Lösungsvorschlag

Wem die Stunde schlägt

Stand der Bearbeitung: 3. Dezember 2022

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

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Siehe hierzu

Die Verfassungsbeschwerde der katholischen Kirchengemeinde St. Hildebold hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

A) Zulässigkeit

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG und §§ 90 ff. BVerfGG erfüllt sind.

Anmerkung: Zur Zulässigkeit eines Verfahrens vor dem BVerfG siehe diesen Hinweis.

I. Beteiligtenfähigkeit (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "jedermann")

Die katholische Kirchengemeinde St. Hildebold könnte als inländische juristische Person des öffentlichen Rechts "jedermann" i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG sein. Dann müsste sie fähig sein, Trägerin der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG genannten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte zu sein; diese Rechte müssten also "ihrem Wesen nach" (Art. 19 Abs. 3 GG) auf sie anwendbar sein. Inwieweit juristische Personen des öffentlichen Rechts sich auf Grundrechte berufen und insoweit "jedermann" sein können, bedarf im Einzelnen jedoch genauerer Untersuchung.

1. Beteiligtenfähigkeit im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Grundrechtsfähigkeit öffentlich-rechtlicher Religionsgesellschaften jedenfalls insoweit unproblematisch, als sich die Kirchengemeinde auf das Recht auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG beruft. Denn Träger dieses grundrechtsgleichen Rechts können schlechthin alle juristischen Personen sein, auch Bund und Länder und sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts. Dies begründet das BVerfG damit, dass das in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährte Recht formell nicht zu den Grundrechten im Sinne von Art. 19 GG gehört und auch inhaltlich keine mit den Art. 1 bis 17 GG vergleichbaren Individualrechte gewährt. Vielmehr stelle es einen objektiven Verfahrensgrundsatz dar, der für jedes gerichtliche Verfahren gelten und daher auch jedem zugute kommen müsse, der nach den Verfahrensnormen parteifähig ist. Eröffne somit die Rechtsordnung den Rechtsweg für Verfahrensgegenstände, an denen auch juristische Personen des öffentlichen Rechts beteiligt sind, so bekunde sie, dass die für ein gerichtliches Verfahren im Rechtsstaat konstitutive Gewährleistung des gesetzlichen Richters auch zugunsten der verfahrensbeteiligten juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu wirken habe.

Anmerkung: So BVerfG, 1 BvR 578/63 v. 2.5.1967 = BVerfGE 21, 362, 373; BVerfG, 2 BvR 1187/80 v. 8.7.1982 = BVerfGE 61, 82, 104 f.; BVerfG, 1 BvR 2142/11 v. 16.12.2014, Abs. 53 = BVerfGE 138, 64, 82.

Juristischen Personen des öffentlichen Rechts die Beteiligtenfähigkeit für auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützte Verfassungsbeschwerden zuzusprechen, ist demnach letztlich Ausdruck der im Verhältnis zwischen Exekutive und Judikative besonders strikt durchgeführten Gewaltenteilung.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 1 BvR 134/56 v. 16.1.1957 = BVerfGE 6, 45, 49 f.; BVerfG, 1 BvR 2142/11 v. 16.12.2014, Abs. 55 = BVerfGE 138, 64, 83; Otto, JuS 2012, 21, 23; siehe ferner den Geschlossene-Gesellschaft-Fall und den Superrevisions-Fall.

2. Beteiligtenfähigkeit im Hinblick auf Art. 4 GG und Art. 14 GG

Fraglich ist jedoch, ob die Kirchengemeinde auch Trägerin der Grundrechte aus Art. 4 GG und Art. 14 GG sein kann; denn es entspricht ständiger Rechtsprechung des BVerfG, dass sich juristische Personen des öffentlichen Rechts schlechthin nicht auf die in Art. 1 bis 17 GG genannten Grundrechte berufen können.

Anmerkung: Siehe zur grundsätzlichen Grundrechtsunfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts nur die zusammenfassende Darstellung bei BVerfG, 1 BvR 2821/11 u. a. v. 6.12.2016, Abs. 187 ff. = BVerfGE 143, 246, 313 ff.; BVerfG, 2 BvE 2/11 v. 7.11.2017, Abs. 239 f. = BVerfGE 147, 50 Abs. 239 f.; BVerfG (K), 2 BvR 470/08 v. 19.7.2016, Abs. 24 ff. = NVwZ 2016, 1553, Abs. 24 ff.; BVerfG (K), 1 BvR 318/17 u.a. v. 26.11.2018, Abs. 22 ff. = NJW 2019, 351 Abs. 22 ff.;  BVerfG (K), 1 BvQ 82/20 v. 18.8.2020, Abs. 9 ff. = NVwZ 2020, 1500 Abs. 9 ff.; siehe hierzu auch die gute Darstellung der vorgebrachten Argumente bei Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, 4. Aufl. 1997, Rn. 137 ff.; Guckelberger, Jura 2008, 819, 820 f.; s. ferner den Südumfahrung-Saarheim-Fall.

Jedoch bezieht sich der Ausschluss juristischer Personen des öffentlichen Rechts von der Grundrechtsberechtigung nach (unbestrittener) Auffassung des BVerfG nicht auf öffentlich-rechtlich verfasste Religionsgemeinschaften i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV. Die Kirchen (und damit die Kirchengemeinden) sind ungeachtet ihrer Anerkennung als Körperschaften des öffentlichen Rechts dem Staat in keiner Weise inkorporiert, also auch nicht im weitesten Sinne "staatsmittelbare" Organisationen und Verwaltungseinrichtungen.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 7 C 47/07 v. 10.4.2008, Abs. 14 ff. = NVwZ 2008, 1357, 1358; BVerfG, 2 BvR 1282/11 v. 30.6.2015, Abs. 91 = BVerfGE 139, 321, 350.

Sie leiten ihre Aufgaben und Befugnisse nicht vom Staat ab und können daher unbeschadet ihrer besonderen Qualität eigene Rechte gegen den Staat geltend machen.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 2 BvR 350/75 v. 21.9.1976 = BVerfGE 42, 312, 323 f.

Insbesondere dient die Verleihung des Status der juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht dazu, den Religionsgesellschaften ihren Grundrechtsstatus zu entziehen, sondern ihre Rechtsstellung zu verbessern, indem sie ihnen eine Reihe öffentlich-rechtlicher Befugnisse und sonstige Privilegien vermittelt.

Anmerkung: Vgl. hierzu BVerfG, 2 BvR 1500/97 v. 19.12.2000, Abs. 3 ff. = BVerfGE 102, 370, 371; BVerfG, 1 BvR 2857 und 2858/07 v. 1.12.2009, Abs. 119 = BVerfGE 125, 39, 73; BVerfG, 2 BvR 1282/11 v. 30.6.2015, Abs. 83 = BVerfGE 139, 321, 346 f.; BVerwG, 6 B 162/18 v. 9.4.2019, Abs. 9 = NVwZ 2020, 487 Abs. 9.

Fraglich könnte daher allenfalls sein, ob die Kirchengemeinde auch Trägerin des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sein kann, da sie eine juristische Person ist und eigentlich nur natürliche Personen einen Glauben, eine Religion und eine Weltanschauung haben können. Es könnte daher mit dem Wesen der Religionsfreiheit unvereinbar sein, sie auf juristische Personen anzuwenden (Art. 19 Abs. 3 GG). Im Grundsatz entspricht dies wohl allgemeiner Meinung. Das BVerfG macht jedoch insoweit eine Ausnahme, als Religionsgesellschaften und andere juristische Personen, deren Zweck gerade die Pflege oder die Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder die Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder ist, Träger der Religionsfreiheit sein können.

Anmerkung: BVerfG, 1 BvR 498/62 v. 4.10.1965 = BVerfGE 19, 129, 132; BVerfG, 1 BvR 2857 und 2858/07 v. 1.12.2009, Abs. 122 = BVerfGE 125, 39, 74; BVerfG, 2 BvR 661/12 v. 22.10.2014, Abs. 99 = BVerfGE 137, 273, 309; BVerfG, 2 BvR 1282/11 v. 30.6.2015, Abs. 83 = BVerfGE 139, 321, 346 f.

Dem ist zuzustimmen, weil nur so ein umfassender Schutz auch der kollektiven Religionsfreiheit als gewährleistet erscheint.

3. Ergebnis zu I

Die Kirchengemeinde kann somit Trägerin aller Grundrechte sein, deren Verletzung sie gerügt hat.

Anmerkung: Anders wäre es z. B., wenn sich eine kommunale Gebietskörperschaft mit religiöser Begründung dagegen wehrt, dass sie zum Unterlassen des Schlagens der Rathausturmuhr verpflichtet wird (so tatsächlich der Fall bei: VGH München, 22 ZB 03.3011 v. 9.12.2003, Abs. 13 = NVwZ-RR 2004, 829, 831). Eine solche Gemeinde wäre insoweit nicht "jedermann", da sie nicht Trägerin der Religionsfreiheit sein kann.

II. Beschwerdegegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "Akt der öffentlichen Gewalt")

Verfassungsbeschwerden können sich nur gegen "Akte öffentlicher Gewalt" richten. Gemeint sind damit alle Maßnahmen von vollziehender, gesetzgeberischer und rechtsprechender Gewalt. Die Kirchengemeinde wendet sich nach dem Sachverhalt ausdrücklich sowohl gegen die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts im Verfahren nach § 17a GVG als auch gegen die eigentlichen Sachurteile dieser Gerichte. Diese gerichtlichen Entscheidungen sind unzweifelhaft Akte der öffentlichen Gewalt und damit taugliche Beschwerdegegenstände der Verfassungsbeschwerde. Das BVerfG hat es auch immer für zulässig erachtet, dass die Verfassungsbeschwerde bei mehreren in derselben Sache ergangenen Entscheidungen gegen jede einzelne dieser Entscheidungen gerichtet wird, und den Beschwerdeführer nicht darauf verwiesen, ausschließlich die letztinstanzliche Entscheidung anzugreifen .

Anmerkung: Vgl. BVerfG, 1 BvR 287/86 v. 19.2.1991 = BVerfGE 84, 1, 3; U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 404; siehe zur Bestimmung des Beschwerdegegenstandes bei mehreren, in derselben Sache ergangenen Gerichts-(und Verwaltungs-)entscheidungen diesen Hinweis.

III. Beschwerdebefugnis (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "Behauptung, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein")

Die Kirchengemeinde müsste behaupten können, durch die angegriffenen Akte der öffentlichen Gewalt in ihren Grundrechten verletzt zu sein, sie müsste also beschwerdebefugt sein.

1. Grundrechtsverletzung durch die im Verfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse

Insoweit ist zunächst fraglich, ob eine Grundrechtsverletzung der Kirchengemeinde durch die im Verfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse als möglich erscheint. Da beide Beschlüsse identisch begründet sind und das OLG den Beschluss des LG vollumfänglich überprüfen konnte, können insoweit beide Beschlüsse gemeinsam behandelt werden.

a) Mögliche Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die im Verfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse

Es erscheint jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass diese Beschlüsse das grundrechtsgleiche Recht der Kirchengemeinde aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen: Das Recht auf den gesetzlichen Richter beinhaltet auch das Recht, dass eine Klage nur in dem Gerichtszweig verhandelt wird, der hierfür nach Maßgabe insbesondere der § 13 GVG, § 2 ArbGG, § 40 VwGO, § 33 FGO, § 51 SGG zuständig ist.

Anmerkung: Siehe hierzu Kingreen/Poscher, Rn. 1381.

Die sich hieraus ergebende Beschwer betrifft die Kirchengemeinde auch noch gegenwärtig. Sie ist vor allem nicht durch die im späteren Sachurteilsverfahren ergangenen Urteile von Landgericht und Oberlandesgericht überholt: Wie sich aus § 17a Abs. 1 und 5 GVG ergibt, erwächst der Beschluss im Verfahren nach § 17a GVG in Rechtskraft, d. h. die Gerichte sind bei der endgültigen Sachentscheidung an die Vorabentscheidung gebunden und dürfen nicht über die Rechtswegfrage erneut entscheiden.

Anmerkung: Vgl. Ehlers, in: Schoch/Schneider, § 41/§ 17a GVG Rn. 31. Der BGH hat allerdings ausdrücklich eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung der Beschlüsse nach § 17a GVG u. a. dann in Betracht gezogen, wenn der Beschluss dazu führt, dass die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen sich in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat (BGH, 2 ARs 196/16 und 2 AR 138/16 v. 8.12.2016, Abs. 14 ff. = NJW 2017, 1689 Abs. 14 ff.; diese Frage hatte der BGH zuvor lange Zeit offen gelassen: BGH, III ZB 33/99 v. 24.2.2000, S. 7 = BGHZ 144, 21, 25; BGH, X ARZ 138/03 v. 8.7.2003, S. 5 f. = NJW 2003, 2990, 2991; BGH, X ARZ 167/13 v. 14.5.2013, Abs. 12 f. = MDR 2013, 1242, Abs. 12 f.; BGH, X ARZ 172/14 v. 29.4.2014, Abs. 12 = NJW 2014, 2125, Abs. 12 f.; BGH, X ARZ 146/14 v. 23.6.2014, Abs. 9 ff. = NZS 2014, 675, Abs. 9 ff.). Das BVerwG (BVerwG, 2 AV 1/19 v. 11/19 v. 10.4.2019, Abs. 8 ff. = NJW 2019, 2112 Abs. 8 ff.; BVerwG, 6 AV 1/21, 6 AV 2/21 v. 16.6.2021, Abs. 5 ff. = NVwZ-RR 2021, 740 Abs. 5 ff.) hat sich dieser neueren Rechtsprechung des BGH mittlerweile angeschlossen. Folgt man dem, kann man allerdings auch argumentieren, dass Beschlüsse nach § 17a GVG, die Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen, den Beschwerdeführer nicht "unmittelbar" in seinem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen können (vgl. zur Bedeutung dieses "Unmittelbarkeitserfordernisses" bei Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen BVerfG, 2 BvR 2292/13 v. 15.7.2015, Abs. 60 ff. = BVerfGE 140, 42, 58 f.). Siehe hierzu auch A IV 1.

b) Mögliche Verletzung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV durch die im Verfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse

Da die Beschwerdebefugnis voraussetzt, dass die Verletzung eines mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbaren Rechts möglich ist, stellt sich die Frage, ob sich die Kirchengemeinde im Verfassungsbeschwerdeverfahren unmittelbar auf Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV berufen kann.

aa) Formeller Grundrechtsbegriff in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG

Da diese Bestimmungen nicht in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG aufgezählt werden und die Aufzählung der mit der Verfassungsbeschwerde rügefähigen Rechte in diesen Bestimmungen abschließend ist, könnten diese Rechte somit nur dann mit der Verfassungsbeschwerde durchgesetzt werden, wenn es sich hierbei um "Grundrechte" i.S.d. Bestimmungen handeln würde. Wie aber gerade die Unterscheidung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG zwischen den "Grundrechten" einerseits und den ausdrücklich aufgezählten sog. grundrechtsgleichen Rechten der Art. 20 Abs. 4, Art. 33, Art. 38, Art. 101, Art. 103 und Art. 104 GG andererseits zeigt, sind mit "Grundrechten" i.S.d. Bestimmungen nur die im 1. Abschnitt des Grundgesetzes genannten Grundrechte gemeint. Ihnen liegt also ein formeller und kein materieller Grundrechtsbegriff zugrunde. Das BVerfG lehnt daher die Verfassungsbeschwerdefähigkeit des Art. 140 GG i.V.m. den Weimarer Kirchenartikeln grundsätzlich ab.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 1 BvR 498/62 v. 4.10.1965 = BVerfGE 19, 129, 135; BVerfG, 1 BvR 2857 und 2858/07 v. 1.12.2009, Abs. 121 = BVerfGE 125, 39, 74; ferner auch den Geschlossene-Gesellschaft-Fall und den Todesstrafe-Fall.

bb) Möglichkeiten erweiternder Auslegung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG?

