Verwaltungsgericht Dresden
Beschluss vom 28.01.2003
- 14 K
2777/02 -

 (weitere Fundstellen: NVwZ-RR 2003, 848 ff.)

 

Leitsätze:

1.

Die Gefahr einer Menschenwürdeverletzung ist nur dann gegeben, wenn aktuell ein Verhalten droht, durch das die Subjektqualität eines Menschen prinzipiell in Frage gestellt wird oder in dem im konkreten Fall eine willkürliche Missachtung der menschlichen Würde liegt. Für eine Verschiebung der Schutzschwelle von dem konkret drohenden Eingriff zum Bestehen eines Gefahrenpotenzials gibt es keine Rechtfertigung. Bietet das fragliche Verhalten nur Anlass zur Sorge, dass es späteren entwürdigenden Behandlungen von Menschen Vorschub leisten kann oder sich die allgemeinen Wertvorstellungen oder das Verhalten in der Gesellschaft nachteilig ändern, liegt keine Verletzung der Menschenwürde vor.

2.

Ein "spielerischer Tabubruch" ist an der grundgesetzlichen Werteordnung zu messen, wenn durch das Spiel eine schlechthin geächtete Emotion erzeugt werden soll oder wenn der Spielende die Grenze zwischen "Spielwelt" und "Alltagswelt" übertritt (hier verneint).

3.

Ein gesellschaftlicher Wertekonsens gegen die spielerische Simulation von Tötungs- und Verletzungshandlungen ist weder empirisch belegt, noch lässt die öffentliche Bewertung anderer Spiele mit ähnlichen Spielinhalten einen Rückschluss auf das Bestehen einer solchen allgemein herrschenden Auffassung zu.

 

Sachverhalt:

1.

Die Ast. begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Ordnungsverfügung, mit der ihr untersagt wurde, in ihren Räumlichkeiten Paintball-Spiele zu gestatten. Die Ast. betreibt eine Freizeit- und Sporthalle in B. auf einem ehemaligen Industriegelände. Mit der Anlage zum Bauantrag wies die Ast. darauf hin, dass in der Freizeit- und Sporthalle die Ausübung der Sportarten Speedball, Paintball und Sub-Air erfolgen solle. Hierbei handelt es sich nach dem Liga Regelwerk "Deutsches Paintball" u.a. des Deutschen Paintball Verbandes um Mannschaftsspiele, die zwischen jeweils zwei Mannschaften ausgetragen werden. Die Spieler sind mit Gasdruckpistolen - so genannten Markierern - ausgerüstet. Als Munition dienen mit Farbflüssigkeit gefüllte Gelatinekugeln (paintball). Die Spielhandlung besteht in Kampf der Mannschaften um eine bzw. zwei Flaggen, die es zu erobern (Flagge reißen) und in die eigene oder gegnerische Startposition zu bringen gilt (Flagge legen). Ein Mittel hierfür ist das Ausschalten gegnerischer Mitspieler durch deren Markierung, d.h. durch das Treffen des Spielers mit einem paintball. Ziel des Spieles ist das Erreichen des höchsten Punktestandes, wobei die höchsten Punktzahlen von 25 und 50 Punkten für das Reißen und Legen der Flagge vergeben werden. Für das Markieren eines gegnerischen Spielers erhält eine Mannschaft demgegenüber 5 Punkte. Unter der Bezeichnung "Speedball" wird nach Angaben der Ast. eine Spielvariante mit verkürzter Spieldauer verstanden, bei der anstatt der üblichen 4 Spielteilnehmer nur zwei Spielteilnehmer pro Mannschaft zum Einsatz kommen. "Sub-Air" bezeichnen demgegenüber einen Spielmodus, bei dem genormte Hindernisse in Form von aufgeblasenen Kegeln, Pyramiden, etc. zum Einsatz kämen. Die Ag. wies die Ast. vorab auf ordnungsrechtliche Bedenken hinsichtlich des unternehmerischen Betreibens einer Paintball-Anlage hin.

2.

Mit Bescheid vom 26. 11. 2002 untersagte die Ag. der Ast., im Grundstück X. auf allen Flächen und in allen Räumen, die sich in ihrer Verfügungsbefugnis befinden, Gelegenheit dafür zu bieten, dass mit Waffen oder Schussgeräten Farbmarkierungskugeln auf Menschen geschossen werden (Nr. 1) und ordnete den sofortigen Vollzug dieser Verfügung an (Nr. 2).

3.

Dem hiergegen gerichteten Eilantrag gab das VG unter Auflagen statt.

 

Aus den Gründen:

4.

Der zulässige Antrag ist begründet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Ast. gegen die für sofort vollziehbar erklärte Untersagungsverfügung war gem. § 80 V 1 Alt. 2 VwGO unter Anordnung von Auflagen gem. Satz 4 dieser Bestimmung wiederherzustellen. Zwar genügt die Anordnung des Sofortvollzugs den formellen gesetzlichen Anforderungen; sie konnte als Regelung ohne Verwaltungsaktqualität ohne Anhörung gem. § 1 SächsVwVfG i.V. mit § 28 I VwVfG erlassen werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 80 Rdnr. 82 m.w. Nachw.), und wurde auch ordnungsgemäß begründet (§ 80 III VwGO). Die Ag. hat mit dem Hinweis auf die Vorbild- und Werbefunktion der fraglichen Anlage einzelfallbezogen dargelegt, auf Grund welcher Umstände sie von einem besonderen öffentlichen Interesse an einem Wegfall der aufschiebenden Wirkung ausgeht. Ob die angeführte Begründung inhaltlich richtig und sachlich tragfähig ist, ist dagegen für die Erfüllung der formellen Anforderungen nicht von Belang.

