Oberlandesgericht Hamm
Urteil vom 07.10.1987
- 11 U 40/87
-

 (weitere Fundstellen: NJW 1988, 1096 f.)

 

 

Zum Sachverhalt:

1.

Die drei Jugendlichen L, K und E entwendeten den auf einem Parkplatz abgestellten, dem Kl. gehörenden Pkw. Die Beifahrertür war nicht verschlossen. Reserveschlüssel und Fahrzeugpapiere befanden sich im nicht verschlossenen Handschuhfach. Die Jugendlichen befuhren mit dem Pkw die Bundesautobahn. Dort nahmen die Polizeibeamten G und P mit dem von ihnen gefahrenen Funkstreifenwagen unter Einschaltung von Blaulicht und Martinshorn die Verfolgung auf. Nachdem die Polizeibeamten den Pkw des Kl. eingeholt hatten, forderten sie die Jugendlichen mit Haltezeichen zum Anhalten auf. Der Fahrer des Fahrzeugs, der Zeuge K, hielt jedoch nicht an. Im Rahmen des weiteren Geschehens kam es zu einem Zusammenstoß der Fahrzeuge; schließlich kamen beide Fahrzeuge zum Stillstand. Am Pkw des Kl. entstand ein Schaden. Der Kl. hat - vom Bekl. bestritten - behauptet, der Zeuge E habe gegenüber den beiden Polizeibeamten auf deren Zeichen mit der Kelle hin mehrere Handzeichen mit dem Hinweis gegeben, sein - des Kl. - Pkw werde gestoppt. Die Beamten hätten völlig unerwartet und überraschend für die Jugendlichen seinen Pkw gerammt.

2.

Das LG hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Die Berufung führte zur Zurückverweisung an das LG.

 

Aus den Gründen:

3.

I. Dem Kl. steht ein Schadensersatzanspruch nur dann zu, wenn seine Behauptung zutrifft, daß der Zeuge E gegenüber den Polizeibeamten auf deren Zeichen mit der Kelle hin mehrere Handzeichen mit dem Hinweis gegeben hat, der Pkw des Kl. werde angehalten. Ist das nicht der Fall, steht dem Kl. auch dann kein Anspruch zu, wenn der Polizeibeamte G mit dem von ihm gesteuerten Polizeifahrzeug den Pkw des Kl. bewußt gerammt hat. Für diesen Fall gilt im einzelnen folgendes:

4.

1. Ein Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG) steht dem Kl. nicht zu, weil der Polizeibeamte C keine Amtspflicht verletzt hat. Das Rammen des Fahrzeugs stellte eine gem. §§ 1, 8 NRWPolG rechtmäßige Maßnahme dar. Die polizeirechtlichen Vorschriften sind für die Beurteilung des Verhaltens der Polizeibeamten maßgebend. Die Polizeibeamten sind zwar auch zum Zwecke der Strafverfolgung tätig geworden. Bei der gegebenen Situation stand jedoch ein Handeln zum Zwecke der Gefahrenabwehr im Vordergrund. Das Verhalten der Jugendlichen stellte eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, zu deren Abwehr die Polizeibeamten tätig geworden sind. Der Zeuge K, der das Fahrzeug des Kl. steuerte, war minderjährig und hatte keine Fahrerlaubnis. Sein Verhalten war - unabhängig vom Tatbestand der Entwendung des Fahrzeugs - gem. § 21 I Nr. 1 StVG strafbar. Es stellt eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Fahrzeuginsassen und andere Verkehrsteilnehmer dar, wenn ein Minderjähriger nachts ein Fahrzeug ohne Fahrerlaubnis auf der Autobahn führt. Eine solche Fahrt muß unter Inkaufnahme von Sachschäden unverzüglich beendet werden. Der Polizeibeamte C. verletzte mithin keine Amtspflichten, wenn er das Fahrzeug des Kl. durch sein Fahrverhalten so abdrängte, daß dessen Fahrer sich genötigt sah, das Fahrzeug zum Stillstand zu bringen. Die gewählte Maßnahme stellte ein sicheres Mittel dar zu verhindern, daß die Jugendlichen die Fahrt fortsetzten und in eine Verkehrssituation gerieten, der der Fahrer nicht mehr gewachsen war. Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, § 2 NRWPolG, war gewahrt. Die Maßnahme mußte zwar zwangsläufig zu Schäden am Fahrzeug des Kl. führen. Dem standen jedoch erhebliche Gefahren für Leib und Leben der Fahrzeuginsassen und anderer Verkehrsteilnehmer gegenüber. Möglichkeiten, die Fahrt der Jugendlichen ohne Gefährdung des Fahrzeugs des Kl. zu beenden, hatten die Polizeibeamten nicht. Daß eine Straßensperre aufgebaut war, hat der Kl. nicht substantiiert dargetan.

5.

2. Der Kl. hat auch keinen Anspruch aus § 45 NRWPolG i. V. mit § 39 NRWOBG.

6.

