Lösungsvorschlag

Richterschelte

Stand der Bearbeitung:18. März 2023

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

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Siehe

 

Die Klage Dr. Lautstarks hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

A) Zulässigkeit

Die Klage ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen der §§ 40 ff. VwGO vorliegen.

Anmerkung: Für die Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen im Verwaltungsprozess siehe diesen Hinweis.

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist gegeben, wenn eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorliegt, also die für die Streitentscheidung maßgeblichen Normen dem öffentlichen Recht angehören. Öffentlich-rechtlicher Natur sind diejenigen Rechtsnormen, die einen Träger öffentlicher Gewalt gerade als solchen berechtigen oder verpflichten, die also einen öffentlichen Verwaltungsträger zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben mit besonderen Befugnissen ausstatten oder besonderen Regeln unterwerfen.

Anmerkung: Siehe hierzu nur BVerwG, 10 B 1/20 v. 26.5.2020, Abs. 6 = NVwZ 2020, 1363 Abs. 6.

Hier gehört die für die Streitentscheidung maßgebliche Norm, § 15 Abs. 1 des nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG im Saarland fortgeltenden (Bundes-)Versammlungsgesetzes, dem öffentlichen Recht zu, so dass die Streitigkeit öffentlich-rechtlich ist.

Anmerkung: Seit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006 (BGBl. I S. 2034) besteht keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes mehr für das Versammlungsrecht. Dennoch gilt gemäß Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG das auf Grundlage des früheren Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 erlassene (Bundes-)Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz - VersG) noch so lange fort, wie es nicht durch Landesrecht ersetzt worden ist. Eine solche Ersetzung ist bislang in Bayern, Berlin, Hessen Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein erfolgt (s. Höfling/Krohne, JA 2012, 734 f.; zum Berliner VersFG BE s. Heintzen/Siegel, LKV 2021, 337 ff.; Schlüsselburg, LKV 2021, 211 ff.; Ullrich, DVBl. 2021, 1060 ff.; zum Hessischen HVersG: Gerster, GSZ 2023, 168 ff.). In Anbetracht der aus den Grundrechten abgeleiteten Vorgaben des BVerfG und der damit einhergehenden unitarisierenden Wirkung der Grundrechte im Bereich des Versammlungsrechts verbleibt dem Landesgesetzgeber hinsichtlich der Ausgestaltung des Regelungsbereichs "Verbot bzw. Auflösung von und Auflagen für Versammlungen" jedoch kaum Spielraum (siehe hierzu Waechter, VerwArch 99 [2008], S. 73 ff.).

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, wie es sich nach verständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage darstellt (vgl. § 88 VwGO). Es ist also das Rechtsschutzziel des Klägers zu ermitteln.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG (K), 2 BvR 1493/11 v. 29.10.2015, Abs. 37 = NVwZ 2016, 238, Abs. 37.

1. Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO)

Dr. Lautstark will sich hier gegen die "Auflage" nach § 15 VersG vom 6. Oktober wehren. Hierbei handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.d. Legaldefinition des § 35 VwVfG, des § 31 SGB X, des § 118 AO und der entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder handelt, welche als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes auch für die Auslegung der VwGO maßgeblich ist.

Anmerkung: Zum Verwaltungsaktbegriff der VwGO siehe U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12 und 15. Die "Auflage" nach § 15 Abs. 1 VersG ist keine Nebenbestimmung i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 SVwVfG, was sich schon daraus ergibt, dass es - mangels Genehmigungspflichtigkeit von Versammlungen (§ 14 VersG normiert nur eine Anzeigepflicht) - an einem Grundverwaltungsakt fehlt, dem die "Auflage" beigefügt werden könnte (U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 36 Rn. 3).

Daher könnte insofern die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft sein. Jedoch hat sich die Auflage mit dem Ablauf der Demonstration erledigt, da von ihr keinerlei Rechtswirkungen mehr ausgehen (vgl. § 43 Abs. 2 SVwVfG). Ein erledigter Verwaltungsakt kann nicht mehr - i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO - "aufgehoben" werden.

2. Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog)

Statthafte Klageart könnte daher die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO sein. Im Hinblick auf den Umstand, dass sich der Verwaltungsakt schon vor Klageerhebung erledigt hat, kommt um der Effektivität des Rechtsschutzes willen eine analoge Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in Betracht, weil andernfalls vor Klageerhebung erledigte Verwaltungsakte unter den anderen Voraussetzungen der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO angreifbarer wären als nach Rechtshängigkeit erledigte.

