Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil vom 8. Mai 1980
- V 2296/79 -

(weitere Fundstellen: BauR 1980, 555 ff.)

 

Tatbestand

1.

Die Klägerin betreibt auf ihrem im nicht beplanten Innenbereich der beigeladenen Gemeinde gelegenen Grundstück Flst-Nr 46/1 eine Holzwarenfabrikation. Im Jahre 1978 brannte die etwa in der Mitte des Grundstücks befindliche Fabrikationshalle vollständig ab. Vom Brand verschont wurden zwei Holztrocknungsanlagen, ein Spänesilo, ein 40 m langer Holzlagerschuppen sowie ein Gebäude, in welchem früher eine Flaschnerei untergebracht war und in dem die Holzwarenproduktion nunmehr provisorisch weitergeführt wird. Die Klägerin beabsichtigt den Wiederaufbau des Fabrikgebäudes etwa 30 m östlich des alten Standortes (Länge 30 m, Breite 15 m, eingeschossige Bauweise mit Flachdach bzw flach geneigtem Dach) und beantragte im Januar 1979 die Erteilung eines entsprechenden Bauvorbescheides.

2.

Mit Bescheid vom 13.3.1979 stellte das Landratsamt C. fest, daß das Vorhaben - für das der Gemeinderat der Beigeladenen gegen den Widerstand des Bürgermeisters das Einvernehmen erteilt hatte - planungsrechtlich unzulässig sei. Es verstoße gegen § 34 BBauG, da die nähere Umgebung als allgemeines Wohngebiet einzustufen sei, in welchem neben Wohngebäuden und der Versorgung des Gebiets dienenden Läden nur nichtstörende Handwerksbetriebe zulässig seien. Diese Voraussetzungen erfülle der holzverarbeitende Betrieb der Klägerin nicht.

3.

Mit im wesentlichen gleichlautender Begründung wies das Regierungspräsidium K. mit Bescheid vom 7.5.1979 den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin zurück. Ergänzend wurde ausgeführt, die von dem Brandunglück verschonten Betriebseinrichtungen seien für sich allein gesehen nicht mehr funktionsfähig und prägten die Eigenart der Umgebung daher nicht mehr. Es bleibe mithin dabei, daß die Umgebung nach der vorhandenen Bebauung als allgemeines Wohngebiet einzustufen sei, in welchem ein störender Gewerbebetrieb wie derjenige der Klägerin nicht zugelassen werden könne. Auch auf den durch Art 14 Abs 1 GG gewährleisteten Bestandsschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, denn dieser reiche nur so weit, als ein Gebäude auf Grund seiner baulichen Substanz noch funktionsfähig sei. Hieran fehle es nach der vollständigen Vernichtung des Betriebsgebäudes.

4.

Am 12.6.1979 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und ausgeführt: Ihr Bauvorhaben füge sich in die Eigenart der näheren Umgebung selbst dann ein, wenn man vom Vorliegen eines allgemeinen Wohngebiets ausgehe. Ihr Betrieb arbeite geräuscharm. Auch der Lärm, der durch Lkw Verkehr entstehe, sei geringer als die durch das benachbarte Schwimmbad sowie dessen Parkplatz hervorgerufenen Beeinträchtigungen. Sie habe einen Anspruch auf Erteilung eines positiven Bauvorbescheides aber selbst dann, wenn ihr Vorhaben nach den Maßstäben des § 34 BBauG unzulässig sein sollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich im Falle der Vernichtung eines Gebäudes durch Brand oder Naturereignisse ein Anspruch auf Wiederaufbau nach den Grundsätzen über die "eigentumskräftig verfestigte Anspruchsposition". Entscheidende Voraussetzung hierfür sei, daß sich nach der Verkehrsauffassung aus der gegebenen Situation heraus die Wiederbebaubarkeit des Grundstücks aufdränge. Dies sei hier der Fall und ergebe sich bereits aus der Tatsache, daß der Gemeinderat von H. dem Bauvorhaben sein Einvernehmen erteilt habe.

5.

Das beklagte Land ist der Klage unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide entgegengetreten.

6.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

7.