Teilweise wird allerdings auch eine erweiternde Auslegung bzw. eine analoge Anwendung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG auf Art. 140 GG i.V.m. den Weimarer Kirchenartikeln für möglich gehalten, um zu gewährleisten, dass alle durch die Verfassung verbürgten subjektiv-öffentlichen Rechte des Einzelnen mit der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar sind.

Anmerkung: So Ehlers, in: Sachs, Art. 140 Rn. 3; Neureither, NVwZ 2011, 1492, 1495 ff.; hierzu auch Morlok, Jura 2021, 501, 503.

Folgt man dieser Lösung vereinfacht sich insbesondere die Begründetheitsprüfung der Verfassungsbeschwerde ganz erheblich, da sie eine ganze Reihe von "Umgehungskonstruktionen" entbehrlich macht, zu der sich das BVerfG gezwungen sieht, um trotz des angenommenen Ausschlusses der Verfassungsbeschwerdefähigkeit des Art. 140 GG eine Überprüfung von Akten öffentlicher Gewalt auch am Maßstab des Art. 140 GG i.V.m. den Weimarer Kirchenartikeln zu ermöglichen (siehe hierzu B I).

Dennoch ist die Annahme der Verfassungsbeschwerdefähigkeit des Art. 140 GG mit geltendem Verfassungsprozessrecht wohl nicht vereinbar: Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG enthält eine eindeutig abschließende Aufzählung von mit der Verfassungsbeschwerde rügbaren Rechten, die Art. 140 GG nicht umfasst. Inwieweit im Wege der Auslegung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG möglich sein soll, Art. 140 GG dennoch in diese Aufzählung mit hineinzulesen, ist nicht erkennbar. Auch sind die in Art. 140 GG i.V.m. den Weimarer Kirchenartikeln gewährten subjektiv-öffentlichen Rechte nicht die einzigen Rechte, die das Grundgesetz gewährt, ohne die Verfassungsbeschwerde bei ihrer Verletzung zuzulassen. Solche Rechte stellen zumindest auch Art. 21 GG und Art. 34 GG und wohl auch Art. 102 GG dar. Daher kann die Nichtaufnahme des Art. 140 GG in die Aufzählung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG auch nicht als systemfremde Ausnahme verstanden werden, die deshalb im Wege der "teleologischen Extension" des Katalogs der verfassungsbeschwerdefähigen Rechte durch Auslegung oder Analogie unbedingt korrigiert werden müsste.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das BVerfG mittlerweile die (in der GRCh genannten) Unionsgrundrechte in den Kreis der mit der Verfassungsbeschwerde rügbaren Rechte einbezieht, obwohl es sich hierbei ebenfalls nicht um Grundrechte handelt, die im 1. Abschnitt des Grundgesetzes (sondern eben "nur" um in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) genannt sind. Hiermit will das BVerfG nicht generell den "formellen" Grundrechtsbegriff des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG auch zu Gunsten der im Grundgesetz genannten weiteren in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nicht explizit genannten Rechtsgarantien des Grundgesetzes durchbrechen. Es beschränkt die Aufweichung des formellen Grundrechtsbegriffs unter Berufung auf Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG vielmehr explizit auf die Einbeziehung (nur) der Unionsgrundrechte. An Vorschriften wie Art. 21, Art. 34, Art. 102, Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 WRV usw. oder auch an eine Einbeziehung der Grundrechte der Landesverfassungen ist hierbei nicht gedacht.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 1 BvR 276/17 v. 6.11.2019, Abs. 67 = BVerfGE 152, 216, 243 - Recht auf Vergessen II; BVerfG, 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18 v. 1.12.2020, Abs. 36 ff. = BVerfGE 156, 182, 197 ff. - Europäischer Haftbefehl III. Ausführlich zu dieser Rechtsprechung bei C III 1 dieser Anmerkung.

cc) Ergebnis zu b

Da Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV nicht zu den verfassungsbeschwerdefähigen Rechten gehört, kann insoweit eine Beschwerdebefugnis der Kirchengemeinde nicht begründet werden.

c) Mögliche Verletzung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG

Fraglich ist jedoch, ob eine Verletzung der sich aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ergebenden Rechte durch die Beschlüsse als möglich erscheint. Insoweit ist zunächst zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG anders als z. B. Art. 5 Abs. 1 im Verhältnis zu Art. 5 Abs. 3 GG keine verschiedenartigen Grundrechte beinhalten, sondern ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht bilden. Dieses Grundrecht erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben.

Anmerkung: Siehe hierzu - jeweils m.w.N. - BVerfG, 2 BvR 1436/02 v. 24.9.2003, Abs. 37 = BVerfGE 108, 282, 297; BVerfG, 2 BvR 661/12 v. 22.10.2014, Abs. 98 = BVerfGE 137, 273, 309; BVerfG, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 v. 27.1.2015, Abs. 85 = BVerfGE 138, 296, 328 f.; BVerfG, 2 BvR 1333/17 v. 14.1.2020, Abs. 78 = BVerfGE 153, 1, 33 f.; BVerfG (K), 2 BvR 1333/17 v. 27.6.2017, Abs. 38 = NVwZ 2017, 1128 Abs. 38.

Da die Gerichtsbeschlüsse der Kirchengemeinde noch nichts verbieten, sondern nur die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten verbindlich feststellen, kann eine Verletzung des Art. 4 GG durch diese Beschlüsse nicht mit dem Argument begründet werden, der Kirchengemeinde werde das (von der Religionsausübungsfreiheit möglicherweise umfasste) Zeitschlagen untersagt. Insoweit ist eine Verletzung des Art. 4 GG durch diese Beschlüsse von vornherein ausgeschlossen.

Jedoch könnten die Beschlüsse die Religionsfreiheit der Kirchengemeinde in anderer Weise verletzt haben. Die Beschlüsse haben die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gerade mit dem Argument begründet, dass die Kirchengemeinde trotz ihrer Stellung als juristische Person des öffentlichen Rechts jedenfalls im Verhältnis zu ihren Nichtmitgliedern an das Privatrecht gebunden bleibe und deshalb auch ihr Handeln nach Privatrecht beurteilt werden müsse. Hierin eine Verletzung des Art. 4 GG zu sehen, wäre dann möglich, wenn anzunehmen wäre, Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV konkretisiere den Inhalt der Religionsausübungsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Es wäre vorstellbar, über Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ein Grundrecht öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgesellschaften hineinzulesen, nach dem ihre Handlungen im Verhältnis zu Dritten nach öffentlichem Recht (bzw. nicht nach Privatrecht) beurteilt werden. Dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch Art. 140 GG i.V.m. den Weimarer Kirchenartikeln konkretisiert wird, hat das BVerfG verschiedentlich angenommen.

Anmerkung: Siehe etwa BVerfG, 2 BvR 350/75 v. 21.9.1976 = BVerfGE 42, 312, 322; BVerfG, 2 BvR 1275/96 v. 13.10.1998, Abs. 107 ff. = BVerfGE 99, 100, 127; BVerfG, 2 BvR 1500/97 v. 19.12.2000, Abs. 57 = BVerfGE 102, 370, 383; BVerfG, 2 BvR 661/12 v. 22.10.2014, Abs. 84 = BVerfGE 137, 273, 303 f.; BVerfG, 2 BvR 1282/11 v. 30.6.2015, Abs. 90 = BVerfGE 139, 321, 349.

Das BVerfG spricht insoweit auch von der Möglichkeit einer "Verstärkung des Schutzbereichs" des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG durch die Weimarer Kirchenartikel.

Anmerkung: So BVerfG, 1 BvR 2857 und 2858/07 v. 1.12.2009, Abs. 121 und 136 = BVerfGE 125, 39, 74 und 79.

Angesichts dieses (dennoch oder gerade deshalb) eher unklaren Verhältnisses zwischen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einerseits und Art. 140 GG andererseits erscheint es daher nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich aus Art. 4 GG tatsächlich ein Anspruch öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgemeinschaften auf Freistellung von privatrechtlichen Bindungen (auch des Nachbarrechts) gegenüber Dritten ergeben kann. Daher erscheint es als möglich, dass die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts im Verfahren nach § 17a GVG das Grundrecht des Art. 4 GG insoweit verletzen, als sie von einer unmittelbaren Bindung der Kirchengemeinde gegenüber ihren Nachbarn an das Privatrecht ausgehen.

Allerdings begründen die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts nach § 17a GVG insoweit (noch) keine unmittelbare Beschwer für die Kirchengemeinde:

Anmerkung: Siehe zur Bedeutung der Trias des eigenen, gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenseins des Beschwerdeführers bei Gerichtsentscheidungen ausführlich BVerfG, 2 BvR 2292/13 v. 15.7.2015, Abs. 55 ff. = BVerfGE 140, 45, 57 ff.

Die Frage, ob sich das Rechtsverhältnis zwischen dem Nachbarn und der Kirchengemeinde nach öffentlichem Recht oder nach Privatrecht bestimmt, ist als Vorfrage für die Abgrenzung der Rechtswege zu den ordentlichen Gerichten und den Verwaltungsgerichten zwar entscheidungserheblich, weil § 13 GVG und § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO hierauf Bezug nehmen. An sich ist diese Frage aber eine Frage des materiellen Rechts, an die die Bestimmungen der § 13 GVG und § 40 VwGO nur prozessuale Rechtsfolgen knüpfen. Hieraus folgt, dass sich die Bindungswirkung der Beschlüsse nach § 17a GVG auf diese materielle Rechtsfrage nicht erstreckt. Wenn im Verfahren nach § 17a GVG z. B. zu Unrecht die Zivilgerichte für zuständig erklärt werden und das hieran gebundene Zivilgericht die Unrichtigkeit dieses Beschlusses und die "an sich" gegebene Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte erkennt, kann es zwar die Streitigkeit nicht an ein Verwaltungsgericht verweisen. Unbenommen ist es ihm aber, bei der materiellen Prüfung ausschließlich Normen des öffentlichen Rechts anzuwenden, wenn es allein diese für anwendbar hält. Hierzu dürfte es sogar verpflichtet sein.

Anmerkung: Siehe hierzu Ehlers, in: Schoch/Schneider, § 41/§ 17a GVG Rn. 20.

Daher ergibt sich aus den im Rahmen des Verfahrens nach § 17a GVG ergangenen Beschlüssen allein noch nicht, dass auch im späteren Sachentscheidungsverfahren das materielle Privatrecht angewandt wird. Die (naheliegende und sich hier auch verwirklichte) "Gefahr", dass dies geschehen wird, ergibt sich allein aus dem rein tatsächlichen Umstand, dass die Gerichte kaum inhaltlich ihren zuvor gefassten Beschlüssen widersprechen werden. Jedoch ist dies nicht zwingend. So können z. B. ein Wechsel in der Spruchkörperbesetzung oder auch später veröffentlichte oder bei der Entscheidungsfindung im Vorabentscheidungsverfahren noch nicht berücksichtigte Rechtsprechung und Literatur zu einem Wandel in der Überzeugung des entscheidenden Gerichts führen. Obwohl das spätere Hauptsacheverfahren sicherlich durch die im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG getroffene Entscheidung vorgeprägt sein wird, kann daher noch nicht von einer unmittelbaren Beschwer dahingehend ausgegangen werden, dass das sich u. U. aus Art. 4 GG ergebende Recht öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgemeinschaften, im Verhältnis zu Dritten nach öffentlichem Recht beurteilt zu werden, betroffen ist.

Folglich besteht auch keine Beschwerdebefugnis gegen die im Verfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse, soweit die Kirchengemeinde Art. 4 GG als verletzt ansieht.

d) Mögliche Verletzung des Art. 14 GG

Von vornherein ausgeschlossen erscheint ebenfalls, dass die Beschlüsse das Grundrecht der Kirchengemeinde aus Art. 14 GG verletzen, da sie sich zur Frage, ob die Kirchengemeinde auch des Nachts ihre Glocken zu Zwecken des Zeitschlagens verwenden darf, nicht äußern und daher insoweit auch nicht in das Recht auf Nutzung des Eigentums eingreifen können. Soweit sich die Kirchengemeinde auf Art. 14 GG beruft, besteht somit im Hinblick auf die Beschlüsse im Verfahren nach § 17a GVG keine Beschwerdebefugnis.

e) Ergebnis zu 1

Im Hinblick auf die im Verfahren nach § 17a GVG erlassenen Beschlüsse ist die Kirchengemeinde somit allein beschwerdebefugt, soweit sie eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG rügt.

