Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 14. Januar 1994
- 7 A 2002/92
-

 (weitere Fundstellen: NVwZ-RR 1995, 187 ff. )

 

Leitsätze:

1.

Zur Zulässigkeit einer Leistungsklage, mit der die Verurteilung des Schulträgers zur Beseitigung einer Schulturnhalle begehrt wird.

2.

Zur Frage, wann bei Einhaltung der landesrechtlichen Abstandsregelungen eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme vorliegen kann.

3.

Zum Anspruch auf teilweisen Abbruch einer in offener Bauweise errichteten Schulturnhalle, deren Abstandfläche mit einer Tiefe von bis zu 0,68m auf dem Nachbargrundstück liegt.

4.

Eine Unterschreitung der in § 6 NWBauO vorgeschriebenen Maße für die notwendigen Abstandflächen löst regelmäßig einen Abwehranspruch des Nachbarn aus.

5.

Lediglich in Fällen, in denen es dem Bauherrn möglich ist, durch geringfügige Veränderungen das Vorhaben so abzuwandeln, daß es mit § 6 NWBauO in Einklang steht und deshalb vom Nachbarn hingenommen werden muß, ohne daß hierdurch ein faktisch wahrnehmbarer Vorteil für den Nachbarn entsteht, kann das Beseitigungsverlangen rechtsmißbräuchlich sein.

6.

Die Höhe der Kosten zur Beseitigung der aus der Verletzung des § 6 NWBauO resultierenden Nachbarbeeinträchtigung ist regelmäßig kein sachgerechter Gesichtspunkt, der zugunsten eines rechtswidrig errichteten Gebäudes streitet (im Anschluß an OVG Münster, NJW 1984, 883 = BauR 1984, 160 = BRS 40 Nr. 191).

7.

Ein Nachbar ist nicht verpflichtet, seine Abwehrrechte gegenüber einem Vorhaben nicht nur mit Widerspruch und Klage, sondern auch mit einem Antrag nach §§ 80, 123 VwGO geltend zu machen. Wird ein Vorhaben in Kenntnis des Widerspruchs des Nachbarn errichtet, kann der Bauherr deshalb dem Beseitigungsverlangen nicht entgegensetzen, der Nachbar hätte mit einem Antrag auf Regelung der Vollziehung die Stillegung des Vorhabens erreichen und ihn deshalb vor den mit dem (Teil-)Abriß verbundenen Kosten schützen können.

 

Tatbestand:

1.

Die Kl. sind Eigentümer des Grundstücks R.-Straße 55. Sie verlangten von der Bekl. den Abbruch bzw. den Teilabbruch der auf dem im Norden benachbarten Schulgelände errichteten Turnhalle. Auf Antrag der Bekl. zu 1 erteilte der Bekl. zu 2 mit Zustimmung des Regierungspräsidenten am 24. 11. 1988 die Baugenehmigung zur Errichtung der Turnhalle, die nach den von der Bekl. zu 1 zuletzt vorgelegten Bauvorlagen an der dem Grundstück der Kl. nächstgelegenen Stelle einen Abstand von ca. 8,60m einhalten sollte. Gegen diese Baugenehmigung legten die Kl. Widerspruch ein, den der Oberkreisdirektor als unbegründet zurückwies. Die hiergegen gerichtete Klage wies das VG ab. Auf die Berufung der Kl. hob der Senat mit Urteil vom 17. 7. 1991 in dem Verfahren 7 A 1572/89 die angefochtene Baugenehmigung auf. In der Begründung des rechtskräftigen Urteils heißt es u.a.: Das Vorhaben der Bekl. zu 1 mit einem Abstand von 8,60m bis 11 m zum südlich angrenzenden Grundstück der Kl. halte im südwestlichen Bereich die erforderliche Abstandsfläche von 9,25m nicht ein.

2.