Anmerkung: § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO legt gesetzlich das Bestehen eines Rechtsverhältnisses fest, das für die Feststellungsklage erforderlich ist, aber nach Erledigung eines Verwaltungsakts (d.h. nach Wegfall der Beschwer) gerade nicht mehr besteht; darüber hinaus macht die Vorschrift eine Klageänderung (und damit die Zustimmung der anderen Beteiligten oder die Annahme der Sachdienlichkeit durch das Gericht gemäß § 91 Abs. 1 VwGO) entbehrlich und lässt auch - anders als § 43 Abs. 1 VwGO - nicht nur die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts zu, sondern auch die der "schlichten" Rechtswidrigkeit.

Eine unterschiedliche Behandlung angesichts des vielfach von Zufälligkeiten bestimmten Zeitpunkts der Klageerhebung wie des Eintritts der Erledigung wäre nicht angemessen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist somit nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog statthaft.

Anmerkung: Siehe hierzu nur Funke/Stocker, JuS 2019, 979, 978. Zur Frage, ob und in welchem Umfang die analoge Anwendbarkeit des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bei Erledigung eines Verwaltungsakts vor Klageerhebung in einer Klausur oder Hausarbeit begründet werden muss, siehe diesen Hinweis; zusammenfassend zur Fortsetzungsfeststellungsklage in der Fallbearbeitung Bühler/Brönnecke Jura 2017, 34 ff.

3. Ergebnis zu II

Dementsprechend ist hier die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog die statthafte Klageart.

III. Fortsetzungsfeststellungsinteresse (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO)

Dr. Lautstark müsste ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der "Auflage" nach § 15 VersG haben (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position der Klägerin in den genannten Bereichen zu verbessern.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 8 C 14/12 v. 16.5.2013, Abs. 20 = BVerwGE 146, 303 Abs. 20; BVerwG, 3 C 6/12 v. 21.3.2013, Abs. 11 = NVwZ 2013, 1550 Abs. 11; BVerwG, 6 B 133/18 v. 14.12.2018, Abs. 10 = NVwZ 2019, 649 Abs. 10; BVerwG, 6 B 58/18 v. 4.12.2018, Abs. 9 = NVwZ-RR 2019, 443 Abs. 9. In den Entscheidungen von 2013 hat das BVerwG die Anforderungen an das Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses wohl deutlich gegenüber der früheren Rechtsprechung verschärft. Siehe hierzu Huber, NVwZ 2013, 1488 ff.; Lange, NdsVBl. 2014, 120 ff.; Lindner, NVwZ 2014, 180 ff.; Thiele, DVBl. 2015, 954 ff.

Hier kommt ein Forstsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr in Betracht: Hierfür ist die konkrete Gefahr erforderlich, dass künftig ein vergleichbarer Verwaltungsakt erlassen wird und die für die Beurteilung maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert sind.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 8 C 14/12 v. 16.5.2013, Abs. 21 = BVerwGE 146, 303 Abs. 21; BVerwG, 3 C 6/12 v. 21.3.2013, Abs. 13 = NVwZ 2013, 1550 Abs. 13; BVerwG, 6 C 1.13 v. 26.2.2014, Abs. 10 = NVwZ 2014, 883 Abs. 10; BVerwG, 6 B 133/18 v. 14.12.2018, Abs. 12 = NVwZ 2019, 649 Abs. 12; BVerwG, 6 B 58/18 v. 4.12.2018, Abs. 10 = NVwZ-RR 2019, 443 Abs. 10; BVerwG, 8 C 3/19 v. 12.12.2019, Abs. 15 f. = BVerwGE 167, 189 Abs. 15 f.; BVerwG, 6 B 22/22 v. 23.11.2022, Abs. 13 = NVwZ-RR 2023, 342 Abs. 13. Das BVerwG (BVerwG, 9 B 52/18 v. 17.12.2019, Abs. 15 = NVwZ-RR 2020, 331 Abs. 15) betont hierzu ergänzend noch Folgendes: "[Die Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Wiederholungsgefahr] soll den Betroffenen davor schützen, in Zukunft nochmals der geltend gemachten Rechtsverletzung ausgesetzt zu werden. Unter dem Aspekt der Prozessökonomie sollen zudem die Gerichte von zukünftigen Verfahren zu denselben Rechtsfragen entlastet werden und dem Betroffenen die "Früchte" der bisherigen Prozessführung erhalten bleiben. Hat sich die Wiederholungsgefahr bereits in einem nachfolgenden Verwaltungsakt realisiert, kann eine erneute Rechtsbeeinträchtigung insoweit nicht mehr verhindert werden. Daher entfällt das Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr (im engeren Sinne) und der Betroffene ist auf die Rechtsschutzmöglichkeit der Anfechtung des neuen Verwaltungsakts zu verweisen."