2. Grundrechtsverletzung durch die Endurteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts

Fraglich ist weiterhin, ob eine Grundrechtsverletzung der Kirchengemeinde auch durch die in der Streitigkeit ergangenen Sachurteile als möglich erscheint. Da beide Urteile hier ebenfalls identisch begründet sind und das OLG das Urteil des LG vollumfänglich überprüfen konnte, können hier auch diese Entscheidungen gemeinsam behandelt werden. Insoweit lässt sich bereits hier feststellen, dass eine Beschwerdebefugnis unmittelbar aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV ausscheidet (siehe hierzu A III 1 b).

a) Mögliche Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG

Von vornherein ausgeschlossen erscheint zudem eine mögliche Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts: Aufgrund der Bindungswirkung der im Verfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse (siehe hierzu A III 1 a) waren die Gerichte im Sachentscheidungsverfahren nunmehr jedenfalls als gesetzliche Richter anzusehen. Ihre Zuständigkeit ergab sich aufgrund dessen unmittelbar aus § 17a GVG. Indem Landgericht und Oberlandesgericht diese Bindungswirkung im weiteren Verfahren beachteten, haben sie das Recht auf den gesetzlichen Richter damit offensichtlich nicht missachtet, sondern geachtet. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann die Kirchengemeinde somit keine Beschwerdebefugnis gegen die Urteile herleiten.

b) Mögliche Verletzung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG

Demgegenüber erscheint eine Verletzung der in Art. 4 GG gewährleisteten Rechte in zweifacher Weise möglich: Indem die Gerichte der Kirchengemeinde das nächtliche Zeitschlagen untersagten, könnten sie zunächst die Bedeutung und Reichweite der Religionsausübungsfreiheit verkannt haben, da sie zum einen das Zeitschlagen gar nicht als Religionsausübung betrachteten und zum anderen das von Rousseau geltend gemachte Interesse, vom nächtlichen Uhrenschlag verschont zu werden, als wichtiger ansahen als das (u. U. auch religiös motivierte) Interesse der Kirchengemeinde am nächtlichen "Betrieb" der Kirchturmuhr. Dass diese Sichtweise dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht gerecht wird, ist nicht von vornherein auszuschließen, da sich die Kirchengemeinde ausdrücklich darauf beruft, dass aus ihrer Sicht auch das nächtliche Zeitschlagen Religionsausübung sei.

Zudem ist nach dem bisher Gesagten (siehe hierzu A III 1 c) auch nicht von vornherein auszuschließen, dass die Gerichte Grundrechte der Kirchengemeinde aus Art. 4 GG dadurch verletzt haben, dass sie das Rechtsverhältnis zwischen ihr und Rousseau dem Privatrecht und nicht dem öffentlichen Recht unterstellten.

Die sich hieraus ergebende Beschwer betrifft die Kirchengemeinde auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar, da die Urteile rechtskräftig geworden sind und sie unmittelbar verpflichten, das nächtliche Uhrenschlagen zu unterlassen.

Anmerkung: Siehe zur Bedeutung der Trias des eigenen, gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenseins des Beschwerdeführers bei Gerichtsentscheidungen ausführlich BVerfG, 2 BvR 2292/13 v. 15.7.2015, Abs. 55 ff. = BVerfGE 140, 45, 57 ff.

c) Mögliche Verletzung des Art. 14 GG

Fraglich ist schließlich, ob auch eine Beschwerdebefugnis insoweit besteht, als die Verletzung des Art. 14 GG gerügt wird, weil der Kirchengemeinde die Nutzung ihres Eigentums unter Anwendung der § 1004 i.V.m. § 906 BGB in einer bestimmten Weise untersagt wird.

Die Überlegung, eine gerichtliche Untersagung von gesetzlich "an sich" zulässigen Nutzungsmöglichkeiten des Eigentums als Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG anzusehen, erscheint auf den ersten Blick schlüssig. Dies entspräche der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. Nach der sog. "Adressatentheorie" wird in diesem Zusammenhang angenommen, dass eine Rechtsverletzung schon möglich ist, wenn sich der Kläger gegen eine an ihn gerichtete, ihn belastende Maßnahme wendet. Hier ergebe sich die Klagebefugnis nämlich ohne weiteres zumindest aus einer möglichen Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG: Das durch diese Vorschrift gewährte Grundrecht sei immer dann verletzt, wenn eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt nicht dem Gesetz entspricht, also rechtswidrig und damit letztlich ohne gesetzliche Grundlage ergangen ist. Für Eingriffe in Art. 14 Abs. 1 GG würde nichts anderes gelten.

Anmerkung: Zur Adressatentheorie im Verwaltungsprozess siehe diesen Hinweis.

Allerdings würde eine Übertragung der "Adressatentheorie" auf das Verfassungsprozessrecht dazu führen, dass praktisch jede Streitigkeit über die Auslegung einfachen Rechts vor das BVerfG gebracht werden könnte - es würde zur Superrevisionsinstanz. Deshalb prüft das BVerfG bei Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen nur, ob das Gericht spezifisches Verfassungsrecht verletzt hat, also insbesondere bei der Rechtsanwendung die Bedeutung und Reichweite eines Grundrechtes verkannt oder völlig willkürlich gehandelt hat.

Anmerkung: Siehe hierzu siehe hierzu Benda/Klein/Klein, Rn. 499 ff.

Soweit sich die Kirchengemeinde auf Art. 14 Abs. 1 GG beruft, ist die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts nicht erkennbar. Die Begründung der Kirchengemeinde beschränkt sich insoweit letztlich auf die Rüge, dass Landgericht und Oberlandesgericht das einfache Recht (nämlich § 1004 i.V.m. § 906 BGB) fehlerhaft ausgelegt hätten, indem sie im Rahmen der durch § 906 Abs. 1 Satz 2 BGB eröffneten Wertungsentscheidung auch berücksichtigten, welches Interesse der Nachbar mit der Immission verfolgt, und die Frage der "Ortsüblichkeit" falsch bestimmten. Die Überlegungen der Gerichte erscheinen jedoch nach dem insoweit eher offenen Wortlaut des § 906 BGB, der eine auf den Einzelfall bezogene Wertung zulässt, einfachrechtlich nicht von vornherein grob fehlerhaft, auch wenn dies angesichts der Wertentscheidung des § 903 BGB, nach der der Eigentümer im Grundsatz mit seinem Eigentum nach Belieben verfahren kann, nicht zwingend naheliegt.

Da somit in der möglicherweise fehlerhaften Anwendung des § 906 BGB als solcher jedenfalls keine spezifische Verletzung des Art. 14 GG durch die Gerichte zu sehen ist und auch nicht erkennbar ist, dass die Bedeutung des Eigentums durch die Gerichte bei ihrer Rechtsanwendung vollständig verkannt worden wäre (indem etwa jede Nutzungsmöglichkeit der Glocken ausgeschlossen würde), besteht insoweit keine Beschwerdebefugnis.

d) Ergebnis zu 2

Im Hinblick auf die Endurteile von LG und OLG Saarbrücken ist die Kirchengemeinde daher nur insoweit beschwerdebefugt, als sie sich auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG beruft.

3. Ergebnis zu III

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse richtet, ergibt sich eine Beschwerdebefugnis der Kirchengemeinde (nur) aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, soweit sie sich gegen die Sachurteile richtet, ergibt sich eine Beschwerdebefugnis der Kirchengemeinde (nur) aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.

IV. Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 BVerfGG)

Nach dem Sachverhalt hat die Kirchengemeinde sowohl gegen die im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG getroffenen Beschlüsse als auch gegen die Endurteile von LG und OLG den Rechtsweg erschöpft, da ein weiterer Rechtsweg zum BGH oder sonstige Rechtsbehelfe in beiden Fällen aufgrund fehlender Zulassung durch das OLG nicht gegeben war. Fraglich könnte allenfalls sein, ob dies auch hinsichtlich der Rüge einer Grundrechtsverletzung durch die Rechtswegzuweisung gilt.

1. Geltendmachung einer "Durchbrechung" der Bindungswirkung der Beschlüsse nach § 17a GVG als weiterer Rechtsweg?

BGH und BVerwG erachten allerdings nunmehr eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung der Beschlüsse nach § 17a GVG u. a. dann für möglich, wenn die Verweisung nach objektiven Maßstäben sachlich unter keinem Gesichtspunkt mehr zu rechtfertigen, daher willkürlich und der Rechtsfehler als extremer Verstoß gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften zu qualifizieren ist oder wenn der Beschluss jeder Grundlage entbehrt oder dazu führt, dass die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen sich in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat.

Anmerkung: BGH, 2 ARs 196/16 und 2 AR 138/16 v. 8.12.2016, Abs. 14 ff. = NJW 2017, 1689 Abs. 14 ff.; BVerwG, AV 1/19 v. 11/19 v. 10.4.2019, Abs. 8 ff. = NJW 2019, 2112 Abs. 8 ff. Siehe hierzu bereits oben A III 2 a.

Folgt man dem, ließe sich argumentieren, dass zum Rechtsweg gegen diese Entscheidungen auch die Durchführung des Verfahrens vor dem Gericht gehört, das nach § 17a GVG für zuständig erklärt wurde, weil dieses Gericht dann inzident darüber entscheidet, ob eine Bindungswirkung nach § 17a GVG aus Gründen des Grundrechtsschutzes zu durchbrechen ist. Diese Frage bedarf hier jedoch keiner Entscheidung, weil die Kirchengemeinde hier das "Hauptsacheverfahren" vor dem Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, auch durchgeführt hat, so dass auch insoweit der Rechtsweg i.S.d. § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft wäre.

Anmerkung: Im Ergebnis dürfte die Geltendmachung dieser "außerordentlichen Durchbrechung" der Bindungswirkung nach § 17a GVG jedoch nicht den Kriterien entsprechen, die das BVerfG heute für einen Rechtsbehelf i.S.d. § 90 Abs. 2 BVerfGG verlangt. Insbesondere fehlt es an einer eindeutigen gesetzlichen Normierung des Rechtsbehelfs: BVerfG, 1 BvR 848/07 v. 25.11.2008, Abs. 34 ff. und Abs. 38 ff. = BVerfGE 122, 190, 200 und 202 f. Man könnte allerdings argumentieren, dass es auf Grund der nunmehr anerkannten Möglichkeit der Durchbrechung der Bindungswirkung der Beschlüsse nach § 17a GVG mittlerweile an einer "Unmittelbarkeit" der Betroffenheit des Beschwerdeführers fehlt, soweit er eine Grundrechtsverletzung durch derartige Beschlüsse geltend macht, siehe hierzu A III 1 a.

2. Anhörungsrüge nach § 321a ZPO als weiterer Rechtsweg?

Der Kirchengemeinde kann auch nicht vorgeworfen werden, wegen der geltend gemachten Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch das OLG keine Anhörungsrüge nach § 321a ZPO erhoben zu haben. Zwar gehört auch die Erhebung der Anhörungsrüge zum "Rechtsweg" i.S.d. § 90 Abs. 2 BVerfG.

 Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 1 BvR 848/07 v. 25. 11. 2008, Abs. 30 = BVerfGE 122, 190, 198.

Jedoch wäre eine derartige Anhörungsrüge auch gegen die Entscheidung des BGH nicht statthaft gewesen: Mittels der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO können nur Verletzungen des Art. 103 Abs. 1 GG gerügt werden (die hier nicht erkennbar sind), nicht aber die Verletzung anderer (Prozess-)Grundrechte, wie eben Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Anmerkung: Vgl. BVerfG (K), 2 BvR 2101/09 v. 9.11.2010, Abs. 28 ff. = NJW 2011, 2417; BVerfG (K), 1 BvR 3007/07 v. 28.4.2011, Abs. 17 = NJW 2011, 2276. Zur Frage der Rechtswegerschöpfung und der "Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" bei Statthaftigkeit einer Anhörungsrüge nach § 33a und § 311a StPO, § 321a ZPO, § 152a VwGO siehe Punkt IV bei diesem Hinweis.

3. Ergebnis zu IV

Somit ist der Rechtsweg gegen alle angegriffenen Entscheidungen i.S.d. § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft worden.

V. Beachtung der "Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde"

Fraglich ist jedoch, ob der "Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde" ihrer Zulässigkeit entgegensteht. Nach diesem - vom BVerfG letztlich in erweiternder Auslegung des § 90 Abs. 2 BVerfGG "gefundenen" - Grundsatz hat der Beschwerdeführer neben der Erschöpfung des Rechtswegs alle anderweitig bestehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, die geeignet sind, die Grundrechtsverletzung zu beseitigen oder ohne Inanspruchnahme des BVerfG im praktischen Ergebnis dasselbe zu erreichen.

Anmerkung: Siehe zum Subsidiaritätsgrundsatz allgemein Peters/Markus, JuS 2013, 887 ff.

Zu verlangen, dass die Kirchengemeinde die nach der ZPO offensichtlich unzulässige Revision bzw. die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH als "außerordentlichen Rechtsbehelf" einlegt oder sonstige "Gegenvorstellungen" vorbringt, wäre jedoch für die Kirchengemeinde schlicht unzumutbar, da dies offensichtlich aussichtslos gewesen wäre. Da sich die Kirchengemeinde insbesondere auch noch nach Abschluss des Vorabentscheidungsverfahrens nach § 17a GVG weiterhin auf die Unzulässigkeit des Rechtswegs berufen hat, hat sie jedenfalls alles ihr Mögliche getan, um ihre Rechtsansicht im Verfahren vor den Fachgerichten zur Geltung zu bringen.

VI. Frist (§ 93 Abs. 1 BVerfGG)

Die Verfassungsbeschwerde müsste innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG (1 Monat) eingelegt worden sein: Dabei bewirkt § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, dass die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG - anders als der Wortlaut dies nahelegt - erst mit Zustellung, Verkündung oder Bekanntgabe der letztinstanzlichen Entscheidung zu laufen beginnt. Damit ist jedenfalls die Frist sowohl für die Verfassungsbeschwerde gegen das Sachurteil des Oberlandesgerichts als auch für die Verfassungsbeschwerde gegen das Sachurteil des Landgerichts eingehalten worden, da die Verfassungsbeschwerde jedenfalls innerhalb eines Monats nach Zustellung des letztinstanzlichen Urteils des OLG erfolgte. Fraglich ist jedoch, ob die Zustellung des Endurteils des OLG im Berufungsverfahren auch für den Beginn der Frist maßgeblich ist, soweit die Beschlüsse im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG betroffen sind.

Anmerkung: Siehe zum Folgenden U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 409 f.

