Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 23.10.1968
-
III A 1522/64 -

(weitere Fundstellen: NJW 1969, 1077)

 

Leitsätze:

a)

Der Anspruch auf Zulassung zu den öffentlichen Einrichtungen nach § 18 Abs. 1 und 2 GemO NRW, die Frage des „Ob”, gehört auch dann dem öffentlichen Recht an, wenn das Benutzungsverhältnis selbst, die Frage des „Wie” nicht öffentlich-rechtlich, sondern privatrechtlich geregelt ist (Bestätigung und Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats gem. Urt. v. 26. 6. 1968 - III A 47/68).

b)

Städtische Theater sind in aller Regel öffentliche Einrichtungen im Sinne von § 18 Abs. 1 GemO NRW.

c)

§ 18 Abs. 2 GemO NRW begründet keinen Anspruch auf Zulassung zu jeder Theatervorstellung oder zu einer bestimmten Vorstellung; der Zulassungsanspruch endet dort, wo die Aufnahmefähigkeit der Einrichtung erschöpft ist oder besondere Ausschließungsgründe vorliegen.

 

Aus den Gründen:

1.

I. Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren ist der kommunalrechtliche, also öffentlich-rechtliche Anspruch auf Zulassung zur Benutzung öffentlicher Einrichtungen, der nach § 18 Abs. 2 GemO allen Einwohnern einer Gemeinde - im Rahmen des geltenden Rechts - zusteht.

2.

1. Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urt. v. 26. 6. 1968 - III A 47/68 (Kommunalpolit. Blätter 1968, Teil NRW 865 = DVBl. 68, 842 mit Anm. von Jülich) betr. die Zulassung einer politischen Partei zur Benutzung städtischer Säle ausgeführt, daß die Benutzung öffentlicher Einrichtungen in verschiedenen Rechtsformen geschehen könne; sie könne insgesamt öffentlich-rechtlich erfolgen in der Weise, daß Zulassung und Benutzung öffentlich-rechtlich geregelt seien, wofür die Regelung durch eine Satzung spreche; sie könne auch in der Weise geschehen, daß (nur) die Zulassung zur Benutzung öffentlich-rechtlich geregelt sei und durch Verwaltungsakt - häufig auch konkludent durch Duldung der Inanspruchnahme - geschehe, daß das jeweilige Benutzungsverhältnis selbst sich aber in den Formen des Privatrechts (in der Regel durch Abschluß von Mietverträgen) vollziehe. Bei dem letztgenannten Fall handelt es sich, wie der Senat bereits in seinem o.a. Urteil (mit weiteren Nachweisen) ausgeführt hat, um einen - insbesondere im Subventionsrecht häufig vorkommenden - Vorgang eines zweistufigen Rechtsverhältnisses, der als Verwaltungsakt mit nachfolgendem Kontrahierungszwang bezeichnet werden könne. In Fällen der letztgenannten Art, zu denen alle auf § 18 Abs. 2 GemO NRW gestützten Ansprüche auf generelle Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen zu zählen sind, gehört die Frage der Zulassung als solche, die Frage nach dem „Ob”, dem öffentlichen Recht an, der „öffentlich-rechtliche Anspruch auf Zulassung umschließt aber nicht die Öffentlichkeit des Leistungsverhältnisses” (vgl. Wolff, Rechtsformen gemeindlicher Einrichtungen, Arch. f. Kommunalwiss. 63, 149 ff. [160]).

3.

Das bedeutet - mit anderen Worten -: Die Frage des „Ob” ist auch dann dem öffentlichen Recht unterworfen, und für einen Streit um die Zulassung als solche ist der Verwaltungsrechtsweg auch dann gegeben, wenn sich die Verwaltung für die Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses privater Rechtsformen bedient, also die Frage des „Wie” privatrechtlich geregelt hat.

4.

Während das RG noch im Jahre 1931 (Urt. v. 7. 11. 1931, RGZ 133, 388 ff.) einen ähnlich liegenden Fall (Versagung der Zulassung eines Theaterkritikers zu einem städtischen Theater im Ruhrgebiet) rein zivilrechtlich, ohne Berücksichtigung der öffentlich-rechtlichen Seite beurteilt hatte (wozu nach dem damaligen Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Enumerationsprinzip vielleicht auch kein Anlaß bestand), hat eine Anzahl von VG in ihrer Rechtsprechung nach dem zweiten Weltkrieg bereits eine den vorstehenden Ausführungen entsprechende Unterscheidung gemacht und in ähnlichen Fällen den Verwaltungsrechtsweg bejaht, bei Streitigkeiten um das zivilrechtlich geregelte Benutzungsverhältnis selbst dagegen verneint.

