Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 11.11.1997
- 19 B 2436/97
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 (weitere Fundstellen: NJW 1998, 1240 f.)

 

 

Tatbestand

1

Die Ast. begehrte einstweiligen Rechtsschutz gegen die Unterrichtung ihrer Kinder nach der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, die die Ag. aufgrund des Runderlasses des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 2. 7. 1996 schon vor Beginn des Schuljahres 1997/98 eingeführt hat. In dem Runderlaß heißt es:

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"Die am 1.7.1996 in Wien unterzeichnete Absichtserklärung schafft die Voraussetzung für eine Neuregelung der Rechtschreibung im gesamten deutschen Sprachraum. Die Neuregelung ist die erste systematische Bearbeitung des gegenwärtig gültigen Regelwerks von 1901/02 und verfolgt das Ziel, die Grundregeln zu stärken, Ausnahmen abzubauen und Widersprüche zu beseitigen. Dadurch werden die deutschen Rechtschreibregeln übersichtlicher und für Lernende ein wenig leichter. Für die Einführung der Neuregelung an den Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen gilt folgendes:

1. Die Neuregelung tritt am 1.8. 1998 für alle Klassen und Jahrgangsstufen in Kraft.

. . .

4.1. Schulen können die Neuregelung nach einem entsprechenden Beschluß der Schulkonferenz schon vor dem 1. 8. 1998 dem Unterricht zugrunde legen. Eine vorgezogene Einführung empfiehlt sich wegen des geringen Änderungsumfangs und zur Vermeidung von Umlernprozessen insbesondere in der Primarstufe und dort vor allem in den Einschulungsjahrgängen.

4.2. Vom 2. Halbjahr des Schuljahres 1996/97 an werden mit der Neuregelung eingeführte Schreibweisen generell nicht mehr als Fehler angestrichen und gewertet.

4.3. Bis zum Ende des Schuljahres 2004/2005 werden bisherige Schreibweisen in den Fächern nicht als Fehler gewertet, sondern als überholt gekennzeichnet und bei Korrekturen durch die neuen Schreibweisen ergänzt."

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Am 1. 10. 1996 beschloß die Schulkonferenz der Ag. – einer Grundschule – einstimmig, „die Umsetzung der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung vorzuziehen. Ab sofort soll in allen Klassen nach den neuen Regeln gelehrt werden". Auf Antrag der Ast., deren Kinder im Schuljahr 1997/98 die Klassen 1 bzw. 3 dieser Grundschule besuchen und der das alleinige Sorgerecht zusteht, hat das VG eine einstweilige Anordnung mit dem Inhalt erlassen, daß der Ag. vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in einem noch durchzuführenden Klageverfahren, längstens bis zum Ende des Schuljahres 1997/98, untersagt wird, die Töchter der Ast. nach der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zu unterrichten. Zur Begründung hat das VG ausgeführt, daß der Schulkonferenz nach dem Schulmitwirkungsgesetz vom 13. 12. 1977 – NWSchulMG –‚ zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. 6. 1994 (GSNW S. 223) weder Entscheidungs- noch Beratungskompetenz bei der Einführung neuer Rechtschreibregeln zustehe.

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Die Beschwerde der Ag. wurde vom OVG zugelassen und hatte Erfolg.

 

Aus den Gründen:

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Ein Anspruch der Ast. auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 I VwGO besteht nicht.