Damit setzt das Merkmal der Wiederholungsgefahr setzt im Hinblick auf Versammlungsbeschränkungen zum einen die Möglichkeit einer erneuten Versammlung durch den Betroffenen voraus, die ihrer Art nach zu den gleichen Rechtsproblemen und damit der gleichen Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit führen könnte. Zum anderen ist erforderlich, dass die Behörde voraussichtlich auch zukünftig an ihrer Rechtsauffassung festhalten wird.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 6 C 1.13 v. 26.2.2014, Abs. 10 = NVwZ 2014, 883 Abs. 10.

Eine solche Wiederholungsgefahr ist hier gegeben, da Dr. Lautstark bei nächster Gelegenheit eine Demonstration entsprechend seinem ursprünglichen Vorhaben durchführen will und damit zu rechnen ist, dass der Landrat Dr. Lautstark wiederum verbieten wird, die Abschlusskundgebung vor dem Haus des Richters Ballmann durchzuführen.

IV. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO)

Bezüglich der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist anerkannt, dass der Kläger zumindest vor Erledigung des Verwaltungsaktes gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt gewesen sein muss, also geltend machen muss, durch diesen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Da die Anordnung der Auflage für Dr. Lautstark einen belastenden Verwaltungsakt darstellt, ist hier zumindest eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG, wenn nicht aus Art. 8 Abs. 1 GG möglich, wenn dieser Verwaltungsakt rechtswidrig ist.

Anmerkung: Zu dieser Adressatentheorie siehe diesen Hinweis.

Somit ist Dr. Lautstark auch klagebefugt.

V. Vorverfahren (§ 68 VwGO)

Eines Vorverfahrens bedarf es nach überwiegender Auffassung bei der – einen vor Klageerhebung erledigten Verwaltungsakt betreffenden - Fortsetzungsfeststellungsklage in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht, da der primäre Zweck des Vorverfahrens (Selbstkontrolle der Verwaltung) nicht mehr erreicht werden kann.

Anmerkung: Siehe hierzu Hufen, § 18 Rn. 55.

VI. Passive Prozessführungsbefugnis (§ 78 VwGO)

Richtiger Beklagter ist gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 19 Abs. 2 AGVwGO (die auch bei der Fortsetzungsfeststellungsklage Anwendung finden) der Landrat des Saarpfalz-Kreises, der den Verwaltungsakt als Behörde des Landkreises erlassen hat (§ 1 der Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz i.V.m. § 178 KSVG).

Anmerkung: Siehe zur Bedeutung des § 78 Abs. 1 VwGO diesen Hinweis und zur Neufassung des § 1 der Verordnung über Zuständigkeiten nach den Versammlungsgesetz durch Art. 10 § 1 Abs. 1 KomLbG Gröpl, LKRZ 2007, 329 ff.; Welsch LKRZ 2011, 446, 449 f.

VII. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO)

Dr. Lautstark ist als natürliche Person nach § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig; die Beteiligtenfähigkeit des Landrates des Saarpfalz-Kreises als Behörde ergibt sich aus § 61 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 19 Abs. 1 AGVwGO.

Anmerkung: Siehe zum Behördenbegriff des § 61 Nr. 3 VwGO diesen Hinweis.

VIII. Klagefrist (§ 74 VwGO)

Früher war umstritten, ob für die Fortsetzungsfeststellungsklage, die nach Eintritt des erledigenden Ereignisses anhängig gemacht wird, eine Klagefrist gilt und ob, falls dies bejaht wird, die Monatsfrist des § 74 VwGO mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes bzw. des Widerspruchsbescheides oder mit Eintritt des erledigenden Ereignisses zu laufen beginnt.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, I C 49.64 v. 9.2.1967, Abs. 20 = BVerwGE 26, 161, 167; heute wohl noch W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, § 74 Rn. 2.