1. Allgemeine Grundsätze zum Fristablauf bei sog. "Zwischenentscheidungen"

Grundsätzlich geht das BVerfG davon aus, dass sog. "Zwischenentscheidungen", die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vor Erlass eines Endurteils ergehen, nicht selbstständig mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar seien. Mit Ergehen der Zwischenentscheidung sei der Rechtsweg i.S.d. § 90 BVerfGG noch nicht erschöpft. Wären die im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse also als "Zwischenentscheidungen" in diesem Sinne anzusehen, hätten sie vor Ergehen des Berufungsurteils nicht mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, so dass die Frist nach § 93 Abs. 1 BVerfGG auch im Hinblick auf diese Beschlüsse erst mit der Zustellung des Urteils des OLG zu laufen begonnen hätte.

2. Argumente für einen Fristablauf hinsichtlich der im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG getroffenen Beschlüsse

Allerdings findet der Ausschluss der Verfassungsbeschwerdefähigkeit von Zwischenentscheidungen seinen Sinn darin, dass Verfassungsverstöße durch Zwischenentscheidungen regelmäßig noch mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden können. Nur in einem solchen Fall ist auch mit Ergehen der Zwischenentscheidung der Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG noch nicht erschöpft. Soweit durch eine Zwischenentscheidung ein Verfahren abgeschlossen ist, dessen Mängel in der späteren Endentscheidung nicht mehr behoben werden können, wird daher eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Zwischenentscheidung für zulässig erachtet. Eine solche Form der Zwischenentscheidung stellen die im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse dar, da die Zulässigkeit des Rechtswegs aufgrund der Bindungswirkung dieser Beschlüsse im weiteren Verfahren grundsätzlich nicht mehr gerügt werden kann (s. o. A IV 1). Die Kirchengemeinde hätte damit innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des OLG Verfassungsbeschwerde gegen diese Beschlüsse erheben können, ohne dass diese wegen fehlender Rechtswegerschöpfung oder der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde unzulässig gewesen wäre. Dies könnte für die Annahme sprechen, dass derjenige, der bereits in einem nach § 17a GVG ergangenen Beschluss einen Verfassungsverstoß sieht, dann auch zwingend innerhalb eines Monats nach Zustellung der letztinstanzlichen Beschwerdeentscheidung Verfassungsbeschwerde erheben muss und sich nicht damit begnügen kann, den Erlass des das Verfahren in der Sache abschließenden letztinstanzlichen Urteils abzuwarten.

Einen Fristablauf hinsichtlich der im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG getroffenen Beschlüsse anzunehmen, erscheint daher jedenfalls als konsequent. Nähme man dies an, wäre die gegen die im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts erhobene Verfassungsbeschwerde wegen Fristablaufs unzulässig.

3. Argumente gegen einen Fristablauf hinsichtlich der im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG getroffenen Beschlüsse

Vertretbar dürfte jedoch ebenfalls die Annahme sein, dass Zwischenentscheidungen, die selbstständig mit der Verfassungsbeschwerde bereits vor Erlass der eigentlichen Sachentscheidung angegriffen werden können, nicht zwingend auch innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG angegriffen werden müssen, sondern deren Anfechtung zusammen mit den eigentlichen Sachentscheidungen möglich bleibt. Hierfür dürfte sprechen, dass sich oft erst nach Erlass der eigentlichen Sachentscheidung herausstellt, ob der Beschwerdeführer durch das Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens insgesamt materiell beschwert ist. Hätten z.B. LG und OLG im vorliegenden Fall die Klage Rousseaus als unbegründet abgewiesen, hätte sich die Kirchengemeinde durch das Verfahrensergebnis insgesamt sicherlich nicht beschwert gefühlt. Für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde - auch gegen die im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse - hätte dann kein Anlass mehr bestanden. Im Hinblick auf das mit dem Fristerfordernis zumindest auch verfolgte Interesse der Entlastung des BVerfG wäre es damit kontraproduktiv, von dem Betroffenen zu verlangen, die Zwischenentscheidung bereits vor Erlass der Endentscheidung mit der Verfassungsbeschwerde anzugreifen, um sich die Möglichkeit der Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen die Zwischenentscheidung zu erhalten, von der er noch gar nicht weiß, ob sie ihn tatsächlich beschweren wird.

Anmerkung: So U. Stelkens, DVBl. 2004, 403, 410.

4. Ergebnis zu V

Hier soll der zuletzt dargestellten Auffassung gefolgt werden, so dass die Verfassungsbeschwerde gegen alle angegriffenen Entscheidungen noch als fristgemäß erhoben anzusehen ist.

Anmerkung: Vertretbar wäre es natürlich auch, eine Verfristung der Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Beschlüsse nach § 17a GVG anzunehmen. Dann wäre Begründetheit der Verfassungsbeschwerde insoweit in einem Hilfsgutachten zu prüfen.

VI. Verfahrensfähigkeit

Die Kirchengemeinde ist fähig, Prozesshandlungen durch ihre Vertreter - hier den Kirchenvorstand - vorzunehmen, und ist deshalb auch verfahrensfähig (prozessfähig).

Anmerkung: Wenn nicht gerade eine juristische Person, ein minderjähriges Kind oder eine geschäftsunfähige Person Verfassungsbeschwerde erhebt, ist zur Frage der Verfahrens- oder Prozessfähigkeit kein Wort zu verlieren.

VII. Ergebnis zu A

Die Verfassungsbeschwerde ist somit insgesamt zulässig.

B) Begründetheit

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die Kirchengemeinde durch die Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts und die im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse tatsächlich in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bzw. ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt wird. Die Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts könnten die Kirchengemeinde zunächst in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. 140 GG, Art. 137 Abs. 5 WRV insoweit verletzen, als diesen Entscheidungen das private Nachbarrecht zugrunde gelegt wurde, obwohl die Kirchengemeinde den Status einer juristischen Person des öffentlichen Rechts hat (I). Darüber hinaus könnten die Urteile das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG der Kirchengemeinde bei Anwendung des einfachen Rechts dahingehend verkannt haben, dass sie dem von der Kirchengemeinde betonten auch religiösen Aspekt des Zeitschlagens keine hinreichende Bedeutung zugemessen haben (II). Die im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse könnten schließlich die Kirchengemeinde in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen (III).

Anmerkung: Gerade bei Verfassungsbeschwerden, die in Zusammenhang mit Art. 140 GG stehen, hat das BVerfG in verschiedenen Verfahren betont, es sei bei der Beurteilung der Begründetheit einer zulässigen Verfassungsbeschwerde nicht darauf beschränkt zu prüfen, ob die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a, § 90 BVerfGG aufgeführten Rechte verletzt seien. Vielmehr könne es die angegriffene Entscheidung unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt auf ihre verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit hin überprüfen. Dies ermöglichte dem BVerfG - obwohl es Art. 140 GG i.V.m. den Weimarer Kirchenartikeln an sich nicht für mit der Verfassungsbeschwerde rügbar hält (siehe hierzu A III 1 b) -, dennoch gerichtliche Entscheidungen unmittelbar am Maßstab dieser Bestimmungen zu messen, ohne im Einzelfall überprüfen zu müssen, ob nicht "nur" eine Verfassungsverletzung, sondern auch eine Grundrechtsverletzung vorliegt (vgl. etwa BVerfG, 2 BvR 350/75 v. 21.9.1976 = BVerfGE 42, 312, 325 f.; BVerfG, 2 BvR 208/76 v. 25.3.1980 = BVerfGE 53, 366, 390; BVerfG, 2 BvR 384/78 v. 17.2.1981 = BVerfGE 57, 220, 241; BVerfG, 2 BvR 1703/83 u. a. v. 4.6.1985 = BVerfGE 70, 138, 162; BVerfG, 2 BvR 1275/96 v. 13.10.1998, Abs. 78 = BVerfGE 99, 100, 119; BVerfG, 2 BvR 1500/97 v. 19.12.2000, Abs. 60 = BVerfGE 102, 370, 384; zusammenfassend Neureither, NVwZ 2011, 1492 ff.). Insbesondere hält es das BVerfG auch für möglich, im Tenor nach § 95 Abs. 1 BVerfGG allein einen Verstoß gegen Art. 140 GG festzustellen (vgl. BVerfG, 2 BvR 350/75 v. 21.9.1976 = BVerfGE 42, 312, 313; BVerfG, 2 BvR 208/76 v. 25.3.1980 = BVerfGE 53, 366, 367 [und 407]; BVerfG, 2 BvR 384/78 v. 17.2.1981 = BVerfGE 57, 220, 221 [und 249]; BVerfG, 2 BvR 1703/83 u. a. v. 4.6.1985 = BVerfGE 70, 138, 140 [und 172]); BVerfG, 2 BvR 1500/97 v. 19.12.2000, Tenor [und Abs. 104] = BVerfGE 102, 370 [und 399]; BVerfG, 2 BvR 1282/11 v. 30.6.2015, Abs. 86 = BVerfGE 139, 321, 347). Unabhängig davon, dass diese (nie näher begründete) Vorgehensweise den - auch das BVerfG bindenden - verfassungsprozessualen Vorgaben des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 Abs. 1 BVerfGG kaum entspricht, darf nicht verkannt werden, dass das BVerfG eine Prüfungserstreckung nur nach seinem Ermessen vornimmt (vgl. Benda/Klein/Klein, Rn. 517 ff.). Einen Anspruch auf eine solche Prüfungsausweitung hat der Beschwerdeführer also nicht. Zudem geht das BVerfG in einer neueren Entscheidung (BVerfG, 1 BvR 2857 und 2858/07 v. 1.12.2009, Abs. 130 ff. = BVerfGE 125, 39, 77 ff.) diesen Weg nicht mehr, sondern betont auch in der Begründetheitsprüfung, bei der Bestimmung des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sei auch an die Weimarer Kirchenartikel anzuknüpfen (ähnlich auch die Vorgehensweise bei BVerfG, 2 BvR 661/12 v. 22.10.2014, Abs. 84 ff. = BVerfGE 137, 273, 303 ff.; anders jedoch wieder BVerfG, 2 BvR 1282/11 v. 30.6.2015, Abs. 86 = BVerfGE 139, 321, 347 f.). Daher kann sich in einem Rechtsgutachten die Prüfung nicht auf eine Prüfung der Verletzung des Art. 140 GG i.V.m. den Weimarer Kirchenartikeln beschränken (anders die Vorgehensweise bei H. Jochum, JuS 2003, 370, 373). Wenn das BVerfG seine Prüfung auf die Verletzung anderer Verfassungsbestimmungen als auf die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG genannten Rechtn ausweitet, hat der Beschwerdeführer m. a. W. "Glück gehabt". Es handelt sich jedoch um eine bloße Chance, deren Bestehen die rechtlichen Voraussetzungen für den Erfolg einer Verfassungsbeschwerde an sich unberührt lassen. Allgemein zum Aufbau der Begründetheitsprüfung einer Verfassungsbeschwerde gegen Exekutivakte und Gerichtsentscheidungen siehe diesen Hinweis.

I. Verletzung des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 5 WRV durch Anwendung des Privatrechts

Indem das LG und das OLG in ihren Endurteilen das Rechtsverhältnis zwischen dem Kirchennachbarn und der Kirchengemeinde dem Privatrecht unterstellten, könnten sie Art. 4 Abs. 1 und 2 GG dann verletzt haben, wenn sich aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG i.V.m. Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 5 WRV ein Grundrecht öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgesellschaften ergeben würde, nach dem ihre Handlungen im Verhältnis zu Dritten nach öffentlichem Recht (bzw. nicht nach Privatrecht) beurteilt werden (siehe oben A III 1 c und A III 2 b). Diese Frage wurde vom BVerfG bisher nicht ausdrücklich entschieden. In der Literatur und Rechtsprechung wird nur die Frage (kontrovers) behandelt, ob sich aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV ein solches Recht ergibt, nicht aber, ob dieses Recht zugleich auch von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfasst und deshalb im Wege der Verfassungsbeschwerde durchsetzbar ist.

1. Anwendbarkeit des öffentlichen Rechts als zwingende Folge des verfassungsrechtlichen Rechtsstatus öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgesellschaften

So nahm etwa das BVerwG an, der in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV verfassungsrechtlich garantierte besondere Status öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgesellschaften liefe leer, wenn nicht anerkannt würde, dass auf deren Handlungen grundsätzlich (nur) das öffentliche Recht Anwendung finde, soweit sich die Religionsgesellschaft nicht ausdrücklich dem Privatrecht unterwirft. Andernfalls würden sich die öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgesellschaften nicht von beliehenen Unternehmern unterscheiden. Die Anwendung des privaten Nachbarrechts im Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlich verfasster Kirche und Kirchennachbarn wurde nach dieser Ansicht nicht nur als Verletzung einfachen Rechts, sondern als Verfassungsverstoß gesehen.

Anmerkung: BVerwG, 7 C 44.81 v. 7.10.1983 = BVerwGE 68, 62, 63 ff. (das BVerwG folgte insoweit der Auffassung von Isensee (Isensee, in: Gedächtnisschrift für Léontin Constantinesco, 1983, S. 301, 314 ff.); ähnlich BVerwG, 7 C 47/07 v. 10.4.2008, Abs. 22 = NVwZ 2008, 1357, 1359; OLG Frankfurt a. M., 1 U 175/81 v. 24.1.1985, Abs. 4 ff. = DVBl. 1985, 861 f.

In einer neueren Entscheidung relativiert das BVerwG jedoch diese Ausgangsannahme: Es betont nunmehr deutlich, dass der besondere Status der öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgesellschaften allein im Verhältnis zu ihren Mitgliedern besondere Befugnisse begründen könne. Demgegenüber träten öffentlich-rechtlich verfasste Religionsgesellschaften jedenfalls dann privatrechtlich auf, wenn sie am allgemeinen Rechtsverkehr teilnehmen, da Rechtsverhältnisse mit Dritten keine innerkirchlichen, vom kirchlichen Selbstverwaltungsrecht abgedeckten Angelegenheiten beträfen. Ob daran festzuhalten sei, dass verfassungsrechtlich geboten sei, das Wirken kirchlicher Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit es der staatlichen Rechtsordnung unterliege, grundsätzlich als dem öffentlichen Recht angehörig zu betrachten, und daher eine Vermutung für die öffentlich-rechtliche Qualifikation kirchlichen Handels spreche, ließ das BVerwG insoweit ausdrücklich offen.

