Bundesverfassungsgericht (1. Senat)
Beschluß vom 31. Oktober 1956
- 1 BvR 413/56
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 (weitere Fundstellen: BVerfGE 6, 7 ff.)

 

Leitsätze:

a)

 Auch ein freisprechendes Strafurteil kann durch die Art seiner Begründung Grundrechte verletzen.

b)

Ist eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet, so kann die Frage der Zulässigkeit bei einer Entscheidung nach § 24 BVerfGG dahingestellt bleiben.

c)

Die Rechtsprechung, nach der dem Angeklagten ein Rechtsmittel gegen ein freisprechendes Strafurteil nicht gegeben ist, verletzt kein Grundrecht.

 

Aus den Gründen:

 

I.

1.

Der Beschwerdeführer ist durch Urt. des AG von der Anklage der Hehlerei und des Betruges freigesprochen worden. In den Urteilsgründen heißt es u.a.:

"Dem Angekl. W. wird von der Anklage zur Last gelegt, sich durch den Ankauf der Schienen der Hehlerei, Vergehen gegen § 259 StGB, schuldig gemacht zu haben, weil er genau gewußt habe, daß der Angekl. Qu. zum Verkauf der Schienen nicht befugt gewesen sei, dieses vielmehr ausschließlich Sache des Vorarbeiters H. habe sein können. Ihm wird weiter zur Last gelegt, sich eines Vergehens gegen § 263 StGB schuldig gemacht zu haben, da er dem Zeugen H. der Wahrheit zuwider vorgespiegelt habe, an Wi.s Erben den an H. gezahlten Betrag von 35 DM zurückzahlen zu müssen, und hierdurch H. veranlaßt habe, nun seinerseits ihm diese 35 DM zu zahlen.

Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung hat sich ein strafbares Tun des Angekl. W. nicht feststellen lassen. Als der Angekl. W. am Morgen des 21. 5. 1955 an der Baustelle erschienen war und dort verschiedene kleine Eisenteile für insgesamt 35 DM angekauft hatte, war ihm schon in Aussicht gestellt worden, und zwar von dem Zeugen H., daß er aller Voraussicht nach gegen Abend auch noch die alsdann ausgebauten Schienen abholen könne. Als am Nachmittag die Schienen abgeholt wurden, war zwar der Zeuge H. nicht mehr auf der Baustelle anwesend. Trotzdem konnte jedoch der Angekl. W. der Meinung sein, daß auch der Ankauf der Schienen durchaus in Ordnung gehe, weil ihm ja schon am Vormittag dieser Ankauf in Aussicht gestellt worden war und weil er nicht wissen konnte, wer nun tatsächlich den Auftrag zum Abholen der Schienen gegeben hatte. Dies konnte durchaus H. gewesen sein, wenn er selbst auch bei dem Abholen der Schienen nicht mehr zugegen war. Er konnte also nicht annehmen, daß der Ankauf der Schienen am Nachmittag des gleichen Tages zu Unrecht erfolgte, und konnte glauben, daß Qu. nun der tatsächliche Verkäufer war.

Der Angekl. W. gibt zu dem ihm zur Last gelegten Betrug an, daß er seinerzeit der Meinung gewesen sei, auch der Verkauf der am Vormittag vorgenommenen Eisenteile sei zu Unrecht erfolgt. Er habe deshalb angenommen, daß Wi.s Erben auch diesen Betrag von ihm verlangen würden. Deshalb habe er H. aufgefordert, nunmehr seinerseits ihm das Geld zurückzugeben. Bis zur Klärung der Angelegenheit sei der Betrag von der Firma W. verwahrt und alsdann spater, nachdem die Angelegenheit geklärt gewesen sei, sei er an H. zurückgezahlt. Richtig ist, daß Wi.s Erben von der Firma W. Bezahlung der Schienen verlangt haben. Der Angekl. W. konnte deshalb durchaus der Meinung sein, daß er auch noch den weiteren Betrag für die am Vormittag gekauften Eisenteile würde an Wi.s Erben erstatten müssen. Er hat demzufolge dem Zeugen H., als er von diesem die 35 DM verlangte, nichts Falsches vorgespiegelt. Das Geld ist auch bei der Firma W. besonders verbucht worden, und zwar als Verwahrgeld bis zur Klärung der Angelegenheit. Aus diesen Gründen konnte dem Angekl. W. weder eine Hehlerei noch ein Betrug nachgewiesen werden, so daß er mangels Beweises freigesprochen werden mußte."