§ 39 Ia NRWOBG ist nicht entsprechend anwendbar, weil die Beschädigung des Fahrzeugs des Kl. nicht dessen Inanspruchnahme als Nichtstörer gem. 6 NRWPolG bedeutete. Die Inanspruchnahme eines Nichtstörers kann nur vorliegen, wenn sich die Maßnahme nicht gegen einen Verhaltens- oder Zustandsstörer gem. §§ 4 und 5 NRWPolG richtet. Hier richtet sich die Maßnahme gegen die Jugendlichen als Handlungsstörer, nicht aber gegen den Kl. Daß das Fahrzeug des Kl. beschädigt wurde, beruht nicht auf einem bewußt gegen den Kl. gerichteten polizeilichen Handeln, sondern auf dem Zufall, daß die als Handlungsstörer in Anspruch genommenen Personen den nicht ihnen, sondern dem Kl. gehörenden Pkw benutzten. Da die Polizeibeamten rechtmäßig gehandelt haben, steht dem Kl. auch kein Anspruch aus § 39 Ib NRWOBG zu.

7.

3. Dem Kl. steht auch kein Anspruch aus enteignendem Eingriff zu. Ein solcher Anspruch scheidet schon deshalb aus, weil Entschädigungsansprüche wegen rechtmäßiger polizeilicher Maßnahmen eine spezialgesetzliche Regelung in § 45 NRWPolG i. V. mit § 39 Ia NRWOBG erfahren haben. Der abschließende Charakter dieser Regelung verbietet es dem Geschädigten, auf das allgemeine Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs zurückzugreifen (so für den Fall des enteignungsgleichen Eingriffs BGHZ 72, 273 (276, 277) = NJW 1979, 36).

8.

Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff nicht vor. Ein solcher Anspruch kommt in Betracht, wenn eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme unmittelbar auf eine Rechtsposition des Eigentümers einwirkt und dabei im konkreten Fall zu - meist atypischen und unvorhergesehenen - Nebenfolgen und Nachteilen führt, die die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbarem überschreiten (BGH, NJW 1987, 2573 m. w. Nachw.). Die dem Kl. zugefügte Schädigung überschreitet die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren nicht, weil sie sich nicht als ein dem Kl. abverlangtes Sonderopfer darstellt. Es handelt sich vielmehr um einen Schaden, der dem Kl. als entschädigungslos hinzunehmendes Opfer zuzumuten ist. Für den Kl. hat sich ein Risiko verwirklicht, das jeder Kraftfahrzeughalter tragen muß. Wer ein Kraftfahrzeug auf einer öffentlichen Straße abstellt, geht das Risiko ein, daß es entwendet wird und die Benutzung des Fahrzeugs eine Gefahr durch die öffentliche Sicherheit begründet. In diesem Fall muß mit rechtmäßigen polizeilichen Maßnahmen gerechnet werden, die zu Schäden an dem Fahrzeug führen können. Dies muß der Kraftfahrzeughalter hinnehmen, zumal die polizeilichen Maßnahmen auch seinen Interessen, nämlich der Wiederbeschaffung des Fahrzeugs und der Vermeidung größerer Schäden an dem Fahrzeug dienen. Durch die polizeilichen Maßnahmen ist dem Kl. nicht zugemutet worden, was nicht auch ohne Einschreiten der Polizei hätte eintreten können. Es bestand die Gefahr, daß die Jugendlichen das Fahrzeug beschädigten. Es kommt hinzu, daß der Kl. eine besondere Risikolage geschaffen hat, weil er das Fahrzeug unverschlossen abgestellt hat und der Reserveschlüssel zugänglich war. Es entspricht der Billigkeit, daß der Kl. die darauf zurückzuführenden hoheitlichen Maßnahmen entschädigungslos hinnimmt.

9.

4. Dem Kl. steht schließlich auch kein Anspruch aus § 7 I StVG zu.

10.

Es ist schon zweifelhaft, ob die Vorschrift ihrem Sinn und Zweck nach anwendbar ist, wenn Polizeibeamte ihr Fahrzeug einsetzen, um eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu beseitigen. Das kann jedoch dahinstehen. Ein Anspruch aus § 7 I StVG scheidet jedenfalls in entsprechender Anwendung von § 7 II StVG aus. Der Unfall war für den Polizeibeamten C zwar tatsächlich, nicht aber rechtlich unvermeidbar. Wie bereits dargelegt, war es aus Gründen der Gefahrenabwehr geboten, die Weiterfahrt der Jugendlichen mit dem Fahrzeug des Kl. zu verhindern. Dazu blieb nur die Möglichkeit, die der Polizeibeamte C schließlich ergriffen hat. Da der Schaden am Fahrzeug des Kl. darauf zurückzuführen ist, daß der Polizeibeamte seinen Pflichten nachgekommen ist, ist der Unfall für diesen rechtlich unabwendbar gewesen. Das Land haftet daher entsprechend § 7 II StVG nicht.

11.

II. Trifft dagegen der vom Kl. behauptete Sachverhalt zu, steht ihm jedenfalls ein Schadensersatzanspruch aus § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG zu. In diesem Falle hat der Polizeibeamte C schuldhaft eine ihm dem Kl. gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt. Wenn die Jugendlichen angezeigt haben, sie würden das Fahrzeug anhalten, bestand keine Notwendigkeit, das Fahrzeug mit Gewaltmaßnahmen zum Stillstand zu bringen. Die Polizeibeamten hätten zunächst das weitere Verhalten der Jugendlichen abwarten müssen.

12.

III. Da das Vorbringen des Kl. schlüssig ist, waren die angetretenen Beweise zu erheben.