Sonnendeck

© Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

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Larissa Lebach ist Eigentümerin eines im Ortsteil Quierbrück von Saarheim, am Fuße der Quierbrücker Höhe, gelegenen Grundstücks, auf dem ein eingeschossiges Gebäude steht und in dessen Rasenfläche ein Swimmingpool eingelassen ist. Das Grundstück befindet sich noch innerhalb der geschlossenen Ortschaft und liegt im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der jedoch keine Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung enthält. Die Landschaft in der dortigen Umgebung ist außerordentlich schön, friedlich und lieblich.

Um im Frühjahr und Sommer ihre Zeit damit verbringen zu können, sich mit Blick über Saarheim zu sonnen und ihren Teint dadurch von einem Winter-Schweinchenrosa nach und nach in ein dunkles Sommer-Karamell verwandeln zu können, träumt Larissa Lebach schon seit Langem davon, im obersten Stockwerk ihres Hauses nach Art eines Sonnendecks eine Dachterrasse zu bauen. Sie möchte auch einen direkten Zugang zu der Dachterrasse von ihrem Garten aus haben, um nach einem Bad in ihrem Swimmingpool auf die Dachterrasse gelangen zu können. Zu diesem Zweck will sie eine Außentreppe errichten lassen. Die Außentreppe soll an der Seite ihres Hauses angebracht werden, die an das Grundstück ihrer Nachbarin, Nora-Nadine Neidhardt, angrenzt und soll dort vom Erdboden über ein Drittel der Hauswand diagonal nach oben zu der Dachterrasse führen und - gemessen von der Hauswand - eine Breite von 1,45 cm haben. Die daher besonders breiten Stufen sollen mit Marmorplatten belegt werden. Frau Lebach will ferner die Treppe an der Außenseite mit einem reich verzierten schmiedeeisernen Geländer versehen (Frau Lebach denkt an kunstvoll - jedoch nicht anstößig - ineinander verschlungene Delphine, Meerjungfrauen und Seepferdchen) und in auffälliger hellblauer Farbe mit Goldverzierungen, passend zu ihrem Swimmingpool, anstreichen lassen. Ohne eine Außentreppe wäre die Dachterrasse nicht zugänglich, da sie nicht durch eine Tür mit dem darunter befindlichen Gebäudeteil verbunden ist, sodass die Außentreppe den Zugang zu der Dachterrasse erst erschließen würde. Bauordnungsrechtlich ist das Vorhaben insoweit problematisch als die Treppe nach den Plänen von Larissa Lebach in die von Bebauung grundsätzlich freizuhaltenden Abstandsflächen zum Grundstück ihrer Nachbarin gem. § 7 Abs. 1 LBO um die genannten 1,45 m hineinreicht; denn die Außenwand des Hauses von Frau Lebach, an die die Treppe angebaut werden soll, steht genau auf der Grenze dieser Fläche. Indes sieht Frau Lebach hier kein Problem, da es sich ihrer Auffassung nach bei der Treppe um einen bloßen "Vorbau" i. S. des § 7 Abs. 6 Nr. 2 LBO handele, der dementsprechend bei der Bemessung der Abstandsflächen außer Betracht bleiben könne, weil auch die übrigen Voraussetzungen des § 7 Abs. 6 Nr. 2 LBO eingehalten werden, da jedenfalls die Außenseite der Außentreppe immerhin noch 2,01 cm von der Grenze zum Grundstück von Frau Neidhardt entfernt sei.

Frau Lebach stellt dementsprechend einen entsprechenden, an den Landrat des Saarpfalz-Kreises - untere Bauaufsicht - gerichteten Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau (Errichtung der gewünschten Dachterrasse und der Außentreppe), wobei sie ausdrücklich darum bittet, behördliche Prüfungen auf das rechtlich unbedingt Nötige zu beschränken, so dass die Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren nach § 64 LBO zu erteilen sei. Dieser Antrag wird mit Bescheid vom 7. Januar letzten Jahres von dem insoweit zuständigen Leiter der Außenstelle Saarheim der Unteren Bauaufsichtsbehörde des Saarpfalz-Kreises, Gunter Grossklos, stattgegeben. Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um eine im vereinfachten Verfahren nach § 64 LBO erteilte Baugenehmigung handele, so dass das Vorhaben nur am Maßstab der in § 64 Abs. 2 LBO genannten Vorschriften geprüft worden sei. § 64 Abs. 2 Satz 1 LBO lautete zum damaligen Zeitpunkt

