Verwaltungsgericht
Meiningen
Urteil vom 14.6.1999
- 5 K 20242/99.Me -
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Leitsätze |
1. |
Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach 'temperamentvolle, lebendige und gut aussehende Frauen' sich nicht der politischen Arbeit in einer verbotenen Oppositionspartei in Vietnam widmen. Aus diesen Eigenschaften kann dem gemäß nicht der Schluss gezogen werden, eine Klägerin sei unglaubwürdig |
2. |
Ebenso gibt es keinen Erfahrungssatz, man lasse sich in der Regel nur dann scheiden, wenn man erneut heiraten wolle. Auch aus einer Scheidung ohne erneute Heirat kann deshalb nicht geschlossen werden, eine Asylbewerberin sei nur nach Deutschland gekommen, um hier zu heiraten, ihr Verfolgungsschicksal sei deshalb nicht glaubwürdig |
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Zum Sachverhalt: |
1. |
Die Klägerin ist vietnamesische Staatsangehörige. Am 31.7.1998 beantragte sie ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung führte sie bei ihrer Anhörung am 13. 8. 1998 bei dem Bundesamt u.a. aus, sie sei zwischen 1988 und 1990 bereits einmal in der DDR gewesen. Sie sei Gastarbeiterin beim VEB Strickwaren Chemnitz gewesen und sei nach Kündigung ihres Arbeitsvertrages Ende 1990 nach Vietnam zurückgekehrt. In der Folgezeit habe sie sich in Vietnam politisch betätigt und sei deshalb verfolgt worden. |
2. |
Mit Bescheid vom 17.3.1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Die Kl. wurde zur Ausreise aufgefordert und es wurde ihr die Abschiebung nach Vietnam angedroht. |
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Entscheidungsgründe: |
3. |
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid verletzt soweit er angefochten wurde die Klägerin in ihren Rechten. Dem Verpflichtungsbegehren war stattzugeben. |
4. |
Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Bei der Anerkennung der Voraussetzung des § 51 Abs. 1 AuslG sind die gleichen Voraussetzungen anzulegen wie bei der Anerkennung als Asylberechtigter. Verfolgt ist demnach, wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat. Eine Verfolgung ist als politisch anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder auf die politische Überzeugung des Betroffenen zielt (BVerfG, 01. 07. 1987, BVerfGE 76, 143). Diese spezifische Zielrichtung ist an Hand des inhaltlichen Charakters der Verfolgung nach deren erkennbaren Zweck und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln (BVerfG, 10. 07. 1989, BVerfGE 80, 315). Die Gefahr einer derartigen Verfolgung ist gegeben, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht, so dass ihm die Rückkehr in den Heimatstaat nicht zuzumuten ist (BVerwG, Urteil vom 29. 11. 1977, BVerwGE 55, 82; BVerwG, Urteil vom 25. 09. 1984, BVerwGE 70, 169). Die erforderliche Zukunftsprognose muss auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abgestellt und auf einen absehbaren Zeitraum ausgerichtet sein. Die Prüfung der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert eine qualifizierende Betrachtungsweise, die neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch die zeitliche Nähe des befürchteten Eingriffs berücksichtigt (BVerwG, Urteil vom 14. 12. 1993, EZAR 200 Nr. 30). Einem Asylbewerber, der bereits einmal politisch verfolgt war, kann eine Rückkehr in seine Heimat nur zugemutet werden, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (BVerwG, Urteil vom 25. 09. 1984, BVerwGE 70, 169; BVerwG, Urteil vom 16. 09. 1996 -- Az.: 12 UE 3033/95). |
5. |
Der Asylbewerber ist auf Grund der ihm obliegenden prozessualen Mitwirkungspflicht gehalten, von sich aus umfassend die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse substantiiert und in sich schlüssig zu schildern sowie eventuelle Widersprüche zu seinem Vorbringen in früheren Verfahrensstadien nachvollziehbar aufzulösen, so dass sein Vortrag insgesamt geeignet ist, den Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, Urteil vom 08. 05. 1984, NVwZ 1985, 36) und insbesondere auch den politischen Charakter der Verfolgungsmaßnahmen festzustellen. Bei der Darstellung der allgemeinen Umstände im Herkunftsland genügt es dagegen, dass die vorgetragenen Tatsachen die nicht entfernt liegende Möglichkeit politischer Verfolgung ergeben. Die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung kann schließlich nur festgestellt werden, wenn sich das Gericht in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Asylbewerber behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschafft hat, wobei allerdings der typische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrages und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist (BVerwG, Urteil vom 12. 11. 1985 -- Az.: 9 C 27.85). |
