Oberverwaltungsgericht des Saarlandes
Urteil vom 9.2.1990
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2 R 306/97 -

 (weitere Fundstellen: BRS 50 Nr. 147)

 

Leitsätze:

1.

Naturbelassene Grundstücksflächen sind keine Anlagen im Sinne der LBO (BauO SL).

2.

Eine die Haltung einer Vielzahl von Hähnen bedingende Hühnerzucht ist im allgemeinen Wohngebiet unzulässig.

 

Zum Sachverhalt:

1.

Der Kl. beantragt, den dem beigel. Grundstücksnachbarn von der bekl. Bauaufsichstbehörde erteilten Befreiungsbescheid für den Neubau eines Hühnerstalls aufzuheben und den Bekl. zu verpflichten, die Züchtung von Geflügel sowie eine den Eigenbedarf überschreitende Geflügelhaltung auf dem Nachbargrundstück zu untersagen.

 

Aus den Gründen:

2.

Die Berufung ist nach § 124 VwGO zulässig. Insbesondere ist der Beigeladene durch den von ihm angegriffenen Verpflichtungsausspruch des erstinstanzlichen Urteils materiell beschwert (siehe zu diesem Erfordernis für ein Beigeladenenrechtsmittel etwa Kopp, VwGO, 8. Aufl. 1989, Rdnr. 46 vor § 124), denn gegen ihn soll sich das dem Beklagten aufgegebene Verbot der Hühnerzucht und der Haltung von mehr als 10 Hühnern und einem Hahn auf den Parzellen Nr. ... und ... der Flur ... der Gemarkung ... richten.

3.

Begründet ist die Berufung des Beigeladenen, soweit sie sich gegen die Erstreckung des dem Beklagten zur Pflicht gemachten Nutzungsverbotes auf die Parzelle Nr. ... den nicht vom neuen Hühnerhof eingenommenen Teil der Parzelle Nr. ... und die nicht der Zucht dienende Hühnerhaltung richtet. In diesem Umfang würde die Untersagungsverfügung, die als Gegenstand der erhobenen Verpflichtungsklage nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu beurteilen ist, nämlich Rechte des Beigeladenen verletzen.

4.

Für eine Nutzungsuntersagung hinsichtlich derjenigen Flächen des Anwesens des Beigeladenen, auf denen Einrichtungen zur Hühnerhaltung weder vorhanden noch erkennbar vorgesehen sind, fehlt es an einer rechtlichen Grundlage. Der nunmehr einschlägige § 77 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 LBO 1988 dehnt zwar die nach dem vormaligen § 104 Abs. 1 Satz 2 LBO 1974 nur für die Benutzung baulicher Anlagen gegeben gewesene Untersagungsmöglichkeit auf andere Anlagen und Einrichtungen aus. Ein Grundstück an sich taugt für die räumliche Anknüpfung eines bauaufsichtlichen Nutzungsverbotes damit aber weiterhin nicht. Dem gewöhnlichen Sprachgebrauch mag es eher widerstreben, Grundstücke den Anlagen zuzurechnen. Wie die in § 3 Abs. 5 Nr. 3 BImSchG enthaltene Definition in bestimmter Weise genutzter Grundstücke als Anlagen beispielhaft zeigt, liefert die rein grammatische Auslegung hier indessen in keiner Richtung ein eindeutiges Ergebnis. Im systematischen Zusammenhang ist dagegen § 1 Abs. 1 LBO 1988 aussagekräftig. Nach dessen Satz 1 gilt das Gesetz für alle baulichen Anlagen, nach seinem folgenden Satz "auch für Grundstücke sowie für andere Anlagen und Einrichtungen", an die es selbst oder auf ihm beruhende Vorschriften Anforderungen stellen. Zwar steht der Begriff "Grundstücke" hier im wörtlichen Zusammenhang mit den anderen Anlagen und Einrichtungen. Dies ist aber erkennbar nicht der Sinnzusammenhang. Wäre nämlich "andere Anlagen und Einrichtungen" als Ergänzung zu "Grundstücke" zu verstehen, womit diese selbst zu Anlagen würden, so wären die an erster Stelle genannten baulichen Anlagen ein zweites Mal, und zwar nunmehr als andere Anlagen (außer Grundstücken), erfaßt. Das nötigt zu dem Verständnis, daß die anderen Anlagen und Einrichtungen wie in der Aufzählung des § 77 Abs. 1 LBO 1988 eine Ergänzung zu den baulichen Anlagen darstellen. Damit treten die Grundstücke als nicht zu den Anlagen und Einrichtungen zählende eigene Kategorie hinzu (siehe auch Bork/Köster, LBO NRW, 2. Aufl. 1988, wo in den Anmerkungen Nrn. 2 und 3 zu dem gleichlautenden § 1 Abs. 1 LBO NRW Grundstücke einerseits und nichtbauliche Anlagen und Einrichtungen andererseits unterschieden werden). Belege dafür ergeben sich letztlich auch aus § 3 Abs. 1 LBO 1988, dessen Gebot, bauliche Anlagen sowie andere Anlagen und Einrichtungen in bestimmter Weise anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instandzusetzen, für Grundstücke schwerlich passen würde, und aus § 6 Abs. 8 LBO 1988, der voraussetzt, daß von anderen Anlagen und Einrichtungen Wirkungen wie von oberirdischen Gebäuden ausgehen können.