Das Verwaltungsgericht hat nach Einnahme eines Augenscheins mit Urteil vom 27.9.1979 unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide den Beklagten verpflichtet, über die Bauvoranfrage der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden und die Klage im übrigen abgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Es sei zwar richtig, daß das Vorhaben der Klägerin nach den Maßstäben des § 34 BBauG nF unzulässig sei. Denn die das Betriebsgrundstück prägende Umgebung komme den Maßstäben nahe, die im Falle einer Ausweisung durch einen Bebauungsplan für ein allgemeines Wohngebiet gelten würden. Die vorhandenen, die Schutzwürdigkeit des Gebiets herabsetzenden Einflüsse wie etwa die restlichen Betriebsbauten der Klägerin sowie die von der L. Straße oder dem Parkplatz des Schwimmbades ausgehenden Immissionen reichten nicht aus, um die Wertung zu rechtfertigen, ein Betriebsgebäude mit holzverarbeitender Produktion füge sich in die dortige Umgebung ein. Die ablehnenden Behördenentscheidungen litten jedoch insofern an einem Mangel, als sie gänzlich außer acht ließen, daß sich ein Anspruch der Klägerin auf den Wiederaufbau des Fabrikgebäudes aus den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen zur sogenannten eigentumskräftig verfestigten Anspruchsposition ergeben könne. Dies setze voraus, daß zu irgendeinem Zeitpunkt überhaupt ein Anspruch auf Zulassung des Bauvorhabens entstanden und daß dieser Anspruch nach Art 14 Abs 1 GG gegen eine entschädigungslose Entziehung geschützt sei. Beide Voraussetzungen lägen hier vor. Es sei davon auszugehen, daß die Errichtung des Betriebsgebäudes etwa um die Jahrhundertwende im Einklang mit dem seinerzeit geltenden Baurecht erfolgt sei. Jenem sei eine scharfe Einteilung in verschiedene Baugebiete noch fremd gewesen. Auch seien die tatsächlichen Verhältnisse in der Umgebung um die Jahrhundertwende möglicherweise ganz anders als heute gewesen. Denkbar sei es, daß die Wohnbebauung erst im Laufe der Zeit an das Betriebsgrundstück herangerückt sei oder jedenfalls eine geringere Störanfälligkeit aufgewiesen habe. Im übrigen habe die Behörde noch in den späten fünfziger Jahren mehrere Betriebszwecken dienende bauliche Maßnahmen genehmigt. Auch die zweite nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für das Entstehen einer eigentumskräftig verfestigten Anspruchsposition erforderliche Voraussetzung - nämlich die Verfestigung der Eigentumsposition der Klägerin im Hinblick auf die Wiedererrichtung des Gebäudes - sei gegeben. Zum einen befänden sich auf dem Grundstück noch eine Reihe von funktionsfähigen Anlagen, deren Existenz es nahelege, das fehlende Kernstück des Betriebes, das Fabrikationsgebäude, wieder zu errichten, um nicht den Verlust auch dieser Anlagen hinnehmen zu müssen. Für sich allein genommen reiche der noch vorhandene Bestand nach tatsächlichem Umfang und wirtschaftlichem Wert zwar nicht aus, um zu einer der Klägerin günstigen Verkehrsauffassung zu führen. Jedoch zwinge er im Verein mit anderen Besonderheiten des Falles zu einer der Klägerin günstigen Wertung. Das Betriebsgrundstück sei nämlich keineswegs in eine Wohnbebauung eingebettet, dh weder vollständig noch annähernd von einer solchen umschlossen. An der Südseite grenze es an einen Hang mit Wald bzw Grünland an. Auch der Bereich östlich des Betriebsgrundstücks, wo sich die Zufahrtsstraße zum Schwimmbad sowie der hierzu gehörende Parkplatz befinde, sei wenig störanfällig. Die im Westen vorhandene Wohnbebauung sei etwa 100 m von dem geplanten Standort des neuen Betriebsgebäudes entfernt. Die Wohnbebauung im Norden sei zum Teil durch das Vorhandensein der nicht unerheblich befahrenen L. Straße vorbelastet, zum Teil werde sie von dem künftigen Betriebsgebäude durch den 40 m langen Holzlagerschuppen der Klägerin sowie durch eine Elektrohandlung von der künftigen Fabrikhalle abgeschirmt. Unter diesen Umständen lasse sich zusammenfassend sagen, daß ein traditionell als Gewerbegelände genutztes Anwesen einem allgemeinen Wohngebiet gegenüberstehe, wobei letzteres nur beschränkten Kontakt mit dem Gewerbegrundstück aufweise und seine Schutzwürdigkeit im Hinblick auf die beschriebenen Gegebenheiten spürbar herabgesetzt sei. Dies alles rechtfertige die Wertung, daß sich angesichts der bestehenden Situation der Wiederaufbau des Fabrikgebäudes aufdränge. Daß sich für diese Auffassung eine breitere allgemeine Anschauung in Anspruch nehmen lasse, folge auch aus dem Umstand, daß sich der Gemeinderat von H. trotz gegenteiliger Vorlage der Verwaltung grundsätzlich für die Wiedererrichtung des Betriebsgebäudes ausgesprochen habe. In Ermangelung der Spruchreife habe die von der Klägerin beantragte Verpflichtung zur Erteilung eines positiven Bauvorbescheides nicht ausgesprochen, sondern der Beklagte nur zur Neubescheidung verpflichtet werden können.

