Geschädigten vorhersehbar und vermeidbar gewesen sein (Palandt/Heinrichs, BGB, 53. Aufl., § 254 Rdnr. 12; Grunsky, in: MünchKomm, § 254 Rdnrn. 2, 19). Trifft den Geschädigten ein Mitverschulden, so hängt der Umfang der Ersatzpflicht des Schädigers von einer Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles ab (Palandt/Heinrichs, § 254 Rdnr. 45; Grunsky,in: MünchKomm, § 254 Rdnrn. 60ff.).

13.

Der Senat hält unter Beachtung dieser Grundsätze ein zurechenbares Mitverschulden an der Schadensentstehung durch den Kl. für nicht gegeben. Allerdings hat der Kl. durch das Wiederanfahren, nachdem er sein Fahrzeug zunächst abgebremst hatte, und durch das Zufahren auf den Zeugen G zu dem schädigenden Geschehensablauf beigetragen und die Schüsse auf sein Fahrzeug mitverursacht. Daß bei einer Mißachtung des Anhaltegebotes unter Umständen auf das Fahrzeug geschossen werden würde, hätte der Kl. auch vorhersehen können. Immerhin hatte er die Haltesignale richtig gedeutet. Auch die Bewaffnung der Beamten war erkennbar. Daß im grenznahen Bereich bei einer Mißachtung eines Anhaltegebotes durch Zollbeamte ggf. von der Schußwaffe Gebrauch gemacht wird, ist auch allgemein bekannt. Dennoch ist aufgrund der gebotenen Abwägung die Bekl. im vollen Umfang schadenersatzpflichtig. Denn der Kl. ist zu seinem Verhalten durch die Art und Weise der Durchführung der Kontrolle durch die Zollbeamten veranlaßt worden. (Wird im einzelnen ausgeführt.)