Am 18. 7. 1991 forderten die Kl. die Bekl. auf, die inzwischen errichtete Turnhalle bis zum 31. 8. 1991 zu beseitigen. Die nach fruchtlosem Ablauf der Frist erhobenen Klage auf Verurteilung der Bekl. zum Abbruch der Turnhalle, hilfsweise auf Verpflichtung der Bekl., die Turnhalle so weit abzutragen, daß zum Grundstück der Kl. die gem. § 6 NWBauO einzuhaltenden Abstandflächen gewahrt werden, hatte in der Berufungsinstanz mit dem Hilfsantrag Erfolg.

 

Aus den Gründen:

3.

Die Berufung ist begründet, soweit die Kl. von der Bekl. zu 1 die teilweise Beseitigung der auf dem Grundstück R.-Straße 57 bis 59 errichteten Turnhalle verlangen. Insoweit steht den Kl. ein gegen die Bekl. unmittelbar durchsetzbarer Abwehranspruch zu. Für diesen in Form einer Leistungsklage geltend gemachten Anspruch ist der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 I VwGO eröffnet, da es sich um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit handelt.

4.

Die Kl. wenden sich gegen Beeinträchtigungen ihres Grundeigentums, die nach ihrer Rechtsqualität dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind. Denn es geht um Beeinträchtigungen, deren Grundlage die Errichtung einer öffentlichen Zwecken gewidmeten kommunalen Einrichtung (vgl. § 18 I NWGO) ist (OVG Münster, BRS 49 Nr. 204). Zu solchen öffentlichen Einrichtungen gehören z.B. auch Gymnasien und zu ihnen gehörende Turnhallen, die von der Bekl. im Rahmen ihrer in § 10 II 2 NWSchulVerwG verankerten Verpflichtung vorgehalten werden, Gymnasien zu errichten und fortzuführen, wenn ein Bedürfnis hierfür besteht. Die Schulturnhalle gehört zu einem Gymnasium; die von dem Bau und der Nutzung dieser Halle ausgehende Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks beruht somit auf hoheitlicher Betätigung der Staatsgewalt, weswegen ein Abwehranspruch gegen diese Beeinträchtigung auf dem Verwaltungsrechtsweg geltend zu machen ist.

5.

Die somit zulässige Klage ist nur zum Teil begründet. Die Kl. können nicht die Beseitigung der gesamten Turnhalle verlangen, sondern haben lediglich einen Anspruch darauf, daß die Bekl. die Turnhalle in der in der Entscheidungsformel dargelegten Weise baulich verändert. Dieser Anspruch ergibt sich aus dem für Fälle der vorliegenden Art entwickelten (allgemeinen) öffentlichrechtlichen Abwehr-, Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch (vgl. BVerwG, NJW 1974, 817 und BVerwGE 88, 143; OVG Münster, Urt. v. 30. 3. 1989 - 7 A 1976/86 m. w. Nachw., und BRS 49 Nr. 204). Er beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 1004 BGB und setzt voraus, daß der Bürger durch schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln in seinen geschützten Rechtsgütern rechtswidrig beeinträchtigt wird und zur Duldung dieser Beeinträchtigungen nicht verpflichtet ist, und richtet sich gegen den für die Beeinträchtigung verantwortlichen Hoheitsträger.

6.

Die Voraussetzungen dieses Beseitigungsanspruchs liegen für den von den Kl. verlangten Abriß der ganzen Halle nicht vor.

7.

Der Beseitigungsanspruch gegen die Halle im ganzen kann nur daraus hergeleitet werden, daß das Vorhaben nicht nur wegen einer Verletzung der in § 6 NWBauO enthaltenen Regelungen in bezug auf die die zulässigen Abstände nicht wahrenden Teile des Baukörpers, sondern wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme insgesamt unzulässig ist. Eine Verletzung dieses Gebotes liegt dann und insoweit hinsichtlich der Kriterien, die Regelungsziel der Abstandflächenvorschriften im Landesrecht sind, also in bezug auf die Auswirkungen auf Licht- und Luftzufuhr, Sonneneinstrahlung, Vermeidung einer erdrückenden Wirkung des benachbarten Baukörpers sowie der Wahrung eines ausreichenden Sozialabstandes, nicht vor, wenn die Anforderungen des Abstandsrechts gewahrt sind (vgl. OVG Münster, Urt. v. 4. 2. 1993 - 7 A 1261/86; BVerwG, NVwZ 1987, 128 ).

