Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 18. 2. 1999
 - Aktz: 24 CS 98.3198
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 (weitere Fundstellen: NVwZ 2000, 454 f.)

 

Zum Sachverhalt:

1.

Der Ast. hält sich als Asylbewerber in München auf. Er fiel mehrfach wegen BTM-Handels auf. Mit Bescheid vom 5. 3. 1998 erließ die Ag. ein Aufenthaltsverbot mit dem Inhalt, dass dem Ast. untersagt wurde, sich in dem Zeitraum von, zwölf Monaten ab Zustellung des Bescheids auf allen öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen in den Bereichen der näheren Umgebung des Hauptbahnhofs einschließlich des Alten Botanischen Gartens, der Gebiete und die Bereiche der U-Bahnhöfe Universität und Giselastraße einschließlich Leopoldpark, der Münchner Freiheit mit angrenzendem nördlichen Bereich des Ostbahnhofs und des Orleansplatzes einschließlich der Orleansstraße und der Postwiese gemäß den schraffierten Flächen in den anliegenden Lageplänen aufzuhalten. Ferner wurde die sofortige Vollziehung angeordnet und für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 2000 DM angedroht. Einem gegen die Anordnung des Sofortvollzugs gerichteten Eilantrag gab das VG statt.

2.

Die Beschwerde der Ag. hatte Erfolg.

 

Aus den Gründen:

3.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung von Nr. 1 des Bescheids vom 5. 3. 1998 begegnet keinen formellen und materiellen Bedenken. Gem. § 80 III VwGO ist in den Fällen des § 80 II Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dieser Begründungspflicht ist die Ag. in dem streitgegenständlichen Bescheid nachgekommen. Die Begründung hat den Zweck, dem Betroffenen die Gründe, die die Behörde zur Anordnung des Sofortvollzugs veranlasst haben darzulegen und es ihm damit zu ermöglichen, die Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels abzuschätzen und seine Rechte wirksam wahrzunehmen (BVerfGE 50, 290 = NJW 1979, 699). Erforderlich ist eine auf den Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss zunächst von dem von ihm bekämpften Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden. Die Begründung kann ausnahmsweise auf die Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsakts Bezug nehmen, wenn aus dieser bereits die besondere Dringlichkeit auch der Regelung i. S. des § 80 II 1 Nr. 4, III VwGO hervorgeht und die von der Behörde getroffene Interessenabwägung klar erkennbar ist. Sie ist aber auch in diesem Fall, d.h. wenn für die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieselben Gründe maßgeblich sind wie für den Verwaltungsakt, nicht entbehrlich.

4.

Das besondere öffentliche Interesse oder private Interesse i. S. von § 80 II 1 Nr. 4 und III VwGO an der Vollziehung stellt sich als Ergebnis einer Abwägung aller konkreten fallbetroffenen öffentlichen und privaten Interessen dar unter Berücksichtigung der Natur, Schwere und Dringlichkeit des Interesses an der Vollziehung bzw. an der aufschiebenden Wirkung und der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer etwaigen Rückgängigmachung der getroffenen Regelung und ihrer Folgen. Bei diesem Abwägungsvorgang ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, d.h. soweit besonders geschützte Grundrechte betroffen sind oder es sich um besonders schwer wiegende Eingriffe handelt, deren Folgen nicht ohne weiteres wieder gutzumachen sind, ist grundsätzlich nicht nur ein strenger Maßstab, sondern auch eine eingehende Prüfung der materiellen Voraussetzungen erforderlich (BVerfGE 67, 43 [44] = NJW 1984, 2028 = NVwZ 1984, 642 L).

5.

