Lösungsvorschlag

Aufgerundet

Stand der Bearbeitung: 26. März 2022

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

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Siehe hierzu

Ein Antrag der Landtagsabgeordneten Detmold und Bredestrauch hätte Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet wäre. Hier käme die Einleitung eines Organstreitverfahrens nach Art. 97 Nr. 1 SVerf, § 9 Nr. 5, §§ 39 ff. VerfGHG in Betracht. Damit könnten sie gemäß § 42 VerfGHG die Feststellung erreichen, dass der Landtag durch die Nichtanerkennung ihres Zusammenschlusses zur Zwei-Personen-Fraktion gegen die Saarländische Verfassung verstößt. Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes wird einem solchen Antrag stattgeben, wenn er zulässig und begründet ist.

A) Zulässigkeit

Der Antrag auf Einleitung eines Organstreitverfahrens ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen des Art. 97 Nr. 1 SVerf, § 9 Nr. 5, §§ 39 ff. VerfGHG vorliegen.

Anmerkung: Vergleichen Sie zum Folgenden diesen Hinweis zur Zulässigkeit eines Verfahrens vor dem BVerfG. Die dortigen Hinweise können in den meisten Ländern entsprechend auf die Zulässigkeit eines Verfahrens vor den jeweiligen Landesverfassungsgerichten übertragen werden.

I. Beteiligtenfähigkeit des Antragstellers (Art. 97 Nr. 1 SVerf, § 39 i.V.m. § 9 Nr. 5 VerfGHG)

Nach § 39 VerfGHG können im Organstreit nur die in § 9 Nr. 5 VerfGHG genannten Beteiligten Antragsteller im Organstreitverfahren sein. Die Abgeordneten Detmold und Bredestrauch sind als Abgeordnete "andere Beteiligte" im Sinne dieser Vorschrift, da sie als Mitglieder des obersten Landesorgans "Landtag" von der Verfassung mit eigenen Rechten (vgl. etwa Art. 66 Abs. 2, Art. 98 SVerf) ausgestattet sind.

Anmerkung: Vgl. SVerfGH, Lv 4/05 v. 12. 12. 2005, Abs. 14 = NVwZ-RR 2006, 665, 666. Zum Parallelproblem der Stellung des Bundestagsabgeordneten im bundesrechtlichen Organstreitverfahren: Nellesen/Pützer, JuS 2018, 429 ff.

Die Abgeordneten wollen jedoch nicht als Abgeordnete, sondern als Fraktion den Organstreit einleiten. Auch die Fraktionen sind mit eigenen verfassungsmäßigen Rechten (Art. 70 Abs. 2, Art. 77 Abs. 1 Satz 2, Art. 88 Abs. 2, Art. 98, Art. 101 Abs. 3 SVerf) ausgestattet und somit als "andere Beteiligte" im Organstreitverfahren antragsberechtigt.

Anmerkung: Siehe hierzu SVerfGH, Lv 4/05 v. 12. 12. 2005, Abs. 14 = NVwZ-RR 2006, 665, 666.

Indes steht nach dem Beschluss des Landtages in Anwendung des § 1 Abs. 2 Fraktionsrechtsstellungsgesetz zwei Abgeordneten der Fraktionsstatus gerade nicht zu, so dass die Berufung auf eine Antragsberechtigung als Fraktion ausgeschlossen sein könnte. Jedoch könnten die zwei Abgeordneten in dem Rechtsstreit über die Frage, ob ihnen verfassungswidrigerweise der Fraktionsstatuts vorenthalten bleibt, auch wie eine Fraktion zu behandeln sein, um ihnen wirksam Rechtsschutz zu gewähren: Ein verfassungsrechtliches Recht auf Bildung einer Fraktion kann nämlich beiden Abgeordneten letztlich nur gesamthändisch, gemeinsam zustehen, da die Saarländische Verfassung - wie etwa Art. 98 und Art. 101 Abs. 3 SVerf zeigen - jedenfalls davon ausgeht, dass ein einzelner Abgeordneter allein keine Fraktion bilden kann. Ist somit das Recht auf Bildung einer Fraktion allenfalls ein beiden Abgeordneten gemeinschaftlich zustehendes Recht, kann es auch nur gemeinsam im Organstreitverfahren durchgesetzt werden, so dass sie auch gemeinsam "als Fraktion" im Organstreit antragsberechtigt sein müssen.

Anmerkung: BVerfG, 2 BvE 1/91 v. 16.7.1991 = BVerfGE 84, 304, 318, und BayVerfGH, Vf. 12-IV-75 u.a. v. 30.4.1976, Abs. 12 = BayVBl. 1976, 431, 432, brauchten auf dieses Problem nicht näher einzugehen, da den antragstellenden Abgeordneten jedenfalls der Status einer in der Geschäftsordnung mit besonderen Rechten ausgestatteten und damit jedenfalls auch im Organstreit antragsberechtigten "Gruppe" zustand - ein Status, den das saarländische Parlamentsrecht nicht kennt.

Die Abgeordneten Detmold und Bredestrauch sind damit "als Fraktion der BUNTEN" im vorliegenden Verfahren antragsberechtigt.

II. Beteiligtenfähigkeit des Antragsgegners (Art. 97 Nr. 1 SVerf, § 39 i.V.m. § 9 Nr. 5 VerfGHG)

Da sich die "Fraktion der BUNTEN" gegen die Nichtanerkennung ihres Fraktionsstatus durch den Saarländischen Landtag wendet, ist das Organstreitverfahren gegen diesen einzuleiten. Der Landtag ist auch ein oberstes Landesorgan und damit nach Art. 97 Nr. 1 SVerf, § 39 i.V.m. § 9 Nr. 5 VerfGHG als Antragsgegner im Organstreitverfahren beteiligtenfähig.

III. Tauglicher Organstreitgegenstand (Art. 97 Nr. 1 GG, § 40 Abs. 1 VerfGHG)

Gegenstand des Organstreits kann nach § 40 Abs. 1 VerfGHG nur eine "Maßnahme oder Unterlassung" des Antragsgegners sein, während der Wortlaut des Art. 97 Nr. 1 SVerf eine "Streitigkeit über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Landesorgans" genügen lässt, also weniger auf ein kontradiktorisches Verfahren, in dem zwei Beteiligte um ihre Kompetenzen streiten, als auf ein objektives Beanstandungsverfahren zur Klärung abstrakter Rechtsfragen hindeutet. Das BVerfG hat jedoch für den bundesverfassungsrechtlichen Organstreit die Ausgestaltung des Organstreitverfahrens als kontradiktorisches Verfahren durch § 64 BVerfGG jedoch als zutreffende Konkretisierung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG verstanden und sie sogar letztlich als für verfassungsrechtlich geboten erachtet.