6. |
Soweit das Gericht unter Zugrundelegung dieser Beurteilungsmaßstäbe zu der Überzeugung gelangt, dass ein Asylbewerber vorverfolgt aus seinem Heimatstaat ausgereist ist, ist der Asylantrag grundsätzlich unbegründet, wenn die Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (sogenannter herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab, BVerwG, Urteil vom 26. 10. 1993, NVwZ 1994, 500). Eine derart notwendige hinreichende Sicherheit ist aber dann nicht gegeben, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine abermals einsetzende politische Verfolgung als nicht ganz fernliegend anzunehmen ist (BVerwG, Urteil vom 30. 10. 1990, NVwZ 1991, 377). Ist der Asylantragsteller dagegen unverfolgt ausgereist, so hat er nur dann einen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, wenn in seiner Person ein beachtlicher Nachfluchtgrund begründet ist und er bei seiner Rückkehr politische Verfolgung mit beachtlicher, d.h. also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht aber nur dann, wenn die für eine politische Verfolgung sprechenden Gründe ein größeres Gewicht besitzen als solche Umstände, die gegen eine Annahme politischer Verfolgung sprechen. |
7. |
Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gegeben, denn der Klägerin droht nach der Überzeugung der Kammer für den Fall ihrer Rückkehr politische Verfolgung. |
8. |
Die Klägerin hat in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ausführlich dargelegt, dass sie sich in Vietnam bis zu ihrer Ausreise mehrere Jahre politisch-oppositionell betätigt hat. Insbesondere hat sie Informationsmaterialien im Auftrag der vietnamesischen Volkspartei vervielfältigt und verteilt. Auf die Niederschrift über die Anhörung der Klägerin vom 13.08.1998 (Bl. 16-33 d. Behördenakten) wird verwiesen. |
9. |
Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten hält die Kammer dieses Vorbringen der Klägerin auch für glaubhaft. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 14.06.1999, auf deren Niederschrift ebenfalls verwiesen wird, den Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten genauso dargestellt wie bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt. Weder hat sie ihr Vorbringen gesteigert noch Tatsachen erst im gerichtlichen Verfahren nachgeschoben. Vor allem hat sie auch diejenigen Umstände, die das Bundesamt für nicht glaubhaft erachtet hat, dennoch erneut in gleicher Weise geschildert. Dabei hat die Klägerin weder unsicher gewirkt noch hat sie sonst auch nur den geringsten Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit begründet. |
10. |
Ihr Vorbringen widerspricht auch nicht der Lebenserfahrung. Die Kammer hält es durchaus für denkbar, dass eine solche Tätigkeit, wie sie die Klägerin beschrieben hat, auch über längere Zeit betrieben werden kann, ohne dass die Behörden in Vietnam dies feststellen. Die Einwendungen des Bundesamtes gegen die Glaubwürdigkeit der Klägerin hält die Kammer nicht für zutreffend. Insbesondere wendet das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ein, die Klägerin kenne das Parteiprogramm ihrer Partei nicht genügend und wisse nicht die Zahl der Parteimitglieder in Hanoi. Dabei verkennt das Bundesamt völlig, dass es sich nach dem Vorbringen der Klägerin um eine im Untergrund tätige Partei handelt. Die Kammer hält es für selbstverständlich, dass eine solche Partei keine offiziellen Parteiversammlungen durchführt, auf der sich die einzelnen Mitglieder im Rahmen einer Vollversammlung ein Bild über die Mitgliederstärke dieser Partei machen können. Auch ist es bei einer im Untergrund tätigen Partei wohl selbstverständlich, dass nicht alle Mitglieder sich untereinander kennen, Namen und Adressen auch untereinander zumindest teilweise geheim gehalten werden und auch keine gedruckten und allgemein erhältlichen Parteiprogramme vorhanden sind. |