Das allgemeine, jedem Gesetz innewohnende öffentliche Interesse am Vollzug des Gesetzes allein reicht für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfordert grundsätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse, das über jenes hinausgeht, welches den Verwaltungsakt rechtfertigt. Andererseits ist nicht in allen Fällen ein über den Gesetzeszweck hinausgehendes zusätzliches Vollzugsinteresse erforderlich; das besondere Vollzugsinteresse kann deshalb unter Umständen mit dem Vollzugsinteresse einer Vorschrift zusammenfallen und nur noch die Prüfung erfordern, ob nicht ausnahmsweise im Hinblick auf die besonderen Umstände des Falles die sofortige Vollziehung weniger dringlich ist als im Normalfall. Zu berücksichtigen sind alle mit dem Vollzug des Verwaltungsakts unmittelbar verbundenen bzw. dem Vollzug entgegenstehenden Interessen (z. B. bei der Vollziehbarkeit einer Ausweisungsverfügung sind auch die Interessen des Ehepartners des Auszuweisenden zu berücksichtigen).

6.

Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen auch an der materiellen Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung keine Bedenken. Die Ag. hat das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Aufenthaltsverbots damit begründet, rechtswidrige Taten, die einen Straftatbestand verwirklichen, zu unterbinden. Außerdem begründeten Gesichtspunkte der Generalprävention im Hinblick auf die Verfestigung einer Drogenszene das besondere öffentliche Interesse im vorliegenden Fall. Eine Interessenabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist der Bescheidsbegründung ebenfalls zu entnehmen. Das hierbei gefundene Ergebnis ist im Rahmen der Prüfung, ob die materiell-rechtlichen Grenzen für die Anordnung eines Sofortvollzugs gegeben sind nicht zu beanstanden. Ausgehend von einer möglichen Grundrechtseinschränkung des Ast. hinsichtlich seiner Bewegungsfreiheit und seiner Handlungsfreiheit hat die Ag. in den Abwägungsvorgang die Verhütung von Gefahren für die Sicherheitsgüter Leib und Leben anderer miteingestellt und weiterhin mitberücksichtigt, dass es dem Ast. darüber hinaus unbenommen ist zur Verrichtung seiner täglichen Angelegenheiten die im Bescheid angesprochenen Gebiete aufzusuchen. Angesichts der Tatsache, dass der Ast. bereits wiederholt im Besitz von Drogen, die er offensichtlich anderen zum Kauf anbieten wollte, angetroffen wurde, rechtfertigt dieser Tatbestand die Dringlichkeit eines Sofortvollzugs. Die hierbei eintretenden Folgen für den Ast. und die Möglichkeit an der Rückgängigmachung der Maßnahmen sind nicht als so schwer wiegend einzustufen, dass von einer Anordnung des Sofortvollzugs abzusehen wäre.

7.

Auch wenn alle in § 80 II 1 Nr. 4, III VwGO genannten formellen und materiellen Voraussetzungen der sofortigen Vollziehbarkeit des in Frage stehenden Verwaltungsakts erfüllt sind, bedeutet dies nicht zwingend, dass damit der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung keinen Erfolg hat. Soweit für die Behörde ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Anordnung des sofortigen Vollzugs besteht, kann das Gericht die behördliche Ermessensentscheidung durch eine eigene ersetzen. Bei seiner Entscheidung gem. § 80 V VwGO hat das Gericht die Interessen des Ast. und die der Ag. sowie betr. Interessen Dritter und der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen und die Erfolgsaussichten eines evtl. Hauptsacheverfahrens summarisch zu überprüfen und mitzuberücksichtigen. Je größer die Erfolgsaussichten einer Klage sind, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse des Ast. zu stellen. Je geringer umgekehrt die Erfolgsaussichten zu bewerten sind, umso höher müssen die erfolgsunabhängigen Interessen des Ast. zu veranschlagen sein um eine Aussetzung zu rechtfertigen. Kein öffentliches oder hinreichendes privates Interesse am Vollzug eines Verwaltungsakts – und damit auch kein besonderes Interesse i. S. von § 80 II 1 Nr. 4 und III VwGO – ist anzuerkennen, wenn der Vollzug des Verwaltungsakts oder der Gebrauch von einer Erlaubnis nur unter Verstoß gegen die Rechtsordnung möglich wäre.

8.

Eine summarische Überprüfung des Aufenthaltsverbots gegenüber dem Ast. ergibt, dass dessen Erfolgsaussichten in einem Hauptsacheverfahren als gering einzuschätzen sind. Die Ag. hat die getroffene Maßnahme auf Art. 7 II Nrn. 1 und 3 BayLStVG gestützt.