2.

Der Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde erhoben, mit der er die Verletzung von Art. 1 und 2 Abs. 1 GG rügt. Er macht geltend, aus den Feststellungen des Urt. ergebe sich, daß er unschuldig sei, zumindest kein begründeter Tatverdacht gegen ihn mehr bestehe. Das AG habe in Widerspruch dazu zusammenfassend bemerkt, er sei mangels Beweises freigesprochen worden und belaste ihn so mit einem ungerechtfertigten Verdacht, strafbare Handlungen begangen zu haben. Der Beschwerdeführer beantragt,

  1. die Entscheidung des AG aufzuheben,

  2. festzustellen, daß die Berufung gegen eine Entsch. zulässig ist, wenn entgegen dem Antrage des Angekl., auf Freispruch wegen erwiesener Unschuld oder wegen Fehlens eines begründeten Verdachts zu erkennen, vom Gericht auf Freispruch mangels Beweises erkannt worden ist.

II.

3.

Die form- und fristgerecht eingelegte Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer mit ihr geltend macht, er sei in seinen Rechten aus Art. 1 und 2 GG dadurch verletzt worden, daß er im angef. Urt. mangels Beweises freigesprochen werde, obgleich das Gericht in den Gründen selbst dargelegt habe, daß seine Unschuld erwiesen sei. Auch freisprechende Urteile können - insbes. durch die Art ihrer Begründung - Grundrechte verletzen. Der Rechtsweg ist erschöpft, denn nach st. Rspr. kann ein Angekl., der mangels Beweises freigesprochen worden ist, kein Rechtsmittel einlegen.

III.

4.

Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch offensichtlich unbegründet. Ob ein Angekl. freigesprochen wird, weil das Gericht von seiner Unschuld überzeugt ist oder weil es sich von seiner Schuld nicht hat überzeugen können, ist eine Frage der Beweis Würdigung. Die Beweis Würdigung kann im Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde nicht schlechthin auf ihre Richtigkeit, sondern nur daraufhin nachgeprüft werden, ob sie spezifisches Verfassungsrecht verletzt, ob also die Beweise willkürlich oder sonst unter Verletzung von Verfassungsrecht gewürdigt worden sind (vgl. BVerfGE 1, 418 [420] = NJW 53, 177; BVerfGE 4, 1 [6 f.]).

5.

Es kann dahingestellt bleiben, ob ein solcher Verfassungsverstoß vorläge, wenn die abschließende Feststellung des AG, der Beschwerdeführer wäre mangels Beweises freigesprochen, offensichtlich im Widerspruch zu vorher getroffenen Feststellungen stände, aus denen sich ergäbe, daß das Gericht die Unschuld des Beschwerdeführers für erwiesen hielte, denn ein solcher Widerspruch liegt hier offensichtlich nicht vor.

6.

Einige Formulierungen des Urt. konnten zwar, aus dem Zusammenhang genommen, den Anschein erwecken, als wolle das AG das Fehlen bestimmter Tatbestandsmerkmale der Hehlerei und des Betruges positiv feststellen. Liest man diese Formulierungen jedoch im Zusammenhang der gesamten Urteilsgrunde, so ergibt sich eindeutig, daß ihnen diese Bedeutung nicht zukommt. Das AG ist vielmehr bei seiner Urteilsbegründung davon ausgegangen, daß dem Angekl. eine strafrechtliche Schuld nicht nachzuweisen war. Mögen auch einzelne Formulierungen des Urt. mißverständlich sein, so weicht die zusammenfassende Schlußfolgerung, der Beschwerdeführer werde (nur) mangels Beweises freigesprochen, doch nicht eindeutig von dem vorangegangenen Inhalt der Urteilsgründe ab. Daß die Urteilsgrunde sonst Ausführungen entnielten, die die Menschenwürde oder die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers beeinträchtigen, ist nicht ersichtlich.