5.

Dieser allgemeine, für den Bereich des Landes NRW auf § 18 Abs. 2 GemO beruhende kommunalrechtliche Zulassungsanspruch gilt für alle öffentlichen Einrichtungen i.S. der vorgenannten Vorschrift, ohne Rücksicht darauf, wie das Benutzungsverhältnis selbst geregelt ist; es kann öffentlich-rechtlich (auf Grund einer Satzung) und auch privatrechtlich geregelt sein, ohne daß dies Einfluß auf den öffentlich-rechtlichen, im Verwaltungsrechtsweg verfolgbaren primären Zulassungsanspruch hätte.

6.

Einen solchen Anspruch macht der Kläger im vorliegenden Fall auch geltend; denn es geht ihm nicht um das - hier privatrechtlich ausgestaltete - Benutzungsverhältnis selbst oder um Modalitäten dieses Verhältnisses, also um das „Wie”, sondern um die allgemeine Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung als solcher, um das Recht auf Zulassung zur Benutzung des Theaters schlechthin, bei dessen Inanspruchnahme der Kläger sich durch die Praxis der Theaterkartenvergabe der Beklagten beeinträchtigt sieht, also um das „Ob”. In diesem Zusammenhang sei noch bemerkt, daß die Möglichkeit des Erwerbes einer ganzen Vormietserie schon wegen des erheblichen Preisunterschiedes im Verhältnis zu den Einzelkarten, aber auch wegen des festliegenden Programms der Vormietserien sachlich etwas anderes ist als die Möglichkeit, von Fall zu Fall nach Belieben Einzelkarten zu erwerben; jedenfalls schließt die erstgenannte Möglichkeit eine faktische Verletzung oder Beeinträchtigung des allgemeinen Zulassungsanspruchs hier nicht offensichtlich aus.

7.

2. Voraussetzung für die Geltendmachung eines solchen Anspruchs ist weiterhin, daß es sich um eine öffentliche Einrichtung i.S. von § 18 GemO NRW handelt, zu der die Zulassung zur Benutzung begehrt wird. Das Theater der Beklagten ist eine öffentliche Einrichtung i.S. des nordrhein-westfäl. Gemeinderechts. Eine solche Einrichtung ist dann gegeben, wenn die Gemeinde mit dieser Einrichtung (als Folge gesetzlicher Verpflichtung oder freiwillig) eine in ihren Wirkungskreis fallende Aufgabe (vgl. §§ 2, 18 Abs. 1 GemO NRW) erfüllt und demgemäß die Einrichtung den Gemeindeeinwohnern zur Benutzung zur Verfügung stellt; die Indienststellung zu öffentlichen Zwecken geschieht durch Widmung, die auch formlos durch konkludente Handlung und auch stillschweigend, z.B. durch tatsächliche Eröffnung eines städtischen Parkes, möglich ist. Nicht zu den öffentlichen Einrichtungen i.S. von § 18 GemO NRW gehören allerdings Sachen im Gemeingebrauch und private Einrichtungen, d.h. solche, mit denen die Gemeinde keine in ihren Wirkungskreis fallende Aufgabe erfüllt (wie z.B. ein nicht etwa für Obdachlose oder asoziale Familien bestimmtes Wohnhaus, eine Brauerei, ein Ratskeller). Die Benutzungsregelung der Einrichtung durch Satzung und die Gebührenerhebung für die Benutzung ist nur ein Indiz für den öffentlichen Charakter der Einrichtung, nicht Voraussetzung hierfür; wesentlich ist, daß allen Einwohnern unter den gleichen Bedingungen Zugang zu der Einrichtung gewährt wird. Für den Geltungsbereich der GemO NRW ist schon nach der gesetzlichen Definition davon auszugehen, daß städtische Theater zu den öffentlichen Einrichtungen gehören; denn nach § 69 Abs. 2 GemO NRW gelten nicht als wirtschaftliche Unternehmen i.S. dieses Abschnittes,

8.

1. …,

2. Einrichtungen des Unterrichts-, Erziehungs- und Bildungswesens … und öffentliche Einrichtungen ähnlicher Art.

9.

