Lösungsvorschlag

Sanitäter

Frage 2

Stand der Bearbeitung: 27. Februar 2022

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

In Verbindung bleiben mit Saarheim auf Facebook

Die Klage der Stadt Saarheim gegen den Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Saarpfalz-Kreises vom 1. Juni hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

A) Zulässigkeit

Die Klage ist zulässig, wenn die Sachurteilsvoraussetzungen der §§ 40 ff. VwGO vorliegen.

Anmerkung: Für die Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen im Verwaltungsprozess siehe diesen Hinweis.

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet, wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die für die Streitentscheidung maßgeblichen Normen dem öffentlichen Recht angehören. Öffentlich-rechtlicher Natur sind diejenigen Rechtsnormen, die einen Träger öffentlicher Gewalt gerade als solchen berechtigen oder verpflichten, die also einen öffentlichen Verwaltungsträger zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben mit besonderen Befugnissen ausstatten oder besonderen Regeln unterwerfen.

Anmerkung: Siehe hierzu nur BVerwG, 10 B 1/20 v. 26.5.2020, Abs. 6 = NVwZ 2020, 1363 Abs. 6.

Die Stadt Saarheim und der Kreisrechtsausschuss streiten hier um die Kompetenzen des Kreisrechtsausschusses gegenüber der Stadt Saarheim als Selbstverwaltungskörperschaft. Die Kompetenzen des Kreisrechtsausschusses ergeben sich aus § 8 AGVwGO i.V.m. §§ 68 ff. VwGO. Diese Vorschriften berechtigen und verpflichten den Kreisrechtsausschuss als Träger der öffentlichen Gewalt und gehören somit dem öffentlichen Recht an. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.

Anmerkung: Es wäre verfehlt, an dieser Stelle die Rechtsnatur der Stipendiumsbewilligung zu prüfen. Selbst wenn diese als privatrechtlich zu qualifizieren wäre, wäre der Verwaltungsrechtsweg für die Klage gegen den Widerspruchsbescheid eröffnet, da sich die Frage, ob und wann ein Widerspruchsbescheid ergehen darf, nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften beantwortet.

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, wie es sich bei verständiger Würdigung der Rechtslage darstellt (vgl. § 88 VwGO). Es ist also das Rechtsschutzziel des Klägers zu ermitteln.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG (K), 2 BvR 1493/11 v. 29.10.2015, Abs. 37 = NVwZ 2016, 238, Abs. 37.

 Hier hat die Stadt Saarheim die Aufhebung des Widerspruchsbescheides beantragt.

1. Anfechtungsklage

Demnach könnte die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO die statthafte Klageart sein. Hiermit könnte die Aufhebung des Widerspruchsbescheides nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO erreicht werden, sofern der Widerspruchsbescheid als Verwaltungsakt i.S.d. VwGO anzusehen ist. Dies richtet sich grundsätzlich nach der Legaldefinition des § 35 VwVfG, des § 31 SGB X, des § 118 AO und der entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder, die als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes auch für die Auslegung der VwGO maßgeblich ist.

Anmerkung: Zum Verwaltungsaktbegriff der VwGO siehe U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12 und 15.

Fraglich ist insoweit, ob es sich bei dem Widerspruchsbescheid um eine Regelung mit Außenwirkung handelt. Eine solche Regelung stellt ein Widerspruchsbescheid zumindest gegenüber dem Widerspruchsführer dar - hier gegenüber Escher. Dem steht auch § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht entgegen. Diese Vorschrift bestimmt lediglich, dass im Falle einer Anfechtungsklage prozessrechtlich Widerspruchsbescheid und Ausgangsbescheid als einheitlicher Klagegegenstand gesehen wird. Formell stellt der Widerspruchsbescheid jedoch einen selbständigen Verwaltungsakt dar, da das ursprüngliche Verwaltungsverfahren mit Erlass des Ausgangsbescheides abgeschlossen ist und mit Erhebung des Widerspruchs ein neues Verwaltungsverfahren eingeleitet wird (vgl. § 9, § 79 SVwVfG).

Anmerkung: Siehe hierzu U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 46, 369.

Fraglich ist jedoch, ob eine solche Außenwirkung auch der Stadt Saarheim als Ausgangsbehörde gegenüber in Betracht kommt. Teilweise wird angenommen, dass gegenüber der Ausgangsbehörde der Widerspruch nur verwaltungsinterne Wirkung habe, zumindest dann, wenn die Ausgangsbehörde der Widerspruchsbehörde hierarchisch untergeordnet sei.