11. |
Weiter wendet das Bundesamt ein, es sei mit der politischen Haltung der Klägerin nicht vereinbar, dass sie Zivilangestellte der Armee gewesen sei. Es sei darüber hinaus sicher damit zu rechnen gewesen, dass sie dann entdeckt werde. Auch diese Überlegung hält die Kammer nicht für schlüssig. Die Klägerin war lediglich als Pflegekraft in einem Armeekrankenhaus tätig und hat dort Hilfsdienste geleistet, ohne Krankenschwester zu sein. Eine so starke Divergenz zu der von der Klägerin geschilderten politisch-oppositionellen Haltung, dass dies zur Unglaubhaftigkeit ihres gesamten Vorbringens führen würde, kann die Kammer hieraus nicht entnehmen. |
12. |
Soweit die Behörde einwendet, der Grund für das Erscheinen der Polizei bei der Klägerin, das von ihr als fluchtauslösend angegeben wurde, sei eine reine Vermutung, trifft allerdings zu. Die Kammer vermag jedoch nicht die vom Bundesamt gezogene Schlussfolgerung nachzuvollziehen, dass deshalb eine politische Verfolgung nicht gegeben oder drohend sei. Es ist nach Auffassung der Kammer niemandem zuzumuten, sich erst möglicherweise verhaften zu lassen, damit er einen Grund für eine Flucht nachweisen kann, die dann möglicherweise nicht mehr durchführbar ist. Soweit in diesem Zusammenhang die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid ausführt, es sei durchaus denkbar, dass das Erscheinen der Polizei mit ihrem plötzlichen Verschwinden zusammenhänge, ist dies nicht schlüssig. Die Klägerin hat sich nach ihren glaubhaften Angaben bis zu diesem Zeitpunkt zu Hause aufgehalten, ihr Kind hat den Kindergarten besucht. Erst danach hat sie sich abgesetzt und einige Wochen versteckt. |
13. |
Geradezu abwegig ist der Einwand der Beklagten, ihr Vorbringen sei deshalb nicht glaubhaft, da sie einen gefälschten Reisepass benutzt hat, der aber auf ihren echten Familiennamen gelautet habe und ein Passbild enthalten habe, das ihr sehr ähnlich sehe. Zunächst dürfte jeder einigermaßen brauchbare gefälschte Pass ein Passbild enthalten, das dem Nutzer ähnlich sieht, sonst könnte man wohl die Benutzung eines falschen Passes gleich unterlassen. Allerdings trifft zu, dass der Reisepass den echten Familiennamen der Klägerin getragen hat. Dieser Familienname lautet N__. Hierbei handelt es sich, wie der Kammer aus zahlreichen anhängigen Verfahren bekannt ist und dem Bundesamt nicht fremd sein sollte, um den mit Abstand häufigsten Namen in Vietnam. Im Referat des Berichterstatters des vorliegenden Verfahrens heißen zeitweise ein Drittel bis zur Hälfte aller Kläger N__. Der Name ist in Vietnam häufiger als im Deutschen etwa Müller oder Schmidt. Aus diesem Grund lässt die Benutzung dieses Familiennamens in einem gefälschten Pass keinerlei Rückschlüsse zu, die auch nur im entferntesten den Schlüssen entsprechen, die die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid zieht. |
14. |
Das Bundesamt glaubt der Klägerin weiterhin nicht, dass sie so lange unentdeckt geblieben sei. Wörtlich wird im Bescheid ausgeführt: "Einziger Schutz für sie war nach ihren Angaben ihr attraktives Äußeres (s. S. 29 d. Akte)". Bei dieser Äußerung handelt es sich um eine nach Auffassung der Kammer nicht mehr nachvollziehbare Verdrehung des gesamten Vorbringens der Klägerin zu diesem Thema in der Anhörung. Sie passt insofern zu dem Ablauf der fast 5 1/2stündigen Vernehmung der Klägerin, die vor allem gegen Ende ausweislich der Niederschrift von Seiten des Entscheiders immer unsachlicher, teilweise sogar feindselig geführt wurde. Die Stelle in der Niederschrift, auf die sich die Beklagte im Bescheid beruft, geht von folgender "Frage" des Entscheiders aus:
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Daraufhin antwortete die Klägerin:
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Der Ermittler fährt dann fort:
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Die Klägerin erwidert:
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An dieser Stelle in der Anhörung folgte dann die Formulierung, auf die das Bundesamt Bezug nimmt:
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Hierauf erwiderte die Klägerin:
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20. |
