Luftangriff

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

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Am 9. November dieses Jahres gelang es Terroristen unbekannter Herkunft, ein voll besetztes Passagierflugzeug der Aeroflot in ihre Gewalt zu bringen. Sie zwangen die Piloten, nach Berlin zu fliegen, ohne jedoch ein konkretes Ziel anzugeben. Zur gleichen Zeit ging beim deutschen Bundesaußenministerium der Anruf eines Unbekannten ein, der in gebrochenem Deutsch mitteilte, dass die entführte Maschine in das Bundeskanzleramt hineingesteuert werden würde. Es sei ein Zeichen zu setzen, dass kein fremdes Staatsoberhaupt - wie kürzlich die deutsche Bundeskanzlerin Gräfin Margit von Eisen - den russischen Staatspräsidenten ungestraft öffentlich einen "Kriegsverbrecher" nennen und "damit berechtigten Ansprüchen der Russischen Föderation auf Erweiterung ihres Lebensraums auf umliegende "Scheinstaaten"  mit Sanktionen und Waffenlieferungen stören dürfe. In dem daraufhin gebildeten Krisenstab, der aus Vertretern der Bundesregierung und der Landesregierungen von Berlin und Brandenburg zusammengesetzt war, konnte man sich jedoch nicht darauf einigen, wie die Gefahr zu bekämpfen sei und wer für einen etwaigen Abschuss des Passagierflugzeuges durch die Bundeswehr die politische Verantwortung übernehmen sollte. Die Diskussion im Krisenstab wurde dann jedoch von der Meldung unterbrochen, den Passagieren der Maschine sei es gelungen, die Entführer zu überwältigen und das Flugzeug auf dem Flugplatz Berlin-Schönefeld zur Landung zu bringen.

Trotz dieses glücklichen Ausgangs entfachte dieser Entführungsfall in den Medien eine Diskussion über die "Unfähigkeit deutscher Politiker, in Krisensituationen Entscheidungen zu treffen". Daher sah man in der Bundesregierung "Handlungsbedarf": Im Grundsatz habe sich zwar das Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG), das nach dessen § 1 dem Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs, insbesondere vor Flugzeugentführungen, Sabotageakten und terroristischen Anschlägen dient, bewährt. Jedoch sei eine klarere Aufteilung der Verantwortlichkeiten wünschenswert. Die Zuständigkeiten zur Überwachung der Luftsicherheit sollten daher beim Bund gebündelt werden. Auch müsse die Zulässigkeit der Abwehr terroristischer Luftangriffe unter Hinnahme "lethaler Kollateralschäden" ausdrücklich im LuftSiG festgeschrieben werden.

Dementsprechend wird im Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates formell ordnungsgemäß ein "Gesetz zur Änderung des Luftsicherheitsgesetzes - LuftSiGÄndG" beschlossen. Art. 1 Nr. 1 des LuftSiGÄndG fasst den dritten Abschnitt völlig neu. Diese Bestimmungen lauten nunmehr:

"Abschnitt 3 Zuständigkeit und Unterstützung durch die Streitkräfte

§ 13. Zuständigkeiten. Die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden werden in bundeseigener Verwaltung von der Bundespolizei wahrgenommen.

§ 14. Unterstützung durch die Streitkräfte. (1) Liegen auf Grund eines erheblichen Luftzwischenfalls Tatsachen vor, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründen, dass ein Luftfahrzeug in gemeingefährlicher Weise zur Vernichtung von Menschenleben eingesetzt werden soll, können die Streitkräfte, soweit dies zur wirksamen Bekämpfung dieser Gefahr erforderlich ist, zur Unterstützung der Bundespolizei im Luftraum eingesetzt werden.

(2) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Absatz 1 trifft die Bundesregierung.

§ 15. Einsatzmaßnahmen der Streitkräfte. (1) Im Falle des § 14 Abs. 1 dürfen die Streitkräfte im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben.

(2) Steht im Falle des § 14 Abs. 1 die Gefahr unmittelbar bevor und erscheint dies als einziges Mittel zu ihrer Abwehr, dürfen die Streitkräfte das Luftfahrzeug mit dem Ziel, es zum Absturz zu bringen, mit Waffengewalt beschädigen oder zerstören. Satz 1 gilt nicht, wenn hierdurch Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden, es sei denn, dass auch bei unverändertem Geschehensablauf das Leben dieser Unbeteiligten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verloren wäre.

(3) Von mehreren möglichen Maßnahmen ist diejenige auszuwählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Die Maßnahme darf nur so lange und so weit durchgeführt werden, wie ihr Zweck es erfordert. Sie darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.