5.

Die Abwägung des Interesses der Ast., zunächst von den Wirkungen des bekämpften Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an seinem Vollzug ergibt allerdings hier nach Auffassung der Kammer ein Überwiegen des Suspensivinteresses. Bei der hierbei zu treffenden Ermessensentscheidung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache grundlegende Bedeutung zu, soweit diese bereits überschaubar sind. Diese Erfolgsaussichten sind summarisch zu prüfen; weder können im Rahmen eines Eilverfahrens schwierige Rechtsfragen abschließend geklärt werden noch können aufwendige Beweiserhebungen erfolgen. Lässt sich danach kein hinreichender Grad an Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen oder eine voraussichtliche Niederlage in der Hauptsache feststellen, sind bei der Abwägung das Gewicht der zu besorgenden Folgen eines Vollzuges ebenso wie die Dringlichkeit des behördlichen Einschreitens besonders zu beachten. Die Schwere der Auswirkungen des Vollzugs eines sich nachträglich als rechtswidrig erweisenden Verwaltungsaktes für den Betroffenen sind dem Ausmaß der zu befürchtenden Beeinträchtigung öffentlicher Belange gegenüberzustellen, wenn die Wirksamkeit der Regelung suspendiert, deren Rechtmäßigkeit im Hauptsacheverfahren aber festgestellt wird. Gemessen an diesem Maßstab überwiegt hier das Aussetzungsinteresse der Ast., denn bei summarischer Prüfung spricht nach dem derzeitigen Erkenntnisstand viel dafür, dass der angegriffene Verwaltungsakt im Hauptsacheverfahren aufzuheben sein wird (hierzu u. 1.); zudem besteht bei Vollziehung der Untersagungsverfügung die Gefahr einer erheblichen, irreparablen Grundrechtsverletzung der Ast., während dem öffentlichen Interesse durch die Anordnung von Auflagen hinreichend Rechnung getragen werden kann (hierzu u. 2.).

6.

1. Die gesetzliche Grundlage für den Erlass der Untersagungsverfügung bildet § 3 I Alt. 2 SächsPolG. Nach dieser Alternative der polizeilichen Generalklausel kann die Polizei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine in einzelnen Fällen bestehende Gefahr für die öffentliche Ordnung abzuwehren.

7.

Diese allgemeine polizeirechtliche Befugnisnorm wird nicht durch eine speziellere gewerberechtliche Eingriffsermächtigung verdrängt, noch wird deren Anwendbarkeit durch sonstige Rechtsvorschriften ausgeschlossen. Insbesondere ist der Ag. die Heranziehung der polizeilichen Generalklausel hier nicht deshalb verwehrt, weil sie mit ihrer Untersagungsverfügung regelnd in die durch Art. 12 I i.V. mit Art. 19 III GG und Art. 28 I i.V. mit Art. 37 III SächsVerf. grundrechtlich geschützte Berufsausübung der Ast. eingreift. Zwar ist grundsätzlich für eine behördliche Berufsausübungsregelung eine spezielle Ermächtigungsgrundlage erforderlich (grundlegend BVerwGE 10, 164 = NJW 1960, 1407; ebenso BVerwGE 115, 189 = NVwZ 2002, 598). Der Regelungsvorbehalt des Art. 12 GG richtet sich an den Gesetzgeber, der fachlich orientierte Gesetze entsprechend der Belange der jeweils berührten Lebensbereiche treffen muss. Doch behält auch die polizeiliche Generalklausel trotz ihres weiten Geltungsbereiches den Charakter einer Berufsausübungsregelung i.S. von Art. 12 I GG. Ihre Anwendung ist jedoch auf die Einzelfälle beschränkt, in denen wegen der unvorhersehbaren Vielgestaltigkeit aller Lebensbereiche die Fachgesetze für den Sachverhalt trotz Beachtung der vernünftigerweise zu erwartenden Präzision keine Regelung treffen, die Generalklausel diesen Einzelfall aber hinreichend klar erfasst. Davon kann nicht mehr ausgegangen werden, wenn die Beurteilung einer neuen Form der Berufstätigkeit von einer verwickelten, in den Bereich der Weltanschauungen hineinreichenden, abwägenden Wertung einer Mehrzahl verschiedener Schutzinteressen abhängt (BVerwGE 10, 164 = NJW 1960, 1407; BVerwGE 115, 189 = NVwZ 2000, 598). Dem Gesetzgeber ist zudem vor Erlass einer fachgesetzlichen Berufsregelung ein angemessener Zeitraum zuzubilligen, in dem er die Entwicklung und die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Wirkungen einer neuen Berufstätigkeit beobachten kann (BVerwGE 10, 164 = NJW 1960, 1407; BVerwGE 115, 189 = NVwZ 2002, 598).

8.