Anmerkung: Grundlegend insoweit BVerfG, 2 BvE 4/52 v. 7.3.1953 = BVerfGE 2, 143, 155 ff. [lesen !!!]; ferner: BVerfG, 2 BvE 1/07 v. 12.3.2007, Abs. 20, 29 = BVerfGE 117, 359, 366 und 370; BVerfG, 2 BvR 2436/10 und 2 BvE 6/08 v. 17.9.2013, Abs. 160 = BVerfGE 134, 141, 194; BVerfG, 2 BvE 5/15 v. 20.9.2016, Abs. 29 = BVerfGE 143, 1, 8; BVerfG, 2 BvE 6/16 v. 10.10.2017, Abs. 17 = BVerfGE 147, 31 Abs. 17; BVerfG, 2 BvE 1/18 v. 11.12.2018, Abs. 17 f. = BVerfGE 150, 194, 199 f.; BVerfG, 2 BvE 2/16 v. 17.9.2019, Abs. 28 = BVerfGE 152, 8, 20 f.; BVerfG, 2 BvE 3/19 v. 22.7.2020, Abs. 39 f. = BVerfGE 155, 357, 374 f.; BVerfG, 2 BvE 4/16 v. 2.3.2021, Abs. 57 = BVerfGE 157, 1, 18 f.; BVerfG, 2 BvE 9/20 v. 22.3.2022, Abs. 25 = BVerfGE 160, 411, 419; ausführlich hierzu Benda/Klein/Klein, Rn. 1014 ff.

Inwieweit dies auch auf das Saarländische Verfassungsrecht übertragbar ist, kann allerdings dahinstehen, da die "Fraktion der BUNTEN" hier keine abstrakte Rechtsfrage klären lassen will, sondern eine konkrete Maßnahme des Landtages rügt, nämlich ihre Nichtanerkennung als Fraktion. Eine solche Rüge einer konkreten Maßnahme ist grundsätzlich tauglicher Gegenstand eines Organstreits auch i. S. d. § 40 Abs. 1 VerfGHG.

Problematisch könnte insoweit jedoch sein, dass der Landtag der "Fraktion der BUNTEN" hier nicht konstitutiv die Anerkennung des Fraktionsstatus (etwa auf Grundlage einer entsprechenden Regelung in der Geschäftsordnung) versagt, sondern hier letztlich nur § 1 Abs. 2 Fraktionsrechtsstellungsgesetz umsetzt, der kraft Gesetzes jedenfalls im Ergebnis den Fraktionsstatuts solchen parlamentarischen Gruppierungen im Landtag des Saarlandes vorbehält, die mindestens aus drei Personen bestehen. Insoweit zielt der Antrag der "Fraktion der BUNTEN" zumindest indirekt darauf ab, die Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 2 Fraktionsrechtsstellungsgesetz feststellen zu lassen. Ob dies im Organstreitverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes zulässig sein kann, ist deshalb nicht selbstverständlich, weil für die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen besondere verfassungsgerichtliche Verfahren vorgesehen sind, nämlich die abstrakte Normenkontrolle (Art. 97 Nr. 1 SVerf i.V.m. § 9 Nr. 6, §§ 43 ff. VerfGHG), die konkrete Normenkontrolle (Art. 97 Nr. 3 SVerf i.V.m. Art. 100 Abs. 1 GG und § 9 Nr. 7, §§ 47 f. VerfGHG) und die Verfassungsbeschwerde (Art. 97 Nr. 4 SVerf i.V.m. § 9 Nr. 13, §§ 55 ff. VerfGHG). Das VerfGHG enthält für diese Verfahrensarten auch ausdrücklich Regelungen über die Nichtigkeitserklärungen von Gesetzen (§ 45 f., § 48. , § 61 Abs. 3 VerfGHG). Gerade eine solche Regelung fehlt jedoch für das Organstreitverfahren. § 42 VerfGHG ermöglicht dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes nicht, die Nichtigkeit einer Rechtsnorm im Rahmen eines Organstreitverfahrens festzustellen.

Anmerkung: Siehe hierzu für bundesverfassungsrechtlichen Organstreit BVerfG, 2 BvE 1/62, 2 BvE 2/64 v. 19.7.1966 = BVerfGE 20, 119, 129.

Hieraus könnte geschlossen werden, dass der Erlass von Gesetzen und die schlichte Anwendung einfacher Gesetze durch ein Verfassungsorgan nicht Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein kann, weil die genannten "Normenkontrollverfahren" die Antragsberechtigung für die Überprüfung von Gesetzen abschließend regeln.

 Anmerkung: So z. B. für bundesverfassungsrechtlichen Organstreit Knies, in: Festschrift für Klaus Stern, 1997, S. 1154, 1165.

Allerdings zielt das Organstreitverfahren, wie es in den §§ 39 ff. VerfGHG geregelt ist, in eine ganz andere Richtung als ein Normenkontrollverfahren: Im Organstreitverfahren wird geprüft, ob der Antragsgegner durch die angegriffene Maßnahme (gerade) die grundgesetzlich gewährten Rechte des Antragstellers verletzt hat. Insoweit ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass gerade auch durch die Umsetzung eines Gesetzes, das verfassungsrechtliche Bestimmungen verletzt, die dem Schutze des Antragstellers dienen, die verfassungsrechtlichen Rechte des Antragstellers verletzt werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist nicht erkennbar, warum die "Maßnahme" i.S.d. § 40 Abs. 1 VerfGHG nicht auch in der Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes bestehen sollte.

Anmerkung: Grundlegend zum Parallelproblem, ob der Erlass eines Gesetzes Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein kann BVerfG, 2 BvH 1/52 v. 5.4.1952 = BVerfGE 1, 208, 220 (hier wird aber noch ungenau vom "Gesetz" als Antragsgegenstand gesprochen); klarstellend: BVerfG, 2 BvH 1/92 v. 25.11.1998, Abs. 28 f. = BVerfGE 99, 332, 336 f.; näher hierzu Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, § 64 Rn. 34 f.; dem folgend für das jeweilige Landesverfassungsprozessrecht: LVerfG M-V, LVerfG 1/14 v. 27.8.2015, Abs. 62 ff.; NdsStGH, StGH 1/18 v. 15.1.2019, Abs. 27 = NdsVBl. 2019, 115, 116 f.

