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Leitsätze |
1. |
Übernimmt eine Verwaltungsbehörde eine Rechtsberatung außerhalb des Rahmens ihrer verfahrensbezogenen Hinweispflicht, trifft sie die Pflicht zur vollständigen, richtigen und unmissverständlichen Rechtsauskunft. Dies gilt auch, wenn ein Nichtjurist in seiner Eigenschaft als Amtsträger eine Rechtsauskunft erteilt und dabei als Rechtsberater Vertrauen in Anspruch nimmt. |
2. |
Eine erhöhte Sorgfaltspflicht besteht, wenn für den Amtsträger erkennbar ist, dass die Rechtsauskunft für den Rat suchenden Bürger von erheblicher Bedeutung und wirtschaftlicher Tragweite ist. |
3. |
Bei einer schwierigen Rechtslage kann der Amtsträger verpflichtet sein, auf die Grenzen der Auskunftserteilung und des Beurteilungsrahmens hinzuweisen. Wenn er nach seiner eigenen Einschätzung keine zuverlässige rechtliche Beurteilung abgeben kann, muss er entweder an einen sachkundigen Beamten oder einen Rechtsanwalt verweisen. |
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Zum Sachverhalt |
1. |
Der Kläger begehrt von dem beklagten Landkreis Schadensersatz in Höhe des hälftigen Betrags der von ihm und dem Zeugen X als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im Folgenden GbR) an den Beklagten gezahlten Abfallgebühr für die Ablagerung von Erdaushub von insgesamt 224590 DM. Er stützt sein Begehren auf Zahlung von 112295 DM auf einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung. Der Kläger war gemeinsam mit dem Zeugen X Miteigentümer des Grundstücks mit der Plan-Nr. 1058. Auf diesem Grundstück wollten die beiden als Gesellschafter einer GbR ein Pflege- und Altenheim errichten. Am 10.2.1992 und 20.2.1992 erkundigte sich X bei dem Beklagten, wer bei Anlieferung von Aushubmaterialien bei der Deponie des Beklagten die dafür anfallenden Gebühren zu zahlen habe. Der als Mitarbeiter in der Bauabteilung tätige Zeuge W erteilte die Auskunft, dass der Anlieferer nach der kommunalen Abgabensatzung Gebührenschuldner sei, was zum Zeitpunkt der Auskunfterteilung in der geltenden Abfallgebührensatzung tatsächlich so geregelt war. Die Abfallgebührensatzung stand insoweit jedoch im Widerspruch zu § 27 KAG a.F. der bestimmte, dass der Eigentümer Gebührenschuldner ist. Am 4.3.1992 schlossen der Kläger und X mit der Firma R. GmbH einen Generalunternehmervertrag. Danach war der Abtransport des Erdaushubs von dem Bauunternehmen vorzunehmen. Aufgrund der behördlichen Auskunft wurden die anfallenden Deponiegebühren in die Kalkulation des Generalunternehmervertrags miteinbezogen. Als sich bei der Durchführung der Erdaushubarbeiten herausstellte, dass mehr Aushub anfallen würde, als man vorhergesehen und geplant hatte, wurde am 31.3.1992 eine Zusatzvereinbarung abgeschlossen, wonach ein weiterer Betrag von 100000 DM zuzüglich 14% MWSt an die Fa. R. GmbH seitens der GbR zu bezahlen war. Die Gesellschaft leistete die Zahlung auch tatsächlich im Frühjahr/Sommer 1992. Wegen des angelieferten Bauschuttes nahm der bekl. Landkreis den Subunternehmer der R. GmbH bei Anlieferung des Erdaushubs im März/April 1992 auf der Deponie in Anspruch. Gegen den dem Subunternehmer zugestellten Gebührenbescheid erhob dieser Widerspruch. In dem sich daran anschließenden verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren äußerte das OVG Zweifel an der Wirksamkeit der kommunalen Abgabensatzung. Der Beklagte erließ daraufhin am 21.7.1992 rückwirkend zum 1. 1. 