Anmerkung: So BVerwG, 6 B 162/18 v. 9.4.2019, Abs. 10 ff. = NVwZ 2020, 487 Abs. 10 ff.)Der Fall vom BVerwG zu entscheidende Fall betraf die Geltendmachung eines Anspruchs auf Aufhebung einer Sperre auf einer kirchlichen Facebook-Seite. Insoweit wurde näher (Abs. 11 und 12) ausgeführt, dass es sich bei dem Betrieb einer Facebook-Seite und der Sperrung der Kommentarfunktion in Ausübung eines "virtuellen Hausrechts" nicht um eine herkömmliche, den Kirchen im Rahmen ihres Rechts auf Selbstverwaltung (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) zustehende Angelegenheit handele. Denn die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit - die Zurechenbarkeit des Handelns der mit der Geschäftsbesorgung beauftragten "Allgemeinen Gemeinnützigen Programmgesellschaft mbH" unterstellt - falle nicht in den Bereich kirchlichen Handelns, in denen einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfassten Religionsgesellschaft der Zugriff auf öffentlich-rechtliche Handlungsformen eröffnet wäre. Die Seite "www.facebook.com/katholisch.de" könne auch nicht als kirchlich gewidmete Einrichtung im Sinne einer "res sacra" zu betrachten sein, aus deren Benutzung sich eine öffentlich-rechtliche Beziehung zwischen dem Nutzer und der Kirche herleiten ließe. Denn die Kirche nutzte die von Facebook auf der Grundlage eines schuldrechtlichen Vertrags zur Verfügung gestellte virtuelle Infrastruktur zur Interaktion mit anderen Nutzern als Jedermannsrecht und nehme auf diesem Wege am allgemeinen Rechts- und Wirtschaftsverkehr teil.

2. Unabhängigkeit des Handlungsformenrechts vom Organisationsrecht

Zutreffend wird dementsprechend auch in der Literatur hervorgehoben, aus der Zuweisung einer bestimmten Organisationsform folge allein noch nicht, dass auch die der Organisationsform zurechenbaren Handlungen allein Rechtsfolgen des öffentlichen Rechts nach sich zögen. Es bedürfe daher besonderer Anhaltspunkte für die Annahme, dass ein bestimmtes Rechtsverhältnis (nur) durch öffentlich-rechtliche Rechtssätze geordnet sei. Diese Anhaltspunkte ergäben sich damit nicht bereits aus dem öffentlich-rechtlichen Organisationsstatus. Vor dem Hintergrund dieser Auffassung verlagert sich die Frage der Geltung des privaten Nachbarrechts im Verhältnis zwischen Kirchengemeinde und Kirchennachbarn auf die Ebene des einfachen Rechts, dem für sich gesehen noch keine verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen kann.

Anmerkung: In diese Richtung wohl Axer, Die Widmung als Schlüsselbegriff des Rechts der öffentlichen Sachen, 1994, S. 209 ff.; Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, 1998, S. 306 f.; Laubinger, VerwArch 83 [1992], S. 623, 640 ff.; Renck, JZ 2001, 375, 376.

3. Zusammenhang zwischen Art. 137 Abs. 5 WRV und Art. 4 Abs. 1 GG

Für die Frage, ob die Anwendung des privaten Nachbarrechts im Verhältnis zwischen Kirche und Kirchennachbarn auch eine Verletzung der sich aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ergebenden Religionsfreiheit darstellt, geben diese sich allein auf den Regelungsinhalt des Art. 137 Abs. 5 WRV beziehenden Auffassungen damit nichts her (hierzu näher B II 3 a). Im Ergebnis dürfte die Annahme einer "Konkretisierung" des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG unter Heranziehung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV dahingehend, dass öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Freistellungen von den Bindungen des privaten Nachbarrechts haben, zu verneinen sein. Zwar betont das BVerfG, bei der näheren Bestimmung des Schutzgehalts des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sei auch an die Bestimmungen der Weimarer Kirchenartikel anzuknüpfen.

Anmerkung: So BVerfG, 1 BvR 2857 und 2858/07 v. 1.12.2009, Abs. 138 = BVerfGE 125, 39, 79; BVerfG, 2 BvR 1282/11 v. 30.6.2015, Abs. 90 = BVerfGE 139, 321, 349.

Denn die durch Art. 140 GG aufgenommenen Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung seien von gleicher Normqualität wie die sonstigen Bestimmungen des Grundgesetzes und die Gewährleistungen der so genannten Weimarer Kirchenartikel seien funktional auch auf die Inanspruchnahme und Verwirklichung des Grundrechts der Religionsfreiheit angelegt.

In allen Fällen, in denen das BVerfG bisher einen auf die Weimarer Kirchenartikel zur Konkretisierung des Inhalts der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG GG verbürgten Religionsfreiheit vorgenommen hatte, ging es aber um Rechte, die nach diesen Artikeln allen Religionsgesellschaften unabhängig von ihrem jeweiligen Status gleichermaßen zustehen.

Anmerkung: Siehe etwa zum Selbstbestimmungsrecht des Art. 137 Abs. 3 WRV: BVerfG, 2 BvR 350/75 v. 21.9.1976 = BVerfGE 42, 312, 322; BVerfG, 2 BvR 208/76 v. 25.3.1980 = BVerfGE 53, 366, 386 f.; BVerfG, 2 BvR 384/78 v. 17.2.1981 = BVerfGE 57, 220, 240 f.; BVerfG, 2 BvR 1703/83 u. a. v. 4.6.1985 = BVerfGE 70, 138, 161; BVerfG, 2 BvR 661/12 v. 22.10.2014, Abs. 84 ff. = BVerfGE 137, 273, 303 ff.; zur religiösen Vereinigungsfreiheit des Art. 137 Abs. 2 WRV: BVerfG, 2 BvR 263/86 v. 5.2.1991 = BVerfGE 83, 341, 354 ff.; zur Kirchengutsgarantie des Art. 138 Abs. 2 WRV: BVerfG, 2 BvR 1275/96 v. 13.10.1998, Abs. 79 ff. = BVerfGE 99, 100, 118 f.; zum Anspruch auf Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts des Art. 137 Abs. 5 Satz 2 WRV i.V.m. der staatlichen Neutralitätspflicht: BVerfG, 2 BvR 1500/97 v. 19.12.2000, Abs. 56 ff = BVerfGE 102, 370, 383; BVerfG, 2 BvR 1282/11 v. 30.6.2015, Abs. 88 ff. = BVerfGE 139, 321, 348 f.; zum Anspruch einer Religionsgesellschaft auf Schutz der Sonntage als Tage der "seelischen Erhebung" aus Art. 139 WRV: BVerfG, 1 BvR 2857 und 2858/07 v. 1.12.2009, Abs. 138 = BVerfGE 125, 39, 79 ff.

Demgegenüber sind keine Entscheidungen erkennbar, die Art. 4 Abs. 1 und 2 GG Bedeutung zumessen, soweit eine öffentlich-rechtlich verfasste Religionsgesellschaft aus ihrem öffentlich-rechtlichen Status Rechte herleitet, die privatrechtlich verfassten Religionsgesellschaften (so) nicht zustehen. Dies ist im Ergebnis auch sachgerecht: Art. 4 Abs. 1 und 2 GG differenziert bereits seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nach nicht zwischen einzelnen Grundrechtsträgern, sondern räumt allen Grundrechtsträgern gleiche Rechte ein, ohne nach Art der Religion oder der Form der Religionsgesellschaft zu differenzieren. Den Inhalt der Religionsfreiheit unter Rückgriff auf Art. 140 GG zu bestimmen, ist daher unproblematisch, soweit sich hieraus ebenfalls für alle Religionsgesellschaften gleiche Rechte ergeben. Einzelnen Religionsgesellschaften jedoch Sonderrechte zu gewähren, ist mit dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG demgegenüber nicht vereinbar. Soweit die Verfassung solche Differenzierungen an anderer Stelle (wie insbesondere im Zusammenhang mit Art. 137 Abs. 5 GG) trifft oder zulässt, bewegt sich dies damit zwar im Rahmen der Verfassung, jedoch jenseits grundrechtlicher Gewährleistung.

Anmerkung: So wohl auch Mainusch, Die öffentlichen Sachen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, 1995, S. 23 ff.

Dem entspricht, dass es im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als völlig unproblematisch angesehen wird, dass jedenfalls im Verhältnis zwischen privatrechtlich verfassten Religionsgesellschaften und ihren Nachbarn (allein) privatrechtliches Nachbarrecht zur Anwendung gelangt.

Anmerkung: Vgl. nur Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, 1998, S. 299.

4. Ergebnis zu I

Da sich aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG somit kein Grundrecht öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgesellschaften herleiten lässt, im Verhältnis zu ihren Nachbarn nach öffentlich-rechtlichen Rechtsgrundsätzen beurteilt zu werden, konnten die Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts ein solches Grundrecht auch nicht verletzen.

II. Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG wegen Untersagung des Zeitschlagens

Jedoch könnten das LG und das OLG das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG der Kirchengemeinde dadurch verletzt haben, dass sie sie zur Unterlassung des Zeitschlagens ihrer Kirchturmuhr zwischen 22:00 und 6:00 Uhr verpflichtet haben. Dies wäre der Fall, wenn das Zeitschlagen mittels Kirchturmuhr in den Schutzbereich dieses Grundrechts fällt, das Verhaltensverbot dieser Entscheidungen in dieses Grundrecht eingreift und dieser Eingriff nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist.

1. Schutzbereich

Nach der Rechtsprechung des BVerfG stellt Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG ein einheitliches Grundrecht dar, das die Freiheit, einen Glauben, eine Religion oder Weltanschauung zu bilden, zu haben, zu äußern und entsprechend zu handeln, umfassend schützt (siehe hierzu A III 1 c). Nicht jedes Handeln einer Religionsgesellschaft fällt damit automatisch in den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, sondern nur solches, dass zumindest auch einen religiösen Bezug hat: Geschützt sind alle (aber auch nur) glaubensgeleiteten Handlungen, nicht jedoch Tätigkeiten, die z. B. ausschließlich der Gewinnerzielung dienen (z. B. Verkauf der Produkte einer Klosterbrauerei als solcher) oder sich ausschließlich als Akte der Vermögensverwaltung darstellen.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 7 C 47/07 v. 10.4.2008, Abs. 17, 22 = NVwZ 2008, 1357, 1358 f.

Fraglich ist damit, ob das Zeitschlagen der Kirchturmuhr zur Nachtzeit eine solche glaubensgeleitete Handlung der Kirchengemeinde ist.

a) Maßgeblichkeit objektiver Kriterien

Dies ist teilweise schlechthin verneint worden, weil dem Kirchturmuhrschlag nach objektiven Kriterien keine religiöse Bedeutung mehr zukomme: Nach Auffassung des BVerwG erschöpft sich z. B. seine Bedeutung im Wesentlichen in der Wahrung einer Tradition - ungeachtet des Selbstverständnisses der Kirchen, dass mit dem Glockenschlag zugleich ein Hinweis auf die Zeitlichkeit des Menschen verbunden sei. Der VGH München schließt hieraus, dass dem Zeitschlagen "objektiv" jeder religiöse Bezug fehle.

Anmerkung: Siehe BVerwG, 7 C 25/91 v. 30.4.1992, Abs. 6 = BVerwGE 90, 163, 167 und VGH München, 22 ZB 03.3011 v. 9.12.2003, Abs. 14 = NVwZ-RR 2004, 829, 831; ähnlich OVG Saarlouis, 8 R 7/91 v. 16.5.1991, Abs. 8 = NVwZ 1992, 72, 73. Auch das LG Aschaffenburg (LG Aschaffenburg, 2 S 391/98 v. 26.8.1999, Abs. 10 = NVwZ 2000, 965, 966) und das LG Arnsberg (LG Arnsberg, 5 S 43/07 v. 29.4.2008, Abs. 37 f. = NVwZ-RR 2008, 774) haben angenommen, die Angabe der Zeit durch Glockenschläge habe schlechthin mit Religionsausübung nichts zu tun und stelle sich nicht anders als das Zeitläuten aus einem Rathausturm dar. Das VG Augsburg (VG Augsburg, Au 4 K 81 A.623 v. 31.3.1982, Abs. 9 = KirchE 19, 285, 287) hat betont, dass das Zeitschlagen "unstreitig" nur eine profane Nebenaufgabe der Kirche darstelle und damit nicht gottesdienstlichen Zwecken diene. Ähnlich etwa Freiherr v. Campenhausen, DVBl. 1972, 316; Haaß, Jura 1993, 302, 304; Karabas, DÖV 2022, 538, 539 f.; Troidl, DVBl. 2012, 925, 927 ff.

Gegen eine solche Argumentation ist nichts einzuwenden, wenn das Zeitschlagen von der jeweiligen Religionsgesellschaft selbst nicht als glaubensgeleitete Handlung angesehen wird. Betont eine Kirchengemeinde etwa, dass sie ihre Kirchenuhr allein aus Traditionsgründen schlagen lässt und insoweit nur von ihrem Recht Gebrauch macht, ihr Eigentum zu nutzen, wird man kaum annehmen können, eine solche Handlung sei dennoch glaubensgeleitet.

Anmerkung: So wohl der Fall von BVerwG, 7 B 198/93 v. 28.1.1994, Abs. 5 = NJW 1994, 956; siehe auch Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, 1998, S. 234 f.; Huber, JA 2005, 119, 121.

b) Maßgeblichkeit der Einschätzungen des Grundrechtsträgers

Problematisch ist eine solche allein auf objektive Kriterien abstellende Sichtweise jedoch, wenn - wie hier - der Träger des Grundrechts behauptet, seine Handlung sei glaubensgeleitet. Soll die Religionsausübung staatsfrei sein, kann es nicht alleinige Angelegenheit des Staates sein zu bestimmen, welche Tätigkeit der Religionsausübung zuzurechnen ist. Andererseits ist es nicht angängig, dem Grundrechtsträger eine alleinige Definitionskompetenz dahingehend zuzusprechen, was zur Religionsausübung zählt, weil dann Inhalt und Reichweite der Religionsfreiheit zur Disposition desjenigen ständen, der sich hierauf beruft. Es muss also nicht jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat. Dem Staat ist es indes verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als "richtig" oder "falsch" zu bezeichnen; dies gilt insbesondere dann, wenn hierzu innerhalb einer Religion divergierende Ansichten vertreten werden.

