Lösungsvorschlag

Glashaus

Stand der Bearbeitung: 29. Juli 2022

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

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Baldes will wissen, ob und in welchem Umfang er einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung hat. Ein solcher Anspruch könnte sich grundsätzlich aus § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LBO ergeben. Insoweit kommt ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung jedoch von vornherein nur in Betracht, wenn das Vorhaben nach § 60 LBO überhaupt einer Baugenehmigung bedarf (I).

Ist dies der Fall, hängt der "Umfang" des Baugenehmigungsanspruch im Hinblick auf die von der Baugenehmigung ausgehende "Legalisierungswirkung" davon ab, ob die Baugenehmigung im sog. "vereinfachten Baugenehmigungsverfahren" (§ 64 LBO) oder "normalen" Baugenehmigungsverfahren (§ 65 LBO) zu erteilen ist, da dies dafür maßgeblich ist, ob im Baugenehmigungsverfahren nur die in § 64 Abs. 2 LBO abschließend aufgezählten Vorschriften zu prüfen sind oder ob nach § 65 Abs. 1 LBO geprüft wird, ob dem Bauvorhaben (sämtliche) "baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen" (II).

Anmerkung: Beim vereinfachten Baugenehmigungsverfahren wird die Zulässigkeit des Bauvorhabens nicht mehr umfassend, sondern nur am Maßstab der abschließend aufgezählten Vorschriften geprüft. Daher ist eine solche Baugenehmigung nicht rechtswidrig (und kann deshalb auch nicht nach § 48 SVwVfG zurück genommen werden), wenn das Bauvorhaben mit Vorschriften unvereinbar ist, die im vereinfachten Verfahren nicht zu prüfen sind (OVG Hamburg, 2 Bf 405/05 v. 30.3.2011, Abs. 39 ff. = NordÖR 2011, 338 ff.). Wenn das Bauvorhaben gegen baurechtliche Regelungen verstößt, die im vereinfachten Verfahren nicht zu prüfen sind, kann dementsprechend eine erteilte Baugenehmigung Abrissverfügungen und sonstigen bauordnungsrechtlichen Maßnahmen aber auch nicht entgegengehalten werden (deutlich OVG Berlin-Brandenburg, OVG S 99.09 v. 23.6.2010, Abs. 4 = NVwZ-RR 2010, 794, 795; VG Neustadt a.d.W., 4 K 646/02.NW v. 4.7.2002, Abs. 11; ferner [in Bezug auf nachbarrechtliche Abwehransprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 BGB wegen Verletzung nachbarschützender baurechtlicher Vorschriften]: BGH, V ZR 76/20 v. 21.1.2022, Abs. 18 = BGHZ 232, 252 Abs. 18). Die durch die Genehmigung vermittelte Legalisierungswirkung ist also auf den Umfang des gesetzlichen Prüfprogramms beschränkt (s. hierzu [sehr lesenswert] Sauthoff, BauR 2013, 415 ff.). § 60 Abs. 2 Satz 1 LBO formuliert dies letztlich unmissverständlich (so auch OVG Saarlouis, 2 A 5/16 v. 23.5.2016, Abs. 23 = BauR 2017, 1352, 1353): "Die [...] Beschränkung der bauaufsichtlichen Prüfung nach [...] § 64 entbinde[t] nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt werden und lassen die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt." Siehe hierzu den Sonnendeck-Fall.

Ist so festgestellt worden, welche öffentlich-rechtlichen Vorschriften im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, kann schließlich untersucht werden, ob diese Vorschriften dem Bauvorhaben nicht entgegenstehen und deshalb ein materiellrechtlicher Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LBO besteht (III), soweit die Bauaufsichtsbehörde nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LBO nicht zulässigerweise von ihrer Befugnis gebraucht gemacht hat, den Bauantrag wegen Verstoßes gegen solche öffentlich-rechtlichen Vorschriften abzulehnen, die im einschlägigen Genehmigungsverfahren nicht zu prüfen sind (IV).

I. Genehmigungsbedürftigkeit des Vorhabens

In einem ersten Schritt ist also zu prüfen, ob das Vorhaben von Baldes überhaupt einer Baugenehmigung bedarf, weil andernfalls von vornherein kein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung bestehen kann.