(4) Die Maßnahme nach Absatz 2 kann nur der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung anordnen. Ist ausgeschlossen, dass er vom Vorliegen der Voraussetzungen und der Notwendigkeit einer Maßnahme nach Absatz 2 rechtzeitig Kenntnis erhält, kann er im Einzelfall die Entscheidung über den genauen Zeitpunkt der Maßnahme auf die vor Ort handelnden Personen übertragen."

Im Übrigen wird § 16 LuftSiG durch Art. 1 Nr. 2 des LuftSiGÄndG aufgehoben, der Abschnitt 4 des LuftSiG durch Art. 1 Nr. 3 des LuftSiGÄndG in "Verordnungsermächtigungen" umbenannt und durch Art. 2 des LuftSiGÄndG das Bundespolizeigesetz an den neu gefassten § 13 LuftSiG angepasst. Nach Art. 3 des LuftSiGÄndG werden das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.

Sehr bald wurden jedoch verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Neuregelung laut. Zunächst sei zweifelhaft, ob der Bund Regelungen über die Bekämpfung von Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs treffen dürfe; denn hierdurch werde nicht mehr der "Luftverkehr" im Sinne des Art. 73 Nr. 6 GG als solcher geregelt. Zudem widerspreche es Art. 30 GG und den Art. 83 ff. GG, die Luftsicherheitsaufgaben auf Bundesbehörden zu übertragen, da die Gefahrenabwehr grundsätzlich Länderangelegenheit sei und auch Art. 87d Abs. 1 GG dem Bund nicht die Zuständigkeit zur Bekämpfung der Gefahren zuweise, die dem Luftverkehr von außen drohen. Jedenfalls hätte diese Aufgabe nicht der Bundespolizei übertragen werden dürfen, da die Wahrnehmung dieser Art der Gefahrenabwehraufgaben nicht mehr mit deren in Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG vorausgesetztem und damit auch verfassungsrechtlich festgeschriebenem "Wesen" der Bundespolizei als Bundesgrenzschutzbehörde (vgl. auch § 2 BPolG) vereinbar sei. Zudem bestände nach wie vor keine verfassungsrechtliche Ermächtigung des Bundes, den Einsatz der Streitkräfte in den Fällen des § 14 LuftSiG (neu) zuzulassen, so dass § 14 und § 15 LuftSiG (neu) gegen Art. 87a Abs. 2 GG verstießen. Unabhängig von diesen staatsorganisationsrechtlichen Fragen sei schließlich § 15 Abs. 2 LuftSiG (neu) jedenfalls insoweit verfassungswidrig, als er auch die Tötung und Verletzung Unbeteiligter zulasse. Denn der grundrechtliche Lebensschutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbiete - auch im Hinblick auf die Menschenwürde -, dass der Staat "Leben gegen Leben" aufrechne und so den Einzelnen zu einer bloßen "Rechengröße" reduziere, dessen Leben schon deshalb aufgeopfert werden dürfe, weil dies möglicherweise dem Schutz des Lebens einer Mehrheit anderer Menschen diene.

Diese Bedenken überzeugen die Saarländische Landesregierung. Sie will daher die Verfassungsmäßigkeit des "Ersten Gesetzes zur Änderung des Luftsicherheitsgesetzes und anderer Gesetze" überprüfen lassen. Zu diesem Zweck stellt die Landesregierung beim BVerfG form- und fristgerecht im Namen des Saarlandes gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, § 13 Nr. 7, §§ 68 ff. BVerfGG einen gegen die Bundesregierung gerichteten Antrag festzustellen, dass der Bund mit dem Erlass des LuftSiGÄndG gegen Art. 30, Art. 70, Art. 83, Art. 87 Abs. 1 Satz 2 und Art. 87a Abs. 2 GG sowie gegen die Grundrechte der von einer Maßnahme nach § 15 Abs. 2 LuftSiG n. F. Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen habe.

Frage 1: Ist der Antrag des Saarlandes zulässig?

Frage 2: Sind die §§ 13 bis 15 LuftSiG in der Fassung des Art. 1 Nr. 1 des LuftSiGÄndG verfassungsgemäß? Gehen Sie dabei nicht auf die Probleme ein, die sich daraus ergeben könnten, dass das LuftSiGÄndG ein Gesetz geändert hat, das in Teilen bereits in seiner ursprünglichen Fassung verfassungswidrig war. Gehen Sie zudem davon aus, dass Art. 3 des LuftSiGÄndG Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG Genüge tut.

Lösungsvorschlag

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