Anmerkung: So zusammenfassend BVerfG, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 v. 27.1.2015, Abs. 86 = BVerfGE 138, 296, 329 f.; BVerfG, 2 BvR 1333/17 v. 14.1.2020, Abs. 80 = BVerfGE 153, 1, 34 f.; ähnlich bereits BVerfG, 2 BvR 263/86 v. 5.2.1991 = BVerfGE 83, 341, 353; BVerfG, 2 BvR 1436/02 v. 24.9.2003, Abs. 40 = BVerfGE 108, 282, 298; ferner BVerfG (K), 2 BvR 1333/17 v. 27.6.2017, Abs. 39 = NVwZ 2017, 1128 Abs. 39.

Im vorliegenden Fall hat die Kirchengemeinde geltend gemacht, dass sich die glaubensgeleitete Natur des Zeitschlagens aus dem Beschluss des Pfarrgemeinderates ergebe, nach der der Uhrenschlag an die Zeitlichkeit des Daseins erinnern und die Präsenz Gottes verkünden solle. Da tatsächlich ein solcher Beschluss gefasst wurde (und zwar von einem Gremium der Gemeinde, das an sich zur Fassung solcher Beschlüsse berufen ist und die Gemeindemitglieder gerade auch in religiösen Fragen repräsentieren soll) und eine solche Sichtweise auch nicht völlig fern liegt (weshalb - wenn nicht aus religiösen Gründen - sollte sich eine Kirchengemeinde in der heutigen Zeit des Uhrenschlagens annehmen?), erscheint es durchaus als plausibel, dass eine Religionsgesellschaft auch mit dem Zeitschlagen nicht nur "profane", sondern vor allem auch religiöse Zwecke verfolgt.

Anmerkung: Siehe hierzu auch die Argumentation von Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, 1998, S. 231 ff.; a. A. Karabas, DÖV 2022, 538, 539 f. ("diffuses Selbstverständnis" mache derartige Argumentationen "unplausibel".

c) Maßgeblichkeit der Auffassung der örtlichen Glaubensgemeinschaft

Problematisch könnte hier allenfalls sein, dass sich nach dem Sachverhalt aus keinem Dokument der katholischen Kirche zwingend eine solche auch religiöse Bedeutung des Uhrenschlagens ergibt. Für die Frage, ob einer spezifischen Handlung religiöse Bedeutung zukommt, könnte es nämlich entweder auf die in einer bestimmten Religionsgemeinschaft (wie der katholischen Kirche) insgesamt vertretene Auffassung ankommen oder auf die Auffassung, die in der Kirchengemeinde vertreten wird, die sich letztlich gegenüber einem bestimmten Akt der öffentlichen Gewalt auf ihre Grundrechte beruft. Das BVerfG scheint letzterer Auffassung zuzuneigen.

Anmerkung: Siehe BVerfG, 1 BvR 1783/99 v. 15.1.2002, Abs. 56 f. = BVerfGE 104, 337, 354 f.; BVerfG, 2 BvR 1436/02 v. 24.9.2003, Abs. 40 = BVerfGE 108, 282, 289 f.

Dies erscheint jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn - wie bei der katholischen Kirche aufgrund des Art. 214 CIC - im Rahmen einer bestimmten Religionsgesellschaft Raum für eigene Glaubensüberzeugungen und damit auch Raum für eigene (lokale) Sichtweisen bleibt.

Anmerkung: So auch in ähnlichem Zusammenhang VGH München, 22 ZB 04.3246 v. 11.1.2005, Abs. 7 ff. = NVwZ-RR 2005, 315, 316.

d) Ergebnis zu 1

Damit erscheint das Zeitschlagen jedenfalls in der katholischen Kirchengemeinde St. Hildebold als glaubensgeleitete Handlung, die deshalb vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfasst wird, ungeachtet der Frage, ob sie tagsüber oder nachts vorgenommen wird.

2. Eingriff

Indem das LG und das OLG die Kirchengemeinde zur Unterlassung des Zeitschlagens in der Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr verurteilen, wird ihnen ein bestimmtes von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschütztes Handeln untersagt, so dass sie auch in eine durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Rechtsposition der Kirchengemeinde eingreifen.

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs

Der Eingriff durch die Urteile ist verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, wenn sie ohne jede Rechtsgrundlage ergangen sind, wenn sie auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhen oder in Auslegung eines verfassungsmäßigen Gesetzes einen Rechtssatz aufstellen, der, wäre er vom Gesetzgeber erlassen worden, seinerseits verfassungswidrig wäre.

a) Verfassungswidrigkeit wegen Fehlens einer Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe?

Hier haben LG und OLG als materiellrechtliche Grundlage des Unterlassungsurteils § 1004 BGB i.V.m. § 906 BGB herangezogen. An der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen als solcher bestehen insgesamt keine Zweifel. Allerdings könnte zweifelhaft sein, ob die Urteile nicht in Wirklichkeit ohne jede Rechtsgrundlage in die Religionsfreiheit der Kirchengemeinde eingegriffen haben. Dies wäre dann der Fall, wenn das privatrechtliche Nachbarrecht aus verfassungsrechtlichen Gründen von vornherein keine taugliche Rechtsgrundlage für Eingriffe in die Rechte der Kirchengemeinde darstellen würde, jedenfalls soweit diese vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG umfasst sind. Eine solche Sichtweise liegt jedenfalls nahe, soweit (mit dem BVerwG und Isensee) angenommen wird, dass sich aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV ein verfassungsrechtliches (wenn auch nicht grundrechtsgewährleistetes) Recht öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgesellschaften ergebe, im Verhältnis zu ihren Nachbarn nicht nach Privatrecht beurteilt zu werden (siehe hierzu B I). Ist dies so, kann eine dennoch erfolgte und damit verfassungswidrige Anwendung des Privatrechts in diesem Verhältnis keine taugliche Rechtsgrundlage für eine Untersagung glaubensgeleiteter, jedoch "nachbarschaftsrelevanter" Handlungen sein. Wird dieser Ansicht nicht gefolgt und (nur) angenommen, dass das Privatrecht im Verhältnis zwischen öffentlich-rechtlicher Religionsgesellschaft und ihren Nachbarn (wenn überhaupt) nur aufgrund einfachen Rechts ausgeschlossen wird, erscheint dementsprechend eine (u. U. nach einfachem Recht unzutreffende) Heranziehung des Privatrechts in diesem Nachbarschaftsverhältnis allenfalls als bloßer Rechtsanwendungsfehler, der als solcher Grundrechte der Kirchengemeinde jedenfalls nicht in einer mit der Verfassungsbeschwerde rügbaren Weise verletzen kann (siehe hierzu A III 2 c).

An dieser Stelle lässt sich damit die Entscheidung dieses Streites nicht vermeiden. Fraglich ist daher, ob mit der Aufrechterhaltung des öffentlich-rechtlichen Körperschaftsstatus bestimmter Religionsgesellschaften in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV zugleich die verfassungsrechtliche Garantie einer Herausnahme von den Bindungen des privatrechtlichen Nachbarrechts verbunden ist.

aa) Argumente für eine verfassungsrechtliche Verankerung der Anwendbarkeit des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechts auf öffentlich-rechtlich verfasste Religionsgesellschaften

Hierfür könnte sprechen, dass bereits das Reichsgericht in einem Urteil vom 19. November 1903 gerade für den Fall einer Abwehrklage gegen kirchliches Glockenläuten von einer solchen ausschließlichen Maßgeblichkeit des öffentlichen Rechts im Verhältnis zwischen Nachbarn und öffentlich-rechtlich verfasster Kirchengemeinde ausgegangen ist.

Anmerkung: Siehe hierzu RG, V 218/03 v. 19.11.1903 = RGZ 56, 25 ff.

Hieraus könnte folgen, dass der Verfassungsgeber von 1919 auch diesen Aspekt des Staatskirchenrechts in Art. 137 Abs. 5 WRV verfassungsrechtlich absichern wollte, was dann wiederum über Art. 140 GG in die Verfassungsordnung des Grundgesetzes überführt worden wäre. So wird weitgehend angenommen, aus Art. 137 Abs. 5 WRV ergebe sich die Befähigung der Religionsgesellschaften, bestimmte, dem liturgischen Gebrauch dienende Gegenstände (wozu auch Kirchenglocken gezählt werden) durch Widmung dem Regime des öffentlichen Sachenrechts zu unterstellen, mit der Folge, dass deren bestimmungsgemäße Nutzung nicht aufgrund des privaten Nachbarrechts untersagt werden könne.

Anmerkung: So wohl Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 137 WRV Rn. 228, 230; P. Kirchhof, in: Listl/Pirsom (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland I, 2. Aufl. 1994, S. 672.

bb) Argumente gegen eine verfassungsrechtliche Verankerung der Anwendbarkeit des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechts auf öffentlich-rechtlich verfasste Religionsgesellschaften

Jedoch ist sehr zweifelhaft, ob sich über die genannte Entscheidung des Reichsgerichts tatsächlich eine derart präzise Aussage zum Anwendungsbereich des Privatrechts gegenüber öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgesellschaften in Art. 137 Abs. 5 WRV hineinlesen lässt. Insoweit ist zu bedenken, dass Art. 137 Abs. 5 WRV schon zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung einen "Kompromisscharakter" hatte und schon damals unklar war, welchen Status die Bestimmung öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgesellschaften eigentlich garantierte.

Anmerkung: Siehe z. B. Ebers, in: Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung II, 1930, S. 376 ff.

Größere Klarheit konnte auch die "Inkorporation" dieser Bestimmung über Art. 140 GG in das Grundgesetz nicht schaffen, die ebenfalls nur Kompromisscharakter hatte.

Anmerkung: Siehe hierzu Unruh, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art 140 Rn. 3 ff.

Auch entsprach es wohl bis zu der erwähnten Entscheidung des BVerwG zum Abwehranspruch gegenüber liturgischem Glockenläuten der wohl überwiegenden Auffassung in der Literatur, dass sich das Rechtsverhältnis zwischen Nachbarn und öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften schlechthin nach Privatrecht bestimme.

Anmerkung: Siehe hierzu die Nachw. bei Laubinger, VerwArch 83 (1992), 623, 635 Fn. 57.

Dies spricht jedenfalls dagegen, dass sich aus Art. 137 Abs. 5 WRV "selbstverständlich" eine verfassungsrechtliche Garantie einer Herausnahme öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgesellschaften aus den Bindungen des privatrechtlichen Nachbarrechts herleiten lässt.

Entscheidend gegen die Annahme der Existenz einer solchen Garantie dürfte jedoch sprechen, dass sie nach heutigem Stand der Dogmatik des öffentlichen Sachenrechts letztlich nicht mehr mit besonderen kirchenschützenden Inhalten verbunden wäre. Wer aus Art. 137 Abs. 5 WRV eine solche Garantie herausliest, geht von der Vorstellung aus, es bestehe Klarheit über den Inhalt des sich hieraus ergebenden öffentlichen Sachenrechts bzw. dass ein öffentliches Sachenrecht existiert, das auch auf öffentlich-rechtlich verfasste Religionsgesellschaften "passt". Dies mag solange gegolten haben, wie die Unterstellung bestimmter Sachen unter das Regime des öffentlichen Sachenrechts vor allem Freiheit von privatrechtlichen Bindungen bedeutet hat: So ging das Reichsgericht tatsächlich davon aus, dass die Anwendbarkeit des öffentlichen Sachenrechts vor allem bedeutete, dass der Nachbar keinen Anspruch auf Unterlassung des Glockenläutens habe, sondern allein auf das Wohlwollen der staatlichen Aufsichtsbehörden angewiesen sei.

Anmerkung: Vgl. RG, V 218/03 v. 19.11.1903 = RGZ 56, 25, 26 f. Für die Existenz ähnlicher Privilegien auch heute noch Klappert, DÖV 2016, 857, 862 (ohne Berücksichtigung der neueren Entwicklungen im allgemeinem Recht der öffentlichen Sachen).

Heute bedeutet die Unterwerfung bestimmter Sachen unter das öffentliche Sachenrecht jedoch vor allem die Unterwerfung des öffentlichen Sachherrn unter öffentlich-rechtliche Bindungen, insbesondere der Grundrechte (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG). Deutlich wird dies vor allem, wenn der öffentlich-rechtliche Immissionsabwehranspruch gegen "hoheitliche" Immissionen unmittelbar aus den Grundrechten hergeleitet  und inhaltlich nahezu vollumfänglich an das private Nachbarrecht angeglichen wird.

Anmerkung: Siehe hierzu Ossenbühl/Cornils, S. 360 ff.; grundlegend BVerwG, IV C 50.71 v. 14.12.1973, Abs. 20 = BVerwGE 44, 235, 243 f.; BVerwG, IV C 36.72 v. 2.11.1973, Abs. 14 ff. = NJW 1974, 817, 818; zum Nachbarrecht der öffentlichen Anlagen siehe den Hauptsach'-gudd-g'rillt-Fall.

Auch der Hamburger-Stadtsiegel-Fall hat gezeigt, dass nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, ohne spezielle Rechtsgrundlage gewähre das öffentliche Sachenrecht als solches der Verwaltung in Ansehung der Sache öffentlich-rechtliche Sonderrechte gegenüber jedermann.

Anmerkung: Vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 322 f.; ders., Die Verwaltung 46 (2013), 493, 499 ff. und 522 f. Siehe zum Hamburger-Stadtsiegel-Fall und seinen Konsequenzen für die Entwicklung des öffentlichen Sachenrechts den Sammlerstücke-Fall.

Damit entfällt letztlich die "Geschäftsgrundlage" für die Annahme, die Befugnis, bestimmte Sachen dem Regime des öffentlichen Sachenrechts zu unterstellen, gewähre bestimmte Privilegien. Die seit 1949 immer deutlicher werdende "Überwölbung" auch des öffentlichen Sachenrechts durch die Grundrechte lässt damit immer undeutlicher werden, welches Privileg die Anerkennung einer Befugnis, bestimmte kirchliche Gegenstände dem Geltungsanspruch des öffentlichen Sachenrechts zu unterstellen, den öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften eigentlich bringen könnte. Es ist nicht mehr erkennbar, welche materiellrechtlichen Nachteile die allgemeine Unterwerfung der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften unter den Geltungsanspruch des privaten Sachen- und Nachbarrechts im Verhältnis zu Dritten eigentlich bringen würde.