5.

Für die nach Angaben des Beigeladenen selbständig im Grundbuch eingetragene schmale Parzelle Nr. ... scheidet damit ein Nutzungsverbot insgesamt aus. Selbst wenn sie mit der Hausparzelle Nr. ... im bauordnungsrechtlichen Sinn ein Grundstück bilden sollte (für die Geltung des Buchgrundstücksbegriffs im Rahmen der Landesbauordnung 1988 vgl. das Urteil des 1. Senats des Gerichts vom 18.11.1989 -- 1 R 139/87 --), schlägt jedenfalls durch, daß sich für die Hühner bestimmte Vorrichtungen nur auf dieser befinden.

6.

Zugleich folgt daraus, daß die Parzelle Nr. ... nicht insgesamt Gegenstand einer Untersagungsverfügung nach § 77 Abs. 2 LBO 1988 sein kann. Mit Ausnahme ihres von den letztgenannten Vorrichtungen -- einem Hühnerstall und einem daran anschließenden umzäunten Auslauf -- bedeckten Teils handelt es sich dabei ebenfalls um eine "schlichte" Grundstücksfläche, hinsichtlich deren keine baubehördliche Einschreitungsbefugnis nach jener Bestimmung besteht.

7.

Der aus Stall und Pferch bestehende Hühnerhof hingegen erfüllt den Begriff der baulichen Anlage im Sinne des § 2 Abs. 1 LBO 1988. Darunter versteht das Gesetz alle ortsfesten Einrichtungen, die durch eine als Bauen zu wertende Tätigkeit unter Verwendung von Baustoffen und Bauteilen künstlich geschaffen worden sind (vgl. Simon, BayBO, Art. 2 Rdnrn. 2 ff. m.w.N.). Die Nutzung des Hühnerhofs kann damit Gegenstand einer Verbotsverfügung nach § 77 Abs. 2 LBO 1988 sein.

8.

Im übrigen steht die Rechtmäßigkeit einer solchen Eingriffsmaßnahme voraus, daß die betreffende Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften benutzt wird. Für eine Untersagung hinsichtlich der Hühnerhaltung fehlt ein solcher Anlaß schon deswegen, weil eine solche Nutzung der Anlage objektiv nicht zur Rede steht. Unstreitig dient die Beschäftigung des Beigeladenen mit Hühnern bislang gerade der Zucht und nicht der Haltung einer mehr oder weniger großen Hühnerschar. Das ganzjährige Vorhandensein von Hennen und ausgewachsenen Hähnen hat seinen Zweck in der Erzeugung von Küken mit dem Ziel, Hähne eines bestimmten Farbschlages zu gewinnen.

9.

Ein völliges oder teilweises Verbot der Hühnerhaltung rechtfertigt sich auch nicht aus einer begründeten Erwartung, der Beigeladene werde in absehbarer Zeit auf diese Nutzung übergehen. Sollte es der Sinn und Zweck des § 77 Abs. 2 LBO 1988 erlauben, über seinen auf eine bereits realisierte Nutzung abstellenden Wortlaut hinaus auch gegen eine erst künftige vorzugehen, so doch allenfalls unter der Voraussetzung, daß für diese konkrete, schlüssige Anhaltspunkte gegeben sind (vgl. Simon, aaO, Art. 82 Rdnr. 26 a, und BayVGH, Urteil vom 25.7.1976, BayVBl. 1976, 402). Für eine Absicht des Beigeladenen, im Falle des Zuchtverbots Hühner zu sonstigen Zwecken etwa zur Selbstversorgung mit Eiern zu halten, fehlt es an Hinweisen. Im Gegenteil hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unwidersprochen erklärt, an einer Hühnerhaltung ohne Zucht sei er nicht interessiert. Daher würde die Einschränkung einer Geflügelhaltung im Hühnerhof ebenso wie eine Nutzungsuntersagung bezüglich der nicht einschlägig verwendeten Teile seines Anwesens den Anspruch des Beigeladenen verletzen, von objektiv nicht veranlaßten und deswegen rechtswidrigen Verbotsverfügungen verschont zu bleiben.