Insbesondere wenn Gegenstand des Organstreits der Vollzug eines verfassungswidrigen Gesetzes durch den Landtag ist, bedeutet dies, dass der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes im Falle der Begründetheit eines solchen Antrags keine mit § 61 Abs. 3 VerfGHG vergleichbare Entscheidung trifft, sondern nur schlicht feststellt, dass die Anwendung des verfassungswidrigen Gesetzes durch den Landtag Rechte des Antragsstellers verletzt. Der Landtag hat dann dem hieraus erwachsenen verfassungswidrigen Zustand dadurch zu beseitigen, dass er das Gesetz auch ohne ausdrückliche verfassungsgerichtliche Nichtigkeitserklärung als nichtig behandelt und damit nicht anwendet.

Anmerkung: Siehe hierzu für den bundesrechtlichen Organstreit BVerfG, 2 BvE 1/67, 2 BvE 3/67, 2 BvE 5/67 v. 3.12.1968 = BVerfGE 24, 300, 351 f.

Somit ist die Nichtanerkennung "Fraktion der BUNTEN" als Fraktion durch den Landtag durch den entsprechenden Beschluss tauglicher Gegenstand eines Organstreitverfahrens, auch wenn hiermit mittelbar die Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 2 Fraktionsrechtsstellungsgesetz gerügt wird.

IV. Antragsbefugnis (§ 40 Abs. 1 VerfGHG)

Der Antrag der "Fraktion der BUNTEN" ist jedoch nach § 40 Abs. 1 VerfGHG nur zulässig, wenn sie antragsbefugt ist, also eine Verletzung ihrer ihr durch die Verfassung übertragenen Rechte durch ihre Nichtanerkennung als Fraktion als möglich erscheint.

1. Möglichkeit einer Verletzung des Art. 12 Abs. 2 SVerf

Insoweit erscheint die von der "Fraktion der BUNTEN" gerügte Verletzung des Art. 12 Abs. 2 SVerf von vornherein als ausgeschlossen und zwar schon deshalb, weil sich Abgeordnete und Fraktionen im Organstreitverfahren nicht auf Grundrechte, sondern allein auf die ihnen eingeräumten Kompetenzen berufen können.

Anmerkung: Vgl. für Bundesorganstreit: BVerfG, 2 BvE 1/95 v. 21.5.1996 = BVerfGE 94, 351, 365; BVerfG, 2 BvE 2/98 v. 20.7.1998, Abs. 29 = BVerfGE 99, 19, 29; ferner für Verfassungsorganstreit in Baden-Württemberg: VerfGH BW, 1 GR 1/19 und 2/19 v. 22.7.2019, Abs. 121 = NVwZ 2019, 1437 Abs. 34.; für Verfassungsorganstreit in Niedersachsen: NdsStGH, StGH 1/18 v. 15.1.2019, Abs. 40 = NdsVBl. 2019, 115, 118.

So können sie sich hier etwa auf das aus Art. 66 Abs. 2 SVerf herzuleitende Recht auf freie Mandatsausübung berufen, welches jede sachwidrige Behinderung des Abgeordneten bei der Ausübung seines Mandats verbietet - also auch jede Behinderung wegen der Geschlechts- oder auch etwa der Religionszugehörigkeit.

Anmerkung: Siehe hierzu unten B III. Zum Verhältnis zwischen persönlicher Rechtsstellung eines Abgeordneten als Grundrechtsträger und seinen im Organstreitverfahren rügbaren "Abgeordnetenstatusrechten" siehe auch den Tumult-im-Bundestag-Fall - dort ebenfalls zur Frage, inwieweit im Wege der Verfassungsbeschwerde Abgeordnetenstatusrechte geltend gemacht werden können.

2. Möglichkeit einer Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit politischer Parteien

Ebenso erscheint es von vornherein als ausgeschlossen, dass durch die Nichtanerkennung als Fraktion das von der "Fraktion der BUNTEN" ebenfalls als verletzt angesehene, aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 GG herzuleitende Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzt wird.

Dem steht zwar nicht schon dass die Saarländische Landesverfassung keine mit Art. 21 Abs. 1 GG entsprechende Regelung enthält, sondern sich mit den politischen Parteien in Art. 8 und Art. 115 Abs. 1 Satz 1 SVerf nur "in einer negativen Geste spröder Abwehr" befasst.

Anmerkung: So ein berühmt gewordenes Zitat von Wittmayer (Die Weimarer Reichsverfassung, 1922, S. 64 ff.) zu ähnlichen Regelung des Art. 130 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung.

Denn bei Art. 21 GG handelt es sich um eine bundesverfassungsrechtliche Regelung, die - unabhängig davon, ob sich eine entsprechende Regelung in der maßgeblichen Landesverfassung findet - auch die Staatsgewalt der Länder unmittelbar bindet und damit auch Vorgaben für die Durchführung von Landtagswahlen macht und dort ebenfalls die Chancengleichheit politischer Parteien gewährleistet. Hieraus folgt nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG, dass Art. 21 Abs. 1 GG nicht nur für den Bereich des Bundes, sondern unmittelbar auch für die Länder gilt, also Bestandteil der Landesverfassungen sei und damit auch als Kontrollmaßstab für die Landesverfassungsgerichte gelten können.

 Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 2 BvH 1/52 v. 5.4.1952 = BVerfGE 1, 208, 227; BVerfG, 2 BvK 1/81 v. 9.2.1982 = BVerfGE 60, 53, 62.

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes ist dem gefolgt und sieht damit Art. 21 GG als unmittelbaren Bestandteil der Landesverfassung.

Anmerkung: Siehe hierzu SVerfGH, Lv 4/09 v. 1.7.2010, S. 15 f. = NVwZ-RR 2010, 785; SVerfGH, Lv 1/80 v. 21. 2. 1980, S. 5; SVerfGH, LV 5/14 v. 8.7.2014, S. 6. Siehe zu dieser Bestandteillehre - und zur allgemeinen Frage, ob und inwieweit Bundesverfassungsrecht Bestandteil des Landesverfassungsrechts sein kann - ausführlich (m.w.N.) den An-die-Kette-gelegt-Fall und Lindner, AöR 143 (2018), 437 ff.

Gilt somit Art. 21 GG unmittelbar auch als Bestandteil der Saarländischen Verfassung, so erstreckt sich der sich hieraus ergebende - grundrechtsähnliche - Schutz jedoch nicht auf die Wirkung der Parteien im Parlament. Die Fraktionen und die einzelnen Abgeordneten können sich gegenüber dem Landtag, soweit dessen Kompetenz zur Regelung seiner inneren Angelegenheiten nach Art. 70 Abs. 2 SVerf in Frage steht, nicht auf den Schutz des Art. 21 GG, sondern allein auf ihren Status als Fraktion bzw. Abgeordnete berufen.