8.

Eine Situation, die im Einzelfall die Annahme rechtfertigen könnte, die landesrechtlichen Abstandsregelungen und die ihnen zugrundeliegenden Zumutbarkeitskriterien hätten für den vorliegenden Fall keine Aussagekraft, ist nicht gegeben. Zwar kann ein die landesrechtlichen Abstandsregelungen wahrender, außergewöhnlich breiter Baukörper auf das Nachbargrundstück wie ein bedrückender, in Bodennähe auch erdrückend wirkender Riegel wirken und deshalb für die Bewohner des benachbarten Grundstücks ein Gefühl des “Eingemauertseins” vermitteln. Dieser abriegelnde Effekt, der in der Rechtsprechung als Voraussetzung für die Annahme einer von einem Baukörper in unzumutbarer Weise ausgehenden erdrückenden Wirkung genannt wird, ist hier aber nicht gegeben, so daß die Aussagekraft der landesrechtlichen Regelungen für das Vorliegen eines Rücksichtnahmeverstoßes insoweit nicht in Frage gestellt ist. Das Erscheinungsbild der Turnhalle löst hier keine erdrückende Wirkung auf das Gebäude der Kl. und auf die sich nach Westen anschließenden Gartenbereiche ihres Grundstücks aus, weil die Breite der südlichen Seitenwand der Turnhalle mit 20,92m nicht außergewöhnlich ist und diese Wand - wie auch die Ortsbesichtigung gezeigt hat - aufgrund ihrer baulichen Struktur keine erdrückende Wirkung entfaltet. Das an den Außenwänden aus hellen Materialien hergestellte Gebäude steht teilweise auf Stelzen. Diese Konstruktion trägt ebenso wie die darüber zur Gliederung der Wand vorgenommene Aufteilung der Wandoberfläche in zwei Hälften beidseits der die Halle tragenden Stelzen zur Auflockerung des Baukörpers bei und bewirkt damit, daß die Halle nicht als monotoner Klotz gegenüber den benachbarten Bereichen erscheint.

9.

Den Kl. steht jedoch gegenüber der Bekl. in entsprechender Anwendung von § 1004 BGB ein Anspruch auf Beseitigung der Turnhalle insoweit zu, als diese aufgrund ihrer Höhe und Lage auf dem Schulgrundstück nicht über nach § 6 NWBauO ausreichende Abstandsflächen zum Grundstück der Kl. verfügt. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 17. 7. 1991 festgestellt hat, hält die Turnhalle nach den von der Bekl. zur Genehmigung eingereichten Bauzeichnungen zur Grundstücksgrenze der Kl. nicht die nach § 6 NWBauO erforderliche Abstandsfläche ein. Nach dieser Regelung ist bei Zugrundelegung der zur Überprüfung durch die Bauaufsichtsbehörde vorgelegten Bauzeichnungen vor dem Wandabschnitt, der die südliche Außenwand des eigentlichen Turnhallengebäudes darstellt und dessen Höhe in der seinerzeit mit der Baugenehmigung genehmigten Schnittzeichnung oberhalb des Terrassenplateaus mit 10,72m angegeben wird, eine Abstandsfläche von mindestens 9,25m freizuhalten. Vor dem westlichen Teil dieser Wand hält die Turnhalle zum Grundstück der Kl. jedoch nur einen Grenzabstand von - wie die Bekl. selbst einräumt - 8,45m ein. Diese Unterschreitung der notwendigen Abstandsflächen führt - wie der Senat weiterhin festgestellt hat - zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Kl. in ihrer Grundstücksposition.