Nach alledem ist hier nach Auffassung der Kammer eine spezielle Ermächtigungsgrundlage für die Untersagung des gewerblichen Gelegenheit-Bietens für Paintball-Spiele noch nicht erforderlich. Zwar mag das Paintballspiel selbst mittlerweile in der Bundesrepublik auf Vereinsebene eine nicht mehr zu vernachlässigende Verbreitung gefunden haben, das gewerbliche Anbieten von Spielmöglichkeiten erfolgt jedoch ersichtlich nur in wenigen Einzelfällen. Die Ast. selbst benennt nur zwei weitere Einrichtungen, die dem Anschein nach gewerblich betrieben werden. Weitere Objekte sind auch dem Gericht nicht bekannt. Da normative Vorgaben für die Berufsausübung jedoch gerade auch das Gefahrenpotenzial erfassen sollen, das nicht nur der Tätigkeit als solcher, sondern ihrem beruflichen Kontext entspringt - etwa dem unbestimmten Nutzerkreis, der Orientierung auf Gewinnerzielung -, kommt es für die Frage der Regelungsbedürftigkeit dieses Lebenssachverhaltes entscheidend auf den Grad der Verbreitung entsprechender gewerblicher Tätigkeiten an.

9.

Allerdings kann auch während dieses demnach dem Gesetzgeber noch zuzubilligenden Zeitraums der Sammlung von Erfahrungen die allgemeine polizeirechtliche Generalklausel nicht einschränkungslos als Grundlage für Berufsregelungen herangezogen werden. Denn es liegt auf der Hand, dass diese "Beobachtungsphase" von den - eigentlich nicht zu grundlegenden Entscheidungen berufenen - Ordnungsbehörden nicht dazu genutzt werden darf, unter Anwendung des Polizeirechts von vornherein die Etablierung einer neuen Form der Berufsausübung nachhaltig zu vereiteln und damit jegliche Beobachtungen des Gesetzgebers überflüssig zu machen. Diese Gefahr ist insbesondere dann gegeben, wenn die fragliche Tätigkeit - wie hier - gewerblich nur mit erheblichem investiven Aufwand betrieben werden kann und die ordnungsbehördliche Regelung das Unternehmen typischerweise in seiner Kerntätigkeit und nicht nur in Nebenaspekten des ertragbringenden unternehmerischen Handelns trifft. Dies erscheint zwar hinnehmbar für sich neu entwickelnde gewerbliche Tätigkeiten, die fraglos und eindeutig eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, ohne dass demgegenüber schutzwürdige Interessen von Gewicht für die Ausübung dieser Tätigkeit streiten. Zweifellos muss die Etablierung einer derartigen unnötig gefahrbringenden Unternehmung nicht erst abgewartet werden, wenn die Unverhältnismäßigkeit der entstehenden Gefahr für die Allgemeinheit gegenüber dem Fehlen anderer Schutzinteressen von Gewicht von vornherein klar zu Tage tritt. Der gleichwohl bestehenden Gefahr der Umgehung des spezialgesetzlichen Vorbehalts muss allerdings nach Auffassung der Kammer dadurch begegnet werden, dass besonders sorgfältig geprüft wird, ob die untersagte Handlung im Einzelfall mit der zu fordernden Eindeutigkeit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt und ob das Ausmaß der Gefahr den Umfang des Eingriffs in die Berufsausübung rechtfertigt.

10.

Hinsichtlich der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit der danach anwendbaren polizeilichen Generalermächtigung bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Die zu den Tatbestandsmerkmalen zählenden unbestimmten Rechtsbegriffe der öffentlichen Sicherheit und öffentlichen Ordnung sind durch Rechtsprechung und Rechtslehre nach ihrem Inhalt und Zweck und Ausmaß der Ermächtigung hinreichend konkretisiert worden (vgl. hierzu BVerfGE 54, 143 = NJW 1980, 2572), so dass ihr Bedeutungsgehalt geklärt ist.

11.

Dem ordnungsbehördlichen Einschreiten steht auch die Legalisierungswirkung der für die Nutzungsänderung gem. § 70 SächsBauO erteilten Baugenehmigung nicht entgegen, da sich diese Genehmigung nur mit der Zulässigkeit der Nutzung als Freizeit- und Sporthalle befasst, aber keine abschließende Entscheidung über die ordnungsrechtliche Zulässigkeit der konkret angebotenen Spielform trifft.

12.

Die Kammer geht nach summarischer Prüfung jedoch davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Untersagungsverfügung aller Voraussicht nach nicht erfüllt sind (a). Jedenfalls leidet die Untersagungsverfügung an einem zu ihrer Rechtswidrigkeit führenden Ermessensfehler (b).

13.

a) Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung gem. § 3 I SächsPolG besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Das in das sächsische Polizeirecht, entgegen grundsätzlicher Bedenken (vgl. hierzu Lisken/Denninger, Hdb. des PolizeiR, 2. Aufl., E. Polizeiaufgaben Rdnr. 25), aufgenommene Schutzgut der öffentlichen Ordnung umfasst die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beobachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet wird (PrOVGE 91, 139f.).

14.

Hierzu zählen nach herrschender Auffassung insbesondere diejenigen Wertmaßstäbe, die ihren Niederschlag in der Werteordnung des Grundgesetzes gefunden haben (OVG Münster, GewArch 2001, 71), wie die Menschenwürde und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Denn die in der Verfassung fixierten Wertvorstellungen spiegeln die Gesamtheit der sozial-ethischen Werte wider, die die verfassungsgebende Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt ihrer Entwicklung erreicht hat (OVG Münster, GewArch 2001, 71). Die Bestimmung des aus diesen Wertmaßstäben im Einzelfall ableitbaren konkreten sozialethischen Gebotes, dem § 3 I Alt. 2 SächsPolG polizeirechtlich zur Durchsetzung verhelfen soll, darf daher nicht unabhängig von den derzeit gültigen Anschauungen der Gesellschaft erfolgen, was maßgebliche unerlässliche Ordnungsvoraussetzungen der Rechtsgemeinschaft sind (vgl. OVG Münster, GewArch 2001, 71).