Anmerkung: So mit ausführlicher Begründung BayVerfGH, Vf. 12-IV-75 u.a. v. 30.4.1976, Abs. 29 ff. = BayVBl. 1976, 431, 434; ferner BVerfG, 2 BvE 1/91 v. 16.7.1991 = BVerfGE 84, 304, 324; BVerfG, 2 BvE 1/07 v. 12.3.2007, Abs. 24 ff. = BVerfGE 117, 359, 368 f.; BVerfG, 2 BvQ 90/18 v. 20.10.2018, Abs. 14 = BVerfGE 150, 163, 167 f.; U. Stelkens, in: Bertschi u. a. (Hrsg.), Demokratie und Freiheit, 1999, S. 95, 117 f.

3. Möglichkeit einer Verletzung des Art. 66 Abs. 2 SVerf

Nicht von vornherein ausgeschlossen ist jedoch, dass - sollte der "Fraktion der 'BUNTEN'" der Fraktionsstatus zustehen - das Recht der Abgeordneten auf ungehinderte Mandatsausübung aus Art. 66 Abs. 2 SVerf verletzt ist, wozu auch das Recht auf Fraktionsbildung gehört.

Anmerkung: Siehe zu Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG BVerfG, 2 BvE 1/91 v. 16.7.1991 = BVerfGE 84, 304, 317 f.

Dieses Recht steht auch einer Gruppe von Abgeordneten "zur gesamten Hand" zu, die Fraktion werden will, so dass nicht nur die betroffenen Abgeordneten, sondern auch die fragliche "Fraktion" selbst antragsbefugt ist.

4. Ergebnis zu IV

Dementsprechend ist die "Fraktion der BUNTEN" nur als antragsbefugt anzusehen, soweit eine Verletzung des Art. 66 Abs. 2 SVerf gerügt wird.

V. Form und Frist (§ 40 Abs. 2 und 3 VerfGHG)

Form und Frist (drei Monate, nicht sechs Monate wie nach § 64 Abs. 3 BVerfGG) des § 40 Abs. 2 und 3 VerfGHG sind einzuhalten.

VI. Ergebnis zu A

Ein Antrag der Abgeordneten Detmold und Bredestrauch als "Fraktion der BUNTEN" wäre damit zulässig.

B) Begründetheit

Der Antrag der "Fraktion der BUNTEN" wäre begründet, wenn ihre Nichtanerkennung als Fraktion durch den Landtag sie in ihrem aus Art. 66 Abs. 2 SVerf herzuleitenden verfassungsrechtlichen Recht auf Fraktionsbildung verletzt. Fraglich ist somit, ob sich aus Art. 66 Abs. 2 SVerf ein Recht der "Fraktion der BUNTEN" darauf ergibt, als Fraktion im Landtag des Saarlandes anerkannt zu werden. Insoweit wird der durch Art. 66 Abs. 2 SVerf gewährleistete Status des Abgeordneten des Saarländischen Landtages als Repräsentationsorgan des saarländischen Volkes dadurch bestimmt, dass die Repräsentation des Volkes von dem Parlament als Ganzem, d.h. in der Gesamtheit seiner Mitglieder bewirkt wird. Dies setzt die gleiche Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten voraus.

Anmerkung: Siehe hierzu SVerfGH, Lv 4/05 v. 12.12.2005, Abs. 23 = NVwZ-RR 2006, 665, 666 f.:; SVerfGH, LV 12/07 v. 3. 12. 2007, Abs. 34; zum Bundesrecht: BVerfG, 2 BvE 1/91 v. 16.7.1991 = BVerfGE 84, 304, 321.

Das Parlament nimmt seine Aufgaben also nicht losgelöst von seinen Mitgliedern, sondern in der Gesamtheit seiner Mitglieder wahr. Demgemäß ist jeder Abgeordnete berufen, an der Arbeit des Landtages, seinen Verhandlungen und Entscheidungen teilzunehmen

Anmerkung: Siehe zum Bundesrecht: BVerfG, 2 BvE 6/89 v. 13.6.1989 = BVerfGE 80, 188, 218; BVerfG, 2 BvE 1/07 v. 12.3.2007, Abs. 24 ff. = BVerfGE 117, 359, 368 f.

Insoweit ist zunächst zu fragen, welche verfassungsrechtlichen Konsequenzen mit der Anerkennung einer Gruppe von Abgeordneten als Fraktion nach der saarländischen Verfassung verbunden sind. Hiervon ausgehend kann dann geklärt werden, ob es verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann, wenn diese Konsequenzen einer nur aus zwei Personen bestehenden Gruppe von Abgeordneten durch ihre Nichtanerkennung als Fraktion vorenthalten werden.

I. Mit der (Nicht-)Anerkennung des Fraktionsstatus verbundene Rechtsfolgen

Folgende Rechte stehen nach dem geltenden saarländischen Parlamentsrecht nur den Fraktionen, nicht aber einzelnen Abgeordneten zu:

Diese Aufzählung macht deutlich, dass die Nichtanerkennung des Fraktionsstatus der "Fraktion der BUNTEN" durch den Landtag des Saarlandes in das Recht der Mitglieder dieser "Fraktion" auf gleichberechtigte Mitwirkungen an der Arbeit des Saarländischen Landtags aus Art. 66 Abs. 2 SVerf eingreift. Damit stellt sich die Frage, inwieweit die Bündelung der Wahrnehmung einzelner Rechte auf die Fraktionen und - hiermit notwendig verbunden - auch die Festsetzung der Fraktionsmindeststärke durch den Landtag in verfassungsmäßiger Weise erfolgen kann.

II. Befugnis des Landtages, bestimmte Rechte Fraktionen vorzubehalten

Maßgeblich ist insoweit Art. 70 Abs. 1 SVerf, der dem Landtag die Befugnis zuspricht, seine inneren Angelegenheiten durch Gesetz und Geschäftsordnung zu regeln.