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Es spricht zwar viel dafür, daß nach der für die Beurteilung der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen maßgeblichen Gesetzesregelung in § 1 III Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen vom 8. 4. 1952 – NWSchulOG –‚ zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. 5. 1994 (GSNW S.223) i. V. mit § 7 I der Verordnung über den Bildungsgang in der Grundschule – NWAO-GS – i. d. F. der Bekanntmachung vom 14. 11. 1996 (GSNW S.223) derzeit eine Unterrichtung der Schüler in den bisher gebräuchlichen Rechtschreibregeln weiterhin geboten und eine Unterrichtung in den neuen Rechtschreibregeln lediglich zusätzlich – gleichzeitig oder zeitlich versetzt – zulässig ist. Die Ast. hat aber nicht glaubhaft gemacht, daß die deshalb mögliche Rechtsverletzung schwerwiegend ist und ein dauerhaftes Ausbildungsdefizit ihrer Töchter nur durch den Erlaß einer einstweiligen Anordnung vermieden werden kann. Sie hat deshalb keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Jm einzelnen gilt folgendes:

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1. Das VG hat den Antrag der Ast. in zeitlicher Hinsicht einschränkend dahin verstanden, sie begehre nur, der Ag. im Wege der einstweiligen Anordnung „längstens bis zum Ende des Schuljahres 1997/98" zu untersagen, die Töchter der Ast. nach der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung zu unterrichten. Dieser Auslegung hat die Ast. nicht widersprochen, sondern sie im Schriftsatz vom 26. 10. 1997 ausdrücklich bestätigt.

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2. Die Rechtswidrigkeit eines Unterrichts nur nach den neuen Rechtschreibregeln im laufenden Schuljahr folgt entgegen der Auffassung des VG nicht bereits daraus, daß die Entscheidung über die vorzeitige Einführung der neuen Rechtschreibregeln von einem unzuständigen Organ der Ag. getroffen worden wäre. Das VG sowie die Ag. und das beigel. Land gehen zu Recht übereinstimmend davon aus, daß sich aus § 5 II NWSchulMG, in dem die Entscheidungskompetenz der Schulkonferenz enumerativ aufgeführt sind, keine Zuständigkeit der Schulkonferenz zur Entscheidung über die Einführung der neuen Rechtschreibregeln ergibt. Dementsprechend besteht auch Einigkeit darüber, daß die Entscheidung vom Schulleiter zu treffen ist, der gem. § 20 II und III des Schulverwaltungsgesetzes vom 18. 1. 1985 – NWSchulVerwG –‚ zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. 4. 1995 (GSNW S. 223) die Schule leitet, die Verantwortung für die Durchführung der Bildungs- und Erziehungsarbeit trägt und nur im Rahmen der sich aus § 5 NWSchulMG ergebenden Zuständigkeit der Schulkonferenz an deren Beschlüsse gebunden ist. …

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Unabhängig davon, daß die Entscheidung der Schulleiterin jederzeit und damit auch im Gerichtsverfahren noch hätte getroffen werden können, haben die Ag. und das beigel. Land ausführlich dargelegt, daß die Schulleiterin die Einführung der neuen Rechtschreibregeln betrieben und nach der Befassung der Schulkonferenz mit dieser Frage endgültig beschlossen hat. …

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Gleichwohl bestehen erhebliche Bedenken dagegen, daß der derzeit von der Ag. erteilte Rechtschreibunterricht mit höherrangigem Recht in Einklang steht. Die diesbezügliche Rechtslage wird in Nordrhein-Westfalen durch § 1 III NWSchulOG bestimmt. Danach hat die Schule in Nordrhein-Westfalen unter anderem die Aufgabe, die Jugend in lebendiger Beziehung zu der wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit zu bilden und ihr das für Leben und Arbeit erforderliche Wissen und Können zu vermitteln. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine verbindliche Richtlinie des Gesetzgebers für Lehrerschaft, Schulaufsicht und Schulverwaltung (vgl. Begr. des RegE zum ersten Abschnitt eines Gesetzes zur Ordnung des Schulwesens im Lande NW, LT-Dr, zweite Wahlperiode, Bd. I Nr. 190).

