Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 07.05.1996
- 1 C 10/95
-

 (weitere Fundstellen: BVerwGE 101, 157 f.)

 

Leitsätze:

1.

Das öffentliche Bedürfnis an einer Verkürzung der Sperrzeit (§ 18 GastG) setzt auch voraus, daß diese nicht zu schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes führt. Insoweit hat § 18 Abs. 1 GastG drittschützende Wirkung.

2.

Zu den schädlichen Umwelteinwirkungen kann auch der hervorgerufene Lärm durch Gäste auf dem Weg von und zu der Gaststätte gehören, sofern er einen erkennbaren Bezug zu dem Betrieb hat. Dies kann auch bei Verkehrslärm der Fall sein, solange die Gäste nicht mehr bzw. noch nicht in den allgemeinen Straßenverkehr eingegliedert sind.

 

Tatbestand:

1.

Die Kläger wenden sich gegen Sperrzeitverkürzungen für eine Diskothek der Beigeladenen. Sie wohnen im Bereich eines Straßenzuges, über den das Gewerbegebiet erreicht werden kann, in dem die Diskothek betrieben wird. Bereits nach deren Eröffnung im Februar 1987 wandten sie sich u. a. gegen die der damaligen Betreiberin erteilte Gaststättenerlaubnis und forderten ohne Erfolg verkehrsbeschränkende Maßnahmen.

2.

Einen Antrag, einen bestimmten Bescheid über die Hinausschiebung des Beginns der Sperrzeit aufzuheben und deren Beginn künftig vorzuverlegen, lehnte die Verwaltungsbehörde ab. Mit einem weiteren Bescheid gestattete die Behörde eine erneute Verkürzung der Sperrzeit. Der Widerspruch der Kläger wurde zurückgewiesen.

3.

Während des daran anschließenden Klageverfahrens wurden weiterhin Sperrzeitverkürzungen erteilt, allerdings mit Nebenbestimmungen versehen, die, wie ebenfalls getroffene verkehrsberuhigende Maßnahmen, die Vermeidung einer Beeinträchtigung der Kläger zum Ziele hatten.

4.

Die von den Klägern mit der Begründung, die ergriffenen Maßnahmen hätten keine Wirkung gezeigt, erhobene Klage blieb in 1. und 2. Instanz ohne Erfolg. Die mit dem Antrag, den Beklagten zu verpflichten, der Beigeladenen für den Betrieb der Diskothek zukünftig keine Sperrzeitverkürzungen von 1.00 Uhr auf 4.00 Uhr zu erteilen, erhobene Revision der Kläger führte zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

 

Aus den Gründen:

5.

1. Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Beklagten verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).

6.

2. Das Revisionsverfahren war einzustellen, soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung ihren Anfechtungs- und ihren Hilfsantrag nicht aufrechterhalten und damit die Revision teilweise zurückgenommen haben (§ 141, § 125 Abs. 1, § 92 Abs. 2 VwGO).

7.

3. Die Revision ist im noch bestehenden Umfang begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).

8.

a) Die Kläger erstreben mit dem allein noch streitgegenständlichen Antrag vorbeugenden Rechtsschutz auf Unterlassung weiterer Sperrzeitverkürzungen. Das dafür erforderliche besondere Rechtsschutzinteresse (vgl. BVerwGE 40, 323 <326>; 71, 183 <188>) ist angesichts der sonst notwendigen, aber unzumutbaren Anfechtung einer Vielzahl sich stets wiederholender und sich wegen ihrer Befristungen regelmäßig noch vor Durchführung von Widerspruchsverfahren erledigender Verwaltungsakte gegeben. Darin ist dem Berufungsgericht zu folgen.