IV.

7.

Der Beschwerdeführer will mit dem Feststellungsantrag zu 2 offenbar geltend machen, daß ein Angekl. in seinen Grundrechten auch dadurch verletzt werden könne, daß nach h. Rspr. ein Rechtsmittel gegen freisprechende Urt. nicht gegeben ist, selbst wenn das Gericht auf Grund seiner Beweiswürdigung den Freispruch auf mangelnden Beweis gestützt hat, während der Angekl. seine Unschuld für erweisbar hält oder jedenfalls meint, daß ein begründeter Verdacht nicht bestehe. Bereits hinsichtlich der Zulässigkeit dieses Antrags bestehen Bedenken. Der Beschwerdeführer hat den Versuch, entgegen der h. Rspr. eine Berufung gegen das mangels Beweises freisprechende Urt. durchzuführen, nicht unternommen. Es erscheint aber zweifelhaft, ob nicht in derartigen Fällen der Beschwerdeführer auf einen solchen Versuch angewiesen ist, um dann das seine Berufung verwerfende Urt. als verfassungswidrig angreifen zu können, oder ob er etwa seine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das erstinstanzliche Urt. richten kann, obgleich dieses keine verfassungsrechtlichen Mängel aufweist, sondern nur seine Unanfechtbarkeit für verfassungswidrig gehalten wird.

8.

Die Frage braucht nicht abschließend entschieden zu werden, da die Verfassungsbeschwerde auch insoweit offensichtlich unbegründet ist. § 24 BVerfGG gibt dem BVerfG wegen der durch sein umfassendes Aufgabengebiet kaum vermeidbaren Arbeitsüberlastung die Möglichkeit, in einem besonders beschleunigten Verfahren aussichtslose Verfassungsbeschwerden zurückzuweisen. Dem Gesetzeszweck würde es widersprechen, wenn das BVerfG in derartigen Fällen schwierige Rechtsfragen der Zulässigkeit prüfen und entscheiden müßte, obgleich sich von vornherein übersehen läßt, daß die Beschwerde der Sache nach offensichtlich unbegründet ist. Eben deshalb befreit das Gesetz das BVerfG in derartigen Fällen auch weitgehend vom Begründungszwang. Wegen des summarischen Charakters des Verfahrens nach § 24 BVerfGG ist es daher gerechtfertigt, Zweifelsfragen zur Zulässigkeit dahingestellt sein zu lassen, wenn eine Verfassungsbeschwerde oder ein im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gestellter Antrag ohnehin offensichtlich unbegründet ist.

9.

Das ist hier der Fall. Es besteht kein Verfassungsgrundsatz, daß in gerichtlichen Verfahren schlechthin ein Instanzenzug erforderlich sei (BVerfGE 4, 74 [94 f.]; BVerfGE 4, 387 [411]). Es ist auch nicht willkürlich, wenn die Rspr. in der Frage der Zulässigkeit von Rechtsmitteln einen Unterschied macht zwischen Urt., die einen Freispruch mangels Beweises enthalten, in denen also das Vorliegen der strafrechtlichen Schuld und das Bestehen eines staatlichen Strafanspruchs aus tatsächlichen Gründen dahingestellt bleibt, und anderen Fällen, in denen strafrechtliche Schuld und staatlicher Strafanspruch bejaht werden.

10.

Sollte der Beschwerdeführer einen Antrag gemäß § 95 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG haben stellen wollen, wäre er schon deshalb unbegründet, weil einem solchen Antrag nur dann stattgegeben werden kann, wenn die Verfassungsbeschwerde Erfolg hat. Die Verfassungsbeschwerde ist daher gemäß § 24 BVerfGG als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.