Anmerkung: Die ausdrückliche Ermächtigung des Landtags, die inneren Angelegenheiten des Landtags durch Gesetz zu regeln, ist eine Besonderheit des saarländischen Verfassungsrechts (hierzu ausführlich Spaniol, LKRZ 2013, 412 ff.). Üblicherweise werden die inneren Parlamentsangelegenheiten nämlich ausschließlich durch die Geschäftsordnungen der Parlamente geregelt. Bei diesen Geschäftsordnungen handelt es sich nach BVerfG (BVerfG, 2 BvE 1/51 v. 6.3.1952 = BVerfGE 1, 144, 148 f.) um autonome Satzungen, d.h. dass sie nur für die Mitglieder des Parlaments und nur für die Dauer der Wahlperiode des Parlaments gelten, das die Geschäftsordnung beschlossen hat, was indes nicht ausschließt, dass (wie es der Staatspraxis entspricht) in der ersten Sitzung eines neu gewählten Parlaments die Geschäftsordnung des früheren Parlaments übernommen wird. Die Regelung der inneren Angelegenheiten des Parlaments durch Gesetz (wie dies im Saarland teilweise geschieht) hat dagegen zur Folge, dass diese Regelung die Mitglieder eines neuen Parlaments unmittelbar bindet, ohne dass es einer förmlichen Übernahme dieser Regelungen bedürfte (Spaniol, LKRZ 2013, 412, 415). Auf Bundesebene wird deshalb die Wahl der Gesetzesform an Stelle einer Geschäftsordnung zur Regelung innerer Angelegenheiten als bedenklich angesehen und nur für zulässig gehalten, wenn hierdurch Bundesregierung und Bundesrat keinen ins Gewicht fallenden Einfluss auf den Geschäftsgang des Bundestages gewinnen, der Kern der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages nicht berührt wird und überdies gewichtige sachliche Gründe für die Wahl der Gesetzesform sprechen (siehe hierzu ausführlich m.w.N. bei B des Lösungsvorschlags zu Frage 1 des Amanda-Affaire-Falls). Da Art. 70 Abs. 1 SVerf allerdings eine Regelung der inneren Angelegenheiten des Landtags auch durch Gesetz ausdrücklich zulässt, wird man derartige Überlegungen auf das saarländische Verfassungsrecht nicht übertragen können (Catrein/Flasche, in: Wendt/Rixecker, Art. 70 Rn. 3; s. a. auch Spaniol, LKRZ 2013, 412, 413 ff.).

Der Regelungszweck der Regelungen i.S.d. Art. 70 Abs. 1 SVerf ist unstrittig: Mit den Gesetzen und Geschäftsordnungen nach Art. 70 Abs. 1 SVerf soll das Parlament seine Funktionsfähigkeit gewährleisten. Die Saarländische Verfassung setzt - wie das Grundgesetz und die übrigen Landesverfassungen - implizit voraus, dass das Parlament aktionsbereit und -fähig ist. Das bedeutet, dass in der Geschäftsordnung und den Gesetzen nach Art. 70 Abs. 1 SVerf (nur solche) Regelungen getroffen werden können, die dem Gedanken der Funktionsfähigkeit und Effizienz der parlamentarischen Arbeit Rechnung tragen. Der Landtag ist daher befugt, in seine Geschäftsordnung und die Gesetze nach Art. 70 Abs. 1 SVerf solche Bestimmungen aufzunehmen, die die parlamentarische Arbeit strukturieren. Das kann auch bedeuten, dass dabei Möglichkeiten der Abgeordneten hinsichtlich der Mandatsausübung beschränkt werden, nur darf selbstverständlich nicht in unbeschränkbare Verfassungspositionen eingegriffen werden.

Anmerkung: Siehe hierzu für Bundesrecht: BVerfG, 2 BvE 6/89 v. 13.6.1989 = BVerfGE 80, 188, 218 f.

Eine Möglichkeit, das von der Verfassung vorgegebene Ziel der Handlungsfähigkeit des Parlaments und der Wirksamkeit seiner Arbeit zu regeln, besteht darin, bestimmte Rechte nur durch Gruppen von Abgeordneten festgelegter Größe ausüben zu lassen. Eine traditionelle Form, dies zu regeln, ist die Übertragung einiger Befugnisse auf die Fraktionen. Somit ist der Landtag nach Art. 70 Abs. 1 SVerf grundsätzlich auch befugt, durch Gesetz oder Geschäftsordnung, die den Fraktionen ausschließlich zustehenden Rechte und auch die (Mindest-)Voraussetzungen für die Fraktionsbildung gemäß Art. 70 Abs. 1 SVerf und zwar auch gegen den Willen der nach diesen Regelungen dann fraktionslosen Abgeordneten.

Man wird sogar annehmen müssen, dass die Saarländische Verfassung dem Landtag diesbezüglich einen Regelungsauftrag gibt, indem sie die Existenz von Fraktionen etwa in Art. 70 Abs. 2, Art. 77 Abs. 1 Satz 2, Art. 88 Abs. 2, Art. 98, Art. 101 Abs. 3 SVerf voraussetzt. Mit § 1 Abs. 2 Fraktionsrechtsstellungsgesetz wurde dieser Regelungsauftrag umgesetzt

III. Vorgaben für die Fraktionsmindeststärke

Kann somit der Landtag einzelne Rechte (ausschließlich) den Fraktionen und nicht auch den einzelnen Abgeordneten zuweisen, ist damit aber noch nicht geklärt, inwieweit der Landtag bei der Festsetzung der Fraktionsmindeststärke frei ist. Eine (vor-)rechtliche Vorgegebenheit des Fraktionsbegriffs und der Fraktionsmindestgröße ist nämlich nicht ersichtlich. Der Saarländischen Verfassung lässt sich unmittelbar nur entnehmen, dass sie davon ausgeht, dass ein Abgeordneter allein keine Fraktion bilden kann, da sie durchgehend zwischen den Rechten der Mitglieder des Landtages und den Rechten der Fraktionen unterscheidet, was etwa hinsichtlich der Regelung über die Befugnis, Gesetzesentwürfe einzubringen, deutlich wird (vgl. Art. 98 SVerf). Umgekehrt lässt sich der Verfassung jedoch unmittelbar nicht entnehmen, dass der Landtag durch Gesetz oder Geschäftsordnung die Mindestmitgliederzahl zur Bildung einer Fraktion auf zwei, drei oder mehr Abgeordnete festsetzen müsse.

1. Gestaltungsspielraum des Landtags?

Das BVerfG hat insofern in einem vergleichbaren Fall dem Bundestag einen weiten Gestaltungsspielraum zugewiesen: Es hat nicht abstrakt geprüft, ob die Festsetzung der Fraktionsmindeststärke verfassungsmäßigen Anforderungen standhält, sondern untersuchte nur konkret, ob einer bestimmten Gruppe von Abgeordneten, die nicht die Fraktionsmindeststärke erreichte, bestimmte Rechte im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Parlaments vorenthalten werden durften, oder ob durch eine solche Vorenthaltung nicht im Einzelfall gegen den Grundsatz der gleichen Mitwirkungsbefugnisse aller Abgeordneten verstoßen wird.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 2 BvE 1/91 v. 16.7.1991 = BVerfGE 84, 304, 321.