9.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Kläger auch im Sinne des entsprechend anzuwendenden § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, weil sie geltend machen können, einen Anspruch auf Unterlassung von Sperrzeitverkürzungen zugunsten der Beigeladenen zu haben. Daran würde es nur fehlen, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise ihre subjektiven Rechte verletzt sein könnten (BVerwGE 95, 25 <27>; 95, 133 <134>; Urteil vom 12. Dezember 1995 - BVerwG 1 A 2.92 -). Unter den Umständen des Falles läßt sich nicht feststellen, daß die Kläger offensichtlich und eindeutig durch die Sperrzeitverkürzungen in ihren Rechten nicht verletzt sein können. Über Sperrzeitverkürzungen ist hier nach Maßgabe des § 18 GastG in Verbindung mit der landesrechtlichen Sperrzeitverordnung nach dem Maßstab des öffentlichen Bedürfnisses zu entscheiden, dessen Schutzzweck und Reichweite namentlich hinsichtlich der Frage des Drittschutzes bisher nicht abschließend geklärt sind. Ebenfalls steht nicht von vornherein und unzweifelhaft fest, daß die Kläger räumlich- gegenständlich nicht von einer Schutzwirkung der genannten Bestimmungen erfaßt sein können. Mit seiner gegenteiligen Auffassung überspannt das Berufungsgericht die Anforderung des § 42 Abs. 2 VwGO.

10.

c) Nach § 18 Abs. 1 GastG ist für Schank- und Speisewirtschaften sowie für öffentliche Vergnügungsstätten durch Rechtsverordnung der Landesregierung eine Sperrzeit allgemein festzusetzen. In der Rechtsverordnung ist zu bestimmen, daß die Sperrzeit bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse allgemein oder für einzelne Betriebe verlängert, verkürzt oder aufgehoben werden kann. Demgemäß bestimmt für das Land Hessen § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Sperrzeit vom 19. April 1971 (GVBl I S. 96) - SperrzeitVO -, daß die Sperrzeit für Schank- und Speisewirtschaften sowie für öffentliche Vergnügungsstätten um 1.00 Uhr beginnt und um 6.00 Uhr endet ("allgemeine Sperrzeit"). Nach § 3 SperrzeitVO kann bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse die Sperrzeit allgemein verlängert, verkürzt oder aufgehoben werden ("allgemeine Ausnahmen"). Die Vorschrift des § 4 ("Ausnahmen für einzelne Schank- und Speisewirtschaften sowie öffentliche Vergnügungsstätten") lautet:

"Bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse kann für einzelne Schank- und Speisewirtschaften sowie öffentliche Vergnügungsstätten der Beginn der Sperrzeit bis 19.00 Uhr vorverlegt und das Ende der Sperrzeit bis 10.00 Uhr hinausgeschoben oder die Sperrzeit befristet und widerruflich verkürzt oder aufgehoben werden. In den Fällen der Verkürzung oder Aufhebung der Sperrzeit können jederzeit Auflagen erteilt werden."

11.

Hiernach regelt § 18 GastG nicht selbst die Sperrzeit, sondern ermächtigt und verpflichtet die zuständigen Organe der Länder, Vorschriften hierüber zu erlassen. Dementsprechend beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht unmittelbar auf Bundesrecht, sondern auf der nach § 137 Abs. 1 VwGO irrevisiblen landesrechtlichen Sperrzeitregelung. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch zu prüfen, ob der nach § 173 VwGO, § 562 ZPO bindend festgestellte Inhalt des § 4 SperrzeitVO mit Bundesrecht, insbesondere mit § 18 Abs. 1 GastG im Einklang steht oder ob das angefochtene Urteil insoweit auf einer Verletzung von Bundesrecht beruht. Hierfür ist bedeutsam, daß zwar der Rechtssetzungsauftrag des § 18 Abs. 1 GastG nicht vorschreibt, wie die allgemeine Sperrzeit festzulegen ist, nach Satz 2 aber die Rechtsverordnung bestimmen muß, daß hiervon bei Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses oder besonderer örtlicher Verhältnisse abgewichen werden kann. Damit bestimmt das Bundesrecht zugleich, daß nur unter diesen Voraussetzungen Abweichungen von der Regel vorgesehen werden dürfen. Darin unterscheidet sich der vorliegende Regelungszusammenhang von demjenigen, den das Urteil des Senats vom 30. Januar 1996 - BVerwG 1 C 9.93 - betraf. Dort enthielt das Bundesrecht, auf das das Berufungsgericht zur Auslegung von Landesrecht zurückgegriffen hatte, anders als hier, keine rechtlichen Vorgaben für das Landesrecht. Bundesrecht ist verletzt, wenn die in § 4 SperrzeitVO genannten Tatbestandsvoraussetzungen oder die Ermächtigung zur Ausübung des Ermessens nicht im Einklang mit der Regelung des § 18 Abs. 1 Satz 2 GastG ausgelegt und angewandt wurden (Urteil vom 23. September 1976 - BVerwG 1 C 7.75 - Buchholz 451.41 § 18 GastG Nr. 1 = GewArch 1977, 24 <25>).