Anmerkung: So Schmitt Glaeser/Horn, Verwaltungsprozessrecht, 15. Aufl. 2000, Rn. 214.

Nach dieser Ansicht wäre die Rechtsnatur einer Maßnahme teilbar: Treffe die Außenwirkung nur einen bestimmten Betroffenen, so wäre sie nur diesem gegenüber Verwaltungsakt.

Anmerkung: So etwa BVerwG, 4 C 51.83 v. 11.4.1986, Abs. 13 ff. = BVerwGE 74, 124, 125 f.; BVerwG, 4 C 21.88 v. 14.4.1989, Abs. 19 = NVwZ 1990, 260, 261.

Jedoch kann die Frage, ob ein Verwaltungsakt vorliegt, nur für alle Beteiligten einheitlich entschieden werden, weil man andernfalls gerade bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung zu unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten kommt.

Anmerkung: So etwa OVG Koblenz, 1 A 10388/08.OVG v. 15.10.2008, Abs. 42 = DVBl. 2009, 386; VGH Mannheim, 10 S 4/96 v. 15.4.1997, Abs. 14 = NVwZ 1998, 416; Barczak, JuS 2018, 238, 242; Ellerbrok, DVBl 2021, 1204, 1205;  U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 23, 190.

Die Frage, ob die Ausgangsbehörde den Widerspruchsbescheid anfechten kann, ist damit allein eine Frage der Klagebefugnis. Somit wäre grundsätzlich eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft.

2. Verpflichtungsklage

Fraglich ist jedoch, ob die Anfechtungsklage dem Begehren der Stadt Saarheim wirklich gerecht wird. Bei der Ermittlung des Begehrens ist das Gericht an die Fassung der Anträge nicht gebunden (§ 88 VwGO). Es wird vielmehr der Entscheidung eine andere Klageart zugrunde legen, wenn diese dem Begehren des Klägers näher kommt. Ggf. ist eine ausdrücklich gewählte Klageart auch in eine zur Erreichung des Rechtsschutzziels geeignete Klageart umzudeuten.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG (K), 2 BvR 1493/11 v. 29.10.2015, Abs. 37 = NVwZ 2016, 238, Abs. 37. Die Frage der "Statthaftigkeit der isolierten Anfechtungsklage" ist daher schon hier - bei der Ermittlung der statthaften Klageart - und nicht erst als Problem des Rechtsschutzbedürfnisses zu untersuchen. Was für eine Klage vorliegt, bestimmt das Gericht nach dem Begehren des Klägers. Solange der Kläger nicht ausdrücklich und unmissverständlich auf einer "isolierten Anfechtungsklage" besteht, weil nur die bloße Aufhebung des Bescheides seinem Begehren entspräche, und auf diese Weise sein Begehren verengt, muss daher das Gericht nach § 88 VwGO, wenn es die bloße Anfechtung nicht für sinnvoll bzw. zulässig hält, von dem Vorliegen einer Verpflichtungsklage ausgehen.

Hier geht es der Stadt Saarheim an sich nicht nur um die Aufhebung des Widerspruchsbescheides. Diese Aufhebung hat nämlich lediglich zur Folge, dass das Verfahren vor dem Kreisrechtsausschuss erneut anhängig wird und dieser erneut entscheiden muss. Theoretisch könnte deshalb auch ein dem ersten Widerspruchsbescheid gleichlautender Widerspruchsbescheid ergehen. Die Stadt Saarheim will jedoch, dass der Widerspruch Eschers durch den Kreisrechtsausschuss endgültig zurückgewiesen wird. Dieses Begehren könnte mit der Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO erreicht werden. Somit ist fraglich, ob es die Verpflichtungsklage auf Erlass eines bestimmten Widerspruchbescheides geben kann.

Dies wird grundsätzlich wohl für ausgeschlossen gehalten: § 79 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VwGO gehen ersichtlich nur von der Zulässigkeit einer Anfechtungsklage gegen Widerspruchsbescheide aus. Hierfür spricht auch, dass bei einem Verpflichtungsurteil auf Erlass eines bestimmten Widerspruchsbescheides das Vorverfahren seinen Sinn letztlich verlieren würde. Das Vorverfahren soll u. a. die Gerichte entlasten.

Anmerkung: Zu den Zwecken des Vorverfahrens deutlich BVerwG, 1 C 2.14 v. 12.8.2014, Abs. 13 = BVerwGE 150, 190 Abs. 13.