10.

Dem Anspruch der Kl. steht auch nicht entgegen, daß die Unterschreitung der Abstandsfläche - wie die Bekl. meinen - relativ geringfügig ist.

11.

Unterschreitungen der nach § 6 NWBauO zu errechnenden Abstandsflächen lösen regelmäßig nachbarliche Abwehransprüche aus. Der Landesgesetzgeber hat in § 6 NWBauO für die Frage, welche Mindestabstände zur Grundstücksgrenze bei Gebäuden zu wahren sind, in Abkehr von den Regelungen in der Landesbauordnung i.d.F. in der Bekanntmachung vom 27. 1. 1970 (GVNRW S. 96) und der Abstandsflächenverordnung vom 20. 3. 1970 (GVNRW S. 249) feste und durch Messung überprüfbare Maße bestimmt. Dies erfolgte in dem Bewußtsein, daß ein in Grenznähe stehender Baukörper zwar immer, also auch wenn die in § 6 NWBauO verlangte Abstandsfläche gewahrt wird, eine Beeinträchtigung der Nachbarn zur Folge haben wird, daß dem Nachbarn aber im Hinblick auf sein Betroffensein nur dann Abwehrrechte eingeräumt werden sollen, wenn die in § 6 NWBauO verlangten Abstandsmaße unterschritten werden. Bei dieser Regelung unterstellt der Gesetzgeber somit nicht, daß eine Beeinträchtigung des Nachbarn bei einem die Abstandsflächenregelungen nicht vollständig ausnutzenden Bauwerk völlig fehlt und erst dann abrupt einsetzt, wenn die Abstandswerte unterschritten werden. Es wurde lediglich gesetzlich verankert, daß das Heranrücken eines Bauwerks und die damit verbundene Beeinträchtigung des Nachbarn erst dann rechtlich mit der Folge des Entstehens eines nachbarlichen Abwehranspruchs relevant wird, wenn die gesetzlich festgelegten Abstandswerte unterschritten werden.

12.

Für den vorliegenden Fall besagt dies, daß die tatsächliche Beeinträchtigung der Kl. bei einer minimalen Unterschreitung der einzuhaltenden Abstandsmaße nicht etwa gegen Null tendiert und erst dann ernstzunehmende Dimensionen annimmt, wenn auch die Unterschreitung der Abstandsfläche in deutlich sichtbaren Größenordnungen erfolgt. Sie ist vielmehr als Beeinträchtigung in der gegebenen Situation unbeschadet des exakten Vor- und Zurückspringens vor oder hinter das entscheidende Abstandsmaß in annähernd gleicher Größenordnung vorhanden, wird jedoch erst rechtlich “verwertbar”, wenn das Abstandsmaß unterschritten wird. Das bedeutet, daß einer nicht bedeutsamen Unterschreitung der Abstandswerte nicht mit dem Argument begegnet werden kann, diese sei vom Nachbarn hinzunehmen, weil sie nicht ohne weiteres quantitativ festzulegen und deshalb de facto nicht beeinträchtigend sei.

13.