Schließlich hat das BVerwG jedoch entschieden, dass zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses, die Frist des § 74 Abs. 1 VwGO für eine bis dahin noch zulässige Anfechtungsklage nicht abgelaufen sein darf (so dass eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO unzulässig ist, wenn die Klagefrist für eine gegen den Verwaltungsakt gerichtete Anfechtungsklage vor Eintritt des erledigenden Ereignisses bereits abgelaufen war). Erledigt sich der Verwaltungsakt aber bereits vor Ablauf der Frist nach § 74 Abs. 1 VwGO (für die gegen den nicht erledigten Verwaltungsakt gerichtete Anfechtungsklage), gilt für die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (analog) selbst keine Klagefrist.

Anmerkung: BVerwG, 6 C 7/98 v. 14.7.1999, Abs. 21 f. = BVerwGE 109, 203, 206 ff. Ausführlich hierzu Funke/Stocker, JuS 2019, 979 ff. (mit guter Problemaufbereitung allerdings mit teilweise nur schwer nachvollziehbarer Begründung).

IX. Ergebnis zu A

Da Anhaltspunkte für das Fehlen weiterer Prozessvoraussetzungen oder das Vorliegen von Prozesshindernissen nicht bestehen, ist die Klage insgesamt zulässig.

B) Begründetheit

Die Klage ist begründet, soweit die Verfügung vom 6. Oktober rechtswidrig gewesen und Dr. Lautstark in seinen Rechten verletzt worden ist (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog). Da Dr. Lautstark sich gegen einen an ihn gerichteten, ihn belastenden Verwaltungsakt wendet, ergäbe sich die Rechtsverletzung, sollte der Verwaltungsakt rechtswidrig sein, zumindest aus Art. 2 Abs. 1 GG.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 6 C 8/14 v. 5.8.2015, Abs. 21 = BVerwGE 152, 355 Abs. 21. Allgemein zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts siehe diesen Hinweis, zur Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Gefahrenabwehrverfügung diesen Hinweis.

Als Rechtsgrundlage für den Erlass der "Auflage" kommt vorliegend nur § 15 VersG in Betracht.

I. Formelle Rechtmäßigkeit

Der Landrat des Saarpfalz-Kreises war gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 VersG, § 1 der Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz i.V.m. § 178 KSVG zum Erlass der Verfügung vom 6. Oktober sachlich zuständig.

Anmerkung: Siehe zur Neufassung des § 1 der Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Versammlungsgesetz durch Art. 10 § 1 Abs. 1 KomLbG: Gröpl, LKRZ 2007, 329 ff.; Welsch LKRZ 2011, 446, 449 f.

Die erforderliche Anhörung (§ 28 SVwVfG) ist im Verlauf des Telefongespräches erfolgt, und auch ansonsten sind Verfahrensfehler nicht ersichtlich.

II. Materielle Rechtmäßigkeit

Fraglich ist somit, ob die Voraussetzungen einer "Auflage" nach § 15 VersG hier vorlagen.

1. Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 VersG

Grundsätzlich kann insoweit zunächst angenommen werden, dass der Begriff der "Versammlung" des VersG - jedenfalls im Wesentlichen - deckungsgleich mit dem Versammlungsbegriff des Art. 8 GG ist.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG (K), 1 BvQ 28/01 und 30/01 v. 12.7.2001, Abs. 16 = NJW 2001, 2459, 2460; Gröpl/Leinenbach, JA 2018, 8 ff.; Meßmann, JuS 2007, 524, 525; Tschentscher, NVwZ 2001, 1243, 1244 (dort jeweils auch zu verbleibenden Unterschieden).

Versammlungen i.S.d. Art. 8 GG sind nach der Rechtsprechung des BVerfG nur örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten, Erörterung oder Kundgabe. Nach diesem engen Verständnis reicht es für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 GG nicht aus, dass die Teilnehmer bei ihrer gemeinschaftlichen kommunikativen Entfaltung durch einen beliebigen Zweck verbunden sind. Vielmehr wird zusätzlich vorausgesetzt, dass die Zusammenkunft auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist. Dies soll sich aus dem Bezug des Art. 8 Abs. 1 GG zum Prozess öffentlicher Meinungsbildung ergeben.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 1 BvR 1190/90 v. 24.10.2001, Abs. 37 ff. = BVerfGE 104, 92, 103 f.; BVerfG (K), 1 BvR 1402/06 v. 10.12.2010, Abs. 19 = NVwZ 2011, 422 Abs. 19. Diese enge Grenzziehung des Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 GG durch das BVerfG (kritisch hierzu etwa Höfling/Krohne, JA 2012, 734, 736) kam damals etwas überraschend, weil zuvor durchaus ein wesentlich weiterer Versammlungsbegriff in Literatur und Rechtsprechung herrschend war (siehe hierzu die Zusammenstellung der verschiedenen Auffassungen bei Bredt, NVwZ 2007, 1358 ff.; Brenneisen, NordÖR 2006, 97, 98; Laubinger/Repkewitz, VerwArch 90 [2001], 585, 615 ff.; Schäffer, DVBl. 2012, 546, 547) und das BVerfG sich insbesondere auch nicht veranlasst gesehen hatte, sich mit den gegenteiligen Auffassungen - die nicht des Erwähnens wert gefunden wurden - näher auseinanderzusetzen. Soweit die Länder eigene Versammlungsgesetze erlassen haben, wird der Versammlungsbegriff zumeist entsprechend eng definiert, vgl. z. B. Art. 2 Abs. 1 BayVersG: "(1) Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung." (s. zu diesen Definitionen Höfling/Krohne, JA 2012, 734, 736).