"(2) Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren werden geprüft:

1. die Zulässigkeit des Vorhabens nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs und den sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften außerhalb des Bauordnungsrechts, ausgenommen die Anforderungen nach der Arbeitsstättenverordnung [...] und die Anforderungen nach der Energieeinsparverordnung ,

2. bei Werbeanlagen zusätzlich die Anforderungen nach §§ 4, 7, 8, 12, 14 sowie die Einhaltung Örtlicher Bauvorschriften der Gemeinde nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 und 2,

3. beantragte Abweichungen."

Daraufhin lässt Frau Lebach die Dachterrasse und Treppe wie oben beschrieben errichten.

Während sich Frau Lebach im Frühjahr schon auf die Eröffnung ihres Sonnendecks freut, bemerkt nun auch ihre Nachbarin die prunkvolle neue Außentreppe. Diese ist direkt von der breiten Fensterfront des Wohnzimmers von Frau Neidhardt aus zu sehen, bietet damit umgekehrt Frau Lebach auch gute Einsichtsmöglichkeiten in dieses Wohnzimmer und wirft zudem auch noch Schatten auf die vor dem Wohnzimmer gelegene Terrasse. Die Terrasse von Frau Neidhardt war zuvor frei von jeglicher Beschattung, konnte vom Nachbargrundstück aus nicht eingesehen werden und wurde von Frau Neidhardt regelmäßig als "ihr Sonnendeck" genutzt. Diese Funktion sieht sie nun stark beeinträchtigt. Ihr sind daher die baulichen Veränderungen auf dem Nachbargrundstück ein Dorn im Auge. Ihrer Ansicht nach ist die Treppe viel zu nah an ihr Grundstück heran gebaut und wegen unzureichenden Abstands unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 LBO unzulässig. Sie nehme ihr die natürliche Belichtung und Besonnung auf ihrem Grundstück, ermögliche eine jederzeitige Einsicht in ihr Wohnzimmer und auf die Terrasse und sei auch unter ästhetischen Gesichtspunkten eine "reine Zumutung".

Aus diesen Gründen wurde Frau Neidhardt auf der Außenstelle Saarheim der Unteren Bauaufsichtsbehörde des Saarpfalz-Kreises vorstellig und forderte Gunter Grossklos mit schriller Stimme auf, etwas gegen die Treppe zu unternehmen. Nachdem dies nichts geholfen hat, lief sie zu Rechtsanwalt Rudi Rathgeber, der daraufhin am 3. Mai letzten Jahres namens Frau Neidhardt bei der Unteren Bauaufsichtsbehörde des Saarpfalz-Kreises förmlich beantragt hat, dass diese gegenüber Frau Lebach eine Beseitigungsverfügung nach § 82 Abs. 1 LBO in Bezug auf die Außentreppe erlässt. Hierauf geschah jedoch zum Bedauern von Frau Neidhardt fünf Monate lang nichts. Auf telefonische Nachfrage wurde ihr mitgeteilt, Frau Neidhardt solle sich noch etwas gedulden: Nachbarschaftsstreitigkeiten würde im Geschäftsgang keine Priorität beigemessen; die ganze Angelegenheit sei ohnehin auch recht schwierig und unübersichtlich, weil es da ja auch diese Baugenehmigung gebe.... man wolle auch erst mal sehen, was Frau Lebach dazu zu sagen habe, diese sei aber immer nur schwer zu erreichen ... und überhaupt verstehe man nicht, weshalb Frau Neidhardt keine zivilrechtlichen Schritte gegen Frau Lebach einleite, um ihr Anliegen unmittelbar gegenüber ihrer Nachbarin durchzusetzen.... Kurzum, also, man werde sich schon darum kümmern, aber es würden wohl noch ein paar Monate ins Land gehen, bevor sie mit einer Bescheidung ihres Antrags rechnen könne.

