Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 9.7.1980
 - 9 CS 80 A. 268
-

 (weitere Fundstellen: NJW 1980, 2722 f.)

 

 

Zum Sachverhalt:

1.

Der Präsident des LG W. erließ gegen den Ast. ein für sofort vollziehbar erklärtes, befristetes Hausverbot für das Justizgebäude in W. Der mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid war im wesentlichen damit begründet, daß der Ast. seit mindestens einem Jahr wöchentlich das Justizgebäude aufsuche und die dort Beschäftigten mit lautstarken Beschimpfungen belästige. Auch wiederholte Ermahnungen und Entfernungen aus dem Dienstgebäude hätten den Ast. nicht davon abgehalten, sein störendes Verhalten fortzusetzen. Die sofortige Vollziehung des Hausverbots liege im öffentlichen Interesse; ohne sie würde die vom Ast. ausgehende erhebliche Störung des Dienstbetriebs und die Belästigung der Justizbediensteten noch längere Zeit andauern.

2.

Das VG lehnte den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder herzustellen, ab. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Ast. hatte Erfolg.

 

Aus den Gründen:

3.

… Mit dem VG hält der Senat den Verwaltungsrechtsweg für gegeben; dies schon deshalb, weil der Präsident des LG W. das gegen den Ast. verhängte Hausverbot in der Form eines vollziehbaren Verwaltungsakts erlassen hat (§§ 40 I 1, 42 I VwGO). Unabhängig von der hier gewählten Form des Verwaltungsakts liegt es nahe, Anordnungen, durch welche Störungen des Dienstbetriebs einer Behörde oder eines Gerichts begegnet werden soll, dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Dabei möchte der Senat - insoweit abweichend von einem Urteil des BGH vom 26. 10. 1960 (NJW 1961, NJW Jahr 1961 Seite 308) und einem Urteil des BVerwG v. 13. 3. 1970 (DÖV 1971, 137) - nicht auf die vielfach objektiv kaum verifizierbaren Motive des Störers, sondern auf den hoheitlichen Zweck der Aufrechterhaltung eines ungestörten Dienstbetriebes abstellen.

4.

Im Hinblick auf die im neueren Schrifttum (vgl. Ehlers, DÖV 1977, 737, und Knemeyer, DÖV 1970, 596; 1971, 303 m.w. Hinw.) aufgetauchten Zweifel an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für den Erlaß behördlicher Hausverbote durch vollziehbaren Verwaltungsakt des Behördenleiters (hier des LG-Präsidenten), denen sich der Senat anschließt, dürfte jedoch der Ast. mit seinem Widerspruch voraussichtlich Erfolg haben. Der Senat verkennt zwar nicht die Notwendigkeit, den behördlichen und gerichtlichen Dienstbetrieb vor Störungen, wie sie der Präsident des LG W. in seinem Bescheid … festgestellt hat, wirksam zu schützen. Auf der anderen Seite kann aber unter dem rechtsstaatlichen Gesichtspunkt insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Eingriffsverwaltung nicht ohne weiteres von der Aufgabe, einen geordneten, weitgehend störungsfreien Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten, auch auf die Befugnis geschlossen werden, gegen Störer ein Hausverbot in der Form eines vollziehbaren Verwaltungsakts zu erlassen. Die für den Erlaß eines derart belastenden Verwaltungsakts erforderliche gesetzliche Grundlage kann angesichts der im Schrifttum (aaO) aufgetretenen Bedenken auch nicht einem Gewohnheitsrechtssatz entnommen werden. Insoweit dürfte es an einer übereinstimmenden Rechtsüberzeugung der Rechtsgenossen fehlen. Solange der Gesetzgeber den Gerichten über die im Gerichtsverfassungsgesetz geregelten sitzungspolizeilichen Befugnisse hinaus keine allgemeine, mit vollziehbaren Anordnungen auszuübende Ordnungsgewalt einräumt, werden die Gerichtspräsidenten zur Abwehr von Störungen der hier vorliegenden Art auf die Hilfe der Sicherheitsbehörden und Polizeidienststellen zurückgreifen müssen. Dabei hält es der Senat für zulässig, daß ein Gerichtspräsident aufgrund seiner öffentlichrechtlichen Sachherrschaft über das Gerichtsgebäude gegenüber Störern von der Art des Ast. formlos zum Ausdruck bringt, deren weitere Anwesenheit nicht zu dulden (Hausverweis). Gleichwohl renitente Störer würden spätestens danach den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllen (§ 123 StGB), zu dessen Verhütung oder Unterbindung sicherheitsbehördliche Anordnungen aufgrund des Art. 7 II Nr. 1 BayStVG oder polizeiliche Maßnahmen aufgrund des Art. 11 II Nr. 1 PAG ergehen können. Die erforderlichen und geeigneten Verwaltungsakte können dann allerdings nicht vom Gerichtspräsidenten selbst, sondern nur von der hierfür sachlich und örtlich zuständigen Behörde der inneren Verwaltung oder Polizeidienststelle erlassen und vollzogen werden.

5.

Wegen möglicher strafrechtlicher Folgen von Zuwiderhandlungen gegen einen (formlosen) öffentlichrechtlichen Hausverweis wird der Betroffene beim zuständigen VG auf Widerruf (des schon ergangenen) und auf Unterlassung künftig drohender Hausverweise klagen können (Leistungsklage). Auch eine Klage auf Feststellung der Berechtigung, das Gerichtsgebäude weiterhin zu betreten, dürfte statthaft sein.

6.

Dagegen erscheint ein Bedürfnis nach vorläufigem Rechtsschutz durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO mit dem Ziel der Abwendung strafrechtlicher Folgen schon deshalb zweifelhaft, weil dem Betroffenen nur mit einer eindeutigen Beantwortung der Frage, ob sein Aufenthalt im Gerichtsgebäude rechtmäßig oder rechtswidrig (und möglicherweise auch strafbar) ist, gedient sein dürfte. Eine solche Antwort wird aber im Verfahren nach § 123 VwGO - ohne (unzulässige) Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache - regelmäßig nicht gegeben werden können. Zudem wird die Frage der Bindung des Strafrichters an die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen nicht einheitlich beantwortet (vgl. OLG Karlsruhe, NJW 1978, 116 und Gerhards, NJW 1978, 86). Für den Fall, daß die persönliche Anwesenheit des Ast. im Gerichtsgebäude aus sachlich begründetem Anlaß notwendig werden sollte, hat der Präsident des LG … ohnehin die Erteilung einer „Ausnahmegenehmigung" zugesagt. Insoweit ist ein Bedürfnis für vorläufigen Rechtsschutz nicht zu erkennen. Der Senat hat daher davon abgesehen, den Antrag … nach § 80 V VwGO in einen solchen nach § 123 VwGO umzudeuten und entsprechend zu behandeln.