1992 eine neue Satzung, wonach der Eigentümer bei Ablieferung von Abfall Gebührenschuldner ist. Gestützt auf diese Satzung nahm der Bekl. mit Gebührenbescheid vom 25.4.1994 den Kläer und den Zeugen X auf Zahlung von 224590 DM Abfallgebühren in Anspruch. Mit Bescheid vom 14.7.1994 wurden die hiergegen gerichteten Widersprüche beider Gesellschafter zurückgewiesen. Die Anfechtungsklage gegen die ablehnenden Bescheide wies das VG ab. Das OVG wies mit Urteil vom 28. 11. 1997 die Berufungen des Klägers und des Zeugen X gegen das Urteil des VG zurück. Der Kläger ist der Ansicht, der beklagte Landkreis sei ihm gegenüber schadensersatzpflichtig, weil dessen Sachbearbeiter, der Zeuge W, im Hinblick auf § 27 KAG a.F. eine schuldhaft falsche Auskunft erteilt habe. Wegen der unzutreffenden Information hätten er, der Kläger, und X die Deponiegebühren an den Generalunternehmer gezahlt. Von diesem könne diese Summe nicht mehr zurückverlangt werden, weil die Gesellschaft im April 1994 zahlungsunfähig geworden sei. |
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Gründe: |
2. |
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt in Abänderung des angefochtenen Urteils zu der Feststellung, dass die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist. |
3. |
Der aus dem Kläger und seinem Mitgesellschafter ... bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts steht gegenüber dem beklagten Landkreis ein Amtshaftungsanspruch gem. § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG zu, weil der Leiter der Abteilung Abfallwirtschaft V schuldhaft eine fehlerhafte Rechtsauskunft erteilt hat und der Gesellschaft dadurch ein Schaden entstanden ist. Hierauf hat der Kläger im Anschluss an die Bekundungen der Zeugen W und ... die Klage hilfsweise gestützt und sich die Behauptungen der Zeugen ausdrücklich zu eigen gemacht. Dieser Anspruch wird vom Kläger aufgrund der Ermächtigung des Mitgesellschafters als Prozessstandschafter im Rahmen einer gewillkürten Prozessstandschaft in Höhe des hälftigen Schadensbetrags im eigenen Namen geltend gemacht. Insoweit ist der Rechtsstreit bereits zur Entscheidung reif, sodass hierüber durch Grundurteil (§ 304 Abs. 1 ZPO) zu entscheiden ist. Zur Höhe des Anspruchs bedarf es noch weiterer Aufklärung. Hierzu und zur Entscheidung über die Höhe ist die Sache gemäß § 528 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen. |
4. |
1. Zur Geltendmachung der Schadensersatzforderung ist der Kläger als Prozeßstandschafter im Rahmen und im Umfang der Ermächtigung des Mitgesellschafters ... befugt, weil die Forderung, auch wenn sie dem Kläger nach dem Innenverhältnis der Gesellschafter zur Hälfte zugeordnet sein sollte, als gesamthänderisch gebundene Forderung der aus dem Mitgesellschafter ... und dem Kläger bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts Teil des Gesellschaftsvermögens ist und daher von einem einzelnen Gesellschafter außerhalb der gewillkürten Prozessstandschaft nicht im eigenen Namen mit dem Ziel der Zahlung an sich geltend gemacht werden kann. Den weitergehenden Schadensbetrag der Gesellschaft kann der Kläger weder auf dem Weg der actio pro socio (der sog. Gesellschafterklage) noch auf dem Weg der Gesamthänderklage gem. § 432 Abs. 1 BGB einfordern. Die Voraussetzungen einer actio pro socio (Gesellschafterklage) liegen nicht vor, da der Kläger keinen Anspruch auf Erfüllung gesellschaftsvertraglicher Verpflichtungen gegen einen anderen Mitgesellschafter erhoben hat; 432 Abs. 1 BGB ist im Gesellschaftsrecht nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (seit BGHZ 12,308; vgl. auch BGHZ 39,14) nicht anwendbar. Denn bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist die Forderungseinziehung ein Akt der Geschäftsführung, für die unter Ausschluss des § 432 BGB die Regelung der Geschäftsführung maßgebend ist. Gesamthänderisch gebundene Gesellschaftsforderungen können somit grundsätzlich nur die Gesellschafter gemeinsam geltend machen. |