12.

d) Die Entscheidung über das Vorliegen eines öffentlichen Bedürfnisses erfordert die Feststellung von Tatsachen, welche die Annahme rechtfertigen, daß die Leistungen des in Rede stehenden Betriebes während der allgemeinen Sperrzeit in erheblichem Maße in Anspruch genommen werden. Aus der Sicht der Allgemeinheit - nicht aus der des an der Verkürzung interessierten Gewerbetreibenden oder Veranstalters - muß eine Bedarfslücke bestehen. An der erstrebten individuellen Verkürzung der allgemeinen Sperrzeit muß ein öffentliches Interesse bestehen. Es müssen hinreichende Gründe vorliegen, die ein Abweichen von der Regel im Interesse der Allgemeinheit rechtfertigen (vgl. Beschluß vom 13. April 1961 - BVerwG 7 B 19.59 - GewArch 1962, 11). Ein öffentliches Bedürfnis für eine Verkürzung der Sperrzeit liegt daher u.a. dann nicht vor, wenn zwar tatsächlich ein Bedarf vorhanden ist, seine Befriedigung aber nicht im Einklang mit der Rechtsordnung oder anderen von der Verwaltung zu wahrenden öffentlichen Belangen stünde, also dem Gemeinwohl zuwiderliefe.

13.

e) Die danach gebotene Prüfung erfordert auch die Einbeziehung des Gesichtspunktes des Schutzes gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 14. Mai 1990 (BGBl I S. 880), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juli 1995 (BGBl I S. 930) - BImSchG - und gegen sonstige erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen für die Bewohner des Betriebsgrundstücks oder der Nachbargrundstücke sowie der Allgemeinheit. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG ist die Gaststättenerlaubnis nämlich zu versagen, wenn der Gewerbebetrieb schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes- Immissionsschutzgesetzes oder sonst erhebliche Nachteile, Gefahren oder Belästigungen für die Allgemeinheit befürchten läßt; nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG können Gewerbetreibenden, die einer Erlaubnis bedürfen, jederzeit Auflagen zum Schutz gegen die genannten Umwelteinwirkungen und Nachteile erteilt werden. Nichts spricht dafür, daß diese schon für den regelmäßigen Betrieb geltenden Gesichtspunkte im Rahmen der Prüfung, ob ein öffentliches Bedürfnis im Sinne des § 18 Abs. 1 GastG für eine Verkürzung der Sperrzeit besteht, keine Berücksichtigung finden sollten. Vielmehr hat der erkennende Senat bereits betont, daß der Schutzzweck der Sperrzeitfestsetzung weitgehend mit demjenigen des § 5 GastG übereinstimmt (Urteil vom 23. September 1976 - BVerwG 1 C 7.75 - a.a.O.; vgl. auch BVerwGE 11, 331 <333>).

14.

Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, zu denen auch Gaststätten gehören (vgl. z.B. Hansmann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Oktober 1993, vor § 22 BImSchG Rn. 28; Feldhaus, Bundesimmissionsschutzgesetz, Stand Oktober 1995, § 22 Anm. 13; Jarass, Bundesimmissionsschutzgesetz, 3. Aufl. 1995, § 22 Rn. 8), so zu errichten und zu betreiben, daß schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Wo dabei die Grenze der erheblichen Belästigung liegt, hängt von den vom Tatsachengericht zu würdigenden Umständen ab (BVerwGE 79, 254 <260>). Soweit es um Lärmeinwirkungen geht, kommt es darauf an, ob diese - bezogen auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen, nicht auf die individuelle Einstellung eines besonders empfindlichen Dritten - das zumutbare Maß überschreiten (BVerwGE 50, 49 <55>; 68, 62 <67>). Dabei bestimmt sich das, was als zumutbar hinzunehmen ist, einmal nach der Lärmart und der Intensität der Geräusche, die - wo dies angezeigt ist - nach dem einschlägigen technischen Regelwerk ermittelt werden kann, zum andern aber auch nach der gegebenen Situation, in der Lärmquelle und Immissionsort sich befinden. So kann dem Umstand Bedeutung zukommen, daß Geräusche zur Nachtzeit in besonderem Maße als störend empfunden werden, aber auch, daß Straßen grundsätzlich bestimmungsgemäß zur Aufnahme auch von Kraftfahrzeugverkehr dienen. Vor allem ist die bauliche Situation zu würdigen. Denn die Schutzwürdigkeit richtet sich nach der materiellen baurechtlichen Lage (BVerwGE 90, 53 <56>).