1. Errichtung einer "Anlage" i.S.d. § 60 Abs. 1 LBO

Voraussetzung eines Baugenehmigungserfordernisses ist nach § 60 Abs. 1 LBO zunächst, dass es sich bei dem geplanten Gewächshaus um eine "Anlage" i.S.d. LBO handelt. Der Begriff der "Anlage" ist in § 2 Abs. 1 Satz 3 LBO legaldefiniert als bauliche Anlagen und sonstige Anlagen und Einrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 LBO. Der Begriff der baulichen Anlage wird in § 2 Abs. 1 Satz 1 LBO legaldefiniert. Hiernach sind bauliche Anlagen mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen. Bauprodukte sind nach § 2 Abs. 13 Nr. 1 LBO vor allem Baustoffe, Bauteile und Anlagen, die hergestellt werden, um dauerhaft in bauliche Anlagen eingebaut zu werden. Baldes will auf seinem Grundstück zwischen der Garage und dem Wohnhaus ein verglastes Gewächshaus errichten, so das das Vorhaben unproblematisch als bauliche Anlage in diesem Sinne klassifiziert werden kann. Baldes will diese Anlage auch i.S.d. § 60 Abs. 1 LBO "errichten".

2. Keine Genehmigungsfreiheit nach § 61 LBO

Ferner darf das Vorhaben nicht nach § 61 LBO genehmigungsfrei sein. Hier käme allenfalls eine Genehmigungsfreiheit nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 lit. d LBO oder § 61 Abs. 2 Nr. 2 LBO in Betracht, jedoch liegt die Firsthöhe des von Baldes geplanten Gewächshauses über der dort jeweils angegebenen Mindestgrenze von 5 m. Demnach fällt das Gewächshaus nicht mehr unter diese Befreiungstatbestände. Weitere Möglichkeiten, wonach das Gewächshaus als verfahrensfrei eingestuft werden könnte, sind nicht ersichtlich.

3. Keine Genehmigungsfreistellung nach § 63 Abs. 1 Satz 1 LBO

Eine Genehmigungsbedürftigkeit des Vorhabens scheidet ferner aus, wenn das Vorhaben nach § 63 Abs. 1 Satz 1 LBO vom Genehmigungserfordernis freigestellt ist.

Dies käme grundsätzlich in Betracht, wenn es sich bei der geplanten Errichtung des Gewächshauses die Errichtung eines Gebäudes der Gebäudeklasse 1 bis 3 handelt. "Gebäude" i.S.d. LBO sind nach § 2 Abs. 2 LBO selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen (i. S. des § 2 Abs. 1 LBO, s. o. I), die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Hinsichtlich der Gebäudeklassen nimmt § 64 Abs. 1 i. V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBO auf die in § 2 Abs. 3 Nr. 1 LBO aufgeführten Zuordnungen Bezug. Hiernach ist das von Baldes geplanten Gewächshaus der Gebäudeklasse 1 zuzuordnen, da das geplante Gewächshaus lediglich eine Höhe von 5,50 m und nur eine einzige Nutzungseinheit von 112 qm haben soll.

Allerdings ist ein Bauvorhaben nur dann nach § 63 Abs. 1 Satz 1 LBO vom Erfordernis einer Baugenehmigung freigestellt, wenn auch die Voraussetzungen des § 63 Abs. 2 LBO (kumulativ) vorliegen. Dazu müsste das Vorhaben u. a. im Geltungsbereich eines Bebauungsplans im Sinne des § 30 Abs. 1 oder der § 12 und § 30 Abs. 2 BauGB liegen (§ 63 Abs. 2 Nr. 1 LBO). Hier liegt das Vorhaben laut Sachverhalt zwar im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der jedenfalls kein Bebauungsplan i.S.d. § 12 und § 30 Abs. 2 BauGB ist. Der Bebauungsplan enthält zudem auch keine Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung. Damit handelt es sich nicht um einen sog. qualifizierten Bebauungsplan, innerhalb dessen Geltungsbereich sich die Zulässigkeit eines Vorhabens ausschließlich nach § 30 Abs. 1 BauGB richtet. Vielmehr handelt es sich um einen einfachen Bebauungsplan, bei dem sich nach § 30 Abs. 3 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens "im Übrigen" nach § 34 bzw. § 35 BauGB richtet.

Daher ist das Bauvorhaben auch nicht nach § 63 Abs. 1 Satz 1 LBO vom Baugenehmigungserfordernis freigestellt.