Die Voraussetzungen auch dieses engen Versammlungsbegriffs liegen hier vor: Thema der Veranstaltung ist die Ausweisungspolitik der Bundesrepublik und damit eine öffentliche Angelegenheit. Bei der Versammlung handelt es sich zudem um einen Aufzug i. S. des § 15 VersG, die geplante Kundgebung eine öffentliche Versammlung i.S.d. VersG, weil der Teilnehmerkreis von vornherein nicht auf bestimmte Personen beschränkt ist.

Anmerkung: Siehe zur Begrenzung des Anwendungsbereichs des VersG des Bundes auf öffentliche Versammlungen den Ruprechts-Razzia-Fall.

a) Einschlägiges Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung

Es müsste weiterhin nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung vorgelegen haben.

Anmerkung: Die folgenden Begriffsdefinitionen sind Standarddefinitionen des Polizei- und Ordnungsrechts bzw. des Gefahrenabwehrrechts, die bei der Fallbearbeitung beherrscht werden müssen und deren Wiedergabe - natürlich nur wenn es darauf ankommt - sowohl in universitären Übungsarbeiten als auch bei Klausuren im ersten wie im zweiten Staatsexamen erwartet wird. Sie gelten grundsätzlich immer, wenn der Bundes- oder Landesgesetzgeber die Begriffe "Gefahr", "öffentliche Sicherheit", "öffentliche Ordnung" usw. verwendet (deutlich etwa BVerwG, 7 C 20/15 v. 20.10.2016, Abs. 12 = NVwZ 2017, 624 Abs. 12; BVerwG, 3 C 4/16 v. 14.9.2017, Abs. 18 = NVwZ 2018, Abs. 18; BVerwG, 3 C 46/16 v. 14.9.2017, Abs. 18 = BVerwGE 160, 169 Abs. 18). Diese Begriffe müssen also - jedenfalls für Klausuren aber auch für die mündlichen Prüfungen - auswendig gelernt werden. Studierende und Rechtsreferendare in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen haben insoweit allerdings seinen gewissen Vorteil. Denn die Polizei- und Ordnungsgesetze dieser Länder enthalten "Begriffsbestimmungen", die die gängigen polizeirechtlichen Begriffe legaldefinieren (siehe § 2 BremPolG, § 3 Abs. 3 SOG M-V, § 2 NPOG, § 3 SOG LSA, § 3 SächsPBG, § 4 SächsPDVG). Auf diese Legaldefinitionen ist dann aber auch in der Fallbearbeitung zu verweisen - allerdings nur wenn und soweit diese Gesetze auch anwendbar sind (weil die Legaldefinitionen nur innerhalb des Anwendungsbereichs der jeweiligen Gesetze gelten). Insbesondere können diese Legaldefinitionen nicht unmittelbar zur Auslegung von Bundesrecht herangezogen werden, weil Landesrecht natürlich nicht Bundesrecht konkretisieren kann. Dies hindert aber natürlich nicht daran, diese landesrechtlichen Legaldefinitionen gleichsam als "Spickzettel" auch für die Definition der gleichlautenden Begriffe im Bundes- und Landesrecht zu nutzen. Denn die jeweiligen Landesgesetzgeber haben insoweit nur die überkommenen und von der Rechtsprechung eben bei der Auslegung aller Gefahrenabwehrgesetze einheitlich verwendeten Definitionen in Gesetzesform gegossen.