10.

Während das angefochtene Urteil also insoweit abzuändern ist, bleibt der mit der Berufung hauptsächlich geführte Angriff gegen die Verpflichtung des Beklagten zur Untersagung der Geflügelzucht auf dem Hühnerhof des Beigeladenen ohne Erfolg. Diese Benutzung verstößt gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften und rechtfertigt aufgrund dessen ein Verbot nach § 77 Abs. 2 LBO 1988.

11.

Ob die Nutzung wegen Verstoßes gegen eine Genehmigungs- oder Anzeigepflicht formell illegal ist, was in der Regel bereits für eine Verbotsverfügung genügt (so zu § 104 Abs. 1 Satz 2 LBO 1974 grundlegend das Urteil des Senats vom 9.3.1984 -- 2 R 175/82 --, BauR 1984, 616 = NVwZ 1985, 122 = AS 19, 25), kann dahinstehen. Die -- nicht durch eine Baugenehmigung gedeckte -- Zucht von Hühnern ist in der betreffenden Örtlichkeit jedenfalls materiell baurechtswidrig. Das ergibt sich aus der Ausweisung der Fläche als Teil eines allgemeinen Wohngebietes durch den Bebauungsplan "Am B.", Teil II, der Stadt ... aus dem Jahre 1972 in Verbindung mit den §§ 1 Abs. 3, 4 und 14 BauNVO in der zur Zeit seines Erlasses geltenden Fassung der Änderungsverordnung vom 26.11.1968 (BGBl. I, S. 1233). Da zu seiner Nichtigkeit führende Mängel des Bebauungsplans nicht ersichtlich sind, ist er samt der durch § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO zu seinem Inhalt gewordenen §§ 4 und 14 BauNVO 1968 der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Hühnerzucht des Beigeladenen zugrunde zu legen. Nach § 4 Abs. 1 BauNVO 1968 dienen allgemeine Wohngebiete vorwiegend dem Wohnen. Für die Kleintierhaltung erwähnt § 4 BauNVO 1968 in seinem Absatz 2 keine allgemein zulässigen Vorhaben und unter den nach Absatz 3 ausnahmsweise zulässigen Vorhaben nur Ställe als Zubehör zu hier nicht zur Rede stehenden Kleinsiedlungen und landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen. Zulässig sind aber aufgrund des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1968 allgemein auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und seiner Eigenart nicht widersprechen. Dazu gehören Nebenanlagen und Einrichtungen für die Kleintierhaltung, wie § 14 Abs. 1 Satz 2 BauNVO 1977 nunmehr klarstellend (so auch Fickert/Fieseler, BauNVO, 5. Aufl. 1985, § 14 Rdnr. 2) ausdrücklich bestimmt.

12.