4. Ergebnis zu I

Bei der geplanten Errichtung des Gewächshauses handelt es sich um ein genehmigungsbedürftiges Vorhaben. Baldes benötigt damit für sein Vorhaben eine Baugenehmigung.

II. Umfang der im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfenden Vorschriften

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LBO ist ein nach § 60 LBO genehmigungsbedürftiges Bauvorhaben zu genehmigen, wenn es den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht, die im bauaufsichtsrechtlichen Verfahren zu prüfen sind. Welche Vorschriften im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind, richtet sich danach, ob die Baugenehmigung im sog. "vereinfachten Baugenehmigungsverfahren" (§ 64 LBO) oder "normalen" Baugenehmigungsverfahren (§ 65 LBO) zu erteilen ist.

Hier ist das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nach § 64 Abs. 1 LBO einschlägig, weil das Bauvorhaben ein Bauvorhaben i.S.d. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBO ist, bei dem die Voraussetzungen des § 63 Abs. 2 LBO nicht vorliegen (s. o. I. 3). Daher müssen im Baugenehmigungsverfahren nur die in § 64 Abs. 2 LBO genannten Vorschriften geprüft werden. Dem steht nicht entgegen, dass Baldes nach § 60 Abs. 3 LBO die Möglichkeit gehabt hätte, die Durchführung eines "vollständigen" Baugenehmigungsverfahrens nach § 65 LBO anstelle des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach § 64 LBO zu verlangen. Denn Baldes hat ein solches Verlangen nicht nur nicht geäußert, sondern sogar ausdrücklich verlangt, die behördlichen Prüfungen auf das unbedingt Notwendigste zu beschränken.

III. Vereinbarkeit des Vorhabens mit den im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Vorschriften

Nach dem Sachverhalt bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben gegen die in § 64 Abs. 2 Nr. 2 LBO abschließend aufgezählten Vorschriften des Bauordnungsrechts verstößt, die zum Prüfprogramm einer auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu erteilenden Baugenehmigung gehören. Die Fälle der § 64 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 LBO sind hier ebenfalls ersichtlich nicht einschlägig. Daher stellt sich hier nur die Frage, ob das Vorhaben gegen die nach § 64 Abs. 2 Nr. 1 LBO zum Prüfprogramm gehörenden Vorschriften des Baugesetzbuches oder sonstiger öffentlich-rechtlicher Vorschriften außerhalb des Bauordnungsrechts entgegen stehen.

1. Vereinbarkeit mit den §§ 29 ff. BauGB

Das Vorhaben müsste daher zunächst den bauplanungsrechtlichen Vorgaben der §§ 29 ff. BauGB entsprechen.

a) Anwendbarkeit der §§ 29 ff. BauGB

Dann müssten die §§ 29 ff. BauGB insoweit überhaupt anwendbar sein; bei dem Vorhaben von Baldes müsste es sich also um die Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung einer baulichen Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB handeln, d. h. um ein Vorhaben, das unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 2 LBO erfüllt sind, eine gewisse "bodenrechtliche" bzw. "städtebauliche" Relevanz aufweist, also die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren kann, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer seine Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.

Anmerkung: Vgl. Muckel/Ogorek, § 7 Rn. 14 ff.; ausführlich Scheidler, ZfBR 2016, 116, 117 ff.).

Nach einer neueren Entscheidung des BVerwG fallen dementsprechend unter den planungsrechtlichen Begriff der baulichen Anlage alle Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden werden und die in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren können, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.

Anmerkung: BVerwG, 4 CN 7/16 v. 7.12.2017, Abs. 11 = BVerwGE 161, 53 Abs. 11. Keine bauliche Anlage i.S.d. § 29 BauGB, wohl aber i.S.d. Bauordnungsrechts, soll etwa eine "klassische" Litfaßsäule auf einem öffentlichen Weg sein (OVG Hamburg, Bf II 13/96 v. 20.2.1997, Abs. 10 ff. = NVwZ-RR 1998, 616 ff.).

Dies ist bei der Einrichtung eines Gewächshauses von 112 qm Brutto-Grundfläche durchaus zu bejahen.

b) Vereinbarkeit mit § 30 BauGB

Wie ausgeführt (s. o. I. 3.) befindet sich das Grundstück von Baldes, auf dem das Vorhaben durchgeführt werden soll, im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans, bei dem sich die Zulässigkeit eines Vorhabens, soweit der Bebauungsplan Festsetzungen enthält, nach diesen Festsetzungen, nach § 30 Abs. 3 BauGB "im Übrigen" jedoch nach § 34 bzw. § 35 BauGB richtet.