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Sie wird durch die Verordnung über den Bildungsgang in der Grundschule – NWAO-GS – i. d. F. der Bekanntmachung vom 14. 11. 1996 (GSNW S. 223) konkretisiert, nach dessen § 7 I der Unterricht in der Grundschule u. a. das Fach Sprache in Wort und Schrift umfaßt. Der Unterricht in diesem Fach erstreckt sich auf Sprachgebrauch, Lesen und Rechtschreiben (vgl. Anl. zu Nr. 10.1 der Verwaltungsvorschriften zur NWAO-GS). Davon geht auch das zuständige Ministerium aus. In seinem Runderlaß vom 19. 7.1991 über die Förderung von Schülerinnen und Schülern bei besonderen Schwierigkeiten im Erlernen des Lesens und Rechtschreibens (NWGABl 1, 174) heißt es:

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„Der Beherrschung der Schriftsprache kommt für die sprachliche Verständigung, für den Erwerb von Wissen und Bildung, für den Zugang zum Beruf und für das Berufsleben besondere Bedeutung zu. Das Lesen und Schreiben zu lehren gehört daher zu den wesentlichen Aufgaben der Grundschule. In diesen Bereichen müssen alle Kinder tragfähige Grundlagen für das weitere Lernen erwerben."

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Zu dem danach erforderlichen Wissen für Leben und Arbeit gehört jedenfalls die Kenntnis der richtigen oder „gültigen" Schreibweise, gegebenenfalls Schreibweisen, der deutschen Sprache. Richtig oder gültig ist bzw. sind die Schreibweise(n), die in der Gesellschaft akzeptiert oder verbreitet ist bzw. sind. Rechtschreibung ist nämlich primär nicht Ergebnis staatlicher Setzung, sondern gesellschaftlicher Konvention. Schreibweisen entwickeln sich historisch und werden in der Regel nicht – jedenfalls nicht mit sicherer Erfolgsaussicht – zu einem bestimmten Zeitpunkt von oben her systematisch geregelt. Auch soweit der Staat die Aufgabe hat, die Schüler die richtige Schreibung der deutschen Sprache zu lehren, bedarf es dazu zwar einer staatlichen Normierung für den Schulunterricht, denn Lehren und Lernen richtigen Schreibens sind auf Normierungen angewiesen, diese Normierung hat aber sowohl vom Charakter der Rechtschreibregeln als Ergebnis gesellschaftlicher Konvention als auch vom gesetzlichen Bildungsziel der Schule her Nachvollzug gesellschaftlicher Konvention, nicht eine hiervon abgesetzte oder diese erst formenwollende Setzung zu sein (vgl. Löwer, RdJB 1997, 226; OVG Hamburg, Beschl. v. 16. 10. 1997 – Bs III 71/97; OVG Lüneburg, NJW 1997, 3456 = NVwZ 1998,92 L).

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Diesen Anforderungen an den Rechtschreibunterricht dürfte eine Unterrichtung allein in der neuen Schreibung nicht entsprechen. Zur Zeit ist in der Gesellschaft nämlich die alte Schreibweise nahezu ausschließlich verbreitet. Die für den Schulgebrauch bestimmten bereits auf die neue Schreibung umgestellten Bücher der Schulbuchverlage sind für die in der Gesellschaft derzeit noch verbreitete Schreibweise nicht repräsentativ. Die alte Schreibweise wird, auch wenn ab dem 1. 8. 1998 die neue Schreibung von allen Schulen eingeführt werden sollte, noch auf Jahrzehnte verbreitet bleiben. Sollte sich die neue Schreibung nach und nach durchsetzen, werden auf viele Jahre hin alte und neue Orthographie nebeneinander Gültigkeit haben (vgl. Duden, Information zur neuen deutschen Rechtschreibung, 1994, S. 46). Dies ist auch die Auffassung des Vorsitzenden der zwischenstaatlichen Kommission für die Rechtschreibung, Augst (FAZ v. 13. 9. 1997, S. 7).