8.

Gegen dieses ihm am 6.11.1979 zugestellte Urteil richtet sich die am 28.11.1979 eingekommene Berufung des beklagten Landes, mit der es beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. September 1979 - V 132/79 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

9.

Zur Begründung macht es geltend: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Unzulässigkeit des Vorhabens in der gegebenen Situation nunmehr vorgezeichnet, da sich die Umgebung im Lauf der Zeit stark zu Ungunsten der Klägerin verändert habe. Auch wirkten die noch vorhandenen Anlagen nicht prägend auf das Grundstück und seine Umgebung, da sie räumlich weit auseinander stünden und durch Umbauarbeiten erst funktionsfähig gemacht werden müßten.

10.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

11.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und legt ein Gutachten des Instituts für Schallschutz und Wärmeschutz, Professor Dr Dr Z., L. vor, aus dem sich ergebe, daß der Geräuschbeurteilungspegel des neuen Betriebsgebäudes bei etwa 55 dB (A), dh zwischen dem für Reine und dem für Allgemeine Wohngebiete geltenden Wert, liegen werde.

12.

Der Bürgermeister der Beigeladenen unterstützt - ohne nochmalige Anhörung des Gemeinderats - die Berufung des Beklagten, ohne jedoch einen Sachantrag zu stellen.

13.

Der Senat hat das Grundstück der Klägerin und seine Umgebung am 8.5.1980 in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift verwiesen.

14.

Ferner haben dem Senat neben den Akten des Verwaltungsgerichts die einschlägigen Akten des Landratsamts C. sowie die Widerspruchsakten des Regierungspräsidiums K. vorgelegen.

Gründe:

15.

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht verpflichtet, über die Bauvoranfrage der Klägerin erneut zu entscheiden. Denn einerseits verletzte die Ablehnung des begehrten Bauvorbescheides aus den in den angefochtenen Behördenentscheidungen angeführten Gründen die Klägerin in ihren Rechten, zum anderen fehlte es für eine Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines positiven Bauvorbescheides an der erforderlichen Spruchreife, da - wie noch auszuführen sein wird - die beteiligten Behörden zahlreiche für die Beurteilung des Falles maßgebende Gesichtspunkte bislang noch nicht in eigener Verantwortung geprüft haben. Dem Erlaß eines sogenannten Bescheidungsurteils (§ 113 Abs 4 VwGO) standen im vorliegenden Fall im übrigen weder Gründe des materiellen Verwaltungsrechts noch solche des Verwaltungsprozeßrechts entgegen, insbesondere nicht der Umstand, daß der Behörde bei ihrer Entscheidung weder ein Ermessensspielraum noch ein Beurteilungsspielraum zustand, daß es sich bei der Erteilung oder Versagung eines Bauvorbescheides vielmehr um Akte gebundener Verwaltung handelt; denn auch in diesem Bereich kann die Behörde zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet werden (vgl hierzu die Nachweise bei Kopp, VwGO, 4. Aufl 1980, RdNr 84 zu § 113). Dahinstehen kann, ob das Verwaltungsgericht nicht in der Lage gewesen wäre, die fehlende Spruchreife durch eigene Ermittlungen herzustellen. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung eines positiven Bauvorbescheides durch den Senat kann nämlich ohnehin nicht erfolgen, da die Klägerin die Teilabweisung ihrer Klage mit der Berufung nicht angefochten und einen entsprechenden Verpflichtungsantrag im Berufungsrechtszug demzufolge nicht mehr gestellt hat.

16.