Anmerkung: Ähnlich wie hier Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, 1998, S. 288 ff.; Lorenz, JuS 1995, 492, 494; Renck, JZ 2001, 375, 377 ff.

Damit entfällt letztlich jeder Zwang und jede Rechtfertigung trotz fehlender Anhaltspunkte in der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung (und des Art. 140 GG), dennoch in die Statusgarantie des Art. 137 Abs. 5 WRV eine Gewährleistung hineinzulesen, dass kraft Verfassungsrechts das Privatrecht im "kirchlichen Nachbarrecht" öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgesellschaften keine Anwendung finden könne.

Anmerkung: VGH München (VGH München, 22 B 99.338 v. 1.3.2002, Abs. 3 ff. = BayVBl. 2003, 241, 242 f.) "löst" das Problem, indem er einerseits von der Geltung nur öffentlich-rechtlicher Abwehransprüche im Verhältnis zwischen dem Nachbarn und Kirchengemeinde ausgeht, jedoch andererseits zu Gunsten der Kirche Privilegien schafft, auf die sich ein "normaler" öffentlicher Sachherr gegenüber seinen Nachbarn nicht berufen könnte. Damit wird zugunsten öffentlich-rechtlicher Religionsgesellschaften ein öffentlich-rechtliches Nachbarrecht eigener Art geschaffen, was - wie dies in dem Urteil auch deutlich zum Ausdruck kommt - mehr oder weniger auf eine freie Rechtsfindung hinausläuft. Diesem Ansatz kann daher nicht gefolgt werden.

cc) Ergebnis zu a

Folgt man dem, lässt sich auch aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV kein verfassungsrechtlich verbürgtes Recht öffentlich-rechtlich verfasster Religionsgesellschaften herleiten, im Verhältnis zu ihren Nachbarn nur nach öffentlichem Recht beurteilt zu werden. Die Anwendbarkeit des öffentlichen Rechts kann sich in diesem Verhältnis dementsprechend allenfalls nach Maßgabe des einfachen Rechts ergeben. Ist dies so, liegt in der in den angegriffenen Entscheidungen getroffenen, u. U. fehlerhaften Bestimmung des Anwendungsbereichs des Privatrechts nur ein einfacher Rechtsanwendungsfehler, der keine mit der Verfassungsbeschwerde rügbare Grundrechtsverletzung darstellen kann.

b) Verfassungswidrigkeit wegen Nichteinschränkbarkeit des Grundrechts?

Eine Verletzung des Art. 4 GG durch die Urteile läge auch dann vor, wenn in dieses Grundrecht schlechthin nicht - auch nicht auf Grundlage eines Gesetzes - eingegriffen werden dürfte. Ausdrücklich enthält Art. 4 Abs. 1 und 2 GG selbst keinen Gesetzesvorbehalt. Ein ausdrücklicher Gesetzesvorbehalt könnte sich jedoch aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV ergeben. Hierdurch werden die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt. Die Bezugnahme des Art. 140 GG auch auf diese Bestimmung könnte so verstanden werden, als unterstände die Religionsfreiheit einem Vorbehalt "allgemeiner Gesetze" ähnlich dem des Art. 5 Abs. 2 GG. Einschränkungen der Religionsfreiheiten wären somit aufgrund eines einfachen Gesetzes (schon dann) zulässig, wenn sich dieses Gesetz nicht ausdrücklich gegen eine bestimmte Religion oder gegen religiöse Tätigkeit schlechthin richtet, sondern allgemeine Regeln aufstellt, die von jedermann unabhängig davon beachtet werden müssen, ob sein Handeln glaubensgeleitet ist oder nicht. Sähe man dies so, wäre die Eignung der Regelungen des privaten Nachbarrechts zur Einschränkung religiös motivierter Handlungen unproblematisch.

aa) Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV als Gesetzesvorbehalt für Eingriffe in Art. 4 GG

Für ein solches Verständnis des Verhältnisses zwischen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einerseits und Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV andererseits spricht, dass die in Art. 140 GG genannten Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung vollgültiges Verfassungsrecht sind, das im Grundsatz denselben Rang hat wie die Bestimmungen, die das Grundgesetz "im Volltext" enthält.

Anmerkung: So BVerfG, 1 BvR 413/60, 1 BvR 416/60 v. 14.12.1965 = BVerfGE 19, 206, 219; BVerfG, 1 BvL 31/62, 1 BvL 32/62 v. 14.12.1965 = BVerfGE 19, 226, 236; BVerfG, 2 BvR 661/12 v. 22.10.2014, Abs. 83 = BVerfGE 137, 273, 303; BVerfG, 2 BvR 1282/11 v. 30.6.2015, Abs. 89 = BVerfGE 139, 321, 349.

Sieht man Art. 136 Abs. 1 WRV nicht als einen Einschränkungen des Art. 4 GG zulassenden Gesetzesvorbehalt, läuft die Bezugnahme in Art. 140 GG auch auf diese Bestimmung demgegenüber leer.

Anmerkung: So insbesondere BVerwG, 3 C 40.99 v. 23.11.2000, Abs. 20 ff. = BVerwGE 112, 227, 231 ff.; Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 4 Rn. 87 ff.; Ehlers, in: Sachs, Art. 140 Rn. 4.

bb) Auffassung des BVerfG

Vom Wortlaut und der systematischen Stellung des Art. 4 GG ausgehend nimmt demgegenüber das BVerfG an, dass der Grundgesetzgeber die Glaubens- und Gewissensfreiheit aus dem Zusammenhang mit den Kirchenartikeln bewusst herausgelöst hat. Die Bezugnahme des Art. 140 GG auch auf Art. 136 WRV müsse daher im Lichte der gegenüber der Weimarer Reichsverfassung erheblich erweiterten Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit gesehen werden. Dies führe im Ergebnis dazu, dass Art. 136 Abs. 1 WRV nach Bedeutung und innerem Gewicht im Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung von Art. 4 GG überlagert werde.

Anmerkung: BVerfG, 2 BvR 75/71 v. 11.4.1972 = BVerfGE 33, 23, 30 f. Allerdings hatte der Zweite Senat des BVerfG in einer jüngeren Entscheidung für Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV ("Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes") angenommen, dass Art. 137 Abs. 3 WRV als speziellere Norm Art. 4 Abs. 1 und 2 GG insoweit vorgehe, als er eben das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften der Schranke des für alle geltenden Gesetzes unterwerfe, soweit sich die Schutzbereiche der inkorporierten statusrechtlichen Artikel der WRV und der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG überlagern (BVerfG, 2 BvR 661/12 v. 22.10.2014, Abs. 85 und 106 ff. = BVerfGE 137, 273, 304 und 312 ff.). Dass dies als "Trendwende" verstanden werden kann, die sich auch auf die Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 136 Abs. 1 WRV auswirken kann, ist wohl nicht anzunehmen: In der 2. Kopftuchentscheidung nimmt der Erste Senat des BVerfG jedenfalls auf Art. 136 Abs. 1 WRV keinen Bezug, wenn es um die Einschränkbarkeit der Religionsfreiheit geht: BVerfG, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 v. 27.1.2015, Abs. 98 = BVerfGE 138, 296, 333 (krit. deshalb Traub, NJW 2015, 1338, 1339). Dies wiederholte sich in der Karfreitag-Entscheidung des Ersten Senats (BVerfG, 1 BvR 458/10 v. 27.10.2016, Abs. 58 = BVerfGE 143, 161, 190) und nun auch in der "Referendarinnen-mit-Kopftuch-Entscheidung" des Zweiten Senats (BVerfG, 2 BvR 1333/17 v. 14.1.2020, Abs. 82 = BVerfGE 153, 1, 35).

cc) Streitentscheidung

Bei der Frage, welcher Auffassung zu folgen ist, kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass nach allgemeiner Ansicht vorbehaltlos gewährte Grundrechte Grundrechtseinschränkungen nicht vollständig ausschließen. Vielmehr können vorbehaltlos gewährte Grundrechte durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zum Schutz der Grundrechte Dritter oder sonstiger von der Verfassung anerkannter Werte (sog. verfassungsimmanente Grundrechtsschranken) eingeschränkt werden.

Anmerkung: So BVerfG, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 v. 27.1.2015, Abs. 98 = BVerfGE 138, 296, 333; BVerfG, 2 BvR 1333/17 v. 14.1.2020, Abs. 82 = BVerfGE 153, 1, 35.

Art. 136 Abs. 1 WRV nicht als allgemeinen Gesetzesvorbehalt des Art. 4 GG anzuerkennen, bedeutet daher nicht, dass in dieses Grundrecht überhaupt nicht eingegriffen werden dürfte. Vielmehr werden nur die Möglichkeiten zu Eingriffen in Art. 4 GG eingeschränkt: Es reicht nicht aus, dass ein Gesetz bestimmte Handlungen schlechthin ge- oder verbietet, sondern durch das Handlungsge- oder -verbot muss ein Rechtsgut geschützt werden, dem seinerseits Verfassungsrang zukommt.

Anmerkung: Siehe hierzu Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 4 Rn. 85.

Vor diesem Hintergrund dürfte der Auffassung des BVerfG zu folgen sein, nach der die Schrankenbestimmung des Art. 136 Abs. 1 WRV von Art. 4 GG schlechthin überlagert wird.

Anmerkung: Hierzu näher Fischer/Groß, DÖV 2003, 932, 934 ff.; Korioth, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 140/136 WRV Rn. 51 ff.

(1) Fehlen eines Verweises auf Art. 135 WRV

Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass Art. 140 GG ausdrücklich nicht auf Art. 135 WRV verweist, der in der Weimarer Reichsverfassung das eigentliche Grundrecht der Religionsfreiheit darstellte und lautete: "Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt." Den eigentlichen Gesetzesvorbehalt des Grundrechts der Religionsfreiheit bildete damit in der Weimarer Reichsverfassung Art. 135 Satz 3 WRV, während Art. 136 Abs. 1 WRV wohl weniger als (zusätzliche) Grundrechtsschranke denn als Diskriminierungsverbot zu verstehen war. Zudem ist es jedenfalls nicht unproblematisch, die heutige Grundrechtsdogmatik mit ihren differenzierten Schrankenvorbehalten dem Text der Weimarer Reichsverfassung gleichsam "überzustülpen", da hiermit diesen Bestimmungen eine Bedeutung zugemessen wird, die sie jedenfalls unter Geltung der Weimarer Reichsverfassung nicht hatten.

So war in der Weimarer Staatsrechtslehre nicht eindeutig geklärt, ob die Grundrechte auch den (Reichs-)Gesetzgeber binden. Daher setzte ein Gesetzesvorbehalt in der Weimarer Reichsverfassung weniger der Gesetzgebung Grenzen als vor allem der Verwaltung, der hierdurch verwehrt wurde, ohne gesetzliche Grundlage in ein Grundrecht einzugreifen. Dem steht die ganz anders gelagerte Konzeption der unmittelbaren Grundrechtsgeltung auch gegenüber dem Gesetzgeber des Art. 1 Abs. 3 GG gegenüber. Dem Argument des BVerfG, die "Neuorientierung" der grundrechtlichen Gewährleistung durch das Grundgesetz überlagere den in dieses Konzept nicht unmittelbar passenden Art. 136 Abs. 1 WRV, kann nicht von vornherein jede Überzeugungskraft abgesprochen werden.

(2) Bedeutung der Entstehungsgeschichte

Vor allem aber die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes dürfte gegen ein Verständnis des Art. 136 Abs. 1 WRV als einfacher Gesetzesvorbehalt für die Religionsfreiheit des Art. 4 GG sprechen. Der vorbehaltlos gewährleistete Art. 4 GG "stand" schon im wesentlichen seinem Text nach fest, bevor im Wege des Kompromisses der Beschluss gefasst wurde, die Art. 136 ff. WRV in das Grundgesetz zu inkorporieren. Daher bedürfte es schon besonderer Anhaltspunkte, um die Annahme zu rechtfertigen, dass mit der Inkorporierung des Art. 136 Abs. 1 WRV in das Grundgesetz eine Einschränkung des bisher vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts verbunden sein sollte, weil man sich eben bereits auf die vorbehaltlose Gewährleistung des Grundrechts geeinigt hatte. Entsprechende Anhaltspunkte finden sich in der Entstehungsgeschichte jedoch nicht. Insbesondere deshalb lässt sich vor diesem Hintergrund die Existenz des Art. 136 Abs. 1 WRV nicht als Erklärung dafür sehen, dass Art. 4 GG vorbehaltlos gewährleistet wurde. Eine solche Sichtweise setzt die Annahme einer bewussten Abstimmung des Wortlauts des Art. 4 GG mit dem des Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV voraus, die dem Kompromisscharakter der Übernahme der Weimarer Kirchenartikel kaum gerecht wird.

Anmerkung: Wie hier Fischer/Groß, DÖV 2003, 932, 934 f.; a. A. jedoch Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 4 Rn. 88.

dd) Ergebnis zu b

Damit ergibt sich auch aus Art. 136 Abs. 1 WRV kein ausdrücklicher Gesetzesvorbehalt für Eingriffe in Art. 4 GG. Folglich kann - entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG - in die Religionsfreiheit grundsätzlich nicht, sondern nur zum Schutz der Grundrechte Dritter oder sonstiger verfassungsrechtlich anerkannter Werte eingegriffen werden.

c) Verfassungswidrigkeit wegen Verkennung der Bedeutung des Art. 4 GG im Nachbarrecht

Da das LG und das OLG durch ihre Unterlassungsurteile in ein Grundrecht der Kirchengemeinde eingriffen, das dieser grundsätzlich vorbehaltlos gewährt wird, so dass Eingriffe nur zulässig sind, wenn sie zum Schutz der Grundrechte Dritter oder sonstiger verfassungsrechtlich anerkannter Werte zulässig sind, hätten sie dies auch bei Anwendung des privatrechtlichen Nachbarrechts beachten müssen. Sie durften m. a. W. in Auslegung dieser Bestimmungen keinen Rechtssatz aufstellen, der - hätte ihn der Gesetzgeber erlassen - verfassungswidrig wäre. Dies bedeutet vor allem, dass bei der Auslegung insbesondere des § 906 BGB zu berücksichtigen war, dass eine Untersagung des Glockenläutens nur dann in Betracht kommt, wenn dies zum Schutz der Grundrechte des gestörten Nachbarn geboten ist.

aa) Mögliche Gebotenheit des Eingriffs zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit

Allgemein anerkannt ist, dass auch eine Untersagung glaubensgeleiteter Handlungen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vereinbar ist, soweit dies zum Schutz der durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten körperlichen Unversehrtheit Dritter als notwendig erscheint.