15.

Es kann offenbleiben, ob die Einbeziehung immissionsschutzrechtlicher Standards in §§ 4 und 5 GastG die unmittelbare Anwendbarkeit der §§ 22 ff. BImSchG auf Gaststätten ausschließt. Jedenfalls führt der in den §§ 4 und 5 GastG enthaltene Hinweis auf das Bundes- Immissionsschutzgesetz dazu, bei der Prüfung des nach § 18 Abs. 1 GastG maßgebenden öffentlichen Bedürfnisses auch den Schutz gegen schädliche Umwelteinwirkungen einzubeziehen und damit die Beurteilung von Immissionen einem einheitlichen Maßstab zu unterwerfen (BTDrucks 7/179, S. 49). Geräuschentwicklungen, die die Versagung der Erlaubnis oder Schutzauflagen rechtfertigen, müssen auch bei der Entscheidung über die Verkürzung der Sperrzeit als Element des öffentlichen Bedürfnisses berücksichtigt werden. Demgemäß hat der erkennende Senat bereits in den Beschlüssen vom 19. März 1982 - BVerwG 1 B 182.81 - und vom 18. September 1991 - BVerwG 1 B 107.91 - (Buchholz 451.41 § 18 GastG Nr. 2 und 6) ausgeführt, daß die Nachtruhe von Personen, die in der Nachbarschaft von Gaststätten wohnen, zu den Interessen gehört, deren Wahrung der Rechtsbegriff des öffentlichen Bedürfnisses dient, und daß bei der Entscheidung nach § 18 GastG alle Folgen über die Nachtruhe der Anwohner zu berücksichtigen sind.

16.

f) Danach ist das Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Bedürfnisses in § 18 Abs. 1 GastG dahin auszulegen, daß eine Verkürzung der Sperrzeit nicht zu schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes- Immissionsschutzgesetzes führt. Eine Verletzung der so verstandenen Vorschrift kann in diesem Umfang auch zu einem Abwehranspruch des durch solche Umwelteinwirkungen betroffenen Dritten führen.

17.

aa) Einer Vorschrift kommt drittschützender Charakter zu, wenn sie nicht nur öffentlichen Interessen, sondern auch Individualinteressen Dritter zu dienen bestimmt ist und sich aus den Tatbestandsmerkmalen der anzuwendenden Norm ein Personenkreis bestimmen läßt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet (vgl. BVerwGE 94, 151 <158>).

18.

bb) Der Wortlaut des § 18 Abs. 1 GastG legte es mit der Voraussetzung des "öffentlichen" Bedürfnisses zunächst möglicherweise nicht nahe, der Bestimmung einen auch auf Individualinteressen bezogenen Schutzzweck zu entnehmen. Es ist aber zu berücksichtigen, daß das Bundesverwaltungsgericht bereits § 14 i.V.m. § 11 Abs. 1 Buchst. b) des Gaststättengesetzes vom 28. April 1930 (RGBl I S. 146) drittschützende Wirkung beigemessen hatte (BVerwGE 11, 331 <333>). Daß der Gesetzgeber des Gaststättengesetzes vom 5. Mai 1970 (BGBl I S. 465) dieser Rechtsprechung hätte entgegentreten wollen, läßt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Diese geben keinen Aufschluß über Erwägungen zur drittschützenden Wirkung des § 18 Abs. 1 GastG (vgl. BTDrucks V/205, S. 17 f.; V/1652, S. 6; V/3623, S. 3; V/4380, S. 2). Jedenfalls bestätigt die Änderung des Gaststättengesetzes durch § 69 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 15. März 1974 (BGBl I S. 721) die bisherige Rechtsprechung und gebietet es, § 18 Abs. 1 GastG in noch darzulegendem Umfang drittschützende Wirkung beizumessen. Zwar betraf § 69 BImSchG den hier einschlägigen § 18 Abs. 1 GastG unmittelbar nicht. Jedoch wurden durch ihn die §§ 4 und 5 GastG durch Einbeziehung des Schutzes gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes geändert. Dies geschah mit dem Ziel, "der Anwendung eines einheitlichen Maßstabes bei der Beurteilung von Immissionen" zu dienen (BTDrucks 7/179, S. 49, zu § 54 des Entwurfs). Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang den bereits erwähnten Gesichtspunkt, daß Gaststätten als Anlagen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes anzusehen sind, ist der Schluß gerechtfertigt, daß die Vorschriften des Gaststättengesetzes, die den Schutz gegen schädliche Umwelteinwirkungen bezwecken und ermöglichen, auch Individualinteressen Dritter zu dienen bestimmt sind, soweit die einschlägigen Bestimmungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes eine solche Zielsetzung haben.