Es ist jedoch fraglich, ob sich diese Vorgehensweise auf das Saarländische Verfassungsrecht übertragen lässt.

Anmerkung: So aber wohl die Begründung des Gesetzesentwurfs zur heutigen Fassung des § 1 Abs. 2 Fraktionsrechtsstellungsgesetz (durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetz Nr. 2055 zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsstellung und Finanzierung der Fraktionen des Landtages des Saarlandes vom 19. Januar 2022 [Amtsbl. I 534]) führte: LT-Drs. 16/1845, S. 2 f.

Anders als im Grundgesetz, das nur in Art. 53a Abs. 1 GG die Fraktionen erwähnt, knüpft die Saarländische Verfassung nämlich selbst an den Fraktionsstatus bestimmte Rechte. Während dem Bundestag damit grundsätzlich frei steht, ob er bestimmte Rechte in seiner Geschäftsordnung nur den Fraktionen oder auch sonstigen "Gruppen" zuweisen will, ist der Saarländische Landtag hierin nicht frei: Wenn etwa Art. 70 Abs. 2 oder Art. 77 Abs. 1 Satz 2 SVerf bestimmen, dass das Präsidium oder die Ausschüsse unter Berücksichtigung der Fraktionen zu besetzen sind, ist dem Saarländischen Landtag damit verwehrt, zu bestimmen, dass hierin auch einzelne Abgeordnete oder sonstige Gruppen vertreten sein dürfen.

Anmerkung: Ähnlich hat das BVerfG zu Art. 53a Abs. 1 GG argumentiert, vgl. BVerfG, 2 BvE 1/91 v. 16.7.1991 = BVerfGE 84, 304, 336 f.: Hier wurde es verfassungsrechtlich für ausgeschlossen gehalten, bloße "Gruppen" zu beteiligen. Anders hat das BVerfG in Bezug auf die sonstigen Bundestagsausschüsse argumentiert, für die § 12 GeschO BT bestimmt, dass die Ausschüsse im Verhältnis der Fraktionen zu besetzen sind. § 57 GeschO BT, der damals eine Mitgliedschaft fraktionsloser Abgeordneter in einem Ausschuss nicht zuließ (vgl. aber heute § 57 Abs. 1 Satz 2 GeschO BT), wurde hier als Verstoß gegen die Mitgliedschaftsrechte einzelner Abgeordneter gesehen: BVerfG, 2 BvE 6/89 v. 13.6.1989 = BVerfGE 80, 188, 221 ff.; BVerfG, 2 BvE 1/91 v. 16.7.1991 = BVerfGE 84, 304, 323 f.

Das Saarländische Parlamentsrecht kennt damit - anders als das Parlamentsrecht des Bundestages - als Untergliederungen des Landtages nur die Fraktionen und die Abgeordneten, nicht aber sonstige "Gruppen" von Abgeordneten, die unter der Fraktionsmindeststärke liegen. Somit ist es im Saarland - anders als im Bund oder in anderen Bundesländern - nicht möglich, bei der Gewährung einzelner Rechte an "Gruppen" oder "Fraktionen" von Abgeordneten abgestuft vorzugehen. Demgegenüber sind im Saarland - anders als im Bund - die Mitwirkungsrechte der Abgeordneten im Landtag schon durch die Saarländische Verfassung selbst begrenzt und teilweise an die Mitgliedschaft in einer Fraktion gebunden. Die Frage, inwieweit es verfassungsgemäß ist, diese Rechte (z.B. das Recht auf Mitwirkung in einem Ausschuss) dem einzelnen Abgeordneten vorzuenthalten, kann sich somit im Saarland nicht stellen. Umgekehrt lässt sich dem in Art. 66 Abs. 2 SVerf enthaltenen Recht gleicher Mitwirkung an der Parlamentsarbeit entnehmen, dass dieses Recht durch Regelungen nach Art. 70 Abs. 1 SVerf nur insoweit eingeschränkt werden darf, als dies zur Aufrechterhaltung einer effizienten und funktionsorientierten Arbeit im Parlament erforderlich ist.

Dies bedeutet letztlich, dass die Festsetzung des Quorums für die Fraktionsmindeststärke sachlich begründbar sein muss, wobei dem Landtag allerdings ein gewisser Einschätzungsspielraum zuzuerkennen ist. Letzteres ergibt sich schon daraus, dass die Verfassung selbst das Mindestquorum nicht festschreibt, sondern dessen Bestimmung dem Landtag überlässt.

Anmerkung: Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich hier um Saarländische Besonderheiten handelt, die sich nicht ohne weiteres auf das Parlamentsrecht des Bundes oder das Parlamentsrecht anderer Länder übertragen lassen. Vergleichbare Erwägungen werden nur in den Ländern möglich und geboten sein, deren Verfassung die Geltendmachung bestimmter Mitwirkungsrechte im Landtag den Fraktionen vorbehält, ohne dass sie selbst die Fraktionsstärke festsetzen.

2. Rechtfertigung für eine Festsetzung der Mindestmitgliederzahl auf drei?

Fraglich ist somit, ob sich im vorliegenden Fall die Festsetzung der für die Bildung einer Fraktion notwendigen Mitglieder auf drei sachlich begründen lässt:

a) Grammatikalische und historische Argumente?

Dass man rein sprachlich bei zwei Mitgliedern nicht mehr von einer Fraktion sprechen könne, ist kein taugliches Argument, da der Begriff der Fraktion nicht verfassungsrechtlich fest- oder vorgeschrieben ist. Dies zeigt gerade auch die in § 30 Abs. 5 Satz 2 KSVG getroffene Regelung über die Fraktionsgröße in den Gemeinderäten. Im Übrigen muss hervorgehoben werden, dass der Saarländische Landtag mit 51 Abgeordneten (Art. 66 Abs. 1 SVerf, § 1 LWG) das kleinste Parlament in der Bundesrepublik ist (Bremen hat 100, Hamburg 120 Abgeordnete), so dass die Fraktionsmindestgröße hier nicht in absoluten Zahlen mit den Fraktionsmindestgrößen in den anderen Landesparlamenten verglichen werden kann, sondern allenfalls das Verhältnis zwischen Fraktionsmindestgröße und Abgeordnetenzahl einen Vergleichsmaßstab abgibt.