Unter den Begriff "öffentliche Sicherheit" fallen sowohl der Schutz des Staates und seiner Einrichtungen als auch die gesamte Rechtsordnung und damit auch individuelle Rechtsgüter, nämlich Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des Einzelnen.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 1 BvR 233, 341/81 v. 14.5.1985 = BVerfGE 69, 315, 352; BVerwG, 6 C 12/11 v. 28.3.2012, Abs. 23 = BVerwGE 143, 74 Abs. 23; BVerwG, 7 C 20/15 v. 20.10.2016, Abs. 12 = NVwZ 2017, 624 Abs. 12; Götz/Geis, § 10 Rn. 3.

Die "öffentliche Ordnung" wird definiert als die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Lebens betrachtet wird.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 6 C 1.13 v. 26.2.2014, Abs. 15 = NVwZ 2014, 883, Abs. 15; Götz/Geis, § 11 Rn. 1; Koch, Jura 2021, 1151, 1160.

Hier könnte das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Richters Ballmann, das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt wird, betroffen sein: Zu dem durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützten Bereich gehört nämlich auch der sog. räumlich-gegenständliche Bereich der privaten Lebensgestaltung. Jedermann steht zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit ein "Innenraum" zu, in dem er "sich selbst besitzt", in den er sich zurückziehen kann, in dem er in Ruhe gelassen wird und zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als geschriebener Rechtssatz auch Schutzgut der öffentlichen Sicherheit.

Anmerkung: Siehe hierzu OVG Magdeburg, 3 M 100/12 v. 25.4.2012, Abs. 2 = NJW 2012, 2535, 2536; VGH München, 21 CS 95.616 v. 17.2.1995, Abs. 8 = BayVBl. 1995, 528, 529; OVG Münster, 15 B 1361/18 v. 22.10.2018, Abs. 16 ff.

Dass darüber hinaus ein Schutzgut der öffentlichen Ordnung betroffen sein könnte, ist hier nicht ersichtlich.

b) Unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit

Dieses "Recht auf Privatsphäre" des Richters Ballmann müsste durch das Abhalten der Demonstration vor seinem Privathaus auch unmittelbar gefährdet gewesen sein: Eine solche (konkrete) "Gefahr" liegt vor, wenn ein bestimmter einzelner Sachverhalt, d.h. eine konkrete Sachlage oder ein konkretes Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen würde. Der Schadenseintritt braucht nicht mit Gewissheit zu erwarten sein. Andererseits ist aber die bloße Möglichkeit des Schadenseintritts nicht ausreichend. Der erforderliche Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts ist dabei abhängig vom Rang des Rechtsgutes, in das eingegriffen werden soll, sowie vom Rang des polizeilichen Schutzgutes.

Anmerkung: Zum Begriff der konkreten Gefahr: BVerfG, 1 BvR 1619/17 v. 26.4.2022, Abs. 158 = BVerfGE 162, 1, 76 f.; BVerwG, 6 C 12/11 v. 28.3.2012, Abs. 27 = BVerwGE 143, 74 Abs. 27; BVerwG, 3 C 4/16 v. 14.9.2017, Abs. 19 = NVwZ 2018, Abs. 19; BVerwG, 3 C 46/16 v. 14.9.2017, Abs. 19 = BVerwGE 160, 169 Abs. 19; Götz/Geis, § 12 Rn. 17 f.

Unmittelbar ist die Gefahr bei einer Sachlage, bei der der Schadenseintritt unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorsteht und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist oder bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat.

Anmerkung: Zum Begriff der "unmittelbaren Gefahr" BVerfG, 1 BvR 233, 341/81 v. 14.5.1985 = BVerfGE 69, 315, 353 f.

Wäre die Abschlusskundgebung vor dem Haus des Richters Ballmann durchgeführt worden, wäre in erheblicher Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Ballmanns eingegriffen und dieses dadurch geschädigt worden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nämlich auch davor, sich durch Kritiker des bisherigen in die Öffentlichkeit gedrungenen Verhaltens auch in dem "Innenbereich" privater Lebensgestaltung und seiner unmittelbaren Umgebung "anprangern" lassen zu müssen bzw. sich dort dem psychischen Druck aussetzen zu müssen, der von einer "Belagerung" des "Innenbereichs" durch Kritiker ausgeht.