Schon der Gesetzgeber geht somit offensichtlich davon aus, daß Einrichtungen der vorgenannten Art, zu denen auch Theater rechnen, - zumindest in aller Regel - öffentliche Einrichtungen sind. Im übrigen spricht aber auch eine Vermutung dafür, daß für die Allgemeinheit nutzbare kommunale Einrichtungen öffentliche Einrichtungen sind; diese Vermutung ist nur durch den Nachweis entkräftbar, daß sich aus der eindeutigen Beschränkung der Bereitstellung ergebe, die Einrichtung solle als private Einrichtung betrieben werden (vgl. auch VGH Kassel, Urt. v. 17. 8. 1951, DVBl. 51, 737; VGH München, Urt. v. 21. 6. 1954, BayVerwBl. 55, 59).

10.

In Übereinstimmung hiermit werden städtische Theater im einschlägigen Schrifttum auch verschiedentlich schlechthin zu den öffentlichen Einrichtungen mit privatrechtlicher BenutzungsO gerechnet (vgl. z.B. Becker, Die Selbstverwaltung als verfassungsrechtliche Grundlage der kommunalen Ordnung in Bund und Ländern, in: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band I, 1956, S. 163; Muntzke-Schlempp, HessGemO, 1954, Bd. I, S. 398). Anhaltspunkte dafür, daß das Theater der Beklagten, etwa wie ein Lichtspieltheater, als rein private Einrichtung betrieben werden sollte, sind nicht vorhanden.

11.

Schließlich spricht noch der Umstand, daß die Beklagte ihr Theater erheblich subventioniert, gegen den privaten Charakter und somit für die Öffentlichkeit dieser Einrichtung; die Stadt hat nämlich die Fehlbeträge zwischen den Einnahmen und Ausgaben regelmäßig aus eigenen Mitteln, also schließlich aus den von der Allgemeinheit aufgebrachten Mitteln gedeckt; ein Vorgang, der bei einem rein wirtschaftlichen, also auf die Erzielung von Gewinn gerichteten Betrieb eines Theaters nicht zu vertreten wäre und nur durch den gemeinnützigen Zweck dieser Einrichtung gerechtfertigt ist.

12.

II. … 2. Aus diesen Ausführungen folgt, daß jedem Einwohner einer Gemeinde ein Rechtsanspruch zusteht, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen, allerdings „im Rahmen des geltenden Rechts” (§ 18 Abs. 2 GemO NRW). Nach Ansicht des Senats ist die von der Beklagten auf Grund des Beschlusses des Kulturausschusses praktizierte Benutzungsregelung für ihr Theater nicht geeignet, den allgemeinen Benutzungsanspruch des Klägers rechtserheblich zu beeinträchtigen oder gar zu vereiteln.

13.

Zunächst drängt sich die schon im Zusammenhang mit der Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges erwähnte Frage auf, ob dem allgemeinen Benutzungsanspruch des Bürgers, ein städtisches Theater zu besuchen, schon dadurch Genüge getan ist, daß er durch die Möglichkeit des Erwerbes einer Vormietserie in die Lage versetzt wird, am Theaterleben seiner Heimatstadt teilzunehmen. Indes kann diese Frage hier dahingestellt bleiben, da die Einwohner der Beklagten nicht ausschließlich auf den Erwerb eines Theaterabonnements angewiesen sind, wenn sie Theatervorführungen besuchen wollen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, daß - auch trotz etwaiger früher entgegenstehender Ankündigungen auf Plakaten usw. - für die Einwohner der Beklagten in aller Regel praktisch und nicht nur in der Theorie die Möglichkeit bestanden hat, und auch heute noch besteht, außerhalb der Vormietserien durch den Erwerb von Einzelkarten im Freiverkauf Theaterveranstaltungen zu besuchen.

14.

3. Diese tatsächliche Verhaltens- und Verfahrensweise der Beklagten ist nach Auffassung des Senats so geartet, daß eine Beeinträchtigung oder Behinderung des allgemeinen Zulassungsanspruchs des Klägers zu den Vorführungen des Theaters der Beklagten nicht vorliegt. Bei dieser Feststellung kann hier die Frage offenbleiben, ob und gegebenenfalls in welcher Weise eine gewisse Relation zwischen der Zahl der frei verkauflichen Karten und der Zahl der insgesamt verfügbaren Theaterplätze vorhanden sein muß. Folgende rechtliche Erwägungen sind nämlich für die Beurteilung des vom Senat festgestellten Sachverhalts ausschlaggebend gewesen:

15.