9.

Allerdings dürfen gem. Art. 7 IV BayLStVG die Freiheit der Person und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 2 II 2, 13 GG; Art. 102 I und 106 III BayVerf.) durch Maßnahmen auf Grund Art. 7 II und III BayLStVG nicht eingeschränkt werden. Entscheidende Frage ist damit, ob durch das von der Ag. Verfügte Aufenthaltsverbot das Grundrecht des Ast. aus Art. 2 II 2 GG, Art. 102 I BayVerf. eingeschränkt wird. Das ist vorliegend zu verneinen.

10.

Der Umfang der Gewährleistung der persönlichen Freiheit nach Art. 2 II 2 GG ist streitig.

11.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG schützt das Grundrecht des Art. 2 II 2 GG im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung die gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit von staatlichen Eingriffen. Sein Gewährleistungsinhalt umfasst von vornherein nicht eine Befugnis sich unbegrenzt überall aufhalten und überall hin bewegen zu dürfen. Demgemäß liegt eine Freiheitsbeschränkung nur vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen gehindert wird einen Ort oder Raum aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich oder rechtlich) zugänglich ist (8 VerfGE 94, 166 [198] = NVwZ 1996, 678). In seiner Entscheidung vom 7. 7. 1983 (NVwZ 1983, 603) hat das BVerfG entschieden, dass Art. 2 II 2 GG als Prüfungsmaßstab wegen der räumlichen Aufenthaltsbeschränkung für Asylbewerber ausscheidet. Es handele sich nicht um einen Eingriff in die durch Art. 2 II 2 GG geschützte Freiheit der Person. Dieser Auffassung hat sich das BayObLG in seiner Entscheidung vom 25. 4. 1984 (NVwZ 1985, 374) angeschlossen. Angesichts des räumlichen Umfangs, innerhalb dessen sich ein Asylbewerber frei bewegen dürfe (eine größere Stadt oder ein Landkreis) stehe ein Eingriff in das Grundrecht des Art. 2 II 2 GG überhaupt nicht in Frage (vgl. im Übrigen zum Meinungs- und Diskussionsstand sowie zu einer Übersicht der einschlägigen Rspr. Tiemann, NVwZ 1987, 10).

12.

Mit Freiheit der Person i. S. dieser Bestimmung ist auch nach der Rechtsprechung des BVerwG nur die körperliche Freiheit, die Freiheit vor Verhaftung, Festnahmen und ähnlichen Eingriffen gemeint. Die Auffassung, dass dieses Recht darüber hinausgehe und darunter die Freiheit von jeglichem staatlichen Druck zu verstehen sei, wird ausdrücklich abgelehnt (BVerwGE 6, 354 = NJW 1958, 1249).

13.

Auch die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur sieht in Art. 2 11 2 GG nur die Garantie der körperlichen Bewegungsfreiheit.

14.

Art. 2 II GG ist eine Spezialnorm gegenüber Art. 2 1 GG. Freiheit der Person i. 5. von Art. 2 II 2 GG bedeute nicht Freiheit vor jeglichem staatlichem Zwang, weil sonst Art. 2 II 2 GG von Art. 2 1 GG sachlich überdeckt würde. Zudem würde die allgemeine Handlungsfreiheit, die nach Art. 2 1 GG unter dem Vorbehalt steht, dass nicht Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen werden darf, auf dem Umweg über Art. 2 II 2 GG einem generellen Gesetzesvorbehalt unterworfen (Maunz/Dürig, GG, Stand; 1998, Art. 2 Rdnrn. 40 f.). Dies folgt aus der Auslegung des Art. 2 I GG als Eingriffsfreiheit, aus dem Zusammenhang mit Art. 104 GG, der die formellen Voraussetzungen der Entziehung der Freiheit der Person regele, sowie aus der Entstehungsgeschichte, aus der sich ergebe, dass "die persönliche Bewegungsfreiheit im engeren Sinne" gemeint gewesen sei (v. Münch, GG I, 1985, Art. 2 Rdnr. 62).