Anmerkung: Siehe hierzu OVG Koblenz, 7 B 136/86 v. 24.5.1986, Abs. 9 = NJW 1986, 2659, 2660; OVG Magdeburg, 3 M 100/12 v. 25.4.2012 = NJW 2012, 2535, 2536; OVG Magdeburg, 3 M 292/12 v. 8.6.2012, Abs. 3 f.; VGH München, 21 CS 95.616 v. 17.2.1995, Abs. 8 = BayVBl. 1995, 528, 530; OVG Münster, 15 B 1361/18 v. 22.10.2018, Abs. 16 ff. Der VGH Kassel ( VGH Kassel, 2 B 375/22 v. 18.3.2022, Abs. 20 ff. = NVwZ 2022, 1742 Abs. 20 ff.) nimmt zudem an, dass grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Frauen, die eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle aufsuchen, die räumliche Beschränkung einer Versammlung von Abtreibungsgegnern nach § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes − VersG − zum Schutz der öffentlichen Sicherheit rechtfertigen kann. Insoweit wird ausdrücklich auf die Rechtsprechung zu Versammlungen vor Privathäusern Bezug genommen. Räumlich sei der Schutzbereich der Privatsphäre nicht auf Innenräume beschränkt, sondern kann sich auch auf den außerhäuslichen Bereich erstrecken. Der Zugang zu einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle sei in den Schutzumfang der Privatsphäre der ratsuchenden Frauen einzubeziehen, weil sie zur Inanspruchnahme der Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch gesetzlich verpflichtet seien. Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der ratsuchenden schwangeren Frauen sei jedoch ur dann gegeben, wenn diese durch die Versammlung in eine unausweichliche Situation geraten, in der sie sich direkt und unmittelbar angesprochen sehen müssen. Dies sei dann der Fall, wenn die Versammlung so nahe an dem Eingang der Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle stattfände, dass die Versammlungsteilnehmer den Frauen direkt ins Gesicht sehen könnten und die Frauen dem Anblick der als vorwurfsvoll empfundenen Plakate mit Baby- und Fötusbildern sowie Parolen und dem Anhören der Gebete und Gesänge aus nächster Nähe ausgesetzt wären. Nicht jede Wahrnehmbarkeit der Versammlung des Antragstellers durch schwangere Frauen, die die Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle aufsuchen, stellt bereits eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Der VGH Mannheim (VGH Mannheim, 1 S 3575/21 v. 25.8.2022, Abs. 51 ff. = NVwZ 2022, 1746 Abs. 47 ff.) schließt sich dem im Wesentlichen an, scheint aber in der Abwägung dem Grundrechten der Versammlungsteilnehmern ein größeres Gewicht beizumessen als dem Recht der ratsuchenden Frauen, in Ruhe gelassen zu werden (zu diesen Entscheidungen siehe auch Graf/Vasović, NVwZ 2022, 1679 ff.; Lorenz, DÖV 2023, 235 ff.; Scheu, NVwZ 2022, 1750 ff.; von Schwanenflug/Bauer, KommJur 2023, 45 ff.).

Weil vorliegend bei ungehindertem Verlauf der Demonstration - da vom Veranstalter beabsichtigt - eine "Belagerung" des Privathauses des Richters Ballmann stattgefunden hätte und dies auch zeitlich nahe bevorstand, lag eine unmittelbare Gefährdung des Rechtes auf Privatsphäre des Richters Ballmann vor.

c) Ergebnis zu 1

Da Dr. Lautstark war schließlich als Veranstalter richtiger Adressat der auf § 15 VersG gestützten Verfügung war, lagen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 VersG vor.

2. Ordnungsgemäße Ermessensausübung (§ 40 SVwVfG i.V.m. § 15 VersG)

Nach § 15 Abs. 1 VersG steht der Erlass von "Auflagen" im Ermessen der zuständigen Behörde. Damit stellt sich die Frage, ob dies ordnungsgemäß ausgeübt wurde, ob also insbesondere die gesetzlichen Grenzen des § 40 SVwVfG beachtet worden sind. Zu diesen Grenzen zählt insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip.

Anmerkung: Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als Ermessensgrenze i. S. des § 40 Alt. 2 VwVfG, § 114 Satz 1 Alt. 1 VwGO: BVerfG (K), 2 BvR 1487/17 v. 24.7.2017, Abs. 41 = NVwZ 2017, 1526 Abs. 41; BVerwG, 1 VR 3/17 v. 13.7.2017, Abs. 11 = NVwZ 2017, 1531 Abs. 11; allgemein zur Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips siehe diesen Hinweis.