a) Der allgemeine Benutzungsanspruch der Einwohner der Beklagten - und damit auch der vom Kläger geltend gemachte Anspruch - besteht nicht schlechthin; denn niemand hat uneingeschränkten Zugang zu den öffentlichen Einrichtungen. Die Benutzung geschieht „im Rahmen des geltenden Rechts”, insbesondere nach Maßgabe einer etwa vorhandenen Satzung oder Benutzungsordnung, soweit diese mit höherrangigem Recht nicht kollidieren. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte allerdings keine umfassende Regelung für die Benutzung des Theaters getroffen, und es geht hier im wesentlichen nur um die Auswirkungen des Beschlusses des Kulturausschusses, die Vormietserien voll auszubuchen. Weitere - zulässige - Benutzungsbeschränkungen ergeben sich aber auch aus den tatsächlichen Verhältnissen, z.B. aus der Aufnahmefähigkeit der betreffenden öffentlichen Einrichtung, und aus dem Benutzungszweck selbst; der Zulassungsanspruch endet dort, wo die Aufnahmefähigkeit der Einrichtung endet oder besondere Ausschließungsgründe vorliegen (vgl. Wolff, Arch. f. Kommunalwissenschaften, aaO S. 160). Es liegt auf der Hand, daß bei „nur” 765 Theaterplätzen bei rund 75 000 Einwohnern der Stadt möglicherweise, insbesondere bei besonders begehrten Aufführungen oder Spitzenveranstaltungen, eine größere Zahl von Interessenten infolge Überfüllung des Theaters zum Theaterbesuch nicht mehr zugelassen werden kann. Beschränkungen dieser Art muß jeder Gemeindeeinwohner hinnehmen; eine Rechtsverletzung ist hierin nicht zu erblicken. Hier gilt, wie die Beklagte zutreffend und anschaulich in der mündlichen Verhandlung bemerkt hat, der Grundsatz: „Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst”; ein Anspruch auf Zulassung zu jeder Vorstellung oder zu einer bestimmten Vorstellung kann aus § 18 Abs. 2 GemO NRW dagegen nicht hergeleitet werden.

16.

b) Ein weiterer wesentlicher Faktor für die hier vertretene Auffassung liegt im finanzwirtschaftlichen Bereich der Gemeinde. Der in § 18 Abs. 2 GemO statuierte Anspruch muß nämlich an der Vorschrift des § 69 Abs. 2 Satz 2 GemO NRW gemessen werden. Hiernach sind auch die nicht wirtschaftlichen Unternehmen i.S. der GemO - „Einrichtungen des Unterrichts-, Erziehungs- und Bildungswesens …” (vgl. § 69 Abs. 2 GemO), also auch Theater, nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu verwalten, soweit es mit ihrem gemeinnützigen Zweck vereinbar ist. Dies bedeutet, daß die Gemeinde bei einem Zuschußunternehmen versuchen muß, die Zuschüsse in angemessenem Rahmen zu halten. Die Beklagte leistet tatsächlich erhebliche Zuschüsse für den Betrieb und die Unterhaltung des Theaters; diese betragen seit 1964 jährlich mehr als eine halbe Million DM, und sie befinden sich seit diesem Zeitpunkt trotz steigender Einnahmen wegen ständig stärker steigenden Ausgaben noch im weiteren Anstieg. Andererseits hat eine überschlägige Berechnung ergeben, daß die Beklagte einen zusätzlichen Verlust von jährlich 10 000 DM bis 20 000 DM aus unverkauften Karten hinnehmen müßte, wenn sie zu ihrer früheren Praxis zurückkehren würde, die vor dem hier beanstandeten Beschluß des Kulturausschusses üblich war. Es liegt auf der Hand, daß eine derartige Finanzwirtschaft mit wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr zu vereinbaren wäre, während die jetzige Praxis, durch die überwiegende Vergabe von Plätzen im Wege der Vormietserien für einen gesicherten Einnahmeanteil zu sorgen, dem Prinzip einer wirtschaftlichen Finanzgebarung entspricht. Diese Handhabung ist auch rechtlich zulässig, da sie mit dem gemeinnützigen Zweck des Theaters zu vereinbaren ist; jedenfalls wird der allgemeine Zulassungsanspruch aus § 18 Abs. 2 GemO NRW durch die Vergabepraxis der Beklagten nicht in der Weise ausgehöhlt, daß er nur noch theoretisch bestünde und insbesondere von den sozial Schwächeren praktisch nicht mehr geltend gemacht werden könnte.