In sachlichrechtlicher Hinsicht sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden, soweit sie die Zulässigkeit des Bauvorhabens der Klägerin nach den planungsrechtlichen Vorschriften des Bundesbaugesetzes verneinen. Einschlägig ist insoweit § 34 Abs 1 BBauG 1976. Der Senat teilt die Auffassung der Beteiligten und des Verwaltungsgerichts, daß das Vorhaben im nicht beplanten Innenbereich der Beigeladenen verwirklicht werden soll. Denn das Grundstück Flst Nr 46/1 der Klägerin nimmt - insbesondere wegen des Vorhandenseins der bei dem Brandunglück des Jahres 1978 bestehen gebliebenen Betriebsgebäude - noch an dem Eindruck der Geschlossenheit teil, den die vorhandene Bebauung im Anschluß an die beiderseits der L. Straße bestehenden Gebäude vermittelt (zum Begriff des Ortsteils im Sinne der §§ 19 Abs 1, 34 BBauG, vgl BVerwG, Urt v 6.11.1968, Buchholz 406.11 § 19 BBauG Nr 21; zum Begriff des Bebauungszusammenhangs BVerwG, Urt v 6.11.1968, Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr 14). Entgegen der Auffassung der Klägerin fügt sich ihr Vorhaben jedoch nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, die überwiegend von Wohngebäuden geprägt ist und einem allgemeinen Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO nahekommt. Die vorhandenen, die Schutzwürdigkeit des Gebiets herabmindernden Einflüsse, wie die restlichen Betriebsbauten der Klägerin, der Parkplatz des nahegelegenen Schwimmbades sowie eine kleinere Brennstoffhandlung sind nicht von einem derartigen Gewicht, daß von einem Mischgebiet (§ 6 BauNVO) oder gar Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO) gesprochen werden könnte. Diesen vorhandenen städtebaulichen Rahmen würde das Vorhaben der Klägerin, welches einem störenden Gewerbebetrieb zu dienen bestimmt ist, sprengen (zum Begriff des Einfügens vgl BVerwG, Urt v 26.5.1978, BauR 1978, 276, 280).

17.

Rechtswidrig sind die angefochtenen Bescheide jedoch deswegen, weil sie sich nicht - jedenfalls nicht in ausreichendem Maße - mit der Frage befassen, ob der Wiederaufbau des abgebrannten Betriebsgebäudes nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der sog eigentumskräftig verfestigten Anspruchsposition zugelassen werden kann. Lediglich in den Gründen des Widerspruchsbescheides findet sich die Wendung, die Klägerin könne sich auf "Bestandsschutz" nicht berufen, weil ihr Betriebsgebäude als Folge des Brandunglücks funktionslos geworden sei. Daran ist nur soviel richtig, daß sich der sog einfache Bestandsschutz in der Tat nur auf vorhandene Gebäude für die Dauer ihres Bestandes erstreckt und nicht etwa ihre Ersetzung durch ein neues Gebäude rechtfertigt (vgl etwa BVerwG, DVBl 1973, 452). Neben diesem einfachen Bestandsschutz, der nur gegen bestimmte Veränderungen eines vorhandenen und geschützten Zustandes sichert und Bestrebungen nicht deckt, die sich auf die Veränderung eines gegebenen Zustandes richten, hat das Bundesverwaltungsgericht auch noch einen "überwirkenden" Bestandsschutz dort in Betracht gezogen, wo ein gegebener - etwa gewerblicher - Bestand allein dadurch - gleichsam überwirkend - geschützt werden kann, daß die Hinzufügung eines Gebäudes oder einer sonstigen weiteren Betriebseinrichtung gestattet wird (BVerwG, Urteile vom 14.11.1975 DVBl 1976, 211; vom 12.12.1975 Buchholz 406.25 § 5 BImSchG Nr 1 S 7 und vom 6.11.1977 Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nrn 5 und 6; zur Beachtlichkeit dieser Grundsätze im Baurecht vgl VGH Bad-Württ, Urt v 10.10.1979 - III 1531/79 -). Der Unterschied zwischen dem einfachen und dem überwirkenden Bestandsschutz liegt mithin darin, daß es beim einfachen Bestandsschutz um die Erhaltung des geschützten Zustandes im engeren Sinne, beim überwirkenden Bestandsschutz hingegen darum geht, wegen des geschützten Zustandes noch irgend ein zusätzliches Vorhaben durchführen zu dürfen. Dies ist uU dann gestattet, wenn zwischen dem vorhandenen Bestand und den geplanten, seinem Schutz dienenden Maßnahmen ein untrennbarer Funktionszusammenhang besteht und wenn infolge dieses Zusammenhangs der Schutz des gegebenen Bestandes ohne die Zubilligung der Änderungsmaßnahmen oder Erweiterungsmaßnahmen schlechterdings gegenstandslos würde. Indessen kann sich die Klägerin auch auf die soeben dargelegten Grundsätze des überwirkenden Bestandsschutzes nicht berufen, da die von dem Brandunglück des Jahres 1978 verschonten Betriebsgebäude und Betriebseinrichtungen ohne das Herzstück des Betriebes (das abgebrannte Produktionsgebäude) weitgehend ihrer Funktion beraubt worden sind. Dies gilt insbesondere für die stehengebliebenen Trocknungsanlagen, die nach den Ausführungen des Prokuristen der Klägerin mit dem Dampf aus der zentralen Heizungsanlage betrieben worden ist. Dies gilt aber auch in ähnlicher Weise für die übrigen Betriebsgebäude, wie den Lagerschuppen sowie das - ohnehin inzwischen abgebrochene und ohne Baugenehmigung erneute Spänesilo.