Dieses Ziel kann nicht erreicht werden, wenn das Gericht letztlich das Ergebnis des Vorverfahrens festsetzt. Deshalb wird etwa angenommen, dass jemand, dem von der Ausgangsbehörde eine Genehmigung erteilt wurde, die von der Widerspruchsbehörde auf Widerspruch eines Dritten aufgehoben wird, nur Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid nach § 78 Abs. 2, § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO erheben kann. Diese hat dann zur Folge, dass nach Aufhebung des Widerspruchsbescheides die ursprüngliche Genehmigung wieder auflebt. Wird der Antrag auf Genehmigung dagegen schon von der Ausgangsbehörde abgelehnt und wird diese Ablehnung von der Widerspruchsbehörde bestätigt, besteht ebenfalls grundsätzlich kein Bedürfnis dafür, Klagen auf Erlass eines bestimmten Widerspruchsbescheides zuzulassen: Hier ist die normale, nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gegen die Ausgangsbehörde zu richtende Verpflichtungsklage der richtige Weg.

Anmerkung: Vgl. hierzu VGH Kassel, 6 A 1492/13 v. 15.10.2013, Abs. 17 ff. = NVwZ-RR 2014, 149, 150; OVG Magdeburg, 2 O 171/15 v. 23.12.2015, Abs. 5 ff. = NVwZ-RR 2016, 717, 718; VGH München, 7 ZB 13.305 v. 1.7.2013, Abs. 15 ff. = BayVBl. 2013, 734, 735.

Von der Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage auf Erlass eines bestimmten Widerspruchsbescheides wird aber in den Fällen ausgegangen, in denen ein Dritter gegen die einen anderen begünstigende Genehmigung Widerspruch einlegt und die Widerspruchsbehörde untätig bleibt: Hier soll dem Begünstigten die Klage auf Abweisung des Widerspruchs offen stehen, weil er andernfalls die ihm gewährte Begünstigung nicht endgültig durchsetzen kann: Eine Verpflichtungsklage (gegen die Ausgangsbehörde) auf Erteilung einer bereits erhaltenen Genehmigung wäre von vornherein unbegründet.

Anmerkung: Vgl. hierzu VGH Mannheim, 3 S 1120/92 v. 10.11.1993, Abs. 25 ff. = NVwZ 1995, 280; Brenner/Witt, DVBl. 2020, 977, 981; Wöckel, in: Eyermann, § 73 Rn. 18.

Mit dieser Situation ist die hier vorliegende Konstellation vergleichbar, dass die Ausgangsbehörde - als letztlich von dem angegriffenen Bescheid "Begünstigte" - eine Abweisung des Widerspruchs begehrt: Auch hier kommt eine Klage (gegen sich selbst?) auf (neuerlichen) Erlass des Ausgangsbescheides nicht in Betracht. Um hier Rechtsschutzlücken - und die unnötige Wiederholung eines Widerspruchsverfahrens - zu vermeiden, ist daher in dieser Konstellation ebenfalls Raum für eine gegen die Widerspruchsbehörde gerichtete Verpflichtungsklage auf Erlass eines bestimmten Widerspruchsbescheides, hier gerichtet auf Abweisung des Widerspruchs. Ob die Ausgangsbehörde überhaupt einen Anspruch auf eine bestimmte Entscheidung der Widerspruchsbehörde haben kann, ist dann eine Frage der Klagebefugnis.

Anmerkung: Vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 376; zusammenfassend zur Frage einer Klage auf Widerspruchsbescheidung (insbesondere im Fall des § 75 VwGO): Brenner/Witt, DVBl. 2020, 977 ff.

3. Ergebnis zu II

Folgt man dem, ist vorliegend eine Verpflichtungsklage, gerichtet auf Abweisung des Widerspruchs Eschers, statthaft.

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

Die Stadt Saarheim müsste geltend machen können, dadurch, dass dem Widerspruch Eschers stattgeben worden ist, in ihren Rechten verletzt zu sein. Sie müsste - als Träger der Ausgangsbehörde - also einen Anspruch darauf haben, dass der Widerspruch Eschers abgewiesen wird. Einen allgemeinen Anspruch der Ausgangsbehörden dahingehend, dass die Widerspruchsbehörde dem Widerspruch nicht zu Unrecht stattgibt, gibt es jedoch nicht: Es ist nicht Aufgabe der Ausgangsbehörde, über den ordnungsgemäßen Gesetzesvollzug durch die Widerspruchsbehörde zu wachen. Aus der VwGO ergibt sich insoweit jedenfalls kein Recht der Ausgangsbehörde auf "richtige" Widerspruchsentscheidung.