5. |
Der Kläger ist hinsichtlich des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs als Prozessstandschafter insoweit aktivlegitimiert, als der Zeuge ... nach dem unstreitig gebliebenen Vorbringen des Klägers jenen ermächtigt hat, die Zahlung des mit der Klage geltend gemachten Betrags an sich zu verlangen. Da sich die Ermächtigung des Mitgesellschafters unstreitig nur auf die Hälfte der der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zustehenden Schadensersatzforderung erstreckte, ist der Kläger auch nur zur Geltendmachung der Hälfte des entstandenen Gesamtschadens als Prozessstandschafter befugt |
6. |
Der BGH hat anerkannt, dass die Grundsätze der gewillkürten Prozessstandschaft auch angewandt werden können, wenn ein Gesellschafter ermächtigt wird, einen Anspruch der Gesellschaft bürgerlichen Rechts im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen. Bei der GbR sind grundsätzlich alle Gesellschafter Rechtsinhaber. Durch die Ermächtigung zur Prozessführung seitens des Mitgesellschafters ..., die offenkundig angesichts dessen Mitwirkung als Zeuge vorliegt (vgl. dazu BGH NJW-RR 1988, S. 127), ist in der Zweimanngesellschaft das Erfordernis des Vorliegens der Zustimmung des Rechtsinhabers zur aktiven Prozessführung erfüllt. Der Kläger hat an der Geltendmachung der gesamthänderisch gebundenen Forderung ein eigenes schutzwürdiges Interesse, da er mit der Klage den Teil des auf ihn nach der internen Haftungsverteilung entfallenden Schadensbetrags geltend macht. Auch die für die gewillkürte Prozessstandschaft vorausgesetzte Offenkundigkeit liegt vor, weil der Kläger sich zum einen auf die Ermächtigung des Mitgesellschafters ... berufen und zum anderen zum Ausdruck gebracht hat, dass die Gesellschaft die Deponiegebühren an den beklagten Landkreis gezahlt habe und er den daraus resultierenden hälftigen Schadensbetrag geltend mache. Da er ein eigenes Klagerecht als Mitberechtigter mitverfolgt, ist die notwendige Offenkundigkeit gewahrt (vgl. dazu BGH NJW 1985, S. 2825). Dem Beklagten entsteht durch die Bejahung der gewillkürten Prozessstandschaft kein Nachteil, da er durch die Offenlegung der Ermächtigung und die Feststellung des Vorliegens deren Voraussetzungen durch die Rechtskrafterstreckung vor einer nochmaligen Inanspruchnahme wegen derselben Schadensersatzforderung geschützt ist (ebenso BGH NJW 1988, S. 1587). Zwar wird es dem Gesellschafter, der die Klage im eigenen Namen führt, ermöglicht, seinen Mitgesellschafter als Zeugen zu benennen, der BGH hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass diesbezügliche Bedenken von untergeordneter Bedeutung sind, weil das prozesstaktische Vorgehen vom Tatrichter bei der Beweiswürdigung gebührend zu berücksichtigen ist (so BGH NJW 1988, S. 1587). |
7. |
2. Der Leiter des Abfallwirtschaftsamtes des beklagten Landkreises hat dadurch seine Amtspflicht zur vollständigen, richtigen und unmissverständlichen Auskunft verletzt, dass er den Mitgesellschafter des Klägers angesichts der für ihn erkennbaren Bedeutung seiner Auskunft für die weitere finanzielle Entscheidung der beiden Mitgesellschafter nicht unmissverständlich entweder auf seine begrenzte Beratungsaufgabe oder auf den offensichtlichen Widerspruch zwischen § 27 KAG a. F. und der Abfallgebührensatzung der Beklagten hingewiesen hat. |