18.

Gänzlich unerörtert lassen die angefochtenen Bescheide dagegen die Frage, ob die Wiedererrichtung des abgebrannten Produktionsgebäudes nicht nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen über die sog eigentumskräftig verfestigte Anspruchsposition zugelassen werden kann (vgl. BVerwG Urteile vom 27.1.1967 BVerwGE 26, 111 und vom 18.10.1974 BVerwGE 47, 126, 131). Diese unterscheidet sich vom einfachen und überwirkenden Bestandsschutz vor allem darin, daß dieser einen bestimmten Bestand gegen nachteilige Rechtsänderungen abschirmt, während die eigentumskräftig verfestigte Anspruchsposition eine Grundstücksqualität zum Ausdruck bringt, die eine bestimmte Bebaubarkeit des Grundstücks gleichsam in sich trägt und deshalb auch unabhängig vom Gesetzesrecht sichert. Dabei verhalten sich die beiden Ansatzpunkte zueinander so, daß bei bebauten Grundstücken mit dem Vollzug der Bebauung der Schutz des Art 14 Abs 1 GG zugunsten des ausgeführten Bauwerks eintritt, sich aber grundsätzlich darin auch erschöpft. Hiervon gibt es jedoch Ausnahmen, insbesondere dann, wenn ein Bauwerk durch ein Naturereignis, durch ein Brandunglück oder durch einen ähnlichen Vorgang zerstört worden ist. Die Wiedererrichtung eines auf solche Weise zerstörten Gebäudes - das bei Zugrundelegung des heutigen Baurechts unzulässig wäre - kraft eigentumskräftig verfestigter Anspruchsposition setzt zweierlei voraus, nämlich erstens, daß überhaupt irgendwann ein Anspruch auf die Zulassung der Bebauung entstanden ist, und zweitens, daß dieser Anspruch nach Art 14 Abs 1 GG gegen eine entschädigungslose Entziehung geschützt, also mit anderen Worten Eigentum im Sinne dieser Vorschrift geworden ist (BVerwG, Urt v 27.1.1976 aaO). Ob die mit dieser zweiten Voraussetzung angesprochene Verfestigung eintritt, hängt von der Lage des Grundstücks und von der auf sie reagierenden Verkehrsauffassung ab. Entscheidend ist, ob sich der Verkehrsauffassung aus der gegebenen Situation die Bebaubarkeit eines Grundstücks aufdrängt. Eine wesentliche Rolle spielen hierbei sowohl das Alter des zerstörten Bauwerks als auch die Beschaffenheit der Umgebung. Auf das Alter des Bauwerks kommt es an, weil nur bei einer handgreiflich vorzeitigen Zerstörung das Bestehen einer Anspruchsposition in dem dargelegten Sinne in Erwägung gezogen werden kann. Die Beschaffenheit der Umgebung ist von Bedeutung, weil Art 14 Abs 1 GG nur zugunsten von Vorhaben eingreift, die der vorgegebenen Situation entsprechen. Es muß mithin so sein, daß die aus den einschlägigen baurechtlichen Vorschriften folgende Unzulässigkeit des Vorhabens in der gegebenen Situation nicht vorgezeichnet ist, daß dieser Situation vielmehr auch der Wiederaufbau des Bauwerks entspricht, daß die Verkehrsauffassung bei Berücksichtigung der vorhanden gewesenen und vorzeitig zerstörten Bebauung diese Bebauung geradezu vermißt und daß sich ihr damit insgesamt die Angemessenheit des Wiederaufbaues aufdrängt (vgl zum Ganzen BVerwG, Urt v 18.10.1974 aaO S 131ff).

19.