Auch aus einem anderen Gesichtspunkt kann nicht davon ausgegangen werden, daß bei einer minimalen Unterschreitung der rechnerisch notwendigen Tiefe der Abstandsflächen die damit verbundene Beeinträchtigung des benachbarten Grundstücks im Vergleich zu dem Falle eines die Regelungen in § 6 NWBauO respektierenden Gebäude nicht spürbar sei. Bei einem fehlenden Nachweis der gesamten Abstandsfläche auf dem Baugrundstück kann nämlich der von der Unterschreitung der Abstandsfläche betroffene Nachbar fortan nicht mehr sein eigenes Grundstück baulich in den ihm bis zur Realisierung des Bauvorhabens gegebenen Möglichkeiten ausnutzen. Liegt ein Teil der Abstandsflächen eines Gebäudes auf dem Nachbargrundstück, ohne daß, was die Einwilligung des benachbarten Grundstückseigentümers voraussetzt, die Übernahme der Abstandfläche auf dieses Grundstück öffentlichrechtlich gesichert wäre, hat der Nachbar aufgrund der Regelung in § 6 II NWBauO, nach der Abstandsflächen sich nicht überdecken dürfen, nicht mehr die Gelegenheit, diesem Gebäude gegenüber ein eigenes Gebäude auf seinem Flurstück so grenznah wie möglich, d.h., günstigstenfalls in einem Abstand von 3m zur Grenze zu errichten. Er wäre aufgrund des von ihm nicht genehmigten Verhaltens des Bauherren gehalten, die teilweise auf seiner Parzelle liegende Abstandsfläche des Nachbargebäudes zu respektieren und selbst mit seinem eigenen Vorhaben einen größeren Abstand zur Grenze einzuhalten als dies ohne den (rechtswidrigen) Bau auf der benachbarten Parzelle erforderlich wäre.

14.

Da die nach § 6 NWBauO einzuhaltenden Abstandsflächen nicht gewahrt werden, kann der davon betroffene Nachbar verlangen, daß die von dem Vorhaben ausgehenden, das vom Gesetzgeber als zumutbar bewertete Maß überschreitenden Beeinträchtigungen beseitigt werden.

15.

Ein dem Beseitigungsverlangen entgegenstehender Rechtsmißbrauch ist hier nicht anzunehmen. Dies mögen die Fälle sein, in denen die Abstandsfläche nur um wenige Millimeter verkürzt ist, in denen es dem Bauherrn also möglich ist, durch geringfügige Veränderungen das Vorhaben so abzuwandeln, daß es vom Nachbarn hingenommen werden muß, ohne daß hierdurch ein faktisch wahrnehmbarer Vorteil für den Nachbarn entsteht. Bei einer solchen Situation kann für den Nachbarn aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis die Pflicht zur Duldung eines Baukörpers erwachsen, weshalb in einem so gelagerten Fall eine Bauaufsichtsbehörde möglicherweise ermessensfehlerfrei von dem Erlaß einer Abrißanordnung absehen kann (vgl. dazu OVG Lüneburg, BRS 40 Nr. 226 und BRS 48 Nr. 191; VGH München, BRS 48 Nrn. 174, 175; Sarnighausen, NJW 1993, 1623 (1625)). Ein solcher Fall ist jedoch nicht gegeben, wenn wie im vorliegenden Fall die Abstandsflächen um 0,68m zu kurz bemessen ist und damit sowohl hinsichtlich der Höhe bzw. des Abstandes des Baukörpers von der Grenze als auch hinsichtlich der Bebaubarkeit der Grundstücksfläche für das Grundstück der Kl. deutliche Nachteile zu erkennen sind.

16.

Die Unterschreitung der Abstandsfläche führt hier zu einer Einschränkung der Belichtung und Belüftung des Grundstücks der Kl., das im Bereich südlich der Turnhalle gärtnerisch genutzt wird. Dabei wird durch das Heranrücken des Gebäudes der Bekl. an die Grenze nicht nur die in § 6 NWBauO geschützte Möglichkeit beschränkt, diesen Bereich mit Pflanzen zu gestalten, sondern auch den Kl. die Chance genommen, das Grundstück dadurch in seiner vollen Breite baulich auszunutzen, daß sie ein Gebäude so grenznah wie zulässig errichten.

17.