Die Auflage war geeignet, die Privatsphäre Ballmanns zu schützen, und insoweit auch erforderlich. Ein milderes Mittel, als die Demonstration auf einen anderen Platz "umzuleiten", war nicht ersichtlich. Fraglich könnte allenfalls sein, ob die "Auflage" dem Dr. Lautstark als Versammlungsveranstalter zumutbar, ob sie also verhältnismäßig im engeren Sinne war.

Dem könnte die überragende Bedeutung, die der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG für den offenen demokratischen Willensbildungsprozess zukommt, und ihre Funktion als "Korrektiv" zur weitgehend repräsentativ ausgestalteten Demokratie entgegenstehen, welche grundsätzlich jeden staatlichen Einfluss über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung verbieten und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit nur zulassen, wenn dies zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter als geboten erscheint.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 1 BvR 233, 341/81 v. 14.5.1985 = BVerfGE 69, 315, 342 ff.; ferner Waechter, VerwArch 99 (2008), 73, 89 f., 92 ff.

Dies verbietet, dass die Versammlungsfreiheit eingeschränkt wird, um bloße Belästigungen von Dritten fernzuhalten, die sich zwangsläufig aus der Massenhaftigkeit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Versammlungszweck nicht vermeiden lassen.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 1 BvR 233, 341/81 v. 14.5.1985 = BVerfGE 69, 315, 353; BVerfG (K), 1 BvR 1423/07 v. 6.6.2007, Abs. 23 = NJW 2007, 2167, 2168 f.

Hier geht es allerdings nicht um die Abwehr bloßer Belästigungen, sondern um die Abwehr von Eingriffen in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre des Richters Ballmann. Allein dadurch, dass er als Richter eine von der Öffentlichkeit kritisch aufgenommene Entscheidung getroffen hat und insoweit - mehr oder weniger unfreiwillig - in das besondere Licht der Öffentlichkeit getreten ist, büßt er sein Recht auf Privatleben nicht ein, in dem er Kraft für seine weitere Tätigkeit schöpfen können soll.

Anmerkung: Siehe hierzu OVG Magdeburg, 3 M 100/12 v. 25.4.2012, Abs. 6 = NJW 2012, 2535, 2536; OVG Magdeburg, 3 M 292/12 v. 8.6.2012, Abs. 9 ff.; VGH München, 21 CS 95.616 v. 17.2.1995, Abs. 8 = BayVBl. 1995, 528, 530.

Zudem durfte die ursprünglich beabsichtigte Demonstration in der Ortsmitte Saarheims durchgeführt werden. Die Demonstranten waren auch berechtigt gewesen, die Luisenstraße zu benutzen, die bis zur Einmündung des Richterwegs führt, so dass auf diese Weise auch eine Verbindung zwischen dem Demonstrationsanliegen und der Person des Richters Ballmann in für die Demonstrationsteilnehmer erkennbarer Weise hergestellt werden konnte.

Anmerkung: Vgl. VGH München, 21 CS 95.616 v. 17.2.1995, Abs. 9 = BayVBl. 1995, 528, 530.

Damit ist dem Zweck des Art. 8 Abs. 1 GG, die auf Kommunikation angelegte Entfaltung der Versammlungsteilnehmer zu schützen, genüge getan, insbesondere wird das Ziel der Demonstration nicht beeinträchtigt oder vermindert. Unerheblich ist demgegenüber, dass sie in der Öffentlichkeit vielleicht nicht die Beachtung gefunden hat, die sie gefunden hätte, wenn sie unmittelbar vor der Privatwohnung Ballmanns mit einer Kundgebung endete: Ein bestimmter Beachtungserfolg einer Versammlung ist verfassungsrechtlich nicht gewährleistet.

Anmerkung: Vgl. OVG Koblenz, 7 B 136/86 v. 24.5.1986, Abs. 10 = NJW 1986, 2659, 2660.

Somit war die "Auflage" auch verhältnismäßig, so dass der Landrat die Grenzen des Ermessens nach § 40 SVwVfG eingehalten hat.

III. Ergebnis zu B

Die "Auflage" nach § 15 Abs. 1 VersG war somit rechtmäßig und konnte Dr. Lautstark somit nicht in seinen Rechten verletzen. Die Klage ist folglich unbegründet.

C) Gesamtergebnis

Die Klage Dr. Lautstarks ist somit als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zwar zulässig, jedoch unbegründet und hat somit keine Aussicht auf Erfolg.

Fragen und Anregungen zur Lösung? stelkens@uni-speyer.de

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