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Die alte und die neue Rechtschreibung würden, so wird er wiedergegeben, noch einige Jahrzehnte nebeneinander bestehen. Zahlreiche Angehörige der Generationen, die – vom Jugendlichen und Heranwachsenden bis zum älteren Menschen – in der bisherigen Schreibweise unterwiesen worden sind, werden diese aller Voraussicht nach über Jahre hin – der eine mehr, der andere weniger – beibehalten. Wer die alte Rechtschreibung beibehält, schreibt daher auch nach dem 1. 8. 1998 nicht falsch oder „überholt" – so aber der Runderlaß des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 2. 7. 1996 —‚ sondern traditionell oder überkommen (vgl. BVerfG, NJW 1996, 2221).

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Will die Schule ihrem gesetzlichen Auftrag aus § 1 III NWSchulOG gerecht werden, so wird sie deshalb in den nächsten Jahren auch in der alten Schreibweise unterrichten müssen, solange die Beherrschung der alten Rechtschreibung für Leben und Arbeit erforderlich ist.

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Das bedeutet nicht, daß die Bildungszielbestimmung des § 1 III NWSchulOG einer Unterrichtung zusätzlich auch in der neuen Schreibweise unter den hier gegebenen Umständen entgegensteht. Auch wenn die Normierung von Rechtschreibregeln für die Schule prinzipiell nur Nachvollzug vorgefundener Schreibung sein darf und die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung jedenfalls in Teilen darüber hinausgeht, ist es der Schule, die insbesondere die künftige Bewährung der Schüler in Leben und Arbeit im Blick hat, nicht versagt, zusätzlich auch eine solche Schreibung zu unterrichten, die sich voraussichtlich – zunächst neben der überkommenen Schreibweise, später vielleicht an deren Stelle – gesellschaftlich durchsetzen wird. Einer weiteren gesetzlichen Grundlage bedarf es unter dieser Voraussetzung – Unterrichtung einer sich wahrscheinlich jedenfalls in Teilen der Gesellschaft durchsetzenden Schreibung – nicht. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Auch wenn die alte Schreibweise noch auf Jahre hin verbreitet bleiben wird, ist davon auszugehen, jedenfalls nicht auszuschließen, daß – zunächst nur daneben – auch die neue Schreibweise – mehr oder weniger – Verbreitung finden wird.

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So haben sich etwa nach einer Mitteilung der dpa vom 5. 12. 1996 an die Bezieher des dpa-Basisdienstes die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen entschlossen, die Rechtschreibreform zum 1. 8. 1998 zu übernehmen. Nach derselben Mitteilung haben sich bei einer Befragung unter den deutschsprachigen Printmedien 73% der Teilnehmer für eine Übernahme der neuen Rechtschreibregeln ab 1. 8. 1998 in einem Schritt, weitere 23% für eine schrittweise Übernahme und nur 3,6% gegen eine Übernahme ausgesprochen. Hinsichtlich der Übernahme der neuen Regeln zur Zeichensetzung behalten sich die Nachrichtenagenturen ausweislich dieser Mitteilung vor, die Neuregelung nur soweit zu übernehmen, daß es nicht zu sinnentstellenden Zuordnungen kommt.

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Es wird also für einen zeitlich nicht knapp zu bemessenden Zeitraum voraussichtlich zu einem Nebeneinander verschiedener Schreibweisen kommen (Duden, Information zur neuen deutschen Rechtschreibung, S. 46; Augst, FAZ v. 13. 9. 1997, S. 7).

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Es ist daher sinnvoll und widerspricht nicht dem in § 1 III NWSchulOG normierten gesetzlichen Auftrag der Schule, wenn sie ihre Schüler und Schülerinnen nicht nur in der alten Schreibweise, sondern daneben auch schon in der neuen Schreibweise unterrichtet. Je nach dem Maß der Durchsetzung der neuen Schreibweise im Arbeits- und sonstigen gesellschaftlichen Leben kann es zu einem jetzt noch nicht bestimmbaren Zeitpunkt dazu kommen, daß in der neuen Schreibweise sogar unterrichtet werden muß und auch nur noch unterrichtet zu werden braucht.