Anmerkung: Siehe hierzu Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 4 Rn. 84.

Auch soweit Kirchengemeinden aus religiösen Gründen ihre Glocken läuten lassen, müssen sie damit die Schranken des (privaten und öffentlich-rechtlichen) Immissionsschutzrechts zumindest insoweit beachten, als deren Missachtung nach allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Gesundheitsbeschädigungen führen kann. Besondere "Kultusabschläge" zu Lasten der Nachbarn sind insoweit nicht gerechtfertigt.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 7 C 44.81 v. 7.10.1983 = BVerwGE 68, 62, 69; OVG Magdeburg, 2 L 33/14 v. 19.5.2016, Abs. 13 = LKV 2016, 378, 379; VGH München, 22 B 99.338 v. 1.3.2002, Abs. 3 = BayVBl. 2003, 241, 242; Freiherr v. Campenhausen, DVBl. 1972, 316, 317; Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, 1998, S. 260 ff.; Troidl, DVBl. 2012, 925 ff.

Nach dem Sachverhalt steht jedoch fest, dass der nächtliche Glockenschlag seiner Art nach keine Gesundheitsbeeinträchtigung Rousseaus herbeizuführen geeignet ist, weil die maßgeblichen Geräusch-Grenzwerte nicht überschritten werden. Ist dem so, kann eine Untersagung des Glockenläutens auch nicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Nachbarn geboten sein.

Anmerkung: So VGH Mannheim, 1 S 241/11 v. 3.4.2012, Abs. 18 = DVBl. 2012, 1055; ähnlich auch OVG Magdeburg, 2 L 33/14 v. 19.5.2016, Abs. 13 = LKV 2016, 378, 379. In der Prüfung, ob die maßgeblichen Grenzwerte beim Läuten bestimmter Glocken überschritten werden, liegt oft die eigentliche, eher technische Problematik der Glocken-Fälle, vgl. OVG Magdeburg, 2 L 33/14 v. 19.5.2016, Abs. 14 f. = LKV 2016, 378, 379 f.; VGH München, 22 B 99.338 v. 1.3.2002, Abs. 4 ff. = BayVBl. 2003, 241, 242; VG Stade, 1 A 91/87 v. 8.12.1988, Abs. 12 ff. = NVwZ 1989, 497 ff.; LG Arnsberg 5 S 43/07 v. 29.4.2008, Abs. 62 ff. = NVwZ-RR 2008, 774, 775 f.; Karabas, DÖV 2022, 538, 541 ff.

Im Einzelnen muss hierauf nicht näher eingegangen werden, da auch das LG und das OLG in ihren Entscheidungen nicht von einer möglichen Verletzung der Gesundheit Rousseaus durch die nächtlichen Uhrenschläge ausgingen.

bb) Mögliche Gebotenheit des Eingriffs zum Schutz der negativen Religionsfreiheit

Die Gerichte haben allerdings in den angegriffenen Entscheidungen eine Untersagung des Glockenläutens auch zum Schutz der "negativen Religionsfreiheit" Rousseaus für geboten erachtet. Insoweit ist anerkannt, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 GG auch die Freiheit schützt, einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung nicht anzugehören.

Anmerkung: Siehe hierzu Kingreen/Poscher, Rn. 719.

Jedoch lässt sich aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG kein allgemeines Recht gegen den Staat herleiten, vor fremden Glaubensbekundungen und kultischen Handlungen schlechthin verschont zu bleiben, weil andernfalls die positive Religionsfreiheit, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen und damit auch glaubensgeleiteten Handlungen Raum gibt, nicht gewährleistet werden könnte. Die negative Religionsfreiheit steht - wie auch Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 WRV verdeutlicht - vielmehr nur staatlichen Maßnahmen entgegen, mit denen der Betroffene zur Vornahme bestimmter glaubensrelevanter Handlungen gezwungen werden soll.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG, 1 BvR 1087/91 v. 16.5.1995 = BVerfGE 93, 1, 16.

Da das "glaubensgeleitete Glockenläuten" dem Staat nicht als eigenes Handeln zugerechnet werden kann, ist somit eine wie auch immer geartete Pflicht des Staates, das Glockenläuten der Kirchengemeinden zu untersagen, bereits vom Schutzbereich der negativen Religionsfreiheit nicht umfasst.

Anmerkung: Ausführlich Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, 1998, S. 278 ff.; im Ergebnis auch VGH Mannheim, 1 S 241/11 v. 3.4.2012, Abs. 25 f. = DVBl. 2012, 1055, 1056; VG Würzburg, 435 II 71 v. 7.6.1972 = KirchE 12, 501; Baldus, DÖV 1971, 338, 339; Karabas, DÖV 2022, 538, 540.

Folglich konnte es dann aber zum Schutz der negativen Religionsfreiheit Rousseaus nicht geboten sein, der Kirchengemeinde das nächtliche Uhrenschlagen zu untersagen. Auch dies vermag daher eine Einschränkung der Grundrechte der Kirchengemeinde nicht zu rechtfertigen.

cc) Mögliche Gebotenheit des Eingriffs zum Schutz des Eigentums und der allgemeinen Handlungsfreiheit

Die Gerichte begründeten ihre Entscheidung jedoch auch damit, dass das allgemeine Bedürfnis nach ruhigem Nachtschlaf und das Interesse am Werterhalt des Grundstücks des Kirchennachbarn eine Untersagung des nächtlichen Zeitschlagens rechtfertigen könnten. Da das Zeitschlagen jedenfalls im vorliegenden Fall nicht geeignet ist, eine Gesundheitsbeschädigung Rousseaus herbeizuführen, kann sich ein Grundrecht auf "ruhigen Schlaf" im vorliegenden Zusammenhang allenfalls aus Art. 2 Abs. 1 GG ergeben. Das Interesse am Werterhalt des Grundstücks ist grundsätzlich durch Art. 14 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich anerkannt. Daher erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch diese verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen einen Eingriff in Art. 4 GG zu rechtfertigen vermögen.

Anmerkung: Vgl. Mainusch, Die öffentlichen Sachen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, 1995, S. 337 f.

Jedoch ist bereits sehr zweifelhaft, ob diese Interessen ihrem Gewicht nach geeignet sind, Einschränkungen der Religionsausübungsfreiheit zu rechtfertigen. Jedenfalls kann die Berufung auf diese Interessen nicht dazu führen, dass dem glaubensgeleiteten Handeln Grenzen auferlegt werden, die über das hinausgehen, was bei Vornahme nicht-glaubensgeleiteter Handlungen zu respektieren ist.

Anmerkung: So Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, 1998, S. 273 ff.

Anders als dies das LG und das OLG sehen, kann demnach ein glaubensgeleitetes Glockenläuten nicht allein deshalb untersagt werden, weil es eben glaubensgeleitet ist und deshalb "genauso gut auch unterbleiben könnte". Wenn also - wie im vorliegenden Fall gegeben - religiös motiviertes Glockenläuten die allgemeinen Grenzen für Lärmimmissionen im Nachbarrecht einhält, die grundsätzlich eine sachgemäße und verfassungsrechtlich unbedenkliche Regelung für die Abwägung der unterschiedlichen nachbarlichen Interessen darstellen, kann den maßgeblichen Grenzwerten nicht gleichsam ein "Lästigkeitszuschlag" hinzugefügt werden. Auf diese Weise würde nicht zum Schutz anderer Verfassungswerte in die Religionsausübungsfreiheit eingegriffen, sondern letztlich derjenige, der sich auf die Religionsausübungsfreiheit beruft, gegenüber anderen diskriminiert.

Jedenfalls in der vorliegenden Konstellation kann daher auch der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Eigentums und der allgemeinen Handlungsfreiheit eine Untersagung des Glockenläutens nicht rechtfertigen.

dd) Ergebnis zu c

Indem das LG und das OLG der Kirchengemeinde das Glockenläuten untersagten, obwohl dies zum Schutz der Grundrechte Dritter und anderer anerkannter Verfassungswerte nicht geboten war, haben sie die Bedeutung und Reichweite der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten Religionsfreiheit verkannt.

d) Ergebnis zu 3

Der Eingriff der Gerichte in die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistete Religionsfreiheit der Kirchengemeinde war damit verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.

4. Ergebnis zu II

Indem LG und OLG die Kirchengemeinde zur Unterlassung des Zeitschlagens in der Zeit zwischen 22:00 bis 6:00 Uhr verpflichteten, haben sie deren Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt.

III. Grundrechtsverletzung durch Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter

Die Kirchengemeinde könnte durch die im Rahmen des Verfahrens nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden sein, indem LG und OLG die ordentlichen Gerichte für die Entscheidung der Streitigkeit zwischen der Kirchengemeinde und Rousseau für zuständig erachteten.

1. Schutzbereich

Das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begründet vor allem das Recht auf den gesetzlich zuständigen Richter. Das Recht auf den gesetzlichen Richter umfasst damit auch ein Recht auf richtige Rechtswegabgrenzung, weil nur der Richter des richtigen Rechtswegs zur Entscheidung einer bestimmten Streitigkeit rechtlich zuständig ist (siehe hierzu A III 1 a).

2. Eingriff

Ein Eingriff in das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter liegt jedoch nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht schon dann vor, wenn ein Gericht die gesetzlichen Vorschriften über die Gerichtszuständigkeit falsch angewandt hat, weil andernfalls das BVerfG zu einer Superrevisionsinstanz für das Gerichtsverfassungsrecht und die Regelungen über die gesetzlichen Zuständigkeiten würde. Ein "Entziehen" i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und daher einen Eingriff in dieses grundrechtsgleiche Recht nimmt das BVerfG daher nur an, wenn ein Gericht Verfahrensvorschriften willkürlich unrichtig auslegt oder die Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG (K), 2 BvR 836/04 v. 24.2.2006, Abs. 41 = NJW 2006, 3129, 3130 f.; Otto, JuS 2012, 21, 25; Kingreen/Poscher, Rn. 1389. Siehe hierzu auch den Freigesetzt-Fall, den Geschlossene-Gesellschaft-Fall und den Superrevisions-Fall.

Vor diesem Hintergrund ist zu berücksichtigen, dass die Frage des Rechtswegs gegenüber dem Glockenläuten bei öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgesellschaften nach wie vor sowohl im Allgemeinen als auch gerade für den Fall des Zeitschlagens im Grundsätzlichen wie in der Begründung erheblich umstritten ist.

Anmerkung: Vgl. zum Meinungsstand die Zusammenstellung der Ansichten bei Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag, 1998, S. 298 ff.

Der Umstand allein, dass sich die Gerichte einer bestimmten in der Literatur vertretenen Ansicht zur Rechtswegfrage angeschlossen haben, kann daher noch keine willkürliche Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter darstellen.

Einen willkürlichen Eingriff in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG könnte daher in den Entscheidungen der LG und OLG allenfalls dann zu sehen sein, wenn man Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV eine verfassungsrechtliche Garantie des Verwaltungsrechtswegs für Glockenstreitigkeiten bei öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgesellschaften sieht.

Anmerkung: So letztlich BVerwG, 7 C 44.81 v. 7.10.1983 = BVerwGE 68, 62, 63 ff.; Isensee, in: Gedächtnisschrift für Léontin Constantinesco, 1983, S. 301, 314 ff.

Diese Garantie könnte das Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Ergebnis dergestalt "verstärken", dass in diesem Zusammenhang schon schlicht fehlerhafte Rechtswegzuweisungen einen Eingriff in dieses grundrechtsgleiche Recht darstellen. Jedoch ist bereits festgestellt worden, dass sich aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV kein Recht öffentlich-rechtlicher Kirchengemeinden ergibt, im Verhältnis zum Kirchennachbarn nicht dem privatrechtlichen Nachbarrecht unterworfen zu werden (siehe hierzu B I und B II 3a). Konsequenterweise kann es dann auch kein verfassungsrechtlich abgesichertes Recht auf Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte in diesem Zusammenhang geben.

Folglich haben LG und OLG jedenfalls nicht willkürlich die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bejaht, so dass hier dahingestellt bleiben kann, ob sie nach einfachem Recht gegeben wäre. Es liegt damit bereits kein Eingriff in das Recht auf den gesetzlichen Richter des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vor.

3. Ergebnis zu III

Da LG und OLG nicht in das sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergebende Recht der Kirchengemeinde eingegriffen haben, verletzen die im Verfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse dieses Recht der Kirchengemeinde nicht.

IV. Ergebnis zu B

Die Verfassungsbeschwerde ist dementsprechend begründet, soweit sie sich gegen die Endurteile des LG und des OLG richtet, jedoch unbegründet, soweit die im Verfahren nach § 17a GVG getroffenen Beschlüsse Angriffsgegenstand sind.

C) Gesamtergebnis

Die Verfassungsbeschwerde ist somit gegen alle angegriffenen Entscheidungen zulässig, jedoch nur begründet, soweit sie sich auf die Endurteile von LG und OLG bezieht.

Das BVerfG wird also hinsichtlich der im Verfahren nach § 17a GVG ergangenen Beschlüsse die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückweisen. Im Übrigen wird es gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG feststellen, dass das Urteil des Landgerichts Saarbrücken und das Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken die Rechte der Kirchengemeinde aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt. Darüber hinaus wird es nach § 95 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG diese Urteile aufheben. Nach § 95 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG muss es die Entscheidung an "ein zuständiges Gericht" zurückweisen. Insofern dürfte es am zweckmäßigsten sein, die Sache an das OLG zurückzuweisen

Anmerkung: Siehe hierzu Stark, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, § 95 Rn. 59 ff..

Das OLG wird dann die Berufung neu verhandeln müssen. Da mangels Grundrechtsverletzung eine Aufhebung der nach § 17a GVG getroffenen Beschlüsse nicht erfolgen wird, bleibt das OLG jedoch bei seiner neuerlichen Urteilsfindung an die in diesen Beschlüssen getroffene Rechtswegentscheidung gebunden.

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