Hier lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, welche Vorgaben der Bebauungsplan z. B. über das Maß der baulichen Nutzung (vgl. §§ 16 ff. BauNVO), die Bauweise (vgl. § 22 BauNVO) oder die überbaubare Grundstücksfläche enthält (vgl. § 23 BauNVO). Es kann daher davon ausgegangen werden, dass das Vorhaben den Vorgaben des Bebauungsplanes entspricht.

Da dieser jedoch keine Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung enthält, sind insoweit nach § 30 Abs. 3 BauGB die Regelungen der § 34 und § 35 BauGB ergänzend heranzuziehen.

c) Vereinbarkeit mit § 34 BauGB

Fraglich ist daher zunächst, ob sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB richtet. Dann müsste sich das Grundstück von Baldes innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles befinden. Das fragliche Grundstück befindet sich hier am Rande des bebauten Ortsteils, so dass, unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen, unmittelbar hinter dem letzten Baukörper des im Zusammenhang bebauten Ortsteils der Innenstadtbereich in der Regel endet.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 4 C 7/10 v. 16.9.2010, Abs. 12 = NVwZ 2011, 436 Abs. 12 m.w.N.

Baldes will sein Gewächshaus aber genau zwischen der an der Grundstücksgrenze liegenden Garage und dem Wohnhaus errichten, so dass das Vorhaben nicht im Außen-, sondern im Innenbereich liegt, mit der Folge, dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 BauGB richtet.

Entspricht die nähere Umgebung des geplanten Vorhabens einem der in § 2 bis § 11 BauNVO aufgeführten Baugebiete, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 34 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung allein danach, ob das Vorhaben nach der BauNVO in diesem Baugebiet zulässig wäre. Daher ist § 34 Abs. 2 BauGB hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung lex specialis zu § 34 Abs. 1 BauGB. Somit ist zu fragen, ob die nähere Umgebung einem der in § 2 bis § 11 BauNVO aufgeführten Baugebiete entspricht. Ob dies der Fall ist, entscheidet sich grundsätzlich allein nach dem faktischen und sichtbaren Zustand des Gebietes.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 4 B 209/92 v. 11.12.1992, Abs. 4 = NVwZ 1993, 1100; BVerwG, 4 B 13/12 v. 12.7.2012, Abs. 4 = NVwZ 2012, 1565; BVerwG, 4 C 7/15 v. 8.12.2016, Abs. 13 = BVerwGE 157, 1 Abs. 13.

Zunächst ist daher zu untersuchen, welchen Gebietscharakter die nähere Umgebung des Grundstücks von Baldes aufweist und ob in diesem Gebiet die Verwirklichung des geplanten Vorhaben zulässig wäre. Kommt es insoweit für die Beurteilung des Gebiets grundsätzlich auf den faktischen Zustand an, folgt hieraus aber auch, dass bei der Gebietsbeurteilung das (noch) nicht realisierte Vorhaben des Gewächshauses nicht zu berücksichtigen ist, da dieses Vorhaben eben noch nicht verwirklicht worden ist.

In Betracht kommt vorliegend eine Charakterisierung des Gebietes als Dorfgebiet nach § 5 BauNVO, da in diesem Fall alle im Sachverhalt aufgezählten Nutzungsarten der näheren Umgebung unproblematisch zulässig wären:

Somit bestimmt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Baldes Vorhaben bezüglich der Art der baulichen Nutzung danach, ob es gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässig wäre. In Betracht kommt hier eine Zulässigkeit des Gewächshauses als Gartenbaubetrieb nach § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO, denn Baldes möchte das Gewächshaus dazu nutzen, Blumen anzubauen, um mit dem Verkauf derselben seine Altersversorgung aufzubessern.

Daher ist das Vorhaben Baldes nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO bauplanungsrechtlich zulässig.

d) Ergebnis zu 1

Nach alledem kann festgestellt werden, dass das Gewächshaus bauplanungsrechtlich zulässig ist.

2. Vereinbarkeit mit anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften außerhalb des Bauordnungsrechts

Jedoch geht der Landrat noch davon aus, dass Baldes die Baugenehmigung für das Gewächshaus nicht erteilt werden kann, weil zu befürchten sei, dass Sonnenspiegelungen von dem verglasten Gebäude die Autofahrer auf der am Grundstück entlang führenden Straße blenden und so zu Verkehrsunfällen führen könnten. Grundsätzlich können auch Verstöße gegen nicht-baurechtliche Vorschriften der Erteilung einer Baugenehmigung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LBO entgegenstehen und sind auch im vereinfachten Verfahren nach § 64 Abs. 2 Nr. 1 LBO zu prüfen.