8. |
Gem. § 1 Abs. 1 LVwVfG Rh.-Pf. in Verbindung mit § 25 VwVfG besteht grundsätzlich nur eine verfahrensbezogene Hinweispflicht der Verwaltungsbehörden. Nach ihrem Sinn und Zweck soll diese mit der Betreuungs- und Fürsorgepflicht der Behörden korrespondierende Hinweispflicht nur der zweckentsprechenden Durchführung des Verfahrens dienen. Die Wahrnehmung der verfahrensbezogenen Hinweispflicht darf grundsätzlich nicht zur Rechtsberatung genutzt werden. Denn Rechtsberatung ist Aufgabe eines Rechtsanwalts, an den ein Verfahrensbeteiligter ggf. zu verweisen wäre. Nur ausnahmsweise sind nach § 25 S. 1 VwVfG auch Hinweise auf Rechtsfragen veranlasst, nämlich soweit sie im Hinblick auf eine zweckentsprechende Antragstellung oder eine Ergänzung des Vorbringens im Verwaltungsverfahren bezogen sind. |
9. |
Übernimmt die Verwaltungsbehörde eine Rechtsberatung außerhalb dieses vorgezeichneten Rahmens ihrer verfahrensbezogenen Hinweispflicht, überschreitet sie die Grenzen ihrer Hinweispflicht gem. § 1 Abs. 1 LVwVfG in Verbindung mit § 25 VwVfG. Wenn sie dies tut und auch eine Rechtsauskunft erteilt, die nicht mehr von ihrer Hinweispflicht gedeckt ist, entbindet sie dies aber nicht von ihrer Pflicht zur richtigen Auskunftserteilung. Denn hat sie eine Auskunfterteilung übernommen, muß die Auskunft -- wie der BGH zutreffend betont -- vollständig, richtig und unmissverständlich sein, so dass der Empfänger der Auskunft entsprechend disponieren kann (vgl. BGH NJW 1991, S. 3027 und BGH NJW 1990, S. 1042). |
10. |
Dabei ist auch unerheblich, wer als Amtsträger die Auskunft erteilt. Erteilt ein Nichtjurist in seiner Eigenschaft als Amtsträger eine Rechtsauskunft, muß diese Auskunft ebenfalls nach objektivem Maßstab vollständig, richtig und unmissverständlich sein. Denn die Ordnungsmäßigkeit der Wahrnehmung der Fürsorgepflicht darf für den Bürger nicht von der Personalpolitik der Verwaltung abhängen. Nicht entlasten kann den Leiter der Abteilung Abfallwirtschaft daher die etwaige Tatsache, dass er möglicherweise nicht Jurist ist und sich mit Kommunalabgaben nicht zu befassen hat, was der Beklagte aber nicht einmal behauptet. Denn gibt er Bürgern gegenüber Rechtsauskünfte, müssen diese richtig sein. Kennt er sich nicht aus oder ist er sich hinsichtlich der Beurteilung der Rechtslage unsicher, muß er seine Auskunft mit einem Vorbehalt versehen, damit der Bürger sich bewusst ist, dass er sich ggf. Rat bei einem zur Rechtsberatung berufenen Rechtsanwalt einholen muss. Da die Verwaltung dem Bürger gegenüber zur Fürsorge verpflichtet ist, sind insofern strenge Anforderungen zu stellen. |
11. |
Dass das saarl. OLG Saarbrücken (vgl. NVwZ-RR 1999, S. 159) es nicht als amtspflichtwidrige Auskunft angesehen hat, wenn ein Bediensteter einer Gemeinde dem Käufer eines Grundstücks auf dessen Anfrage ohne Überprüfung des Bebauungsplans auf Nichtigkeitsgründe mitgeteilt hat, dass das fragliche Grundstück im Geltungsbereich des sich später im Rahmen einer verwaltungsgerichtlichen Inzidenzkontrolle als nichtig herausstellenden Bebauungsplans liegt, steht nicht im Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob auch der Ansicht des OLG Saarbrücken zu folgen ist, wonach eine Amtspflichtverletzung auch nicht darin zu erblicken ist, dass der Bedienstete