19.

cc) § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG hat nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts drittschützende Wirkung, soweit er der Verhinderung oder Beschränkung schädlicher Umwelteinwirkungen im Einwirkungsbereich der dort genannten Anlagen dient (vgl. BVerwGE 74, 315 <327> sowie z.B. Hansmann, a.a.O., § 22 Rn. 4). Diese Zielrichtung ist auch bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmales des öffentlichen Bedürfnisses in § 18 Abs. 1 GastG beachtlich (vgl. auch Beschluß vom 20. Mai 1992 - BVerwG 1 B 22.92 - Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 106 = GewArch 1992, 391; anderer Ansicht Steinberg, GewArch 1991, 167 <168>).

20.

dd) § 18 Abs. 1 GastG läßt sich ein geschützter Personenkreis entnehmen, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet. In dieser Hinsicht ergibt sich nämlich aus dem in das Gaststättengesetz übernommenen § 3 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, daß zur Unterscheidung von der Allgemeinheit der Begriff der "Nachbarschaft" dient. Soweit der einzelne als Teil der Allgemeinheit Schutzobjekt der gaststättenrechtlichen Vorschriften ist, die den Schutz gegen schädliche Umwelteinwirkungen bezwecken oder ermöglichen, fehlt es an einem eigenen subjektiven Recht auf Einhaltung der genannten Vorschriften. Anders ist es hingegen, wenn der einzelne zur "Nachbarschaft" gehört. Dabei kommt dem Umstand, daß § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG den möglicherweise engeren Begriff des "Nachbargrundstücks" verwendet, keine ausschlaggebende Bedeutung zu, soweit es um schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes- Immissionsschutzgesetzes geht. In bezug darauf ist vielmehr der in § 3 Abs. 1 BImSchG zum Ausdruck kommenden weiteren Schutzrichtung Rechnung zu tragen. Der Begriff der Nachbarschaft im Sinne des Bundes- Immissionsschutzgesetzes soll den Kreis derjenigen Personen abgrenzen, denen über den objektiven Schutz hinaus, den das Gesetz der Allgemeinheit und damit letztlich auch jedem einzelnen als Teil dieser Allgemeinheit vermittelt, auch die subjektive Rechtsmacht eingeräumt werden soll, einen solchen Schutz ggf. verwaltungsgerichtlich durchzusetzen. "Nachbarschaft" kennzeichnet mithin ein qualifiziertes Betroffensein, das sich deutlich abhebt von den Auswirkungen, die den einzelnen als Teil der Allgemeinheit treffen können; sie setzt im Interesse klarer und überschaubarer Konturen und damit letztlich im Interesse der Rechtssicherheit ein besonderes Verhältnis des Betroffenen zu der Anlage im Sinne einer "engeren räumlichen und zeitlichen Beziehung" voraus (vgl. Urteil vom 22. Oktober 1982 - BVerwG 7 C 50.78 - Buchholz 406.25 BImSchG Nr. 6 = GewArch 1983, 101). Dies gilt auch im Rahmen des Gaststättenrechts. Eine solche Beziehung kann sich aus der Lage des Immissionsortes in bezug auf die emittierende Anlage ergeben. Sie kann aber auch hervorgerufen werden durch Auswirkungen in einem weiteren Umfeld der Anlage, die in einem funktionellen Zusammenhang mit dem Betrieb stehen und diesem auch in räumlicher Hinsicht noch zuzurechnen sind, weil sie den Bezug zu der emittierenden Anlage noch nicht verloren haben. Denn das Immissionsschutzrecht erfaßt nicht nur solche Immissionen, die durch eine Anlage oder ihre Teile selbst verursacht werden, sondern auch solche, die in einem betriebstechnischen oder funktionellen Zusammenhang mit ihr stehen (vgl. z.B. Beschluß vom 20. Januar 1989 - BVerwG 4 B 116.88 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG/BauGB Nr. 129).