15.

Das Recht auf Freiheit der Person werde durch alle der öffentlichen Gewalt zurechenbaren Maßnahmen beeinträchtigt, die die körperliche Bewegungsfreiheit für eine gewisse Mindestdauer allseitig bzw. auf einen engen Raum beschränkten (Bauer/Dreier/Gröschner, GG, 1996, Art. 2 Rdnr. 62 m. Hinw. auf BVerfGE 83, 24 [31] = NJW 1991, 1283 = NVwZ 1991, 664 L; BVerwGE 62, 325 [328] = NJW 1982, 537).

16.

Weiterhin wird die Ansicht vertreten, dass im Hinblick auf die historische Vorgeschichte des Grundrechts auf den Zusammenhang bzw. die Ähnlichkeit mit Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs abzustellen sei (Jarass, GG, 1995, Art. 2 Rdnr. 61). Das Recht auf Freiheit steht in der Tradition des zunächst in England entwickelten Instituts des "habeas corpus", mit dessen Hilfe Festnahmen und verwandte, mit körperlichem Zwang verbundene Freiheitsbeschränkungen durch die öffentliche Gewalt begrenzt und verfahrensrechtlichen Anforderungen unterworfen worden seien. Gebote und Verbote zur körperlichen Bewegungsfreiheit stellten daher eine Grundrechtsbeeinträchtigung da; wenn bei ihrer Nichterfüllung mit sofortigem unmittelbarem Zwang gerechnet werden müsse. Maunz/Dürig (Art. 2 Rdnrn. 49 f.) sehen dagegen in der "körperlichen Bewegungsfreiheit" die Möglichkeit einen beliebigen Ort aufzusuchen und sich dort aufzuhalten. Art. 2 II 2 GG ist hiernach verletzt, wenn der Betroffene daran gehindert wird einen beliebigen Aufenthaltsort zu wählen, sei es, dass er daran gehindert wird den erstrebten Ort aufzusuchen, sei es, dass er an einem Ort festgehalten wird.

17.

Der Senat folgt der in der Rechtsprechung und der in der Literatur überwiegend vertretenen engeren Auslegung des Art. 2 II 2 GG, die entsprechend auch für Art. 102 I BayVerf. gilt, mit der Folge, dass Art. 7 IV BayLStVG der angefochtenen Maßnahme nicht entgegensteht, weil der Ast. durch die Maßnahme der Ag. nicht, in seinem Grundrecht aus Art. 2 II 2 GG tangiert wird (a. A. Bengl/Berner/Emmerig, BayLStVG, Stand; April 1998, Art. 7 Rdnr. 7), denn der Ast. wird nicht generell in seiner körperlichen Bewegungsfreiheit gehindert, sondern nur daran, bestimmte Orte aufzusuchen, für deren Besuch kein vorrangiges persönliches Interesse besteht.

18.

Nach einer im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung sind die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen von Art. 7 II Nrn. 1 und 3 BayLStVG gegeben. Danach können die Sicherheitsbehörden in Ermangelung spezial gesetzlicher Vorschriften zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden. Des Weiteren können sie zur Gefahrenabwehr oder zur Beseitigung von Störungen tätig werden, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit von Menschen oder Sachwerte bedrohen oder verletzen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint.

19.