der beklagten Gemeinde den Bebauungsplan nicht im Zusammenhang mit der Auskunfterteilung auf Nichtigkeitsgründe überprüft hat. Ob sich dies -- wie es das OLG Saarbrücken getan hat -- mit dem Hinweis darauf verneinen läßt, dass eine Gemeinde keine Normverwerfungskompetenz hat, erscheint zweifelhaft, da eine Gemeinde ihre eigene Satzung kraft ihrer Satzungshoheit ausgehend vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit bei erkannter Rechtswidrigkeit aufheben bzw. korrigieren kann und muß. Darauf kommt es im vorliegenden Fall indes nicht an. Denn zwischen dem Bebauungsplan, der als Satzung beschlossen wird, und einer kommunalen Abfallgebührensatzung besteht hinsichtlich der Rechtsbeständigkeit ein erheblicher Unterschied. Während beim Bebauungsplan gem. § 215 a BauGB sogar Abwägungsmängel, soweit sie erheblich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß waren, dann heilbar sind, wenn diese im ergänzenden Verfahren behoben werden können, gilt für die sonstigen kommunalen Satzungen wie nach den Gemeindeordnungen der meisten Bundesländer auch nach der rheinland-pfälzischen Gemeindeordnung der Grundsatz der Nichtigkeit materiell rechtswidriger Rechtsnormen uneingeschränkt. Denn § 24 Abs. 6 GemO Rh.-Pf. sieht eine Heilungsmöglichkeit nur für Satzungen vor, die unter Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften zustandegekommen sind. Materielle Rechtsverstöße führen dagegen zur Nichtigkeit der Rechtsnorm. Daraus folgt, dass ein Beamter dann, wenn er eine Rechtsauskunft gibt und die Rechtsfolgen nicht aus einem Bebauungsplan sondern aus einer sonstigen kommunalen Satzung abzuleiten sind, zumindest dann nicht einfach unbesehen von der kommunalen Satzungsregelung ausgehen darf, wenn die Rechtsauskunft für den Auskunftssuchenden erkennbar von weitreichender Tragweite ist. Denn ist eine Satzung wegen eines materiellen Rechtsverstoßes nichtig, ist sie unwirksam und kann keine Rechtsfolgen mehr auslösen. Dass sich dadurch die Beurteilungsgrundlage für die Rechtsauskunft ändert, muß dem Beamten, der Rechtsauskunft erteilt, bekannt sein. |
12. |
3. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es hinsichtlich der Verschuldensfeststellung auf die Erkenntnismöglichkeit des pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten an. Dabei ist nicht maßgebend, welche Kenntnisse der Beamte tatsächlich besitzt, sondern welche zur Führung seines Amtes erforderlich sind (BGH VersR 1984, S. 849). Nach der Rechtsprechung des BGH ist Fahrlässigkeit in der Regel anzunehmen, wenn klare und unzweideutige Gesetze verletzt sind oder eine offenbar unrichtige Auslegung klarer Gesetze vorliegt (BGH WM 1963, S. 1104 und 809). Ähnlich streng ist auch der EuGH bezüglich der Kenntnisanforderungen hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts. Denn er hat bei Widersprüchen zwischen einer nationalen Textsammlung und geltendem Gemeinschaftsrecht sogar von dem betroffenen privaten Unternehmen die Kenntnis des Gemeinschaftsrechts verlangt (vgl. EuZW 1990, S. 511). |
13. |