15.

Nach Auffassung der Kammer kann derzeit nicht sicher davon ausgegangen werden, dass die Spielhandlungen des Paintball-Spiels, zu dem die Ast. Gelegenheit bietet, gegen die Menschenwürde gem. Art. 1 I GG verstoßen (hierzu unter aa)). Auch eine öffentliche Abkehr von anderen Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hierzu unter bb)) oder ein Nichtbeachten eines sonst allgemein anerkannten Wertekonsens (hierzu unter cc)) liegt nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit vor.

16.

aa) Die Würde des Menschen ist der oberste Wert des Grundgesetzes (BVerfGE 32, 98 [108] = NJW 1972, 327; BVerfGE 50, 166 [175] = NJW 1979, 1100; BVerwGE 95, 36 = NJW 1994, 2164 = DVBl 1994, 529); sie ist tragendes Konstitutionsprinzip der Verfassung (BVerfGE 87, 209 [228] = NJW 1993, 1457; BVerfGE 96, 375 [398] = NJW 1998, 519 = LM H. 6/1998, § 249 (A) BGB Nr. 114a - mit Ausstrahlungswirkung auf die Auslegung der Grundrechte ebenso wie für die Anwendung einfachgesetzlichen Rechts; Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Rdnrn. 6ff. und 15f. m.w. Nachw.). Ungeachtet der Schwierigkeiten bei der Bestimmung des begrifflichen Inhalts der Menschenwürde (vgl. hierzu die Darstellung von Dreier, GG I, Art. 1 Rdnr. 36), besteht in Rechtsprechung und Rechtslehre weitgehend Übereinstimmung darin, dass dem Menschen in seiner Freiheit ein jeglichem geschaffenen Recht vorausliegender Eigenwert zukommt (Maunz/Dürig, Art. 1 Rdnr. 18), weil er eine mit der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung begabte Persönlichkeit ist (Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 1 Rdnr. 2). Dem Menschen kommt in der Gemeinschaft ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch zu, er darf daher nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden (BVerfGE 45, 228; 87, 228). Zu der geschützten Würde des Menschen in seiner Individualität gehört, dass der Mensch es in der Hand hat, sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten und über sich selbst zu verfügen (BVerfGE 49, 298). Art. 1 I GG wendet sich mit seinem über die Grundrechte vermittelten Abwehrgehalt zwar unmittelbar nur an staatliche Organe, er verpflichtet den Staat allerdings auch zum Schutz der Menschenwürde vor Angriffen Dritter. Wann die Würde eines Menschen, sei es des Individuums oder des Gattungswesens, verletzt ist, lässt sich nicht allgemeingültig feststellen (Leibholz u.a., Art. 1 Rdnr. 10). Grundsätzlich setzt eine Verletzung jedoch voraus, dass ein Mensch einer spezifischen Behandlung ausgesetzt wird, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt oder in der im konkreten Fall eine willkürliche Missachtung seiner Würde liegt (BVerfGE 30, 25).

17.

Die so geartete Behandlung muss nach Auffassung der Kammer aktuell erfolgen; eine Verletzung der Menschenwürde kann daher nicht bereits dann angenommen werden, wenn das fragliche Verhalten als solches zwar keine entwürdigende Behandlung eines anderen Menschen darstellt, aber das Gefahrenpotenzial in sich birgt, eine ethische Haltung zu erzeugen oder zu verstärken, die den Eigenwert des Menschen leugnet; wenn also nur Anlass zur Sorge besteht, dass das derzeitige Verhalten späteren entwürdigenden Behandlungen von Menschen Vorschub leisten kann oder sich die allgemeinen Wertvorstellungen oder das Verhalten in der Gesellschaft nachteilig ändern (so aber BVerwGE 10, 164 = NJW 1960, 1407; BVerwGE 115, 189 = NVwZ 2002, 598). Würde man die durch das polizeiliche Eingreifen zu unterbindende Verletzung der Menschenwürde bereits bei einer vermuteten Veränderung sittlich-ethischer Einstellungen und verinnerlichter Haltungen annehmen, so würde ohne Berechtigung ein bloßer Gefahrenverdacht mit einer bereits eingetretenen oder konkret bevorstehenden Rechtsgutsverletzung gleichgestellt. Der Erlass der Ordnungsverfügung durch die Ag. beruht auf einer derartigen Gleichstellung, denn ein konkreter Wirkungszusammenhang zwischen der Ausbildung violenter Persönlichkeiten und dem Konsum von Gewaltdarstellungen bzw. der spielerischen Ausübung von Gewalt konnte bislang, soweit dem Gericht ersichtlich, durch Untersuchungen nicht belegt werden (so auch BVerwG 10, 164 = NJW 1960, 1407; BVerwGE 115, 189 = NVwZ 2002, 598; vgl. Wunden: Medienwirkungen am Beispiel von Gewaltdarstellungen im Fernsehen, veröffentlicht in Medien und Ethik, hrsg. v. Matthias Karmasin, 2002, S. 84ff.m.w. Nachw. - zu den Wirkungen von Mediengewalt; vgl. grundsätzlich zur Frage der Abgrenzung von Gefahr und Gefahrenverdacht BVerwGE 116, 347 = NVwZ 2003, 95 = DVBl 2002, 1562).

18.