Die Landeshauptstadt München wurde im Falle des Ast. tätig, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen zu verhüten oder zu unterbinden. Der Ast. wurde am 20. 12. 1997 gegen 17.30 Uhr am U-Bahnhof Universität festgenommen, weil er ein Stück Haschisch, für das er 50 DM haben wollte, zum Kauf anbot. Des Weiteren wurde bei ihm am 20. 12. 1997 2,3 g Haschisch sichergestellt. Nach den Erkenntnissen des Bayerischen Landeskriminalamtes ist er bereits mehrfach einschlägig in Erscheinung getreten, so z. B. am 13. und am 28. 10. 1997. Hieraus resultiert der Vorwurf des illegalen Handels mit Cannabis. Diese tatsächlichen Feststellungen sind unstrittig. Der Besitz und der Handel von bzw. mit Betäubungsmitteln ohne Erlaubnis ist eine Straftat gem. § 29 I BtMG. Ebenso ist die Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken eine Straftat, § 43 I i. V. mit § 95 I Nr. 4 AMG. Die Voraussetzungen für ein Eingreifen nach Art. 7 II Nr. 2 BayLStVG erfordern entgegen der Ansicht des VG nicht, dass der Ast. bereits rechtskräftig wegen eines einschlägigen Delikts verurteilt worden ist. Weiterhin liegen die Voraussetzungen von Art. 7 II Nr. 3 BayLStVG vor. Die Ag. war vorliegend gehalten, zur Gefahrenabwehr für Leben und Gesundheit anderer einzuschreiten. Unerlaubter Drogenbesitz, -konsum und Drogenhandel gefährdet für sich allein die öffentliche Sicherheit und Ordnung ganz erheblich. Hinzu kommt, dass mit Drogenhandel durch den Ast. Dritte in ihrer Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit massiv beeinträchtigt werden. Ein weiterer Gefahrenpunkt ergibt sich daraus, dass der Handel mit Betäubungsmitteln erfahrungsgemäß im Zusammenhang mit so genannten Delikten der Beschaffungskriminalität wie z.B. Diebstahl steht.

20.

Die von der Ag. getroffene Maßnahme verstößt, auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bzw. des Übermaßverbots, weder in zeitlicher noch in räumlicher Hinsicht, d. h. die getroffene Ermessensentscheidung steht nicht außer Verhältnis zu dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung. Auf Grund polizeilicher Erkenntnisse steht fest, dass sich in den angesprochenen Bereichen des Hauptbahnhofs, der U-Bahnhöfe Universität und Giselastraße einschließlich Leopoldpark, der Münchner Freiheit, des Ostbahnhofs und des Orleansplatzes sowie der Postwiese eine so genannte Drogenszene gebildet und verfestigt hat. Wird hiergegen nicht eingeschritten, so führt dies zwangsläufig zu einer offenen Drogenszene mit ihren Folgen, die aus anderen bundesdeutschen Großstädten aus Medienberichten hinlänglich bekannt sind. Des weiteren veranschaulichten Fernsehberichte aus dem In- und Ausland deutlich die Konsequenzen, wenn einer derartigen Verfestigung tatenlos zugesehen wird. Das Bild der Drogenumschlagplätze ist geprägt von kranken und abhängigen jungen Menschen, die zum Teil am Rande der Verwahrlosung leben und deren Lebensinhalt darin besteht für entsprechenden Nachschub zu sorgen. Neben der unmittelbaren Betroffenheit der Drogensüchtigen, besteht durch das Anbieten von Drogen an Dritte weiterhin die Gefahr, dass bislang Unbeteiligte in diesen Sog geraten und sich der Kreis der Süchtigen weiter ausbreitet. Zudem ist die Gefahr nicht zu unterschätzen, dass ganze Stadtviertel hierdurch in ihrer sozialen Struktur verändert werden, weil sie zum Teil wegen des Gefahrenpotenzials gemieden werden.

21.

Die Tatsache, dass möglicherweise durch das Aufenthaltsverbot die Schauplätze verlagert werden oder sich neue Drogenumschlagplätze bilden, lässt die getroffene Maßnahme nicht als ungeeignet erscheinen. Mit dem Aufenthaltsverbot wird primär der Zweck verfolgt einer Verfestigung der Drogenszene an stark frequentierten Punkten entgegenzuwirken und zu erreichen dass bestimmte Anlaufpunkte, die unter den Dealern und Konsumenten bekannt sind, unpopulär sind bzw. werden. Die angefochtene Maßnahme kann jedenfalls einen Beitrag dazu leisten, den Drogenhandel zu erschweren. Eine Maßnahme ist nicht schon allein deswegen ungeeignet, weil das Grundproblem hierdurch nicht generell beseitigt werden kann, Der Ag. geht es hier um die Verhütung rechtswidriger Taten im Drogenbereich und im Bereich der Beschaffungskriminalität sowie um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

22.