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Die Entscheidung darüber, in welcher Art und Weise bei einer Entscheidung der Schule für die Unterrichtung beider Schreibweisen die Unterweisung in alter und neuer Schreibweise am besten, d.h. mit möglichst großem Lernerfolg realisiert wird, ist nicht von den Gerichten, sondern von den zur Beantwortung dieser Frage berufenen Pädagogen in Schule und Schulaufsicht zu treffen. Die zu lösende Aufgabe ist ungewöhnlich und wird wohl auch als problematisch angesehen werden (vgl. Duden, Information zur neuen deutschen Rechtschreibung, S. 46). Unmögliches dürfte den Schulen damit aber nicht aufgegeben sein (vgl. Duden, Informationen zur neuen deutschen Rechtschreibung, S. 46). Die Kultusminister betonen nämlich immer wieder, das Änderungsvolumen sei äußerst gering. Nur 0,8% des Wortschatzes seien betroffen. Von den 12000 Eintragungen im Wörterverzeichnis des Regelwerks änderten sich nur 185 Wörter (vgl. Informationen zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRep. Dtschld., Stand: 28. 8. 1997, S. 8). Vielleicht bietet gerade das Ungewöhnliche der Situation die Chance, ein aufgeschlossenes Verhältnis zur Rechtschreibung zu gewinnen und eine Überbewertung orthographischer Fehler abzubauen (vgl. Duden, Informationen zur neuen deutschen Rechtschreibung, S. 46).

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Um die Entscheidung, ob und in welcher Weise neben der alten auch die neue Schreibweise unterrichtet wird, in Übereinstimmung mit den Vorgaben des § 1 III NWSchulOG treffen zu können, wird die Schule die Entwicklung der Akzeptanz der neuen Rechtschreibregeln zu beobachten und den Unterricht darauf einzustellen haben. Dabei spricht angesichts der anhaltenden Diskussion über eine Überarbeitung des neuen Regelwerks und über einen Stopp der Reform durch Bundestag oder Landesparlamente sowie angesichts der in einigen Bundesländern angestrengten, auf einen Volksentscheid gerichteten Verfahren viel dafür, daß es derzeit geboten ist, zunächst mit Schwerpunkt die alte Schreibweise zu unterrichten, um das Risiko, bei einem Scheitern der Rechtschreibreform das erforderliche Wissen nicht erlernt zu haben, für die Schüler möglichst gering zu halten.

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Nach allem spricht viel für die Rechtswidrigkeit einer Unterrichtung der Schüler allein in der neuen Schreibweise. Eine rechtswidrige Unterrichtung würde auch Rechte der Ast. verletzen.

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Neben dem in Art. 7 I GG festgelegten staatlichen Erziehungsauftrag steht das in Art. 6 III GG und Art. 8 I NWVerf. geschützte Elternrecht, nach dem das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihres Kindes zu bestimmen, die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens bildet. Gegenüber der Weimarer Reichsverfassung hat das Grundgesetz innerhalb des Gesamtbereichs „Erziehung" das individualrechtliche Moment verstärkt und den Eltern, auch soweit sich die Erziehung in der Schule vollzieht, größeren Einfluß eingeräumt. Andererseits ist der Staat in der Schule nicht auf das ihm durch Art. 6 II 2 GG zugewiesene Wächteramt beschränkt. Der staatliche Erziehungsauftrag in der Schule, von dem Art. 7 I GG ausgeht, ist in seinem Bereich dem elterlichen Erziehungsrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Diese gemeinsame Erziehungsaufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der einen Persönlichkeit des Kindes zum Ziel hat, läßt sich nicht in einzelne Kompetenzen zerlegen. Sie ist in einem sinnvoll aufeinander bezogenen Zusammenwirken zu erfüllen. Die staatliche Schulaufsicht umfaßt jedenfalls die Befugnis des Staates zur Planung und Organisation des Schulwesens. Hierzu gehört nicht nur die organisatorische Gliederung der Schule, sondern auch die Festlegung der Unterrichtsinhalte und Ausbildungsgänge. Auch dabei muß der Staat die Verantwortung der Eltern für den Gesamtplan der Erziehung ihrer Kinder achten und für die Vielfalt der Anschauungen in Erziehungsfragen soweit offen sein, als es sich mit einem geordneten staatlichen Schulsystem verträgt (vgl. BVerfGE 34, 165 [183] = NJW 1973, 133).