Daraufhin erhebt Frau Neidhardt, vertreten durch Rechtsanwalt Rathgeber, Klage beim Verwaltungsgericht des Saarlandes mit dem Antrag, den Landrat des Saarpfalz-Kreises als untere Bauaufsichtsbehörde zu verpflichten, gegenüber Frau Lebach nach § 82 Abs. 1 LBO die Beseitigung der auf Grundlage der Baugenehmigung vom 7. Januar letzen Jahres errichteten Außentreppe anzuordnen, um "wieder bauordnungsrechtliche Zustände herzustellen". Zumindest habe sie einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag vom 3. Mai letzten Jahres, der durch schlichtes Nichtstun nicht beschieden werde.

Das Verwaltungsgericht lädt daraufhin Frau Lebach dem Verfahren nach § 65 Abs. 2 VwGO bei. Diese macht geltend, sie sei der Auffassung, die Außentreppe sei trotz Überschreitens des Abstands gem. § 7 Abs. 1 LBO rechtmäßig errichtet, da diese neben ihrem Wohnhaus optisch nicht wesentlich hervortrete, so dass § 7 Abs. 6 LBO greife. Auch wenn es anders wäre, hätte jedenfalls Frau Neidhardt keinen Anspruch auf Erlass der begehrten Beseitigungsverfügung, da der beklagte Landrat des Saarpfalz-Kreises als untere Bauaufsichtsbehörde eine solche gar nicht mehr erlassen dürfe, nachdem er ihr eine Baugenehmigung für die Treppe erteilt habe und damit die Errichtung der Treppe, so wie sie erfolgt sei, zumindest billigend in Kauf genommen und damit geduldet habe. Hiergegen hätte Frau Neidhardt ggf. vorgehen müssen. Unabhängig davon könne man ihr keinen Vorwurf machen, dass sie § 7 Abs. 6 LBO falsch verstanden habe, schließlich sei sie keine Juristin. Zudem sei eine Beseitigungsanordnung unverhältnismäßig: Sie würde nur dazu führen, dass ihr durch Art. 14 GG geschütztes Eigentum zerstört würde und sich damit ihre in gutem Glauben getätigten Investitionen als wertlos erwiesen. Und schließlich kenne sie viele Fälle, in denen in Saarheim und anderen Städten des Saarpfalz-Kreises nicht gegen baurechtswidriges Bauen eingeschritten worden sei, so dass sich ein Einschreiten ihr gegenüber als Gleichheitsverstoß darstelle.

Der beklagte Landrat des Saarpfalzkreises macht demgegenüber geltend, hier liege letztlich ein typischer Nachbarrechtsstreit vor, in den die Bauaufsichtsbehörde nicht hereingezogen werden wolle, sondern der unmittelbar zwischen den streitenden Nachbarn auszutragen sei. Gemäß § 1 Abs. 3 SPolG dürfe die Bauaufsichtsbehörde zum Schutz privater Rechte jedoch nur eingreifen, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen sei und ohne behördliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Weil die bauordnungsrechtlichen Regelungen über Abstandsflächen insoweit von der Rechtsprechung als "Schutzgesetze" i. S. des § 823 Abs. 2 BGB qualifiziert würden, könne und müsse Frau Neidhardt daher - sollte ein Verstoß gegen § 7 LBO tatsächlich vorliegen - gegenüber Frau Lebach ihren Anspruch auf Beseitigung der Außentreppe auf dem Zivilrechtsweg auf Grundlage des § 1004 Abs. 1 i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB verfolgen.

Bitte prüfen Sie gutachtlich die Erfolgsaussichten der von Frau Neidhardt erhobenen Klage.

Bearbeitervermerk: Bitte unterstellen Sie für die Lösung des Falles, dass § 64 Abs. 2 Satz 1 LBO den im Sachverhalt wiedergegebenen Wortlaut hat. Legen Sie im Übrigen der Falllösung jedoch bitte die LBO in der hier wieder gegebenen Fassung zu Grunde.

Lösungsvorschlag

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