Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 26.01.1960
- VII A 1187/57 –

(weitere Fundstellen: DVBl. 1960, 603)

 

Leitsatz:

 

Eine sog. Nachbarklage im öff. Recht ist, auch wenn ein notwendiger Dispens von einer nachbarschützenden Bestimmung rechtswidrig erteilt worden oder sein Ausspruch sogar nichtig ist, nur dann begründet, wenn der Nachbar durch diesen Dispens bzw. durch sich hierauf beziehende Baugenehmigung beeinträchtigt wird, und wenn diese Beeinträchtigung – soweit sich aus dem Wortlaut der dispensierten Bestimmung nichts anderes ergibt – unzumutbar ist.

 

Aus den Gründen:

1.

Auch wenn zu Unrecht ein Dispens von einer nachbarschützenden Bestimmung gewährt wird, ist die Klage eines Nachbarn nicht schon deshalb regelmäßig begründet, hinzukommen muss noch, dass er durch diesen unrechtmäßigen Dispens auch erkennbar beeinträchtigt ist. Der Senat hat dieses in dem Bescheid vom 8.10.1957 (DVBl. 1958, 68) sowie in einem nicht veröffentlichten Beschluss vom 22.10.1957 – VII B 1068/57 – ausgesprochen. Bei den diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Sachverhalten handelte es sich aber um Dispense von einer Bestimmung über die Ausnutzbarkeit von Grundstücken (§7 A Ziff. 30 BauO), in welcher ausdrücklich angeführt ist, dass gewisse bauliche Anlagen nur dann zulässig sind, wenn sie der Nachbarschaft keine unzumutbaren Gefahren, Nachteile oder Belästigungen mit sich bringen. Ein solcher Hinweis auf eine notwendige Beeinträchtigung fehlt aber bei den Bestimmungen über den Bauwich, wie überhaupt dort die Nachbarschaft nicht erwähnt wird.

2.

Der Senat hat auch die den Bauwich betreffenden Bestimmungen für nachbarschützend anerkannt, weil aus deren deutlich erkennbarem Sinn hervorgeht, dass hierbei neben vorwiegend feuerschutztechnischen Gründen auch nachbarschützende Erwägungen berücksichtigt werden sollten. Dieser Schutz kann aber in seiner Wirkung nicht stärker sein als der bei den Bestimmungen, die ihrem Sinn und Wortlaut nach nur dem Schutze der Nachbarschaft dienen sollen. Bei diesen ist deutlich ausgedrückt, dass entweder grundsätzlich vor allen störenden Einflüssen der Nachbar geschützt werden soll (z.B. §7 A Ziff. 19 BauO), oder erst dann, wenn die störenden Einflüsse auch unzumutbar sind (z.B. §7 A Ziff. 30 BauO). Hiermit ist aufgezeigt, dass im Baurecht dem Begehren des Nachbarn dort Grenzen gesetzt sind, wo er beim Abweichen von nachbarschützenden Normen nicht oder noch zumutbar betroffen wird. Dieser Grundsatz ist auf die Bestimmungen zu übertragen, die nicht nach dem Wortlaut (nur), sondern nach dem Sinn (auch) nachbarschützend sind, und bedeutet, dass hier erst recht die weiteren Voraussetzungen vorliegen müssen, wenn ein Nachbarschutz wirksam werden soll. Es ergibt sich somit, dass auch hier die Nachbarn nur vor unzumutbaren Beeinträchtigungen geschützt werden.

3.

Im vorl. Fall werden dadurch, dass das strittige Gebäude statt 3m Abstand nur in 1,85m (im Obergeschoss 1,37m) Entfernung entlang der Grundstücksgrenze verläuft, die Kl. nicht erkennbar beeinträchtigt.