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Daraus ergibt sich für die Eltern auch in dem Bereich, in dem das staatliche Erziehungsrecht Vorrang hat, nicht nur ein Recht auf umfassende Informationen (vgl. BVerfGE 47, 46 [76] = NJW 1978, 807); auch eine Unterrichtung ihrer Kinder, die den gesetzlich festgelegten Bildungszielen des Landes widerspricht, muß von den Eltern nicht hingenommen werden.

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3. Auch wenn danach viel dafür spricht – letztlich kann die Entscheidung dem Hauptverfahren vorbehalten bleiben –, daß die Ast. einen Anordnungsanspruch auf Unterlassung des Rechtschreibunterrichts in der gegenüber ihren Kindern derzeit praktizierten Form glaubhaft gemacht hat, fehlt es hier jedoch für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung an einem Anordnungsgrund, der von seinem Gewicht her die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen könnte. Dafür ist zunächst maßgeblich, daß die Kinder der Ast. im Unterricht tatsächlich auch mit der alten Schreibweise in Berührung kommen. Die Ag. hat im Schriftsatz vom 12. 9. 1997 und auf Nachfrage des Senats ergänzend mitgeteilt, daß aus finanziellen Gründen für den Rechtschreibunterricht in der 1. Klasse Fibeln und Arbeitshefte und in der 3. Klasse Lesebücher und Sprachbücher ausgegeben worden seien, die nach der alten Rechtschreibung verfaßt seien. Durch die Neuregelung bedingte Änderungen würden durch Ausgaben zusätzlicher Arbeitsblätter in den Unterricht eingeführt. In der 3. Klasse würden die Schüler zum Teil auch angehalten, die Änderungen stattdessen in die Bücher einzutragen. Schon deshalb wird den Kindern zwangsläufig auch die alte Schreibung zur Kenntnis gebracht. Außerdem wird sich der Rechtschreibunterricht an der Schule auch deshalb mit der alten Rechtschreibweise befassen müssen, weil die Schüler außerhalb der Schule mit den alten Rechtschreibregeln konfrontiert werden und dadurch ein Erläuterungsbedarf entsteht.

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Von besonderem Gewicht ist hier, daß sich der vom VG durch Auslegung bestimmte und von der Ast. akzeptierte Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens auf den Zeitraum bis zur Beendigung des laufenden Schuljahres beschränkt. Hinsichtlich des in diesem Zeitraum anstehenden Rechtschreibunterrichts hat die Ag. von der Ast. unwidersprochen dargelegt, daß die Tochter N der Ast. in die Klasse 1 d eingeschult worden sei und sich noch ganz am Anfang des Schreibleselehrgangs befinde, der erst Ende des zweiten Schuljahres ganz abgeschlossen sein werde. Nur ganz wenige Wörter seien von der neuen Rechtschreibregelung betroffen. Im ersten Schuljahr seien dies lediglich einzelne Wörter, deren Einführung im Unterricht etwa für März 1998 vorgesehen sei. Die Tochter A der Ast., die die Klasse 3 a besuche, habe bereits im vergangenen, zweiten Schuljahr – und zwar von der Ast. lange Zeit unwidersprochen – mit dem Erlernen einzelner Wörter nach der neuen Rechtschreibung begonnen. Dieser Wortschatz werde im 3. Schuljahr gefestigt und lediglich geringfügig erweitert.