Eine Rechtfertigung für eine derart weitgehende Vorverlagerung der Schutzschwelle von der konkreten Verletzung und Gefährdung der Würde eines Menschen zu der Abwehr eines nicht hinreichend erforschten und in seiner Allgemeinheit kaum benennbaren Gefahrenpotenzials besteht nicht. Sie kann insbesondere nicht in der grundlegenden Bedeutung des Schutzgutes der Menschenwürde gesehen werden, weil mit diesem Argument eine Beschränkung des polizeilichen Tätigwerdens ausschließlich im vorliegenden Bereich der gewerblichen zur Verfügungstellung einer Spielmöglichkeit nicht begründet werden kann. Denn liegt der entscheidende Vorwurf in dem Erzeugen oder Verstärken einer Einstellung, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, der jedem Menschen zukommt, weil dem in Rede stehenden Verhalten die Tendenz zur Bejahung oder Bagatellisierung der Gewalt innewohnt, ist ein akzeptabler Grund für eine Untätigkeit der Polizeibehörden in anderen Bereichen nicht ersichtlich. So müsste jegliches Handeln in der Öffentlichkeit oder auch im Privatbereich, das im Verdacht steht, im oben geschilderten Sinne die ethische Integrität einer Person nachteilig zu beeinflussen, durch den Staat auf Grund seiner Schutzpflicht für die Menschenwürde verhindert werden. (Erwähnt seien hier nur beispielhaft Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen, reißerische Presseberichte über Gewalthandlungen, Gewalt in den Familien, gewaltverherrlichende Aspekte bei einzelnen Religionen.) Jegliche durch das staatliche Einschreiten beeinträchtigte Grundrechte würden angesichts der überragenden Bedeutung der verletzten Menschenwürde ohne weiteres zurücktreten. Welche Folgen dies etwa für die Meinungs-, Presse-, Rundfunk-, Kunst- und Religionsfreiheit und damit für konstituierende Grundrechte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hätte, liegt auf der Hand.

19.

Ein so verstandenes Schutzgebot lässt sich auch nicht auf die Ausführungen des BVerfG in seinem Beschluss vom 20. 10. 1992 (BVerfGE 87, 209 [228] = NJW 1993, 1457) stützen. Diese Entscheidung befasst sich nicht unmittelbar mit dem Gehalt des verfassungsrechtlichen Menschenwürdebegriffs. Gegenstand des Beschlusses ist vielmehr die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "in einer die Menschenwürde verletzenden Weise" des Straftatbestandes des § 131 I StGB. Das Ergebnis dieser Auslegung, wie es in dem Beschluss wiedergegeben wurde, ist mithin zunächst ein einfachgesetzlicher Begriff der Verletzung der Menschenwürde, wie er sich neben der verfassungsrechtlichen Vorprägung auch aus dem normativen Kontext und den Motiven des Gesetzgebers ergibt. Nach Auffassung der Kammer spricht hier viel dafür, dass diese einfachgesetzliche Systematik die Gleichsetzung der Verletzung der Menschenwürde mit dem Bestehen eines Gefahrenpotenzials bedingt, da die Strafvorschrift selbst nicht nur der Verhinderung von Menschenwürdeverletzungen im verfassungsrechtlichen Sinne, sondern auch das der Sanktionierung eines sittlich-ethisch (nur) risikobehafteten Verhaltens dient. Dies macht das BVerfG deutlich, wenn es zunächst auf die Anknüpfung des Gesetzes an den Gehalt von Art. 1 I GG hinweist und sodann zwischen Fällen unterscheidet, in denen (bereits) durch die filmische Darstellung Personen in ihrer Würde verletzt werden und Fällen, in denen sich aus Wortlaut und systematischen Zusammenhang dieses Straftatbestandes ein weitergehender Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmals im Hinblick auf das Drohen einer sittlichen Verrohung ergibt.

20.

Eine Verallgemeinerung des so gewonnenen Begriffsverständnisses der Menschenwürdeverletzung für die hier in Rede stehende "öffentliche Ordnung" oder eine Übertragung auf den ebenfalls nicht in einem vergleichbaren rechtlichen Rahmen eingebetteten verfassungsrechtlichen Menschenwürdebegriff kann angesichts dieser Genese des Auslegungsergebnisses nicht ohne weiteres erfolgen. Da bei summarischer Prüfung nach Auffassung der Kammer das Ergebnis der verfassungsgerichtlichen Begriffsbestimmung weniger durch den allgemeinen Gehalt der Menschenwürdegarantie und mehr durch das besondere Wesen des Straftatbestandes beeinflusst worden zu sein scheint, geht die Kammer nicht von einer Anwendbarkeit der vorgenannten Maßstäbe für eine Menschenwürdeverletzung im polizeirechtlichen Kontext aus. Denn eine solche Schutzguterstreckung auf die Abwehr von Risiken ist dem sächsischen Polizeirecht systemfremd, da das Landesrecht grundsätzlich nur ein Einschreiten bei Vorliegen einer Gefahr gestattet. Besteht dagegen - wie hier - lediglich ein Gefahrenverdacht, so ist allenfalls ein so genannter "Gefahrerforschungseingriff" zulässig, im Rahmen dessen in erster Linie Aufklärungs- und Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden dürfen, die nur in Extremfällen endgültigen Charakter haben können (Lisken u.a., E Rdnr. 38).

21.

Die sich danach allein noch stellende Frage, ob im Rahmen des Paintball-Spiels Personen einer entwürdigenden Behandlung ausgesetzt werden, ist bei summarischer Prüfung zu verneinen. Durch die Simulation von Gewalt im Rahmen eines Mannschaftsspiels wird erkennbar weder der personale Eigenwert eines Mitspielers geleugnet, noch wird er zum Objekt des Handelns herabgewürdigt (so auch BVerwGE 10, 164 = NJW 1960, 1407; BVerwGE 115, 189 = NVwZ 2002, 598).