Es begründet den Vorwurf der Fahrlässigkeit, dass der Leiter der Abteilung Abfallwirtschaft V trotz der für ihn erkennbaren Bedeutung und wirtschaftlichen Tragweite der Fragestellung für den Zeugen ... eine Rechtsauskunft erteilt hat, deren Unvollständigkeit und Unrichtigkeit er aufgrund seiner speziellen Sachkunde bei der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen müssen. Der Leiter der Abteilung Abfallwirtschaft V handelte nach Überzeugung des Senats schuldhaft, weil er erkennen mußte, dass es sich bei der von dem Zeugen ... gestellten Frage, wer Schuldner der Abfallgebühren für den Erdaushub ist, in erster Linie um eine Rechtsfrage handelte, da ihn der Zeuge ... auf die Bedeutung der Entscheidung für die Vertragsgestaltung mit dem Generalunternehmer hingewiesen hat. Diese Frage konnte er angesichts der erkennbaren Tragweite der Entscheidung für den Zeugen ... nicht einfach unter Hinweis auf die kommunale Abfallgebührensatzung richtig und vollständig beantworten. Aufgrund der Anfrage und der in diesem Zusammenhang mitgeteilten Beweggründe bestand für ihn Anlass zu einer eingehenderen Prüfung. Denn soweit er ohne Differenzierung Auskunft über den Gebührenschuldner gab, erteilte er über seine lediglich gegebene verfahrensmäßige Hinweispflicht hinaus eine Rechtsauskunft. Dabei ließ er durch seine undifferenzierte Auskunft "ganz klar, Gebührenschuldner ist der Anlieferer", die gebotene Sorgfalt bei der Auskunftserteilung außer Acht, weil er beim auskunftssuchenden Bürger keine Zweifel über den in der Satzung im offenkundigen Widerspruch zum damals geltenden Kommunalabgabengesetz bestimmten Gebührenschuldner aufkommen ließ. Dabei kann der Senat offen lassen, ob dem Zeugen V nicht sogar bekannt war, dass die Gebührensatzung eine vom KAG a.F. abweichende Regelung enthielt. Die von dem Zeugen ... glaubhaft wiedergegebene Erklärung, "es sei viel einfacher, den Anlieferer in Anspruch zu nehmen als sonst einem Dritten hinterherzulaufen", läßt diesen Schluss nicht fern erscheinen. |
14. |
Wenn er nach etwaiger eigener Einschätzung keine zuverlässige rechtliche Beurteilung abgeben konnte, hätte er den Zeugen ... -- wie es der Zeuge W richtig getan hat -- an einen sachkundigen Beamten oder aber einen Rechtsanwalt verweisen müssen. Zumindest hätte er seiner Auskunft einen Vorbehalt hinsichtlich der Reichweite des Umfangs der Auskunfterteilung anfügen müssen. Dies hat er nach der glaubhaften Aussage des Zeugen ... nicht getan. Im Gegenteil erklärte er: "Ganz klar, Gebührenschuldner ist der Anlieferer", so dass sich für den Zeugen ... Zweifel nicht mehr stellen konnten. |
15. |
Sollte er unter fahrlässiger Verkennung der Reichweite der Fragestellung keine Rechtsauskunft erteilt haben wollen, bestand das Verschulden nach dem festgestellten Sachverhalt nicht nur darin, dass er schuldhaft die Fragestellung nicht zutreffend erfasst hat, sondern vor allem darin, dass er nicht hinreichend deutlich darauf hingewiesen hat, dass er lediglich aus der Abfallgebührensatzung zitieren und die ihm gestellte Frage nicht abschließend beantworten wollte. |
16. |
Der Senat ist von der Wahrhaftigkeit der Aussagen des Zeugen ... überzeugt. Zum einen decken sich seine Bekundungen mit denen des Sachbearbeiters W, soweit sie den Sachverhalt wiedergeben, der beide Zeugen betrifft. Zum anderen hat der Zeuge erkennbar kein unmittelbares wirtschaftliches Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits, an dem er sich -- abgesehen von seiner Zeugenrolle -- nicht beteiligt hat. |
17. |
4. Die geschädigte Gesellschaft ist wegen der Amtspflichtverletzung so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn der Leiter der Abteilung Abfallwirtschaft sich pflichtgemäß verhalten hätte (vgl. BGH NJW-RR 1988, S. 1368). Dabei ist maßgebend, wie sich in diesem Falle die Vermögenslage entwickelt hätte. Hätte der zuständige Beamte eine zutreffende und vollständige Rechtsauskunft erteilt, hätten die Gesellschafter nicht an die Generalunternehmerin gezahlt, sondern hätten den Geldbetrag direkt an die Beklagte geleistet, so dass es zu keiner Doppelinanspruchnahme der Gesellschaft gekommen wäre. |
