Bedeutung der Adressatentheorie

(Stand der Bearbeitung: 8. Juli 2022)

© Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

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Die sog. Adressatentheorie zieht die Konsequenz aus dem Elfes-Urteils des BVerfG (BVerfG, 1 BvR 253/56 v. 16.1.1957 = BVerfGE 6, 32 ff.) für das Verwaltungsprozessrecht, insbesondere für die Zulässigkeit und Begründetheit von Anfechtungsklagen.

I. Adressatentheorie und Klagebefugnis

Zunächst folgt aus der Adressatentheorie, dass die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO keiner näheren Begründung mehr bedarf , wenn sich der Kläger gegen eine an ihn gerichtete, ihn belastenden Maßnahme wendet. Hier ergibt sich die Klagebefugnis nämlich ohne weiteres aus einer möglichen Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG: Das durch diese Vorschrift gewährte Grundrecht ist immer dann verletzt, wenn eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt nicht dem Gesetz entspricht, also rechtswidrig und damit letztlich ohne gesetzliche Grundlage ergangen ist. Das BVerwG formuliert dies wie folgt (BVerwG, 6 C 8/14 v. 5.8.2015, Abs. 21 = BVerwGE 152, 355 Abs. 21):

"Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verlangt nicht nur, dass eine Norm, welche die allgemeine Handlungsfreiheit einschränkt, formell und materiell verfassungsgemäß ist, sondern auch, dass die für sich verfassungsgemäße Norm im Einzelfall rechtmäßig, nämlich ihren Voraussetzungen gemäß angewandt wird. Auch die objektiv rechtswidrige Anwendung einer die Handlungsfreiheit einschränkenden Norm verletzt das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG."

II. Adressatentheorie und Begründetheitsprüfung

Verletzt jede rechtswidrige belastenden Maßnahme den Adressaten in seinem Grundrecht aus des Art. 2 Abs. 1 GG, wird auch das Prüfprogramm des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO "entlastet": Wenn sich der Kläger gegen einen an ihn gerichteten, ihn belastenden Verwaltungsakt wendet, indiziert die Rechtswidrigkeit dieses Verwaltungsaktes auch die Rechtsverletzung. Hierauf ist also in der Prüfung nicht mehr gesondert einzugehen, ein kurzer Hinweis im Obersatz zur Begründetheitsprüfung genügt, etwa dergestalt:

"Die Klage ist begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig  ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt  (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da der Kläger sich gegen einen an ihn gerichteten, ihn belastenden Verwaltungsakt wendet, ergibt sich die Rechtsverletzung des Klägers schon aus Art. 2 Abs. 1 GG, sollte der Verwaltungsakt rechtswidrig sein. Der Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn ...".

III. Fehlanwendungen der Adressatentheorie

Wie gezeigt, hat die Adressatentheorie einen sehr begrenzten Anwendungsbereich. Einen sehr groben Fehler stellt es dar, wenn sie angewendet wird

Anmerkung: Siehe hierzu diesen Hinweis.

Anmerkung: Siehe hierzu Herbolsheimer, JuS 2023, 217, 219; Kempny/Krüger, JA 2022, 10, 14; Rozek, Jura 2021, 30, 34 und den Sonnendeck-Fall.

Anmerkung: Siehe hierzu Kempny/Krüger, JA 2022, 10, 15; Rozek, Jura 2021, 30, 34 und den Wolfsgehege-Fall.

Anmerkung: Siehe hierzu Kempny/Krüger, JA 2022, 10, 12; Rozek, Jura 2021, 30, 33; sowie den Parteilichkeit-Fall und auch den Sanitäter-Fall.