22.

bb) Der von der Ag. beanstandeten Spielhandlung, dem Schießen mit Farbmarkierungskugeln auf Menschen, stehen auch sonst nicht mit der erforderlichen Klarheit Wertmaßstäbe des Grundgesetzes wie das Recht auf Leben und Gesundheit (Art. 2 II GG) entgegen (a.A. VGH München, BayVBl 2001, 689; OVG Münster, GewArch 2001, 71; OVG Koblenz, NVwZ-RR 1995, 30 - für das Laserdrome-Spiel). Ein Verstoß gegen Werte von Verfassungsrang liegt im Regelfall nur vor, wenn das den Wert konstituierende Rechtsgut tatsächlich verletzt oder ein aus der Verfassung fließendes sozialethisches oder rechtliches Gebot tatsächlich missachtet bzw. ihm öffentlich der Anspruch auf Geltung abgesprochen wird. Dagegen kann von einem Verstoß nicht ohne weiteres gesprochen werden, wenn ein solches Verhalten nur simuliert wird. Dies gilt insbesondere für die im Rahmen eines Spieles erfolgende Simulation von Wertverstößen. Dem Spiel wird grundsätzlich eine hohe kulturelle Bedeutung sowie ein starker Einfluss auf die Entwicklung des Einzelnen und seine Fähigkeit zur Interaktion in der Gesellschaft beigemessen (Gebauer/Wulf: Spiel Ritual Geste - Mimetisches Handeln in der sozialen Welt, Reinbek 1998, S. 191ff.m.w. Nachw.). Eine Betrachtungsweise, die den Sinn von Spielen auf das Verschaffen von Unterhaltung und Vergnügen reduziert, wird deren mehrschichtiger Wirkungsweise nicht gerecht. Wesentliches strukturelles Merkmal der Spiele ist das "Wirklich-Unwirkliche", sie vollziehen sich in einem eigens für sie geschaffenen Rahmen, der sie von der Alltagsrealität abhebt, wobei das Spielgeschehen als wahr und wirklich empfunden wird (Gebauer u.a., S. 192ff.). Spiel und Alltagswirklichkeit beruhen auf ähnlichen organisierenden Prinzipien und beeinflussen sich gegenseitig (Gebauer u.a., S. 200, u.Hinw. auf Caillois: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch, Frankfurt a.M., 1982). Das Spiel bietet wegen seines Charakters des "Als-ob" die Chance - ohne Konsequenzen fürchten zu müssen - Emotionen und Phantasien auszuleben, denen im Alltagsleben auf Grund von sozialen Konventionen und Verhaltensstandards kein Ausdruck verliehen werden kann. Die Spielillusion ermöglicht dem Spielenden ein echtes und intensives "Nacherzeugen" von Affekten und Emotionen, die im stark affektkontrollierten Alltag vermieden werden (Gebauer u.a., S. 202ff.). Dieses Prinzip der "Entkriminalisierung" ansonsten gesetzwidriger Verhaltensweisen gilt auch im Bereich des Sportes (Heinemann: Einführung in die Soziologie des Sports, 4. Aufl., S. 182f.). Mithin ist der kontrollierte spielerische Tabubruch seit jeher Teil unserer gesellschaftlichen Kultur. Es besteht kein Anlass anzunehmen, dass die auf der Basis dieser kulturellen Prädisposition geschaffene grundrechtliche Werteordnung umfassend auch für das Agieren eines Menschen auf der Metaebene der Spielwelt Geltung beansprucht. Angesichts dessen kann von einem Verstoß gegen Verfassungswerte auf der "Wirklichkeitsebene" durch ein Spiel grundsätzlich nicht ausgegangen werden, solange die im Rahmen der Spielhandlung tatsächlich erfolgende oder simulierte Übertretung sozialer Regeln und Konventionen nur mit "spielerischem Ernst" erfolgt und die Handlung ihrem von den Akteuren bestimmten Sinngehalt nachgerade ohne Folgen für die parallele Alltagswelt bleiben soll. Ein anderes gilt allerdings dann, wenn durch das Spiel Emotionen erzeugt werden sollen, die in einer wertegebundenen Gesellschaft schlechthin geächtet sind - zu denken wäre dabei etwa an Folterspiele. An der Werteordnung messen lassen, muss sich spielerisches Verhalten zudem auch dann, wenn es den Rahmen der "Metaebene" überschreitet und in die Alltagswelt hineintritt. Dies erscheint denkbar, wenn der spielerische Rahmen von einzelnen Mitspielern verlassen wird, indem der allgemeine Konsens über die Regeln des Spiels verletzt wird. Desgleichen ist es möglich, dass sich ein "Spiel" von vornherein nicht nur auf der Metaebene der "Spielwelt" bewegt, weil es darauf angelegt ist, auch unmittelbar in der Alltagswelt Folgen zu erzeugen, etwa durch gezielte Provokation und Einbeziehung der Umwelt. Schließlich kommt eine Rahmenüberschreitung auch für den Fall in Betracht, in dem die Grenzen zwischen Metaebene und Alltagswelt für den Spieler verschwinden, weil er nicht mehr in der Lage ist, zwischen beidem zu differenzieren. Insofern kann der Grad der Realitätsnähe eines Spielszenarios von Bedeutung sein.

23.