Die im Rahmen der Ermessensentscheidung von der Ag. getroffene Maßnahme ist geeignet und erforderlich den mit ihr beabsichtigten Zweck zu erreichen. Die Belange des Ast. wurden hierbei ausreichend berücksichtigt. Dem Ast. ist es unbenommen die näher umschriebenen und gekennzeichneten Bereiche aufzusuchen und sich dort auch aufzuhalten soweit ein Aufenthalt dort notwendig ist, z. B. weil er auf ein öffentliches Verkehrsmittel warten muss oder er ein bestimmtes Geschäft aufsuchen will. Dass derartige Verrichtungen des täglichen Lebens hiervon nicht betroffen sind, tritt in der Anordnung klar zu Tage.

23.

Auch die zeitliche Befristung auf die Dauer von zwölf Monaten begegnet keinen Bedenken. Das Verhalten des Ast. hat in der Vergangenheit eindeutig gezeigt, dass er in den Handel mit Drogen verstrickt ist. Eine zeitliche Befristung auf drei bzw. sechs Monate erschien aus Sicht der Behörde zu Recht wenig sinnvoll und Erfolg versprechend, weil er sich ohne Beschränkung innerhalb eines kürzeren zeitlichen Rahmens unbehelligt von einem Drogenumschlagplatz zum anderen bewegen könnte und ein Aufenthaltsverbot damit "leer" liefe.

24.

Der Senat teilt im Übrigen die Bedenken des VG nicht, dass die Anordnung der Ag. nicht hinreichend bestimmt sei. Mit der getroffenen Anordnung wird deutlich, dass der Ast. sich in den genannten Gebieten nur so weit bewegen darf, als er diese aufsuchen und durchqueren muss, um sein eigentliches Ziel zu erreichen. Mit dem Aufenthaltsverbot wird hinreichend deutlich, dass der bloße Aufenthalt im Sinne eines "Herumlungerns" um die Drogenszene zu beobachten und mögliche Kundschaft auszumachen und Geschäfte anzubahnen untersagt ist. An die Bestimmtheit einer Maßnahme sind keine überspitzten Anforderungen zu stellen. Es genügt vielmehr, dass für den Ast. als Adressat der Maßnahme die Regelung, die den Zweck, Sinn und Inhalt des Verwaltungsakts ausmacht, so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar ist, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann. Für den Ast. ist eindeutig erkennbar, dass er sich in den gekennzeichneten Gebieten außer zur Erledigung von Geschäften des täglichen Bedarfs nicht aufhalten darf. Dass es in Einzelfällen hinsichtlich der zeitlichen Verweildauer zu Abgrenzungsschwierigkeiten kommen kann, stellt sich als eine Frage des Vollzugs der Maßnahme dar und hat auf die Frage der Rechtmäßigkeit der getroffenen Anordnung keine Auswirkungen.

25.

Fragen der Strafverfolgung und der Bekämpfung von Beschaffungskriminalität sind nicht die tragenden Gesichtspunkte des Aufenthaltsverbots. Dies geht aus der Begründung eindeutig hervor. Sinn und Zweck des Aufenthaltsverbots ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Abwehr von Gefahren, die die Rechtsgüter Dritter erheblich beeinträchtigen können. Die Ag. ist also im präventiven Bereich tätig, der mit Verfolgungs- und Ahndungsmaßnahmen nichts zu tun hat. Dass als Nebeneffekt eines solchen Aufenthaltsverbots durch eine polizeiliche Kontrolle Dealer oder Konsumenten einer Straftat überführt werden können, macht das Aufenthaltsverbot an sich nicht zu einer Maßnahme auf dem Gebiet des Straf- oder Strafprozessrechts.

26.

Die Anordnung eines Zwangsgelds zur Durchsetzung der getroffenen Maßnahme ist rechtmäßig, Art. 19 I Nr. 3, 29 I, II Nr. 1, 31, 36 BayVwZVG. Die Höhe des festgesetzten Zwangsgeldes für den Fall der Zuwiderhandlung ist nicht zu beanstanden.