Die hier in Frage kommenden Vorschriften der StVO, die § 32, § 33 StVO, regeln allerdings zwar Verbote von Verkehrshindernissen bzw. Verkehrsbeeinträchtigungen, beinhalten aber kein auf den vorliegenden Fall passendes allgemeines Verbot der von Grundstücken ausgehenden Gefährdung des innerörtlichen Verkehrs, worunter man die befürchteten Spiegelungen der Glaswände eventuell subsumieren könnte. Zudem ist bauplanungsrechtlich zu bedenken, dass Gewächshäuser im Dorfgebiet nach § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO ausdrücklich zulässig sind. Folglich durfte sich die Baubehörde nicht auf auf die StVO berufen, um eine eventuell zu befürchtende Beeinträchtigung der innerörtlichen Verkehrsverhältnisse berufen, um Baldes die beantragte Baugenehmigung zu verweigern.

3. Ergebnis zu III

Das Vorhaben Baldes entspricht somit den im vereinfachten Verfahren nach § 64 LBO zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften und ist daher genehmigungsfähig. Baldes hat grundsätzlich einen (materiell-rechtlichen) Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung für sein Vorhaben.

IV. Möglichkeit einer Antragsablehnung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LBO

Der Landrat hätte aber dennoch die Baugenehmigung zu Recht abgelehnt, wenn er rechtmäßigerweise von der Befugnis nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LBO Gebrauch gemacht hätte, den Antrag wegen solcher Verstöße abzulehnen, die "an sich" nicht im jeweils anwendbaren bauaufsichtlichen Prüfungsverfahren zu prüfen sind.