Zunächst hat die Klägerin mit dieser Antwort überhaupt nicht auf ein "gutes Aussehen", sondern auf ein "ganz normales" Aussehen Bezug genommen. Damit erwiderte sie auf die höchst unsachliche und frauenfeindliche Darlegung des Entscheiders, sie sei für eine oppositionelle Tätigkeit in Vietnam "viel zu temperamentvoll und zu lebendig" und sie sehe "viel zu gut aus". Aus der Antwort der Klägerin auf diese Anwürfe den von der Beklagten gezogenen Schluss zu ziehen, hält die Kammer für nicht möglich. Ähnliches gilt im Übrigen für den Versuch, eine Unglaubwürdigkeit der Klägerin deshalb zu unterstellen, weil sie sich im Jahre 1997 habe scheiden lassen, ohne eine konkrete neue Heiratsabsicht zu haben. So stellt der Entscheider im Rahmen der Anhörung (Bl. 28 d. Behördenakten) die Behauptung auf, man lasse sich in der Regel scheiden, wenn man erneut heiraten wolle. Im Gegensatz dazu vertritt die Kammer die Auffassung, dass man aus der Scheidung der Klägerin im Jahre 1997 keine für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgeblichen Gründe ableiten kann. |
21. |
Zu diesem Fragenkomplex ist bedauerlich, dass sich die Beklagte Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens (Schriftsatz vom 31.05.1999) sowohl die Äußerungen zum äußeren Erscheinungsbild der Klägerin als auch diejenigen zur Scheidung zu eigen macht. In Bezug auf die Scheidung wird ausgeführt, dass zunehmend mehr vietnamesische Asylbewerberinnen unmittelbar nach Stellung eines Asylantrages heiraten. Dies mag durchaus so sein, hinsichtlich der Klägerin gibt es aber bislang keine derartigen Anhaltspunkte. Außerdem hat diese Überlegung mit der gemachten allgemeinen Äußerung nichts zu tun. Jedenfalls vertritt die Kammer die Auffassung, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, wonach sich temperamentvolle, lebendige und gut aussehende Frauen nicht der politischen Arbeit widmen; ebenso gibt es keinen Erfahrungssatz, man lasse sich in der Regel nur dann scheiden, wenn man erneut heiraten wolle. Aus diesen Überlegungen lassen sich somit auch keine Erwägungen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Klägerin im vorliegenden Verfahren ableiten. |
22. |
Die Kammer kann sich im Übrigen des Eindrucks nicht erwehren, dass die Anhörung insgesamt von Voreingenommenheit geprägt war. Gleich an mehreren Stellen wird der Versuch unternommen, die Klägerin durch abstruse Zahlenspielereien zu Angaben zu nötigen, die sie nicht machen möchte. Auf die Frage, wie viele Exemplare der Zeitschriften sie jeweils verteilt habe, antwortete sie zunächst unbestimmt "viele". Daraufhin antwortet der Entscheider, er nehme nun die Zahl 3000 in das Protokoll auf. Ähnliche Dinge sind mehrfach in der Niederschrift enthalten. |
23. |
Nach alledem geht die Kammer davon aus, dass die Schilderung der Klägerin über ihre politische Tätigkeit in Vietnam ebenso wie die Umstände ihrer Ausreise und das Erscheinen der Polizei den Tatsachen entspricht. Sie muss deswegen im Fall ihrer Rückkehr auch mit politischen Verfolgungsmaßnahmen rechnen. Es droht ihr eine Bestrafung wegen eines Verstoßes gegen Art. 73 (Aktionen zum Sturz der Volksregierung), Art. 81 (Verbrechen die Politik der Einheit zu unterminieren) und / oder Art. 82 (Antisozialistische Propaganda) des vietnamesischen Strafgesetzbuches (VSTGB). Art. 73 VSTGB sieht eine Strafe von 12 bis 20 Jahren Haft, lebenslange Haft oder Todesstrafe vor, die anderen genannten Straftatbestände langjährige Gefängnisstrafen (Amnesty International, Schreiben vom 15.10.1997 an das VG Meiningen in der Sache 5 K 20043/93.Me). Bei diesen Vorschriften handelt es sich um politische Strafvorschriften (ThürOVG, Urteil vom 22.10.1996, Az.: 3 KO 143/94). Die Strafen dienen im wesentlichen dem Zweck, die politische Herrschaft des kommunistischen Systems in Vietnam zu sichern. Bei Art. 81 und 82 VSTGB handelt es sich um Vorschriften, die ausschließlich die Äußerung von Auffassungen unter Strafe stellt, die von der Staatsdoktrin abweichen. Das gleiche gilt auch für Art. 73 VSTGB, der unter Strafe stellt, eine Organisation zu gründen oder ihr beizutreten, die das Ziel hat, die Volksregierung zu stürzen. Neuerdings ist auch nicht ausgeschlossen, dass eine Bestrafung nach den "Vorschriften über die administrative Bewährung" erfolgen könnte, die