Anmerkung: Fehlerhaft wäre es, die Klagebefugnis auf die Adressatentheorie zu stützen, siehe hierzu Rozek, Jura 2021, 30, 33 und diesen Hinweis.

Jedoch kann sich aus dem jeweils einschlägigen Verwaltungsorganisationsrecht ein solches Recht ergeben: So lässt sich - soweit die Widerspruchsbehörde über Selbstverwaltungsangelegenheiten der Kommunen entscheidet - aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 117 Abs. 2 und Abs. 3 SVerf, § 5 KSVG) das Recht der Kommune herleiten, dass die Widerspruchsbehörde unzulässige und unbegründete Widersprüche abweist. Aus dem Umstand, dass Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegen, lässt sich nämlich folgern, dass die Widerspruchsbehörde einem auf eine Selbstverwaltungsangelegenheit bezogenen Widerspruch nur stattgibt, wenn dies nach der VwGO und dem AGVwGO gesetzlich vorgesehen ist. Dies ist bei Widersprüchen in Selbstverwaltungsangelegenheiten nur bei zulässigen und aus Rechtsgründen begründeten Widersprüchen der Fall (§ 68 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 8 Abs. 2 Satz 1 AGVwGO).

Anmerkung: Siehe hierzu auch die Argumentation von OVG Weimar, 4 KO 850/09 v. 12.1.2016, S. 6 f. = ThürVBl. 2016, 298, 299 (für den Fall der Anfechtungsklage der Ausgangsbehörde gegen einen stattgebenden Widerspruchsbescheid der Widerspruchsbehörde).

Vorliegend gehört die Vergabe des Stipendiums und als "Kehrseite" hierzu dessen Einstellung zu den "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft", da für die Kulturförderung keine exklusive Landeszuständigkeit besteht, so dass sich ihr auch die Gemeinden aufgrund ihrer Allzuständigkeit für örtliche Angelegenheiten annehmen können, soweit - wie hier - die Kulturförderung einen örtlichen Bezug hat (vgl. § 5 Abs. 2 KSVG). Somit geht es um eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Stadt Saarheim, so dass die Stadt aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 117 Abs. 2 und Abs. 3 SVerf, § 5 KSVG ein Recht auf Erlass eines "richtigen" Widerspruchsbescheides herleiten kann. Dass der Kreisrechtsausschuss vorliegend einen "falschen" Widerspruchsbescheid erlassen hat, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, so dass die Stadt Saarheim auch klagebefugt ist.

Anmerkung: Der Klagebefugnis steht auch nicht das Urteil des OVG Saarlouis, 1 R 105/87 v. 20.2.1989 = NVwZ 1990, 174 ff. entgegen. Dort ging es um eine Klage einer Stadt gegen ihren eigenen Stadtrechtsausschuss. Diese Klage wurde (zu Unrecht) für einen unzulässigen Insichprozess gehalten (siehe hierzu U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 119, 374).

IV. Vorverfahren (§ 68 ff. VwGO)

Eines (erneuten) Vorverfahrens bedurfte es nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VwGO nicht.

V. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

Nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 19 Abs. 2 AGVwGO ist die Klage gegen die Behörde zu richten, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat.

Anmerkung: Zur Bedeutung des § 78 VwGO siehe diesen Hinweis.

Dies ist nach § 78 Abs. 2 VwGO in der vorliegenden Konstellation die Widerspruchsbehörde. Widerspruchsbehörde könnte der Kreisrechtsausschuss des Saarpfalz-Kreises sein. Dies kann man jedoch nur annehmen, wenn nach dem für § 78 VwGO maßgeblichen verwaltungsorganisationsrechtlichen Behördenbegriff der nach § 7 AGVwGO gebildete Kreisrechtsausschuss als eigene Behörde - also als eigenes Organ des Landkreises - und nicht nur als bloßes "Amt" der Behörde Landrat (§ 178 KSVG) anzusehen ist.

Anmerkung: Siehe zum verwaltungsorganisatorischen Behördenbegriff diesen Hinweis.