18. |
5. Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit war zu dem Zeitpunkt, als der Schaden durch die Inanspruchnahme der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Gebührenschuldner auf der Grundlage der neuen Satzung entstanden war, nicht gegeben, da die Fa. R GmbH als möglichem Anspruchsgegner zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zahlungsfähig war. Der Beklagte erließ am 25.04.1994 den auf die neue Satzung gestützten Gebührenbescheid gegen den Kläger und den Zeugen .... Ausweislich des zu den Akten gereichten Schlussberichts des Sequesters vom 02.03.1995, mit dessen Verwertung sich beide Parteien einverstanden erklärt haben, beliefen sich die Gesamtverbindlichkeiten der R GmbH nach Angaben des Handlungsbevollmächtigten auf ca. 10,5 Mio. DM. Der Sequester geht in seinem Schlussbericht davon aus, dass schon zu einem viel früheren Zeitpunkt Konkursreife bestanden haben müsse und äußerte den Verdacht einer massiven Konkursverschleppung. Die Buchführung der R GmbH war bis zum 24.05.1994 erstellt. Angesichts der desolaten Vermögenslage der R GmbH war dem Kläger zum Zeitpunkt der Doppelinanspruchnahme aufgrund des Gebührenbescheids durch die Beklagte die Verweisung auf die anderweitige Ersatzmöglichkeit nach Treu und Glauben nicht zuzumuten (vgl. dazu BGH WM 1963, S. 377). |
19. |
6. Ein Schadensersatzanspruch steht dem Kläger weder unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit der aufgehobenen (alten) Abfallgebührensatzung noch unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen amtspflichtwidrigen rückwirkenden Inkraftsetzung der neuen Abfallgebührensatzung zu. |
20. |
Die rechtswidrige (alte) Satzung löste keine Amtshaftung aus, da die Satzung nicht dem Schutz des einzelnen Grundstückseigentümers zu dienen bestimmt war, zumal dieser nach dem Regelungsgehalt der Satzung gar nicht als Gebührenschuldner erfasst war. |
21. |
Ob im vorliegenden Fall eine Amtspflichtverletzung durch die rückwirkende Inkraftsetzung der (neuen) Abfallgebührensatzung gegeben sein kann, kann letztlich dahinstehen. Denn der geltend gemachte Schaden ist der Gesellschaft nach den Feststellungen des Senats nicht dadurch, sondern durch die falsche Rechtsauskunft entstanden. |
22. |
Dass auch die rückwirkende Inkraftsetzung einer neuen Satzung ausnahmsweise denjenigen gegenüber eine Amtspflichtverletzung darstellen kann, die bereits im Vertrauen auf die alte rechtswidrige Satzung vermögensschädigende Dispositionen getroffen haben, soweit sie aufgrund der neuen Satzung nochmals belastet werden, ist nicht ausgeschlossen. Ist nämlich ein Vertrauenstatbestand geschaffen und hat derjenige, der sich auf berechtigtes Vertrauen stützen kann, bereits vermögensschädigende Dispositionen getroffen, darf ohne Rücksichtnahme auf die individuelle Lage der Betroffenen durch die Rückanknüpfung an in der Vergangenheit abgeschlossene Tatsachen kein Vermögensnachteil für die Betroffenen ausgelöst werden. Echte Rückwirkung ist nach dem Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich verboten; Ausnahmen gelten dann, wenn die Betroffenen nicht mit dem Fortbestand der Regelung rechnen konnten, z.B. weil die Rechtslage unklar und verworren war und deshalb eine Klärung durch Neuregelung zu erwarten war (BVerfGE 13, 261 (271 ff.); 30, 367 (388); 34, 142 (173 