durch Regierungsverordnung Nr. 31-CP vom 14.04 1997 eingeführt wurde. Nach Auffassung des Auswärtigen Amtes ("Bericht über die asyl- und abschieberelevante Situation in Vietnam, Stand Februar 1999, Ziff. II.1) handelt es sich dabei um einen Eingriff in Grundrechte, die die vietnamesische Verfassung gewährleistet. Besonders bedenklich ist aus der Sicht des Auswärtigen Amtes, dass eine Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren und damit auch ohne rechtlichen Beistand möglich ist und die Beschreibung des Vergehens ("Verstoß gegen die nationale Sicherheit") so allgemein ist, dass die Behörden einen großen Ermessensspielraum haben. Aus den gleichen Gründen, aus denen bei den genannten Strafvorschriften anzunehmen ist, dass es sich um politische Strafvorschriften handelt, gilt dies auch für eine mögliche Bestrafung nach den Vorschriften über die administrative Bewährung. |
24. |
Die Klägerin ist auch insofern glaubhaft, als sie sich für die "Viet Nam Quoc Dan Dang" (oder in deutscher Übersetzung: Volkspartei Vietnam oder Nationalist Partei) eingesetzt hat und deren Mitglied ist. Dies ist auch durch eine Bestätigung der in Deutschland tätigen Sektion der Partei nachgewiesen. Auch insofern teilt das Gericht die Zweifel des Bundesamtes nicht. Dass in der Bestätigung ein von der Klägerin in der Anhörung nicht ausdrücklich erwähnter Deckname verwendet wurde, bedeutet nichts. Das Eintreten für die Ziele der Partei (ohnehin unabhängig von einer Mitgliedschaft) kann zur Bestrafung wegen der genannten Strafvorschriften führen (Will, Stellungnahme vom 02.10.1995 an den VGH München); nach Auffassung von Amnesty International ist die Mitarbeit in dieser Partei in Vietnam auch heute noch äußerst gefährlich. Jedes Mitglied und jeder Unterstützer müsse damit rechnen, als Staatsfeind betrachtet und dementsprechend behandelt zu werden (Stellungnahme vom 10.05.1996 an den VGH München). Wie Will äußert sich auch Lulei (Stellungnahme vom 18.10.1996 an den VGH München). |
25. |
Es ist auch damit zu rechnen, dass tatsächlich wegen der genannten Strafvorschriften eine Strafverfolgung droht. Es ist grundsätzlich nach allen dem Gericht zur Verfügung stehenden Quellen unbestritten, dass in der sozialistischen Republik Vietnam diese Strafvorschriften angewendet werden. Zweifel hieran werden nur in einem Teil der Fälle geäußert, in denen es um exilpolitische Tätigkeit geht (vgl. die umfassende Darstellung im Urteil des ThürOVG vom 22.10.1996, Az.: 3 KO 143/94). Diese Einschränkung der Bestrafungswahrscheinlichkeit wird damit begründet, dass die sozialistische Republik Vietnam strafrechtlich einem Territorialprinzip folge, sich also nicht unter allen Umständen von im Ausland begangenen Verstößen betroffen fühlt (vgl. z. B. Amnesty International, Stellungnahme vom 15.10.1997 an das VG Meiningen -- 5 K 20043/93.Me -- und vom gleichen Tag an das VG Meiningen in der Sache 5 K 20704/93.Me; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Situation in Vietnam, Stand: Februar 1999). Soweit ersichtlich gibt es keine Quelle, nach der die Anwendung dieser Vorschriften des vietnamesischen Strafgesetzbuches auf Taten, die in Vietnam begangen worden sind, in Frage steht. |
26. |
Nach alledem kommt die Kammer zu der Auffassung, dass der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für den Fall ihrer Rückkehr nach Vietnam eine strafrechtliche Verfolgung auf Grund ihrer früheren politisch-oppositionellen Tätigkeit in Vietnam droht. Die Rückkehr in ihr Heimatland ist ihr deshalb nicht zuzumuten. Das Rückübernahmeabkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam führt nicht zu einer Straffreiheit, da die im Briefwechsel vom 21.07.1995 abgegebene Erklärung der Sozialistischen Republik Vietnam nur auf eine Strafverfolgung wegen unerlaubter Ausreise und unerlaubten Aufenthalts in Deutschland Bezug nimmt. |
27. |
In Anbetracht dieser Umstände kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin auch wegen ihrer exilpolitischen Tätigkeit mit einer Strafverfolgung im Fall ihrer Rückkehr rechnen muss. Ebenso kommt es auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG nicht an, für die ohnehin keine Ansatzpunkte bestehen. |
28. |
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 ZPO. |