Ortsratspolitik

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

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Die Stadt Saarheim hat sich eine Ortschaftsverfassung gegeben und ist in vier Gemeindebezirke gegliedert, die den ursprünglich selbständigen Gemeinden entsprechen, aus denen Saarheim gebildet ist. Zum Ortsvorsteher des Gemeindebezirks Quierbrück ist nach der letzten Kommunalwahl Saul Schäfer gewählt worden. Dieser muss sehr schnell feststellen, dass die Befugnisse eines Ortrates in Saarheim sehr begrenzt sind: Der Stadtrat der Stadt Saarheim hat bisher nicht von der Befugnis nach § 73 Abs. 4 KSVG Gebrauch gemacht. Zudem fallen zur Zeit im Gemeindebezirk Quierbrück nur sehr wenige Angelegenheiten an, zu deren Entscheidung und Beratung der Ortsrat nach § 73 Abs. 2 und 3 KSVG berufen wäre. Daher fällt es Schäfer schwer, die Tagesordnung für die monatlich stattfindenden Ortsratssitzungen zu füllen. Andererseits legt die Mehrheit der Ortsratsmitglieder aber auch Wert darauf, dass monatlich Ortsratssitzungen stattfinden. Denn nur so könne der Gemeindebezirk Quierbrück "Flagge zeigen" gegenüber der "Saarheimer Zentralverwaltung".

In dieser Situation setzt sich im Ortsrat die Auffassung durch, dass die Einwohnerinnen und Einwohner des Gemeindebezirks Quierbrück sicher daran interessiert seien, welche Auffassung "ihr" Ortsrat zu aktuellen Fragen der Tagespolitik habe. Dementsprechend legt Schäfer – mit Billigung der Mehrheit der Ortsratsmitglieder – regelmäßig die Tagesordnung für die Ortratssitzungen so fest, dass als einer der ersten Verhandlungsgegenstände der Tagesordnungspunkt "Beschlüsse des Ortsrats zu aktuellen Entwicklungen im Saarland, Deutschland und der Welt" aufgenommen wird. Der genaue Gegenstand der Beschlussfassung wird von Schäfer in der der Tagesordnung beigefügten Erläuterung näher konkretisiert: Auf einer solchen Grundlage wurde deshalb bereits im Ortsrat erbittert z. B. über über den Umgang der Europäischen Union mit Russland, den Klimawandel, die Energiekrise und die Frage der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke, über die Reform des Gesundheitswesens und über die Notwendigkeit, einen "Benimm-Unterricht" in saarländischen Schulen einzuführen. Es wurden auch entsprechende Beschlüsse gefasst. Hierdurch erreichen die Sitzungen des Ortsrates in der Öffentlichkeit eine gewisse Popularität: Denn Ortsratsmitglieder sind u. a. auch Bodo Britz und Heinz-Günther Kowalski, die grundsätzlich anderer politische Auffassung sind, sich daher – zur Freude der anwesenden Öffentlichkeit – erbittert über alles und jedes streiten können und die hierbei wohlgesetzte rhetorische Tiefschläge austeilen.

Hieran stört sich allerdings Frau Odessa Hubbard-Siontologis, die ebenfalls Mitglied des Ortsrats von Quierbrück ist. Sie meint, dass der Ortsrat keine Plattform für Männer sei, die lieber in "Brüssel, Berlin oder Saarbrücken" sitzen wollten. Jedenfalls sei primäre Aufgabe des Ortsrats die Befassung mit den in § 73 KSVG genannten Materien. Sie würde daher lieber sachlich mit den anderen Ortsratsmitgliedern über die Fragen diskutieren, die eigentlich im Ortsrat zu diskutieren wären. Über solche Verhandlungsgegenstände, die einen unmittelbaren Bezug zu den Angelegenheiten des Gemeindebezirks haben, könne jedoch aufgrund der vorherigen "allgemeinpolitischen Diskussion" nur noch in einem allgemeinen Zustand der Erschöpfung und oft erst kurz vor Mitternacht beraten und entschieden werden. Eine "richtige" Diskussion dieser Themen finde auch gar nicht mehr statt. Tatsächlich wurde in der letzten Ortsratssitzung nach einer mehrstündigen Diskussion über die Frage, ob in Deutschland eine Volksabstimmung über den weiteren Verbleib in der Europäischen Union durchgeführt werden solle, um 23:24 Uhr der von Frau Hubbard-Siontologis mit initiierte Antrag "Umbenennung der 'Carl-Peters-Straße' in 'Herero-Straße'" nach nur fünfminütiger Aussprache abgelehnt. Diese "Aussprache" bestand zudem im Wesentlichen darin, dass die von Frau Hubbard-Siontologis vorgebrachten Argumente mit glasigem Blick zur Kenntnis genommen wurden, Britz als Vorsitzender der Mehrheitsfraktion mitteilte, er sei grundsätzlich gegen Straßenumbenennungen, und dies von der Mehrheit der Ortsratsmitglieder – zur Vermeidung weiterer Grundsatzdiskussionen – zum Anlass genommen wurde, den Antrag abzulehnen.

Am nächsten Tag forderte Frau Hubbard-Siontologis deshalb Schäfer auf, in Zukunft davon abzusehen, den Verhandlungsgegenstand "Beschlüsse des Ortsrats zu aktuellen Entwicklungen aus dem Saarland, Deutschland und der Welt" auf die Tagesordnung des Ortsrats zu setzen. Schäfer lehnte dies mit der Begründung ab, Frau Hubbard-Siontologis habe "kein Recht auf eine bestimmte Tagesordnung". Zudem habe bisher weder der Oberbürgermeister der Stadt Saarheim, Oskar Obenauf, noch die Kommunalaufsichtsbehörde Einwände gegen die Behandlung allgemeinpolitischer Themen im Ortsrat erhoben.

Frau Hubbard-Siontologis sucht daraufhin den Saarheimer Rechtsanwalt Rudi Rathgeber auf und fragt, ob und wie sie mit gerichtlicher Hilfe erreichen könne, dass sich der Ortsrat des Gemeindebezirks Quierbrück in Zukunft nur noch mit den Angelegenheiten befasse, die einen Bezug zu den örtlichen Angelegenheiten des Gemeindebezirks hätten. Sie fände die "Hahnenkämpfe" zwischen Britz und Kowalski zwar durchaus lustig und im Grundsatz mache es ihr auch nichts aus, dass die Sitzungen aufgrund dieser Streitigkeiten wesentlich länger dauern, als sie dauern würden, würde die Diskussion über Allgemeinpolitisches entfallen. Denn ein solches Anschauungsmaterial maskuliner Lächerlichkeit bekomme man nicht alle Tage zu sehen. Dies alles ändere jedoch nichts daran, dass jede Befassung mit allgemeinpolitischen Themen ohne Ortsbezug rechtswidrig sei. Auch sei aufgrund der ewigen Streitereien im Ortsrat über allgemeinpolitische Themen eine sachangemessene Interessenvertretung der Bevölkerung des Ortsteils Quierbrück durch den Ortsrat nicht mehr gewährleistet.

Prüfen Sie bitte gutachtlich, welche gerichtlichen Schritte Rathgeber Frau Hubbard-Siontologis, die Maßnahmen des Eilrechtsschutzes nicht ergriffen haben will, vorschlagen sollte.

Lösungsvorschlag

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Teilnehmer der Rathausführung: Nach Bearbeitung hier lang!


Zeichnungen: Dr. Nils Neuman, Berlin