Anmerkung: Diese Befugnis ist durch Art. 1 Nr. 52 lit. a des Gesetzes Nr. 1864 zur Änderung der Landesbauordnung vom 15. Juli 2015 [Amtsbl., S. 632] in die LBO eingefügt worden. Zur Begründung wird in den Gesetzesmaterialien folgendes ausgeführt: "Stellt die Bauaufsichtsbehörde bei der Prüfung von Anträgen im vereinfachten Verfahren Mängel im nicht zu prüfenden Bereich fest, ist sie wegen des eingeschränkten Prüfungsumfanges bei Einhaltung des zu prüfenden Rechts gleichwohl gehalten, die Baugenehmigung zu erteilen. Da sie zur Herstellung rechtmäßiger Zustände verpflichtet ist, muss sie gegen das genehmigte Vorhaben vorgehen, obwohl sie selbst die Genehmigung erteilt hat. In der Praxis sind die entsprechenden Mängel oft offensichtlich, aber innerhalb der gesetzlichen Dreimonatsfrist im Rahmen der Bauberatung nicht zu beheben. Dieses Verfahren stößt in der Praxis bei den Betroffenen auf Unverständnis. Ob in diesen Fällen von einem fehlenden Sachbescheidungsinteresse ausgegangen werden kann, ist umstritten. Daher wird der Bauaufsichtsbehörde durch die Ergänzung von Absatz 1 Satz 1 die Möglichkeit eingeräumt, auf die Nichtbeachtung von öffentlich-rechtlichen Vorschriften frühzeitig reagieren zu können. Eine Verpflichtung zur umfassenden Prüfung ergibt sich daraus nicht, auch nicht die Verpflichtung zur Ermessensausübung, denn es wird nicht das Wort 'kann', sondern das Wort 'darf' verwendet." (LT-Drs. 15/1214, S. 70). Das Saarland folgt damit der Lösung des Art. 68 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 BayBO und des § 74 Abs. 1 Halbs. 2 HessBauO, die ebenfalls die Bauaufsichtsbehörde ausdrücklich ermächtigen, die "vereinfachte" Baugenehmigung auch wegen sog. "Zufallsfunde" außerhalb des Prüfprogramms zu versagen (hierzu VGH München, 2 B 18.681 v. 30.5.2018, Abs. 16 f. = BauR 2019, 634 f.; VG Frankfurt a. M., 8 L 1332/11.F v. 23.5.2011, Abs. 31 = NVwZ-RR 2011, 717, 718 f.; Hornmann, LKRZ 2011, 213 ff.; Ingold/Schröder, BayVBl 2010, 426 ff.; Manssen/Greim, BayVBl 2010, 421 ff.; Shirvani, BayVBl 2010, 709 ff.). Bei Fehlen derartiger Regelungen ist - wie die Gesetzesbegründung zutreffend bemerkt - unklar, ob nach allgemeinen Grundsätzen eine Baugenehmigung wegen fehlendem Sachbescheidungsinteresse als (verfahrensrechtlich unzulässig) abgelehnt werden kann, wenn das zur Genehmigung gestellte Vorhaben gegen Vorschriften verstößt, die außerhalb des Prüfprogramms des einschlägigen Genehmigungsverfahrens liegen. Grundsätzlich muss der Bürger zwar ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung der Behörde über einen von ihm gestellten Antrag haben; ein solches Sachbescheidungsinteresse fehlt etwa, wenn der Betroffene eine beantragte Genehmigung aus Gründen, die im Genehmigungsverfahren nicht zu prüfen sind, wegen schlechthin nicht zu überwindender Hindernisse nicht ausgenützt werden kann (Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 9 Rn. 153 ff.). Hieraus ist teilweise geschlossen worden, dass eine Baugenehmigung, die im vereinfachten Verfahren zu erteilen ist, auch bei Fehlen einer § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LBO entsprechenden Bestimmung bei (zufällig) festgestellten, sich als unüberwindbar darstellenden Verstößen gegen das in diesem Verfahren an sich nicht zum Prüfprogramm gehörende Recht (nur) wegen fehlendem Sachbescheidungsinteresse abgelehnt werden kann (vgl. z. B. OVG Greifswald, 3 M 39/18 v. 10.7.2018, Abs. 13 = NVwZ-RR 2018, 958 Abs. 13; VGH Kassel, 4 A 1907/10.Z v. 1.10.2010, Abs. 12 = LKRZ 2011, 66, 67; OVG Hamburg, 2 Bf 374/06 v. 30.3. 2011, Abs. 64 = NVwZ-RR 2011, 591, 593; OVG Koblenz, 8 A 10942/08 v. 22. 10. 2009, Abs. 35 ff. = BauR 2009, 799, 800 f.; VGH Mannheim, 3 S 1748/14 v. 21.2.2017, Abs. 39 = KommJur 2017, 151, 153 f.; VGH Mannheim, 8 S 3331/19 v. 18.11.2021, Abs. 16 ff. = NVwZ-RR 2022, 529 Abs. 16 ff.; OVG Münster 2 B 1386/14 v. 12.1.2015, Abs. 11 ff. = BauR 2015, 1975; ausführlich Sauthoff, BauR 2013, 415, 416 ff.). Angesichts des für das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren gesetzlich eindeutig eingeschränkten Prüfungsumfangs ist dies aber sehr zweifelhaft (ablehnend für frühere Rechtslage in Bayern: VGH München, 2 BV 08.2567 v. 19. 1. 2009 = BayVBl 2009, 507 f.; VGH München, 2 BV 08.2465 v. 1. 7. 2009 = BayVBl 2009, 727, 728; Fischer, BayVBl 2005, 299; Schröder, BayVBl 2009, 495 ff.; Shirvani, BayVBl 2010, 709, 710 ff.).

Auf diese Vorschrift hat sich der Landrat allerdings nicht ausdrücklich berufen. Unabhängig davon ist nicht erkennbar, gegen welche im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 64 Abs. 2 LBO an sich nicht zu prüfenden Vorschriften das beantragte Vorhaben verstoßen sollte. Man könnte allenfalls daran denken, dass das Vorhaben gegen die allgemeine Sicherheit und Ordnung verstößt, was § 3 LBO verletzen würde. Die vom Landrat erwähnten Spiegelungen sind allerdings höchst unwahrscheinlich, weil bei einem Gewächshaus die Sonnenstrahlen nicht auf Straßenniveau reflektiert werden. Eine offensichtliche Verkehrsgefährdung durch das Gewächshaus ist damit nicht erkennbar.

Der Antrag von Baldes durfte damit auch nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LBO nicht abgelehnt werden.

III. Gesamtergebnis

Baldes hat somit einen Anspruch auf Erteilung einer ("vereinfachten") Baugenehmigung für sein Vorhaben nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LBO i.V.m. § 64 LBO.

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