f.) und 88, 384 (404)). Wird eine Satzung ohne Rücksicht auf etwaige Härtefälle mit echter Rückwirkung versehen, kann eine Verletzung der Amtspflicht zu konsequentem Verhalten gegeben sein. Denn danach sind die Amtsträger, wozu auch die Mitglieder des Landkreistages gehören, gehalten, Schädigungen Dritter, die auf die Fortdauer eines einmal geschaffenen Tatbestands vertrauen, zu vermeiden (BGH WM 66, S. 801). Eine Änderung der rechtswidrigen Satzung war zwar schon wegen der Bindung an Gesetz und Recht geboten, jedoch mußten Schädigungen durch die Zulassung von Ausnahmen und Härtefallregelungen vermieden werden. |
23. |
Der Senat braucht jedoch -- wie bereits ausgeführt -- die Frage, ob die Mitglieder des Landkreistages ihre Amtspflichten verletzt haben, nicht zu entscheiden, da nach den Feststellungen des Senats für die Schadensentstehung nicht die rückwirkende Inkraftsetzung der Satzung, sondern die falsche Rechtsauskunft kausal war. Wäre dem Zeugen ... die korrekte Auskunft erteilt worden, wonach gemäß der geltenden Gesetzeslage (§ 27 KAG a.F.) die Gesellschaft als Grundstückseigentümer zahlungspflichtig war oder wäre er richtigerweise auf die Diskrepanz zwischen Satzung und Gesetz hingewiesen worden, hätte er den entsprechenden Betrag nicht an die Generalunternehmerin, die kurze Zeit später in Konkurs gegangen ist, gezahlt. Die Gesellschafter hätten sich vielmehr auf die rückwirkende Korrektur der fehlerhaften Satzung einstellen müssen und hätten sich folglich nicht auf einen Vertrauenstatbestand stützen können. |
24. |
7. Ein konkurrierender Schadensersatzanspruch wegen enteignungsgleichen Eingriffs scheidet ebenfalls aus, weil die Unmittelbarkeit des Eingriffs zu den Anspruchsvoraussetzungen zählt, der Schaden sich jedoch erst mittelbar nach der streitgegenständlichen Auskunft und infolge der vertraglichen Disposition des Klägers verwirklicht hat. |
25. |
Zur Höhe des Anspruchs ist der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif, vielmehr bedarf es hierzu noch der Aufklärung. Gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist die Sache daher zur Entscheidung über die Höhe des Schadensbetrags an das Landgericht zurückverwiesen. Der Kläger hat nämlich zur Höhe des Schadens allein auf den hälftigen Betrag abgestellt, der aufgrund des auf die neue Satzung gestützten Gebührenbescheids gezahlt wurde. Das waren nach dem unstreitigen Vorbringen des Klägers 112.295,00 DM. Jedoch kann der Kläger nicht das als Schaden beanspruchen, was er aufgrund der neuen Satzung gezahlt hat, sondern nur das, was aufgrund der fehlerhaften Auskunft und im Vertrauen darauf im Verhältnis zur R GmbH, der Generalunternehmerin, in die gemeinsame Gesamtkalkulation als Deponiegebühren eingeflossen und im Rahmen der Vergütung bezahlt worden ist. Dabei sind auch die Deponiegebühren zu berücksichtigen, die aufgrund der Zusatzvereinbarung vom 31.03.1992 wegen des vor Ort vorgefundenen Mehraushubs, der auf die Deponie verbracht werden mußte, in den unstreitig gezahlten 114.000,00 DM enthalten waren. Hierzu bedarf es noch ergänzenden Vortrags des Klägers. |
26. |
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens ist dem Landgericht vorbehalten. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO; er ist auch bei zurückverweisenden Entscheidungen etwa im Hinblick auf § 775 ZPO nicht entbehrlich (vgl. BGH JZ 1977, 232, 233; OLG Karlsruhe JZ 1984, 635). |
27. |
Den Wert der Beschwer beider Parteien hat der Senat gem. § 546 Abs. 2 ZPO festgesetzt. |