Gemessen an diesem Maßstab lässt sich hier ein Verstoß gegen die Werteordnung des Grundgesetzes nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht feststellen. Die Spielhandlung des Paintball-Spiels enthält keine Elemente, die nach Auffassung der Kammer schlechthin als nach den geltenden Wertmaßstäben geächtet anzusehen sind. Die spielerische Simulation des "Ausschaltens" eines Menschen und damit implizit des Verletzens und Tötens dieser Person kann hierzu nicht gezählt werden; dieses Spielelement ist weit verbreitet und kehrt in einer Vielzahl von Variationen in Mannschaftsspielen, Computerspielen und Sportarten wie Fechten, Boxen und Karate wieder. Ein Verschwimmen der Rahmenziehung zwischen Spielwelt und Alltagswelt ist hier nach den bislang bekannten Tatsachen ebenfalls nicht zu befürchten. Das Spielfeld, wie es sich nach den dem Gericht vorliegenden Fotografien darstellt, weist keine starke Ähnlichkeit mit realen Kampffeldern auf. Vielmehr werden zum Teil sogar aufgeblasene, bunte Stoffkörper als Hindernis verwendet. Allein der Umstand, dass Gegenspieler und damit Zielobjekt reale Personen sind, bewirkt nicht einen derartigen Zuwachs an Naturtreue, dass dieses Spiel in Abgrenzung z.B. zu Computerspielen - die hinsichtlich des Spielszenarios regelmäßig weit detailgetreuer sind - eine neue Qualität von Realismus aufweisen würde.

24.

Dagegen sprechen auch die Feststellungen der dem Gericht vorliegenden gutachterlichen Stellungnahme zur Gewaltaffinität von Mitglieder/innen der (deutschen) Paintball-Szene. Diese Studie, deren Tragfähigkeit das Gericht im Rahmen dieses Eilverfahrens allerdings nicht näher nachgehen kann, kommt zu dem Ergebnis, dass die Gefahr des Verwischens von Spiel und Alltag nicht gegeben ist. So wurde bei den in die Untersuchung einbezogenen Personen festgestellt, dass der selbstreflexive kritische Umgang mit dem eigenen Faible und eine Vielzahl von Vorkehrungen und Reglementierungen zur Sicherheit der Spieler gegen einen zu befürchtenden Realitätsverlust spreche. Diese Ergebnisse lassen sich zwar nicht ohne weiteres verallgemeinern, da keine repräsentative Gruppe von Personen der Untersuchung unterzogen wurde, sondern die Studie im Rahmen der "Paintball-Szene" erstellt wurde, die erklärtermaßen eine starke Auslese bei ihren Mitgliedern betreibt. Ausdrücklich weist die Studie auch darauf hin, dass nicht in die "Szene" eingebundene psychisch labile Personen oder militante Jugendliche zum Teil eine andere Einstellung zu ihrem Agieren in diesem Spiel pflegen und deshalb ein Problem darstellen können. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein nicht unerheblicher Teil des Nutzerkreises der Einrichtung der Ag. gleichwohl entsprechende Tendenzen des Verwischens der Grenzen von Spiel und Realität zeigen könnte. Im Rahmen des Eilverfahrens kann diese Frage jedoch ebenfalls nicht geklärt werden. Vielmehr fällt ausschlaggebend ins Gewicht, dass nach dem Ergebnis der vorliegenden Studie solche realitätsübergreifenden Tendenzen dem Paintball-Spiel jedenfalls nicht generell innewohnen, so dass bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung ein eindeutiger, klar auf der Hand liegender Werteverstoß nicht zu verzeichnen ist.

25.

cc) Ebensowenig bestehen Anhaltspunkte von Gewicht dafür, dass das Paintball-Spiel ersichtlich gegen einen gesellschaftlichen Wertekonsens verstößt. Ob es allgemein herrschenden Anschauungen entspricht, dass es für ein geordnetes Zusammenleben erforderlich ist, Spiele zu unterlassen, in denen die Tötung oder Verletzung von Menschen simuliert wird, erscheint fraglich. Die Verbreitung einer solchen Auffassung, dass ein Mensch generell nicht ohne einen moralisch nicht zu beanstandenden Grund zum Ziel einer simulierten Gewaltausübung gemacht werden darf, ist weder unmittelbar durch empirische Untersuchungen belegt, noch ist aus den bekannten Interaktionen innerhalb gesellschaftlicher Gruppen und ihrer Bewertung in der Öffentlichkeit ein Rückschluss auf einen derartigen Wertekonsens möglich. Vielmehr sprechen etwa die weite und allgemein tolerierte Verbreitung von Kriegspielzeug für Kinder sowie die Akzeptanz von mit erheblicher "realer" Gewaltausübung einhergehenden Freizeitsportarten wie Boxen und Karate deutlich gegen die überwiegende Verbreitung einer solchen Wertanschauung. Allein der Umstand, dass hier die fiktive Gewaltausübung mittels einer Gasdruckwaffe erfolgt, die realen Waffen ähnelt, gibt dem Geschehen im Vergleich zu den vorgenannten Sportarten unter ethischen Gesichtspunkten ebenfalls keine völlig neue Qualität. Zwar mag ein gesellschaftlicher Konsens dahingehend bestehen, dass Spiele sittlich anstößig und mit dem gemeinhin anerkannten Wertekanon nicht vereinbar sind, wenn zu dem spielerischen Inhalt des Durchlebens einer Kampfsituation deutlich erkennbar noch eine weitere das Zusammenleben störende Dimension hinzutritt, weil etwa reale Gewalt bewusst in einer Weise bagatellisiert wird, die Anstoß erregt oder etwa grausame Gewalthandlungen als positiv und Vergnügen bringend erlebt werden sollen. Gleiches mag für Spiele gelten, deren Inhalt nahezu ausschließlich in der Simulation des Tötens besteht, die ihren Reiz daher weitestgehend aus dem genussvollen Ausleben der Emotion des Auslöschens eines Lebens gewinnen. Um ein solches Spiel handelt es sich hier aber nach dem derzeitigen Erkenntnisstand wohl nicht. Ausweislich des vorgelegten Regelwerkes ist das "Markieren" von Mitspielern nur ein Aspekt einer mehrschichtigen Spielhandlung. Das auf Wettbewerb und sportlichem Wettkampf basierende Spiel erfordert daneben auch Geschicklichkeit, Schnelligkeit, Reaktionsvermögen, Zielsicherheit, Strategie, Taktik und Mannschaftsgeist und gewinnt seinen Reiz durch die Notwendigkeit, sich in einer exotischen Kampfsituation in vielfältiger Hinsicht zu beweisen. Diese Einschätzung wird auch durch die gutachterliche Stellungnahme gestützt, in der die Faszination des Paintball als ein Bündel von drei Motivstrukturen beschrieben wird: Danach vermittelt das Paintball-Spiel außeralltägliche Erfahrungen, Nervenkitzel und Thrill, Selbstbestätigung im Wettbewerb und Wirgefühl und Teamgeist.