Für das Vorliegen eines bloßen Amtes spricht die Tatsache, dass nach § 9 AGVwGO der Landrat den Vorsitz im Kreisrechtsausschuss führt, also der Landrat als Behörde nach § 178 KSVG und der Kreisrechtsausschuss in Personalunion geführt werden. Für die Behördeneigenschaft des Kreisrechtsausschusses spricht jedoch, dass der Kreisrechtsausschuss aufgrund eines formellen Gesetzes bei den Landkreisen einzurichten ist und dass § 7 Abs. 2 AGVwGO auch davon ausgeht, dass der Widerspruchsbescheid im Namen des Kreisrechtsausschusses - und nicht im Namen des Landrates - ergeht. Außerdem spricht seine Zusammensetzung nach § 7 Abs. 2 AGVwGO dafür, dass eine eigenständige Behörde vorliegt: Während der Landrat als Behörde monokratisch organisiert ist, ist der Kreisrechtsausschuss ein Kollegialorgan, das mit Stimmenmehrheit entscheidet. Dementsprechend ist der Kreisrechtsausschuss als eigenständige Behörde i.S.d. § 78 VwGO anzusehen. Die Klage ist somit gegen den Kreisrechtsausschuss - und nicht gegen den Landrat - des Saarpfalz-Kreises zu richten.

VI. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)

Die Stadt Saarheim ist als juristische Person nach § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig. Der Kreisrechtsausschuss ist als selbständige Behörde des Kreises nach § 61 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 19 Abs. 1 AGVwGO beteiligtenfähig.

VII. Prozessfähigkeit (§ 62 VwGO)

Die Stadt Saarheim wird nach § 62 Abs. 3 VwGO im Prozess von ihrem Oberbürgermeister als gesetzlichem Vertreter (§ 59 Abs. 1 KSVG) vertreten. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, wer den Kreisrechtsausschuss nach § 62 Abs. 3 VwGO im Prozess zu vertreten hat, fehlt dagegen. Jedoch entspricht es der Wertung der § 9, § 13 und § 14 AGVwGO, welche auf den Landrat als Vorsitzenden des Kreisrechtsausschusses sämtliche Leitungsbefugnisse konzentrieren, den Landrat als Vorsitzenden des Kreisrechtsausschusses auch als ermächtigt anzusehen, den Kreisrechtsausschuss nach außen zu vertreten.

VIII. Beiladung (§ 65 VwGO)

Escher ist gemäß § 65 Abs. 2 VwGO dem Rechtsstreit notwendig beizuladen. Die Entscheidung über die Aufhebung eines Widerspruchsbescheides kann gegenüber der Ausgangsbehörde und dem Widerspruchsführer nur einheitlich ergehen.

IX. Ergebnis zu A

Sonstige Bedenken gegen die Klage sind nicht ersichtlich, so dass sie insgesamt zulässig ist.

B) Begründetheit

Die Klage ist begründet, wenn der Kreisrechtsausschuss dem Widerspruch Eschers rechtswidrigerweise stattgegeben hat und hierdurch Rechte der Stadt Saarheim verletzt wurden (§ 113 Abs. 5 VwGO). Dies ist der Fall, wenn die Stadt Saarheim einen Anspruch auf Abweisung des Widerspruchs Eschers hatte. Ein solcher Anspruch ergibt sich nach dem oben Gesagten (s.o. A III) aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 117 Abs. 2 und Abs. 3 SVerf, § 5 KSVG, wenn der Widerspruch Eschers unzulässig oder nicht aus Rechtsgründen begründet war. Fraglich ist demnach, ob der Widerspruch Eschers zulässig und begründet war. Dies ist hier gegeben.

Anmerkung: Siehe hierzu den Lösungsvorschlag zu Frage 1.

Der Kreisrechtsausschuss hat somit dem Widerspruch Eschers zu Recht stattgegeben und damit ein Recht der Stadt Saarheim auf Abweisung des Widerspruchs nicht verletzt. Die Klage der Stadt Saarheim ist somit unbegründet.

C) Gesamtergebnis

Die Klage der Stadt Saarheim ist daher zwar zulässig, aber unbegründet und hat damit keine Aussicht auf Erfolg.

Fragen und Anregungen zur Lösung? stelkens@uni-speyer.de

Zum Lösungsvorschlag zur Frage 1

Zurück zum Sachverhalt

Zu einer nach Berliner Landesrecht zu lösenden Fallvariante bei den Hauptstadtfällen

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zum Stadtplan

Teilnehmer der Rathausführung beim 10. Halt: Nach Bearbeitung hier lang!