Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil vom 10.03.1981
- 10 S 2339/80
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 (weitere Fundstellen: KirchE 18, 429 f.)

 

 

Tatbestand:

1.

Der Kläger nimmt die Beklagte (kath. Kirchengemeinde) auf Unterlassung des sog. Angelus-Läutens um 6.00 Uhr morgens in Anspruch. Das Verwaltungsgericht (VG Karlsruhe KirchE 18, 268) hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung erreichte der Kläger lediglich eine Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht. Abweichend von der Vorinstanz hält der Verwaltungsgerichtshof den Verwaltungsrechtsweg nicht für gegeben.

 

Aus den Gründen:

2.

Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, welches sich insoweit eng an die Entscheidung des VG Würzburg vom 1.6.1971 (BayVBl. 1972, 23) anlehnt, die vom Kläger angegriffene Maßnahme — das morgendliche kirchliche Angelus-Läuten — gehöre zu den „hoheitlichen Funktionen" der beklagten Kirchengemeinde, kann nicht gefolgt werden. Sie wird der Eigenart dieser liturgischen Tätigkeit und auch der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Art.4 Abs. 2, Art. 140 GG i. V. m. Art. 136, 137, 138, 139 und 141 WRV) nicht gerecht: Maßgeblich für die hier zu entscheidende Frage des Rechtsweges ist, ob es sich bei dem Glockenläuten um eine Immission in Ausübung öffentlich-rechtlicher Gewalt handelt (vgl. von Campenhausen, DVBl. 1972, 316 [319]). Denn der Verwaltungsrechtsweg ist — soweit für den vorliegenden Fall von Belang — nur dann gegeben, wenn eine öffentlich-rechtliche Körperschaft in den Formen des öffentlichen Rechts handelt, das nur ihr als Träger hoheitlicher Gewalt eingeräumt ist, nicht aber schon dann, wenn ihr Handeln eine ihr als öffentlich-rechtlicher Körperschaft obliegende Aufgabe erfüllt (vgl. Palandt, BGB, 40.Aufl., § 906 Anm.8 b m.w.N.). Das hier zu beurteilende liturgische Glockengeläute (zur Abgrenzung von den nichtsakralen Nebenaufgaben der Kirche im öffentlichen Interesse, vgl. von Campenhausen, a. a. O., 316) ist aber kein Vorgang, der sich unter das Schema „hoheitlichobrigkeitlich" bzw. „schlicht-hoheitlich" bringen ließe (von Campenhausen, a. a. O., 319).

3.

Zwar billigt Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV den Religionsgesellschaften den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu. Doch ist damit noch nicht gesagt, daß die Kirchen in ihrer Eigenschaft als juristische Personen des öffentlichen Rechts „hoheitliche" Funktionen wahrnähmen (zur Bedeutung des Körperschaftsstatus vgl. Kästner, JuS 1977, 715 [719]; Schatzschneider, BayVBl. 1980, 564). Dies schon deshalb nicht, weil nicht alle Maßnahmen eines Hoheitsträgers als „hoheitlich" zu qualifizieren sind. Zum anderen, und dies ist entscheidend für den vorliegenden Fall, ist die Einordnung der Kirche in das öffentliche Recht nur eine historisch bedingte „verbale" Verlegenheitslösung (vgl. Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, RdNr. 26 zu Art. 4 GG; Schatzschneider, a. a. O., 564). Die Kirchen handeln damit keineswegs staatlichhoheitlich bzw. „öffentlich-rechtlich" im technischen Sinne (Kästner, a. a. O., 719). Vielmehr ist der materielle, verwaltungsrechtliche Körperschaftsbegriff — die Einbeziehung in den Funktionsbereich der mittelbaren Staatsverwaltung — unter der Geltung des Grundgesetzes unanwendbar auf die Kirchen; sie können funktional nicht zum staatlichen Organisationsraum gerechnet werden (Schatzschneider, a. a. O., 565 m. w. N). Kirchliches Glockengeläute wie das hier streitige morgendliche Angelus-Läuten gehört zu den spezifischen kultischen Handlungen, die wiederum zur Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) zählen (vgl. BVerfGE 24, 236, 246; von Campenhausen, a. a. O., 316; Baldus, DÖV 1971, 338). Es dient mittelbar der Verkündigung der christlichen Botschaft als der zentralen Aufgabe der Kirche (von Campenhausen, a. a. O.). Im Verhältnis zu den Nachbarn, welche sich hierdurch gestört fühlen, stehen die Kirchen nicht anders als andere Nachbarn da. Ihr Rechtsverhältnis richtet sich daher nach bürgerlichem Recht, Streitigkeiten sind mithin im ordentlichen Rechtsweg auszutragen (Stolleis, BayVBl. 1972, 23).

4.

Der Senat ist nach alledem mit dem Beschluß des BayVGH vom 14.3.1980 (BayVBl. 1980, 563) der Auffassung, daß der Verwaltungsrechtsweg im vorliegenden Falle nicht schon deshalb gegeben ist, weil die Klage sich gegen eine Untergliederung der katholischen Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts richtet. Vielmehr hat das Rechtsverhältnis, um das es im vorliegenden Falle geht, seine Wurzel im Privatrecht (§ 906 BGB). Zwar besteht ein Zusammenhang mit einer „res sacra", also einer öffentlichen Sache (vgl. hierzu Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., § 55 II a; BVerwGE 18, 341, 342; Schatzschneider, a. a. O., 565), doch reicht diese Tatsache allein für die Annahme einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nicht aus (ebenso BayVGH, a. a. O., 564; Landgericht Essen, MDR 1970, SOY; von Campenhausen, a.a.O. 319; Stolleis, a. a. O., 23; Schatzschneider, a. a. O., 565).

5.

Die Berufung kann deshalb mit dem Hauptantrag keinen Erfolg haben. Denn insoweit hat das Verwaltungsgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Auf den Hilfsantrag des Klägers ist die Streitsache jedoch gem. § 41 Abs. 3 VwGO an das zuständige Landgericht ... zu verweisen.