Dem Anspruch steht auch nicht entgegen, daß die Beseitigung der Beeinträchtigung mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden ist. Die Höhe der zur Beseitigung der Nachbarbeeinträchtigungen erforderlichen Aufwendungen ist in der Regel nämlich kein sachgerechter Gesichtspunkt, der zugunsten eines rechtswidrig errichteten Gebäudes streitet (OVG Münster, NJW 1984, 883 = BauR 1984, 160 = BRS 40 Nr. 191). Der Aufwand, der der Bekl. durch das von den Kl. geäußerte Beseitigungsverlangen entsteht, ist durch den Rechtsverstoß und die Notwendigkeit seiner Beseitigung bestimmt. Er ist deshalb grundsätzlich vom rechtswidrig Handelnden zu tragen. Hier kommt hinzu, daß diese das Gebäude in Kenntnis des Widerspruchs der Kl. errichtet hat. Insoweit handelte sie bewußt auf eigenes Risiko und muß deshalb auch für Kosten aufkommen, die mit der Herstellung gesetzmäßiger Zustände verbunden sind.

18.

Daß die Kl. im Zeitraum der Errichtung des Gebäudes von einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung oder einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs abgesehen haben, kann die Bekl. ebenfalls nicht zu ihren Gunsten geltend machen. Die VwGO räumt mit der Möglichkeit, solche Anträge zu stellen, dem von einer Maßnahme Betroffenen das Recht ein, vorläufig, d.h. bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren, sich gegen rechtswidrige Maßnahmen zu wehren. Dieses Recht kann ein Nachbar wahrnehmen; eine gesetzliche Pflicht zur Antragstellung besteht jedoch nicht.

19.

Auch aufgrund des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses waren die Kl. nicht verpflichtet, über die Einlegung des Widerspruchs und die Klageerhebung hinaus durch Anträge nach §§ 80, 123 VwGO die Bauherrin davon abzuhalten, einen rechtswidrigen Bau ins Werk zu setzen. Es genügt nämlich zur Wahrung der nachbarlichen Abwehrrechte, wenn der von einer Baugenehmigung betroffene Nachbar nach Bekanntgabe der Bauerlaubnis durch Widerspruch und Klage seinen Abwehranspruch geltend macht. In diesem Fall weiß die Bauherrin, daß sich ihr Nachbar gegen ihr Vorhaben zur Wehr setzt und daß die Aufnahme der Bauarbeiten vor dem rechtskräftigen Entscheid über den Widerspruch bei einem für sie negativen Ausgang des Widerspruchsverfahrens zur Konsequenz haben kann, daß sie auf eigene Kosten einen dem materiellen Baurecht entsprechenden Zustand des Gebäudes herzustellen hat.

20.

Waren die Kl. somit nicht verpflichtet, einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung oder auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruches zu stellen, kann ihrem Beseitigungsanspruch jetzt auch nicht entgegengehalten werden, daß sie bei der Entstehung des Schadens für die Bekl. mitgewirkt hätten oder für die Höhe des Schadens mitverantwortlich wären.

21.

Dem Anspruch steht letztlich auch nicht entgegen, daß die Bauherrin die Möglichkeit hat, auf das Gebäude ein Satteldach aufzubauen und die Turnhalle in ihrem Volumen in einer Weise zu erweitern, bei der das Gebäude nach dem Umbau den Anforderungen in § 6 NWBauO genügt. Entscheidend ist, daß sie eine solche Möglichkeit bislang nicht wahrgenommen hat und daß das Gebäude in seiner derzeitigen Form § 6 NWBauO widerspricht.

22.

Die Kl. sind auch nicht nach § 1004 II BGB verpflichtet, die rechtswidrige Beeinträchtigung zu dulden. Eine solche Duldungspflicht liegt vor, wenn eine Beeinträchtigung nicht rechtswidrig ist oder wenn gesetzliche Duldungspflichten oder auf Rechtsgeschäft beruhende Duldungspflichten bestehen (vgl. Medicus, in: MünchKomm, 2. Aufl. (1986), § 1004 Rdnrn. 51ff.; Staudinger/Gursky, BGB, 12. Aufl. (1989), § 1004 Rdnrn. 123ff.). Für eine solche Pflicht zur Duldung der rechtswidrigen Beeinträchtigung sind hier aber keine Anzeichen ersichtlich.