21.

Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß vom 18. September 1991 - BVerwG 1 B 107.91 - (Buchholz 451.41 § 18 GastG Nr. 6 = GewArch 1992, 34 <35>) darauf hingewiesen, daß alle Folgen, die eine Sperrzeitverkürzung für die Nachtruhe der Anwohner hat, bei der Entscheidung nach § 18 GastG zu berücksichtigen sind, unabhängig davon, ob der Gastwirt diese Folgen beeinflussen kann oder nicht; deshalb müsse auch der Lärm, den die Gäste einer Gaststätte vor der Gaststätte verursachen, dem Betrieb zugerechnet werden. Dies gilt in einem die "Nachbargrundstücke" übergreifenden, den gesamten Einwirkungsbereich des Betriebs erfassenden Sinn. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang eine einzelfallbezogene Bewertung der Auswirkungen des gaststättenrechtlich erfaßten Betriebs. Hinsichtlich des hier in Rede stehenden Verhaltens von Gästen auf dem Weg zu und von einer Diskothek kann für die Zuordnung die Erschließungssituation von Bedeutung sein, namentlich ob das als belastend empfundene Geschehen noch erkennbar als Ziel - bzw. Quellverkehr des Gewerbebetriebs in Erscheinung tritt. Solange der an- und abfließende Verkehr also nicht mehr bzw. noch nicht in den allgemeinen Straßenverkehr integriert ist, ist er dem Betrieb zuzurechnen. Für die Beurteilung können u.a. die tatsächliche Entfernung von der Anlage, die Straßenführung und die Funktion der Verkehrsflächen von Bedeutung sein. Eine ungenügende Berücksichtigung der gesetzlichen Zielsetzung, gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu schützen, führt demgemäß zu einem nachbarlichen Abwehrrecht gegen eine Sperrzeitverkürzung nach § 18 Abs. 1 GastG in Verbindung mit der landesrechtlichen Sperrzeitverordnung (so auch Michel/Kienzle, Gaststättengesetz, 12. Aufl. 1995, § 18 Rn. 16; Metzner, Gaststättengesetz, 5. Aufl. 1995, § 5 Rn. 14, § 18 Rn. 3; Aßfalg/Lehle/Schwab, Loseblattsammlung zum Gaststättenrecht, § 18 Rn. 4; Seitter, Gaststättenrecht, 4. Aufl. 1995, § 18 Rn. 18; Kienzle, GewArch 1987, 258 <261>; Diefenbach, GewArch 1992, 249 <260>).

22.

g) Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erlauben dem Senat keine abschließende Beurteilung, ob den Klägern in Anwendung der dargestellten Maßstäbe ein Abwehrrecht gegen die Sperrzeitverkürzungen zugunsten des Betriebs der Beigeladenen zusteht. Insbesondere fehlen Feststellungen zur bauplanungsrechtlichen Situation der von den Klägern bewohnten Gebäude. Aber auch in bezug auf die sonstigen Umstände fehlen genügende Anhaltspunkte für eine abschließende Bewertung. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich auf die Feststellung beschränkt, daß die Entfernung zwischen den Wohnungen und der Diskothek etwa 250 m beträgt und zwischen den Wohnungen und dem Gewerbegebiet auf einem 6 m hohen Damm eine Straße verläuft. Hingegen fehlen u.a. auch Ausführungen dazu, ob die die Grundstücke der Kläger erschließende Straße den wesentlichen Verkehr zur und von der Diskothek aufnimmt und ob und in welchem Umfang die Kläger überhaupt von dieser zuzurechnenden Immission betroffen sind. Dies nötigt zur Zurückverweisung, damit sich das Berufungsgericht von den tatsächlichen Verhältnissen Gewißheit verschaffen kann.