Die Hühnerzucht des Beigeladenen dient jedoch nicht dem Wohnen als dem ausgewiesenen Nutzungszweck seines Hausanwesens und widerspricht der Eigenart des Baugebietes. Die vom Gesetz geforderte dienende Funktion der Nebenanlage ist nur gegeben, wenn diese dem primären Nutzungszweck des Grundstücks zu- und untergeordnet ist (so BVerwG, Urteil vom 17.12.1976 -- IV C 6.75 --, BRS 30 Nr. 117 = DÖV 1977, 326, und Urteil vom 18.2.1983 -- IV C 18.81 --, NJW 1983, 2713 = DVBl. 1983, 886). So kann eine der Freizeitgestaltung dienende Kleintierhaltung Ausfluß des Wohnens sei, wenn sie sich nach Art und Umfang im Rahmen des in Wohngebieten Üblichen hält (vgl. Fickert/Fieseler, aaO, § 4 Rdnr. 16). In diesem Sinne läßt sich vertreten, daß die Haltung einiger Hühner, sei es mit oder ohne Hahn, noch dem Wohnen zurechenbar ist (siehe dazu Gelzer, Bauplanungsrecht, 4. Aufl. 1984, Rdnrn. 608 und 582: "vielleicht wenige Hühner ohne Hahn", sowie Fickert/Fieseler, aaO: hobbymäßige Haltung von Rassegeflügel). Dagegen erweist sich die vom Beigeladenen betriebene Hühnerzucht eindeutig nicht als Bestandteil des Wohnens. Sie gewinnt durch die Vielzahl der dazu nötigen Tiere und deren Lautäußerungen ein solches Eigengewicht, daß sie sich dem Wohnen nicht mehr unterordnet, sondern als eigenständige Grundstücksnutzung danebentritt. Ganzjährig macht sich neben den weniger durchdringenden Geräuschen der Hennen das Krähen der mehreren für die Zucht benötigten Hähne bemerkbar. Vom Sommer bis in den Herbst ergibt sich zudem eine Massierung der Tiere und ihrer Geräusche durch die vom Beigeladenen zur Verwirklichung seines Zuchtziels für unerläßlich angesehene jährliche Nachzucht von etwa 50 Tieren. Die mit etwa 12 Wochen beginnende Geschlechtsreife führt allgemein zu oft erbitterten Rangordnungskämpfen der jungen Hennen und Hähne (Peitz, Hühner halten, 1985, S. 48 und 64) und bei letzteren außerdem zur Nachahmung von Kampflauten erwachsener Tiere sowie zu Krähversuchen, die zunächst mehr ein Krächzen sind (Stern, Geflügel, 1987, S. 14). Auch wenn die Junghähne des Beigeladenen vor dem Wegschaffen vom Grundstück noch nicht richtig sollten krähen können, ergibt sich also namentlich in dieser Zeit eine vielstimmige Geräuschkulisse. Neben der Verselbständigung der Hühnerzucht gegenüber der Wohnnutzung tritt damit insgesamt gesehen auch eine mit dem Gebietscharakter unvereinbare Störung der Wohnruhe der von den Geräuschen nicht wirksam abgeschirmten Nachbarschaft.

13.

Ob die damit bauplanungsrechtlich unstatthafte Nutzung zudem gegen das in § 43 Abs. 1 LBO 1988 enthaltene bauordnungsrechtliche Gebot verstößt, Ställe so anzuordnen, zu errichten und zu unterhalten, daß die Umgebung nicht unzumutbar belästigt wird, kann offenbleiben, und Ermessensgründe, trotz der materiellen Baurechtswidrigkeit von einem Verbot der Nutzung abzusehen, liegen nicht vor.

14.

Ebenso wie demnach der gegen die Anordnung des Verbots der Zucht auf dem Hühnerhof gerichtete Teil der Berufung des Beigeladenen bleibt die Berufung des Klägers erfolglos. Abgesehen von Bedenken gegen ihre Zulässigkeit ist sie jedenfalls unbegründet, da der Beigeladene, wie bereits ausgeführt, zur Untersagung einer Hühnerhaltung keinen Anlaß gegeben hat.

15.

Die Entscheidung über die auf den abgetrennten Streit über die Nutzung der städtischen Parzelle Nr. ... entfallenden erst- und zweitinstanzlichen Kosten ist dem Verfahren 2 R 16/90 vorbehalten. Dem auf den §§ 155 Abs. 1, 154 Abs. 3 VwGO beruhenden Ausspruch über die Kosten des hier entschiedenen Verfahrens liegt die Bewertung des Obsiegens des Klägers mit zwei Dritteln des betreffenden erst- und zweitinstanzlichen Streitgegenstandes zugrunde. Dessen Schwerpunkt ist die Nutzung des neuen Hühnerhofs des Beigeladenen zur Geflügelzucht. Diesem zugunsten des Klägers entschiedenen Punkt stehen die Ausdehnung der Untersagung auf das restliche Hausanwesen sowie das Verlangen zweitinstanzlich eines vollständigen und erstinstanzlich eines eingeschränkten Haltungsverbots, dort ergänzt um die rechtskräftig abgewiesene Anfechtung des für den Kläger wenig bedeutsamen Befreiungsbescheides, gegenüber. Diese gegen den Kläger entschiedenen Streitpunkte rechtfertigen in beiden Instanzen die Bewertung mit einem Drittel des hier zugrunde zu legenden Streitgegenstandes.