Die Anknüpfung an den historischen Aspekt, dass es im Saarländischen Landtag bisher immer nur Fraktionen mit mindestens drei Abgeordneten gegeben hat, vermag jedenfalls keinen sachlichen Grund zu liefern. In den vergangenen Legislaturperioden hatte sich nach dem Sachverhalt noch keine Zwei-Personen-Fraktionen im Saarländischen Landtag bilden wollen, so dass gar kein Anlass dazu bestanden hatte, sich mit der Frage zu befassen, ob Zwei-Personen-Fraktionen die Arbeit im Saarländischen Landtag erschweren würde.

b) Anknüpfung an 5 %-Klausel des Wahlrechts?

Bereits die Formulierung des § 1 Abs. 2 Fraktionsrechtsstellungsgesetz kommt zum Ausdruck, dass - wie auch in der Gesetzesbegründung ausgeführt - mit dem Ausschluss von Zwei-Personen-Fraktionen an die 5 %-Klausel des Wahlrechts (hier § 38 Abs. 1 LWG) angeknüpft werden soll. Auch dies vermag jedoch für sich allein einen sachlichen Grund für den Ausschluss von Zwei-Personen-Fraktionen für sich allein nicht zu bewirken: Zwar ist die 5 %-Klausel vom BVerfG als Einschränkung des Grundsatzes der gleichen Wahl akzeptiert worden, um der Gefahr einer übermäßigen Parteienzersplitterung zu begegnen.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 2 BvR 912/71 v. 11.10.1972 = BVerfGE 34, 81 ff.

Der Saarländische Verfassungsgerichtshof meldet hier allerdings bereits gewisse Zweifel an, ob derartige Überlegungen gerade auch für die Saarländischen Verhältnisse noch tragbar sind.

Anmerkung: Siehe hierzu SVerfGH, Lv 4/11 v. 29. 9. 2011, S. 65 ff.

Unabhängig davon lässt sich aber dieser Gedanke, welcher an die Situation der Wahl zum Parlament anknüpft, ohnehin nicht auf das Verfahren im Parlament übertragen. Wenn man also eine Einschränkung des Grundsatzes der gleichen Wahl durch die Einführung der 5 %-Klausel für zulässig hält, folgt hieraus noch nicht, dass 5 % auch die Mindestgröße der zur Fraktionsbildung erforderlichen Mitgliederzahl im Parlament sein muss, um die Effektivität der Parlamentsarbeit zu sichern. Im Übrigen greift die Anknüpfung an die 5 %-Klausel hier schon deshalb nicht durch, weil sich damit genauso gut eine Festsetzung auf zwei wie auf drei Mitglieder rechtfertigen ließe, da 5 % von 51 nicht 3 oder 2, sondern 2,55 sind.

c) Probleme bei der Wahrnehmung von Sitzungsterminen bei Zwei-Personen-Fraktionen

Zur Rechtfertigung des Ausschlusses von Zwei-Personen-Fraktionen wird zudem angeführt, es habe sich in der parlamentarischen Praxis (in und außerhalb des Saarlandes) herausgestellt, dass vor allem die Ausschussarbeit Zwei-Personen-Fraktionen vermehrt vor Probleme bei der Wahrnehmung der Sitzungstermine stelle. Dies führe gegebenenfalls zur Nichtrepräsentanz, wobei dieser Umstand insbesondere bei Mehrheitsverhältnissen, die die Regierung tragenden Fraktionen besonders begünstigen, das einer Beratung folgende Abstimmungsergebnis erheblich verfälschen könne.

Anmerkung: So auch die Argumentation bei LT-Drs. 16/1845, S. 2.

Diese Argumentation ist jedoch unschlüssig: Sicherlich kann es bei einer Zwei-Personen-Fraktion eher dazu kommen, dass beide Mitglieder an der Teilnahme an einer Ausschusssitzung verhindert sind, so dass sie sich nicht einbringen können und der Ausschussmehrheit insoweit ein Übergewicht zukommt. Dieses Problem der Nichtrepräsentanz der von Zwei-Personen-Fraktionen vertretenen Anschauungen in der Ausschussarbeit aber dadurch zu lösen, dass nur Drei-Personen-Fraktionen anerkannt und damit Gruppierungen von Abgeordneten, die diese Zahl nicht erreichen, von der Ausschussarbeit ausgeschlossen werden, ist nicht überzeugend und letztlich auch widersprüchlich.

d) Gefahr für Funktionsfähigkeit des Parlaments?

Ein sachlicher Grund für die Festsetzung der Fraktionsmindestgröße auf drei könnte jedoch in dem Argument gefunden werden, dass andernfalls eine effiziente Arbeit im Parlament nicht möglich wäre. So wurde angeführt, die Arbeitsfähigkeit des Parlaments werde in erheblichem Maße gestärkt, wenn die Leistungsfähigkeit der Fraktionen auf einen höheren Mindeststandard angehoben werde.

Anmerkung: So die Argumentation bei LT-Drs. 16/1845, S. 2.

Dieses Argument wäre jedenfalls dann tragfähig, wenn im Saarländischen Landtag eine Vielzahl von Zwei-Personen Gruppen vorhanden wären. Dass dies der Fall sein kann, war vor der Wahl aufgrund der Zersplitterung der Parteienlandschaft zwar nicht auszuschließen, jedoch hat sich diese Gefahr nach der Wahl nicht verwirklicht. Insoweit ist fraglich, ob bei der Festlegung der Fraktionsmindestgröße auf abstrakte Gefahren abgestellt werden kann, oder ob allein die Gefahren maßgeblich sein können, die sich für die Effizienz der Arbeit im Landtag in seiner konkreten Zusammensetzung ergeben können. Letzteres würde dann gebieten die Fraktionsmindestgröße in der Geschäftsordnung entsprechend der dann jeweils bestehenden Gegebenheiten festzusetzen und nicht legislaturperiodenübergreifend im Fraktionsrechtsstellungsgesetz.