Im zur Entscheidung anstehenden Fall sind mehrere Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Klägerin eine eigentumskräftig verfestigte Position in dem dargelegten Sinne für sich in Anspruch nehmen kann. Da einschlägige Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden fehlen, waren diese aufzuheben und der Beklagte zur Neubescheidung über die Bauvoranfrage der Klägerin zu verpflichten. Hierbei werden die Behörden folgende Gesichtspunkte zu beachten und zu ermitteln haben: Einmal, ob die nach den Darlegungen der Klägerin etwa seit der Jahrhundertwende in dem früheren Betriebsgebäude durchgeführte Holzwarenproduktion nach dem damals geltenden baurechtlichen Vorschriften zulässig gewesen ist, ob mithin überhaupt irgendwann einmal ein Anspruch auf die Zulassung dieser Bebauung entstanden war. Zu ermitteln ist ferner das genaue Alter sowie der bauliche Zustand des zerstörten Bauwerks. Sollte dieses vor dem Brand etwa baufällig oder sonst in seiner Funktionsfähigkeit wesentlich beeinträchtigt gewesen sein - so daß ein vernünftig denkender Unternehmer es ohnehin abgerissen hätte -, könnte sich die Klägerin auf eine eigentumskräftig verfestigte Anspruchsposition nicht berufen. Sollten die genannten Fragen indessen zu gunsten der Klägerin beantwortet werden, dürften Hindernisse bauplanungsrechtlicher Art ihrem Vorhaben nicht mehr entgegenstehen. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Unzulässigkeit des Vorhabens in der hier vorgegebenen Situation vorgezeichnet sei. Zwar ist die nähere Umgebung des Baugrundstücks überwiegend von Wohnbebauung geprägt. Anzuerkennen sind auch die Bemühungen der beigeladenen Gemeinde, den Ortskern im Interesse des Fremdenverkehrs zu beruhigen. Hierbei darf jedoch nicht außer acht gelassen werden, daß die nähere Umgebung stets von dem Vorhandensein der seit dem Jahre 1842 betriebenen Sägemühle bzw dem seit etwa der Jahrhundertwende bestehenden holzverarbeitenden Betrieb der Klägerin mitgeprägt und durch ihn vorbelastet gewesen ist. Von einem Wandel der das Grundstück der Klägerin umgebenden Gesamtsituation (in Richtung ruhiger Wohnbebauung und Kurbetrieb) könnte allenfalls dann gesprochen werden, wenn der Betrieb der Klägerin entweder schon vor dem Brand oder aber als Folge des Brandunglücks wesentlich reduziert worden wäre und die bebauungsrechtliche Situation nur noch von der so reduzierten Nutzung geprägt worden wäre. Indessen fehlen für eine derartige Annahme jegliche Anhaltspunkte. Vielmehr hat sich aus den im Laufe der mündlichen Verhandlung vom Bürgermeister der Beigeladenen mitgeteilten Daten über die Gewerbesteuerforderungen der Gemeinde ergeben, daß der Betrieb der Klägerin vor dem Brandunglück eine langsame Aufwärtsentwicklung zu verzeichnen hatte. Auch war die Betriebsunterbrechung nach dem Brand nicht von so langer Dauer, daß sich die Umgebung auf eine reduzierte Nutzung des klägerischen Grundstücks hätte einstellen können. Vielmehr hat die Klägerin die Produktion von Treppenstufen alsbald wieder aufgenommen. Daß dies in dem früher an einen Flaschnereibetrieb vermieteten Gebäude Nr 6 geschehen und daß hierfür eine Nutzungsänderungsgenehmigung noch nicht erteilt worden ist, kann nicht dazu führen, die Fortführung des Betriebes und damit die weiterbestehende Geräuschvorbelastung der Umgebung unberücksichtigt zu lassen. Schließlich hat das Verwaltungsgericht auch zutreffend darauf hingewiesen, daß der Gemeinderat der Beigeladenen sich sowohl bei der Erteilung des Einvernehmens gem § 36 BBauG als auch bei der Behandlung der Nutzungsänderungsgenehmigung bezüglich des Gebäudes Nr 6 mit großer Mehrheit für die Wiedererrichtung des Betriebsgebäudes und auch für die vorübergehende Weiterführung der Produktion im Gebäude Nr 6 ausgesprochen hat. Auch dies ist ein gewichtiges Indiz dafür, daß die Verkehrsauffassung die vorzeitig zerstörte Bebauung "geradezu vermißt" und daß sich ihr damit die Angemessenheit des Wiederaufbaus "aufgedrängt".