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Die Voraussetzungen für das ordnungsbehördliche Einschreiten zum Schutz der öffentlichen Ordnung liegen daher nach dem derzeitigen Erkenntnisstand und in Anbetracht der bislang bekannten Ergebnisse soziologischer Studien mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vor. Eine weitergehende Beweiserhebung zu den Einzelheiten des Spielablaufs muss ebenso dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben wie eine nähere Auseinandersetzung mit den soziologischen Forschungsergebnissen.

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Infolgedessen ist auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gem. § 3 I Alt. 1 SächsPolG aller Voraussicht nach nicht gegeben. Allein in Betracht zu ziehen ist insoweit die Gefahr eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung durch Begehung einer Belästigung der Allgemeinheit nach § 118 OWiG. Da dieser Ordnungswidrigkeitentatbestand jedoch mit der Tathandlung der grob ungehörigen Handlung gleichfalls auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung rekurriert, sind seine Voraussetzungen nach dem oben Gesagten mutmaßlich ebenso wenig erfüllt.

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b) Die Kammer weist im Übrigen darauf hin, dass von einer Rechtswidrigkeit der Untersagungsverfügung selbst dann auszugehen wäre, wenn man einen klar zu Tage tretenden Verstoß der Spielhandlung gegen die grundgesetzliche Werteordnung oder in der Gesellschaft allgemein anerkannte Werte bejahen wollte. Die Ag. hätte in diesem Fall jedenfalls ihr Einschreitensermessen fehlerhaft i.S. von § 114 S. 1 VwGO ausgeübt, denn sie hat zu Lasten der Ast. das geschützte öffentliche Interesse in seiner Bedeutung evident verkannt (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 114 Rdnr. 13 m.w. Nachw.). Sie hat sich bei ihrer Entscheidung maßgeblich von dem fundamentalen Gewicht der - tatsächlich nicht verletzten - Menschenwürde leiten lassen, während der allenfalls vorliegende Verstoß gegen grundgesetzliche Wertemaßstäbe oder den allgemeinen gesellschaftlichen Wertekonsens vergleichsweise weniger schwer wiegt und deshalb in Bezug hierauf die Bedeutung der Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG der Ast. neu zu bewerten ist.

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2. Bei der Abwägung des Suspensivinteresses der Ast. mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse berücksichtigt die Kammer neben der hohen Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen der Ast. in der Hauptsache maßgeblich auch den Umstand, dass bei vorläufigem Vollzug der Untersagungsverfügung eine endgültige Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Ast. und damit eine irreparable Grundrechtsverletzung in Art. 12, 14 GG droht, deren Folgen auch bei nachträglicher Aufhebung der Verfügung nicht mehr beseitigt werden könnten. Die Ast. verfügt nach ihren glaubhaften Angaben nicht über eine hinreichende Kapitaldecke, die es ihr erlauben würde, die Untersagung ihrer Kerntätigkeit über einen längeren Zeitraum wirtschaftlich zu kompensieren. Zwar besteht angesichts der nicht ausgeräumten tatsächlichen und rechtlichen Unklarheiten gleichwohl ein Interesse der Allgemeinheit an einem Schutz vor den möglichen Auswirkungen des gewerblichen Angebots von Paintball-Spielen. Wie oben dargelegt wurde, kann die im Raum stehende Möglichkeit des Verschwimmens von Realität und Spiel für den bei der Ast. zu erwartenden Nutzerkreis nicht unter Hinweis auf bekannte Forschungsergebnisse entkräftet werden. Zudem ist das Risiko der Auslösung von Persönlichkeitsveränderungen durch Gewöhnung an Gewaltanwendung und Übertragung im Spiel erlernter Prinzipien und Verhaltensweisen auf das Verhalten im Alltag nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Da eine Abschätzung des Ausmaßes solcher Auswirkungen für die Gesellschaft derzeit schwer möglich ist, demgegenüber aber das Risiko solcher Fehlentwicklungen bereits durch die Ast. weniger beeinträchtigende Maßnahmen aber verringert werden kann, trägt das Gericht dem allgemeinen Schutzinteresse durch die Anordnung mit Auflagen Rechnung (§ 80 V 4 VwGO).