Anmerkung: Eine Festsetzung der Fraktionsmindestgröße in der Geschäftsordnung im Hinblick auf die jeweils konkrete Zusammensetzung des Landtags (und ggf. abweichend von Regelungen der Geschäftsordnung früherer Landtage) stünde nicht der der Gedanke des Rechtsmissbrauchs entgegen (siehe hierzu und zum Folgenden RhPfVerfGH, VGH O 17/17 v. 23.1.2018, Abs. 95 ff. = NVwZ-RR 2018, 546 Abs. 63 ff.): Nach dem in Art. 67 Abs. 1 Satz 2 SVerf verankerten Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität ist es kein Anzeichen für Willkür, wenn ein neu gewähltes Parlament bei Erlass seiner Geschäftsordnung von Regelungen der vorangehenden Wahlperiode (die mit dem Ende der jeweiligen Wahlperiode automatisch außer Kraft getreten sind) abweicht. Eine Begründungs- und Rechtfertigungslast eines neu gewählten Parlaments bei Abweichungen von der Geschäftsordnung seiner Vorgänger würde dazu führen, dass das Parlament im Zweifel stets – falls kein besonderer Grund für eine Abweichung ersichtlich ist – die Regelung der vorangehenden Wahlperiode übernehmen müsste. Der Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität bezweckt aber den Schutz des neu gebildeten und in der veränderten Zusammensetzung des Parlaments zum Ausdruck gekommenen Volkswillens: Die Arbeit des neu gewählten Parlaments soll nicht durch Entscheidungen seiner Vorgänger belastet sein. Aus diesem Grunde gilt die Geschäftsordnung eines Parlaments – anders als Gesetze – jeweils nur für die Dauer der Wahlperiode des Parlaments, das sie beschlossen hat (vgl. bereits BVerfG, 2 BvE 1/51 v. 6.3.1952 = BVerfGE 1, 144, 148). Mit dem Ende einer Wahlperiode (d.h. mit der Konstituierung eines neu gewählten Parlaments [vgl. Art. 67 Abs. 1 Satz 2 SVerf]) – tritt daher eine Geschäftsordnung automatisch außer Kraft. Es bedarf deshalb keiner besonderen Begründung und Rechtfertigung, wenn ein Parlament sich für oder gegen ein Fraktionsmindestgröße entscheidet, die von der Regelung früherer Wahlperioden abweicht. Ein neu gewähltes Parlament ist grundsätzlich frei, sich nach pflichtgemäßem politischem Ermessen für oder gegen die eine oder andere in Betracht kommende Regelungsvariante zu entscheiden. Eine Abweichung von früheren Regelungen begründet für sich genommen keine Sachwidrigkeit der Regelung.

Aber selbst wenn man eine Rechtfertigung für eine bestimmte Festlegung der Fraktionsmindestgröße durch Gesetz abstrakte Gefahren für die Arbeitsfähigkeit des Parlaments ausreichen lässt, ist fraglich, ob tatsächlich mittels einem Ausschluss von Zwei-Personen-Fraktionen die Arbeitsfähigkeit im Landtag des Saarlandes gesteigert werden kann. Hiergegen spricht vor allem, dass die Saarländische Verfassung auch dem einzelnen Abgeordneten das Recht gewährt, Gesetzesentwürfe in den Landtag einzubringen (Art. 98 Abs. 1 SVerf) und sich somit dieses (sehr viel Aufwand nach sich ziehende) Recht ohnehin nicht durch eine Erhöhung des Quorums begrenzen ließe, die Notwendigkeit einer solchen Begrenzung jedoch oftmals das Hauptanliegen vieler Regelungen über die Fraktionsmindestgröße ist.

 Anmerkung: Siehe hierzu Linck, DÖV 1975, 689, 691.

Auch die Gefahr, dass die Anerkennung des Fraktionsstatus an zu kleine Gruppierungen zu einer vollständigen Zersplitterung der Fraktionslandschaft führen könnte und mit einer Vielzahl von Fraktionen eine sinnvolle Arbeit im Parlament nicht mehr möglich sei, ist letztlich nicht konkret genug, um einen Sachgrund für einen Ausschluss von Zwei-Personen-Fraktionen im Saarländischen Landtag zu begründen: Vielmehr zeigt die praktische Erfahrung im Bundestag, im Saarland und den Parlamenten anderer Bundesländer, dass mittlerweile Fünf- oder Sechs-Fraktionen-Parlamente die Regel sind. Die Arbeit im Parlament wird hierdurch zwar durchaus erschwert. Wenn es in den letzten Jahren zu einer Störung der Arbeit in vielen deutschen Parlamenten gekommen ist, lag dies nicht an der Anzahl der Fraktionen im Allgemeinen und der besonders kleiner Fraktionen im Besonderen, sondern an dem (destruktiven) Verhalten der Mitglieder bestimmter Fraktionen und zwar unabhängig von deren Größe.

e) Ergebnis zu 2

Insgesamt ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Saarländischen Verfassungsrechts (nur 51 Landtagssitze, Gesetzesinitiativrecht jedes Abgeordneten, verfassungsrechtliche Vorgaben dafür, welche Rechte Fraktionen vorzubehalten sind, Möglichkeit einer Regelung der inneren Angelegenheiten durch Gesetz oder Geschäftsordnung) kraft Gesetzes Zwei-Personen-Fraktionen ohne Rücksicht auf die konkrete Zusammensetzung des jeweiligen Landtags auszuschließen, als nicht gerechtfertigt.

3. Ergebnis zu III

Da somit § 1 Abs. 2 Fraktionsrechtsstellungsgesetz verfassungswidrig ist und auch sonst kein sachlicher Grund erkennbar ist, der "Fraktion der BUNTEN" den Fraktionsstatus vorzuenthalten, hätte der Landtag die "Fraktion der BUNTEN" als Fraktion anerkennen müssen.

IV. Ergebnis zu B

Indem der Landtag die "Fraktion der BUNTEN" nicht als Fraktion anerkannt hat, hat er das Recht der "Fraktion der BUNTEN" aus Art. 66 Abs. 2 SVerf auf gleichberechtigte Mitwirkung ihrer Mitglieder im Parlament verletzt.

Anmerkung: Andere Ansichten sind hier natürlich vertretbar. Dies gilt sowohl bezüglich des Prüfungsergebnisses wie des Prüfungsmaßstabes. Einschlägige Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes gibt es nicht. Gerade deshalb kommt es hier nur darauf an, die Besonderheiten der saarländischen Rechtslage herauszuarbeiten und sich davor zu hüten, unbesehen die Rechtsprechung anderer Verfassungsgerichte zu anderen Verfassungen zu übernehmen.

C) Gesamtergebnis

Ein Antrag der "Fraktion der BUNTEN" wäre damit zulässig und begründet; der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes würde ihm stattgeben und nach § 42 VerfGHG feststellen, dass der Landtag, indem er die für die Fraktionsbildung notwendige Mitgliederzahl nicht auf zwei festsetzte, gegen Art. 66 Abs. 2 SVerf verstoßen hat.

Fragen und Anregungen zur Lösung? stelkens@uni-speyer.de

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